Navier-Cauchy-Gleichungen

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Die Navier-Cauchy-, Navier- oder Navier-Lamé-Gleichungen (nach Claude Louis Marie Henri Navier, Augustin-Louis Cauchy und Gabriel Lamé) sind ein mathematisches Modell der Bewegung – inklusive Deformation – von elastischen Festkörpern. Bei der Herleitung der Modellgleichungen wird sowohl geometrische als auch physikalische Linearität (lineare Elastizität) vorausgesetzt. Die Gleichungen lauten koordinatenunabhängig vektoriell

oder in kartesischen Koordinaten

Es handelt sich um ein partielles Differentialgleichungssystem zweiter Ordnung in drei unbekannten Verschiebungen , die im Allgemeinen sowohl vom Ort als auch von der Zeit t abhängen. Verschiebungen sind die Wege, die die Partikel eines Körpers bei einer Bewegung – inklusive Deformation – zurücklegen. Die Materialparameter ϱ, G und ν sind die Dichte, der Schubmodul bzw. die Querkontraktionszahl, 𝜵, Δ = 𝜵2, grad und div der Nabla-, Laplace-, Gradienten- bzw. Divergenzoperator und repräsentiert eine volumenverteilte Kraft, wie die Schwerkraft eine ist.

Jedes Material im festen Aggregatzustand hat einen mehr oder weniger ausgeprägten linear-elastischen Bereich, zumindest bei kleinen und langsamen Verformungen, die bei vielen Anwendungen, vor allem im technischen Bereich, vorliegen.

Claude Louis Marie Henri Navier leitete diese, nach ihm benannte Gleichung 1821 aus einem molekularen Modell ab, das auf Materialien mit identischen ersten und zweiten Lamé-Konstanten beschränkt ist. Die allgemeinere, hier vorgestellte Gleichung mit zwei verschiedenen Elastizitätskonstanten, erschien erstmals in einer Arbeit von Cauchy 1828.[L 1]

Ausgangspunkt ist das erste Cauchy-Euler’sche Bewegungsgesetz bei kleinen Verschiebungen

das der Impulsbilanz entspricht. Zusätzlich zu den eingangs beschriebenen Variablen tritt hier der infolge des Drallsatzes symmetrische Spannungstensor σ auf. Dessen Abhängigkeit von den Verschiebungen ergibt sich mit dem linearisierten Verzerrungstensor

aus dem Hooke’schen Gesetz:

Das Superskript steht für die Transposition des dyadischen Produkts ⊗, 1 für den Einheitstensor und der Operator Sp extrahiert die von der Transposition unbeeinflusste Spur, die bei dem Gradient eines Vektorfeldes gleich der Divergenz desselben ist. Die im ersten Cauchy-Eulerschen Bewegungsgesetz auftretende Divergenz wird bereitgestellt:[F 1]

In Kombination mit dem obigen Bewegungsgesetz führt das auf die Navier-Cauchy-Gleichungen:

In der letzten Gleichung wurden alternativ die erste und zweite Lamé-Konstante λ und μ eingesetzt. Gelegentlich ist es bequem noch die Identität auszunutzen:

Das Kreuzprodukt × mit dem Nabla-Operator bildet die Rotation eines Vektorfeldes.

Koordinaten der Navier-Cauchy Gleichungen

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Die Navier-Cauchy Gleichungen sind in kartesischen-, zylinder- und Kugelkoordinaten bekannt.[L 2]

Kartesische Koordinaten

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mit .

Zylinderkoordinaten

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mit .

Kugelkoordinaten

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Die Formulierung benutzt den Sinus und Cosinus sin bzw. cos und den Tangens tan.

mit .

Randbedingungen

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Im konkreten Berechnungsfall der Navier-Cauchy-Gleichungen sind Randbedingungen zu definieren. Als geometrische oder Dirichlet-Randbedingungen werden in den Auflagern die Verschiebung vorgegeben, oftmals ganz unterdrückt. Die dynamischen oder Neumann-Randbedingungen entsprechen flächenverteilten Kräften (Vektoren mit der Dimension Kraft pro Fläche), die auf Oberflächen des Körpers wirken.

Lösungsmethoden

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Für einfache Fälle, siehe das Beispiel unten, gerade Stäbe und ebene Scheiben können analytische Lösungen angegeben werden. Bei unregelmäßig geformten Körpern bietet sich als numerisches Werkzeug die Verschiebungsmethode in der Finite-Elemente-Methode an.

Analytische Lösungen für die dreidimensionalen Navier-Cauchy-Gleichungen sind schwer aufzufinden. Die meisten erlangten Lösungen basieren auf 2-dimensionalen Modellen:[L 3]

Ebener Verzerrungszustand
Hier verschwindenden alle Verzerrungen in Dickenrichtung was bei sehr dicken oder langen zylindrischen Körpern vorkommt.
Ebener Spannungszustand
Bei ihm verschwindenden Spannungen in Dickenrichtung, was in dünnen Flächenträgern vorkommt. Im Inneren von Körpern kann dieser Zustand bei ortsabhängigen Spannungen nur näherungsweise erfüllt sein.
Verallgemeinerter ebener Spannungszustand
Wegen dieses Mangels des ebenen Spannungszustands wurde eine Theorie entwickelt, die mit über die Dicke gemittelten Größen arbeitet.
Antiebener Verzerrungszustand
Dieses Modell setzt ausschließlich Verschiebungen in Dickenrichtung voraus.
Axialsymmetrischer Verzerrungszustand.
Dies ist die Formulierung in #Zylinderkoordinaten, wo eine Abhängigkeit von der Umfangsrichtung φ entfällt.

Der ebene Verzerrungszustand und der ebene Spannungszustand sind die fundamentalen ebenen Theorien und liefern sehr ähnliche Feldgleichungen. Diese können auf nur eine Gleichung in einer unbekannten, die Airy’sche Spannungsfunktion zurückgeführt werden.

Die weitreichenden Eigenschaften komplexwertiger Funktionen können mit dem Ansatz U := u+iv ausgenutzt werden, wo i die imaginäre Einheit ist. Im statischen Fall führt dieser Ansatz auf

Darin stellt der Überstrich den konjugiert komplexen Wert dar. Die allgemeine Lösung dieser Gleichung lässt sich mit zwei zu bestimmenden Funktionen Φ und Ψ darstellen:

Der Parameter γ hängt von der Querkontraktionszahl ab:

Siehe Airysche Spannungsfunktion#Darstellung mit komplexen Funktionen.

Harmonische Schwerkraft

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Im Gleichgewicht schreiben sich die Navier-Cauchy-Gleichungen

Die Divergenz (𝜵·) und Rotation (𝜵×) dieser Gleichung liefern[F 2]:

Wenn die Schwerkraft sowohl divergenz- als auch rotationsfrei ist, dann resultiert

Ein Vektorfeld, dessen Divergenz und Rotation verschwinden, ist harmonisch, so dass im Gleichgewicht von und auf

geschlossen werden kann. Letzteres ist die sogenannte biharmonische Differentialgleichung.

Inkompressibilität

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Bei Inkompressibilität verschwindet die Spur des Verzerrungstensors, denn sie gibt die Volumendehnung an:

Bei Inkompressibilität ist der Kugel-Anteil des Spannungstensors unbestimmt und wird zum Drucktensor zusammengefasst:

Der Skalar p ist der Druck, der sich erst im konkreten Berechnungsfall aus den Randbedingungen und Naturgesetzen ergibt. Für die Divergenz des Spannungstensors hat dies die Konsequenz (siehe die obigen Anmerkungen[F 1]):

Das erste Cauchy-Euler’sche Bewegungsgesetz schreibt sich dann

Zu diesen drei Gleichungen in den vier Unbekannten wird noch zum Abschluss benötigt.

Wellengleichungen

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Division der Navier-Cauchy-Gleichung mit Rotation durch die Dichte ergibt bei vernachlässigbarer Schwerkraft:

Die Faktoren cl und ct haben die Dimension einer Geschwindigkeit. Gemäß dem Helmholtz-Theorem lässt sich jedes reale Verschiebungsfeld eindeutig in einen divergenzfreien und einen rotationsfreien Anteil zerlegen:

 mit  und 

Für den rotationsfreien Anteil gibt es ein Skalarpotential, dessen Gradientenfeld er ist, und für den divergenzfreien Anteil existiert ein Vektorfeld, dessen Rotation er ist:

Dies in die Navier-Cauchy-Gleichung eingesetzt

zeigt mit und Δ = 𝜵2:

oder umgestellt mithilfe vom Satz von Schwarz, der die Reihenfolge der Ableitungen freigibt:

Diese Gleichung wird gewiss erfüllt, wenn die in den Klammern stehenden Terme verschwinden, die Wellengleichungen darstellen:

Die obere Gleichung beschreibt Longitudinalwellen, die sich mit der Geschwindigkeit

ausbreiten und die untere Transversalwellen, die sich mit der Geschwindigkeit

fortpflanzen. Wegen werden Longitudinalwellen als P-Wellen (Primärwellen) und die Transversalwellen als S-Wellen (Sekundärwellen) bezeichnet, denn diese treffen später ein.

Longitudinalwellen eines elastischen Stabes in den ersten beiden Moden

Bei der Longitudinalwelle des geraden Stabes, der in 1-Richtung liegt (im Bild waagerecht), bewegen sich alle Querschnittsflächen parallel zur 1-Richtung und Schubverzerrungen treten nicht auf.

Unter Vernachlässigung der Schwerebeschleunigung lautet die Navier-Cauchy-Gleichung in 1-Richtung:

Aus der Querdehnung in k-Richtung (k=2, 3)

und der Abwesenheit von Schubverzerrungen

folgt mit dem Elastizitätsmodul :

Senkrecht zur Stabachse werden die Navier-Cauchy-Gleichungen verletzt, weswegen diese Näherung nur für schlanke Stäbe gültig ist.

Mit und der Wellenausbreitungsgeschwindigkeit ergibt sich die Schwingungsgleichung für den geraden Stab:

Der Produktansatz mit freien Parametern a und C, die in der Schwingungsgleichung heraus fallen und der Anpassung an Randbedingungen dienen, sowie zwei noch zu bestimmenden Funktionen T und U ergibt:

Der Strich ( )' gibt wie üblich die Ableitung nach der x-Koordinate wieder. Weil die Funktionen auf der linken Seite der letzten Gleichung nur von der Zeit und die auf der rechten Seite nur von der x-Koordinate abhängen, sind die Brüche Konstanten:

.

Die Amplitude der Funktion T und der Faktor a werden der Amplitude u der Funktion U zugeschlagen. Die Amplitude u, die Verschiebung C, die Kreisfrequenzen ω und λ sowie die Phasenwinkel α und β müssen an die Anfangs- und Randbedingungen angepasst werden. Bei fester Einspannung bei x0 ist

Andere Werte für β sind zwar möglich, führen aber auf gleichwertige Lösungen und Translationen werden mit dem Parameter C realisiert. An einem freien Ende bei x = x0 wird die Normalkraft N = E A U′(x0) vorgegeben, wo der Faktor E der Elastizitätsmodul und A die Querschnittsfläche des Stabes ist. So wird mit der Kraft die Ableitung der Funktion U am freien Ende festgelegt:

Im konkreten Fall hier, wird anfänglich maximale Auslenkung mit

,

feste Einspannung in C = x = 0, ein unbelastetes freies Ende bei x = L und anfängliche Auslenkung R am freien Ende angenommen:

Der Zähler n = 1,2,… beziffert den Schwingungsmode. Die finale Form der Bewegungsfunktion ist somit:

Das Bild zeigt die mit den Parametern aus der Tabelle berechnete Lösung.

Parameter Länge L Endverschiebung R Mode n Wellengeschw. c
Einheit mm mm - mm/s
Wert 100 10 1,2 1

Wegen schwingt die zweite Mode dreimal schneller als die erste.

  1. a b Ausgenutzt werden die Identitäten , und also .
  2. Ausgenutzt wird, dass ein Rotationsfeld immer divergenzfrei, ein Gradientenfeld immer rotationsfrei ist und mit . Mit der bereits oben verwendeten Identität folgt

Einzelnachweise

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  1. M. E. Gurtin (1972), S. 90
  2. Sadd (2004), S. 440 f.
  3. Sadd (2004), S. 123 ff.
  • Holm Altenbach: Kontinuumsmechanik. Einführung in die materialunabhängigen und materialabhängigen Gleichungen. 2. Auflage. Springer Vieweg, Berlin u. a. 2012, ISBN 978-3-642-24118-5.
  • P. Haupt: Continuum Mechanics and Theory of Materials. Springer, 2000, ISBN 3-540-66114-X.
  • Ralf Greve: Kontinuumsmechanik. Springer, 2003, ISBN 3-540-00760-1.
  • W. H. Müller: Streifzüge durch die Kontinuumstheorie. Springer, 2011, ISBN 978-3-642-19869-4, S. 106 ff. (Hier taucht in einem Beispiel der Name Lamé-Naviersche Gleichungen auf.).
  • Martin H. Sadd: Elasticity - Theory, applications and numerics. Elsevier Butterworth-Heinemann, 2005, ISBN 0-12-605811-3, S. 440 f. (die Winkel φ und ϑ haben dort die Bedeutung von Θ und ϕ).
  • M. E. Gurtin: The Linear Theory of Elasticity. In: S. Flügge (Hrsg.): Handbuch der Physik. Band VI2/a, Bandherausgeber C. Truesdell. Springer, 1972, ISBN 3-540-05535-5.