Selfie
Ein Selfie (/ˈsɛlfiː/)[1] ist eine Fotografie in der Art eines Selbstporträts, oft auf Armeslänge aus der eigenen Hand aufgenommen. Selfies sind oft in sozialen Netzwerken vorhanden und bilden eine oder mehrere Personen (Gruppenselfies) ab. Der Begriff „Selfie“ wurde Anfang der 2000er Jahre geprägt und im Deutschen in den 2010er Jahren populär.
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Fotografische Selbstporträts sind eine Weiterentwicklung des Genres Selbstporträt in der Malerei (gemalte Selbstporträts wurden nach Spiegelbildern und erst später nach Fotografien angefertigt). Fotografische Selbstporträts entstanden, seit es die Fotografie gibt. In den Anfangsjahren war es einfach, als Fotograf mit aufs Bild zu kommen, da Stative benutzt werden mussten und Belichtungszeiten von mehreren Minuten erforderlich waren. Spätere Kameras ermöglichten Selbstporträts durch einen Selbstauslöser.
Im August 2013 produzierte die britische Tageszeitung The Guardian eine Filmreihe mit dem Titel „Thinkfluencer“,[2] in der in mehreren Episoden das Selfie-Phänomen in Großbritannien erkundet wurde.
Bei der Oscarverleihung 2014 wurde ein Selfie von der Schauspielerin Ellen DeGeneres, das sie unter anderem mit Jennifer Lawrence, Meryl Streep, Julia Roberts, Channing Tatum, Angelina Jolie, Bradley Cooper, Brad Pitt, Kevin Spacey, Jared Leto und Lupita Nyong’o zeigte, zum bisher am häufigsten retweeteten Foto aller Zeiten.[3][4]
2014 kam als technisches Hilfsmittel die Selfie-Stange („Selfie-Stick“) in Mode. Dabei handelt es sich um eine ausziehbare Stange, die als Armverlängerung für den Fotografen dient. Sie erleichtert das Sich-selbst-Fotografieren mit einer justierbaren Halterung für das Smartphone. Mittels einer etwas entfernteren Perspektive werden so beispielsweise Aufnahmen des Fotografen vor einem bestimmten Hintergrund oder mehrerer Personen gemeinsam möglich. Schon ein Jahr später waren solche Stangen an vielen touristischen Hot-Spots aus Sicherheitsgründen verboten worden.[5]
Durch das Aufkommen von 3D-Druckern und 3D-Scannern ist es möglich, Personen dreidimensional aus einem 360-Grad-Blickwinkel aufzuzeichnen und in verkleinertem Maßstab auszudrucken. Diese Drucke werden auch als 3D-Selfie bezeichnet.[6][7] Der Scanvorgang dauert kaum länger als ein normales Selfie, das erzeugte 3D-Modell wird dann meist mittels Binder Jetting ausgedruckt. In Deutschland gibt es dafür spezielle Studios, und auch einige Technik-Geschäfte bieten diesen Service an.[8]
Begriffsgeschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die früheste Verwendung des Wortes „Selfie“ im Internet kann für das Jahr 2002 nachgewiesen werden. Es erschien zuerst in einem australischen Internet-Forum (ABC Online) am 13. September 2002 und ist in diesem Zusammenhang daher australischer Herkunft.[9]
Selfies seien vor allem bei Jugendlichen, aber auch bei Erwachsenen beliebt.[10][11] Zumindest seit den 1970er Jahren, als Englisch vermehrt in Mode kam, gab es den Begriff (analog zu „Quickies“) für Selbstbefriedigung. Inzwischen hat sich aber die Foto-Bedeutung durchgesetzt.
Im deutschen Sprachraum ist der Begriff für Fotos seit mindestens 2011 belegt.[12] Im deutschen Fernsehen wurde das Selfie bereits thematisiert, bevor der Begriff bekannt war, etwa von Harald Schmidt, der 2007 in der Harald Schmidt Show ein Selfie mit dem letzten Eisbären vor dem Weltuntergang durch die Klimakatastrophe vorspielte.[13] Im Dezember 2012 stellte das Time Magazine fest, dass „Selfie“ unter den Top 10 der Schlagworte des Jahres 2012 liegt. Obwohl der Begriff schon seit Jahren existiert, wurde er 2012 als „wirklich ganz groß“ („really hit the big time“) betitelt.[14]
Im November 2013 wurde „Selfie“ vom Oxford English Dictionary zum „Wort des Jahres 2013“ erklärt.[9]
Technik der Selfie-Anfertigung und künstlerischer Einsatz
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In einer 2013 an der Universität Parma durchgeführten Studie stellte sich heraus, dass es für Selfies eine Vorliebe gibt, die linke Gesichtshälfte der Kamera zuzuneigen. Die Autoren sahen darin Übereinstimmungen zu Kompositionsregeln der klassischen Porträtmalerei. Sie interpretierten diesen Befund, dass Amateure spontan die gleichen Regeln anwenden wie professionelle Maler, selbst wenn sie das Bild spiegelverkehrt aufnehmen, als eine Folge neurophysiologischer Unterschiede im Emotionsausdruck für beide Gesichtshälften.[15]
Dieselben Autoren stellen in einer späteren Studie jedoch ihre Vermutung in Frage. In einem größeren Datensatz fanden sich merkliche Abweichungen von professionellen Gestaltungsregeln und Unterschiede zwischen Selfies, die von Personen mit bzw. ohne Fotoerfahrung aufgenommen wurden. Diese Befunde stellen wiederum psychisch fest verankerte Gestaltungsprinzipien in Frage und deuten eher auf kulturell-gesellschaftlich verankerte Regeln hin.[16]
Im Jahr 2013 präsentierten der Künstler Patrick Specchio und das Museum of Modern Art in New York eine Ausstellung namens „Art in Translation: Selfie, The 20/20 Experience“, in der die Zuschauer mit einer Digitalkamera Fotos von sich selbst in einem großen Spiegel aufnehmen konnten.[17]
Gründe für die Anfertigung von Selfies
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In verschiedenen akademischen Disziplinen und der modernen Kunst findet zunehmend eine Auseinandersetzung über verschiedene gesellschaftliche Entwicklungen und Prozesse statt, die sich durch Selfies abbilden.[18]
Der Anreiz, Selfies anzufertigen, kommt daher, dass sie einfach zu erstellen und weiterzugeben sind und dem Fotografen die Kontrolle darüber geben, wie er sich präsentieren will (Eitelkeit). Im Gegensatz zu Fotos, die andere von einer Person anfertigen, besitzt diese bei einem Selfie in jedem Stadium vor der Weitergabe des Fotos „Macht über das eigene Bild“.[19]
Je nach technischer Ausführung können Selfies – bei der sehr verbreiteten Verwendung der Frontkamera an mobilen Geräten – das Abgebildete seitenverkehrt zeigen, was man an Schriften und Schildern im Hintergrund erkennen kann. Gesichter sind meist asymmetrisch gebaut (ein kleineres Auge, schiefer Mund, asymmetrische Lippen, Haaransatz; siehe dazu Gesicht #Beschreibung), was dazu führt, dass vielen Menschen eine Normalaufnahme ihres Gesichts nicht gefällt, weil sie ja ihr Gesicht vom Betrachten im Spiegel nur spiegelverkehrt kennen. Wenn ein Selfie dann das ihnen gut bekannte Spiegelbild zeigt, „erkennen“ sie sich selbst, was zur Beliebtheit des Selfies beitragen kann. Anderen Betrachtern erscheint dann das im Selfie abgebildete Gesicht einer Person ungewohnt.
Gemälde und Zeichnungen als Selbstdarstellung sind ebenfalls seitenverkehrt, da die Künstler ihr Spiegelbild porträtierten (außer sie arbeiteten nach einer Fotografie oder nutzten ein Druckverfahren wie bei einem Holzschnitt oder Kupferstich, da der seitenverkehrte Druckstock einen seitenrichtigen Druck ergibt).
Psychologische und soziologische Erklärungsansätze
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Viele Selfies sollen ein schmeichelhaftes Bild der Person abgeben, so wie sie von den anderen gesehen werden will.[20]
Zugleich haben Selfies auch eine Funktion der Selbstvergewisserung. Vielen Fotografen, die Selfies anfertigen, liegt daran, ein authentisches Bild von sich selbst zu bekommen und es anderen zu vermitteln.[21][22][23]
Die permanente Darstellung des Lebens der anderen schafft darüber hinaus einen Druck zur Darstellung des eigenen Lebens, das zum Designobjekt wird, und verstärkt die Inszenierungsspirale durch Selfies und Körperkult. 39 Prozent der befragten Jugendlichen gaben in einer vom Marktforschungsinstitut IKW in Auftrag gegebenen Studie an, wöchentlich Selfies zu machen, 26 Prozent machten sie täglich, 14 Prozent sogar mehrmals täglich. Sie kontrollieren dabei jedes einzelne Bild bis ins Detail, um möglichst viele Likes zu erzielen. 30 Prozent der jungen Menschen sehen das Berühmtwerden als explizites Lebensziel. 10 Jahre zuvor waren es 14 Prozent.[24]
Eine Studie über Facebook-Nutzer aus dem Jahr 2013 ergab, dass das häufige Posten von Selfies mit schwacher sozialer Unterstützung korreliere und dass diejenigen, die oft Fotos von sich selbst hochladen, ein Risiko eingingen, ihre realen Beziehungen zu beschädigen.[25][26]
Einige Nutzer wählen absichtlich lustige oder unattraktive Bilder von sich selbst, um ihren Humor zu demonstrieren oder aber auch als Reaktion auf den wahrgenommenen Narzissmus und die Sexualisierung von typischen Selfies.[27]
Wiederum belegte eine Studie der Brigham Young Universität aus dem Jahre 2017 neben narzisstischen Neigungen auch weitere Motivationen hinter Selfies. Demnach lassen sich Selfie-Knipser in die drei Kategorien Kommunikatoren, Autobiographen und Selbstdarsteller einteilen, welche Aufschluss über persönliche Motive geben. Während bei den Kommunikatoren der wechselseitige Austausch mit Freunden und Follower durch Kommentierung sowie die Animation zum Agieren und Engagieren im Vordergrund steht, nutzen die Autobiographen Selfies, um das eigene Leben zu dokumentieren und Erinnerungen zu bewahren, wobei hier das Feedback anderer eine untergeordnete Rolle spielt. Nur die Kategorie der Selbstdarsteller basiert auf rein selbstobsessiven Motiven.[28][29]
Selfies sind besonders beliebt bei Mädchen und jungen Frauen. Eine Funktion des Selfies kann darin liegen, sich durch soziale Bestätigung und Aufmerksamkeit attraktiv und in der eigenen Geschlechtsidentität bestätigt zu fühlen.[30] Zunehmend finden in sozialen Netzwerken und Online-Communitys wie reddit Selfies mit Nacktbildern und erotischer Fotografie Verbreitung.[31][32][33][34] Das Verbreiten der Bilder erfolgt in der Regel unentgeltlich und wird als erotisches Spiel betrachtet, es kann als Form des Exhibitionismus betrachtet werden. Ein Subreddit beschreibt dies mit den Worten: to exchange their nude bodies for karma; showing it off in a comfortable environment without pressure.[35] Aufmerksamkeit bekam das Phänomen auch durch Prominente, die vorsätzlich Nackt-Selfies von sich im Internet veröffentlichen.[36][37]
Wie sich Frauen und Männer auf Selfies darstellen, hängt auch mit medialen Konventionen und tradierten Geschlechterrollen zusammen. Eine Inhaltsanalyse von N=500 Selfies auf Instagram (je 50 % der Bilder von Frauen und von Männern) zeigte, dass sich Männer und Frauen unterschiedlich darstellen (z. B. Männer präsentieren Muskeln, Frauen zeigen Kussmund) und dass männliche wie weibliche Selbstdarstellungen in Selfies teilweise noch geschlechterstereotyper ausfallen als Personendarstellungen in Werbeanzeigen.[38]
Selbstmarketing in Wirtschaft und Politik
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Selfies stellen auch eine Form der Selbstvermarktung von Menschen dar, die sich als Markenpersönlichkeit betrachten. Karriereberater betonen allerdings, dass es für die Eigenwerbung wichtig sei, „seriöse“ Fotos zu verbreiten.[39]
Auch Politiker nutzen Selfies gerne, um für sich Werbung zu betreiben. Die deutsche Tageszeitung Die Welt erklärte im April 2015 Manuela Schwesig zur „Selfie-Queen der deutschen Spitzenpolitik“.[40]
Sonderfälle
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Unterkategorien von Menschen darstellenden Selfies
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Inzwischen existiert eine Vielzahl von Kofferwörtern, die spezielle Fokussierungen auf das Motiv beschreiben:
- Belfie: speziell vom eigenen Gesäß (englisch „butt“)[41]
- Bifie: im Bikini[42]
- Bothie: kombiniertes Bild beider Handy-Kameras[43]
- Drelfie: im betrunkenen Zustand (englisch „drunk“)[44]
- Dronie: mithilfe einer Drohne aufgenommenes Selbstporträt[45]
- Footsie: Fokussierung auf die Füße (englisch „foot“)[42]
- Helfie: Betonung auf die Haare, oft als Dutt (englisch „hair“)[42]
- Nelfie: Selfie einer nackten oder halbnackten Person[46]
- Nudie: ohne Kleidung (englisch „nude“, deutsch: nackt)[47]
- Relfies: mit Kitschkulisse, Kussmund (englisch „relationship“, deutsch: „Beziehung“)[42]
- Shelfie: im Wohnbereich mit Büchern, Accessoires auf Tischen oder Regalen (englisch: „shelf“: Regal)[48]
- Suglie: mit besonders hässlicher Ausstrahlung (englisch „ugly“)[48]
- Ussie: gemeinsam mit einer Gruppe (englisch „us“; deutsch: „wir“)[48]
- Welfie: beim sportlichen Work-out[49]
Selfies von Tieren
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]2011 stellte der Tierfotograf David Slater eine Reihe von Fotos eines Schopfmakaken ins Internet. Der Affe hatte eine Kamera des Fotografen in die Hand genommen, damit gespielt und durch zufälliges Betätigen des Auslösers neben vielen unbrauchbaren auch ein herausragendes Bild von sich selbst aufgenommen. Als die Wikimedia Foundation in einem Transparenz-Bericht dieses Foto als Beispiel für ein gemeinfreies Bild verwendete, meldete sich Slater bei der britischen Zeitung Telegraph. Es handle sich um seine Kamera und er habe unter schwierigen und kostspieligen Umständen die Möglichkeit zur Entstehung des Fotos geschaffen, daher halte er die Urheberrechte daran.[50] Aus juristischer Sicht hingegen soll das Urheberrecht die menschliche Kreativität schützen. Inhaber des Urheberrechts ist demnach der Schöpfer des Werks, nicht der Eigentümer des Werkzeugs, weshalb der Besitzer der Fotoausrüstung allein daraus keine Rechte erwirbt. Auch können nur Menschen Werke im Sinne des Urheberrechts schaffen und Tiere daher grundsätzlich nicht Inhaber von Urheberrechten sein.[51] Das US Copyright Office bestätigte in der Folge auch, dass in den Vereinigten Staaten niemand die Rechte an Fotos innehabe, die nicht von einem Menschen angefertigt wurden.[52]
Im September 2015 reichten die Tierschutzorganisation PETA und Antje Engelhardt vom Deutschen Primatenzentrum eine gemeinsame Klage mit dem Ziel ein, dem als Naruto benannten Tier die Urheberrechte zuzusprechen.[53] Am 7. Januar 2016 wies das angerufene Gericht in Los Angeles die Klage ab. Weder der Affe noch Slater könnten Rechte an dem Bild beanspruchen.[54]
Damit endete der Rechtsstreit allerdings nicht. Am 11. September 2017 vereinbarten beide Parteien einen Vergleich, welcher die Klagerücknahme durch Peta im Gegenzug dafür vorsah, dass Slater 25 % seiner künftigen Einnahmen aus den Selfie-Bildern gemeinnützigen Organisationen stiften sollte, welche sich dem Tierschutz widmen.[55]
Der Vergleich wurde jedoch 2017 vom US-Bundesberufungsgericht Nordkalifornien[56] mit der Begründung abgelehnt, dass nur im Namen von Tieren geklagt werden könne, wenn dies ausdrücklich im Gesetz vorgesehen sei. Im Falle von Naruto träfe dies nicht zu. Außerdem habe Peta als Vertreter Narutos zwar in den Vergleich eingewilligt, der Schopfmakak jedoch nicht. Damit sei kein Klageverbrauch eingetreten und andere Tierschützer könnten erneut für ihn klagen.[57]
Am 23. April 2018 wies das Gericht schließlich die Klage von Peta ab. Peta handle nur zum eigenen Vorteil, da Naruto nicht an dem Vergleich beteiligt sei. Peta missbrauche ihn für eigene ideologische Zwecke. Peta wurden die Anwaltskosten von Slater auferlegt.[58]
Ein ähnliches Kuriosum zu urheberrechtlichen Fragen aufgrund von Handlungen von Tieren entstand im Zusammenhang mit einer Aufnahme von Vogelstimmen, die Passagen des Lautgedichts Sonate in Urlauten rezitierten.[59]
Kritik
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Übertriebener Körperkult
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Soziologin und Frauenforscherin Professor Gail Dines verknüpft das Selfie-Phänomen mit der Gefahr, dass Frauen sich auf ihre Körper reduzieren bzw. darauf reduziert werden und dass dies den Aufstieg einer neuen Porno-Kultur bedeuten kann.[60]
Gefahren zu großer Offenheit
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Psychologin Ruth C. Cohn warnte bereits 1979 vor den Folgen einer unreflektierten psychischen Selbstentblößung in dem Bestreben, zu einer authentischen Selbsterkenntnis zu gelangen:
„Zur Authentizität gehört – erst einmal – zweierlei: Das eine ist, mir möglichst klar zu werden über meine eigenen Gefühle, Motivationen und Gedanken, mir also sozusagen nichts vorzumachen. Das andere ist, das, was ich sagen will, ganz klar anzusprechen. Zur Klarheit gehört, dass ich es so sage, dass es beim anderen ankommen kann. Der andere hat ja ein „Empfangsgerät“, das möglicherweise nicht auf mich eingestellt ist, auf das, was ich „sende“, und wie ich es „sende“. Ich muss also versuchen, mir vorzustellen, wie das, was in mir vorgeht, vom anderen gehört wird. Ich habe einmal formuliert: Nicht alles, was echt ist, will ich sagen, doch was ich sage soll echt sein. Für mich ist Offenheit nicht etwas, was von Anfang an zwischen Menschen möglich ist, sondern etwas, was vorsichtig erworben und gelernt werden muss. Das kann man nicht sofort und mit Gewalt. Ich glaube allerdings, dass sogar in der allerbesten Beziehung immer noch verschlossene Bereiche übrigbleiben. Ich kann mir keine Beziehung vorstellen, in der totale Offenheit zu jeder Zeit möglich und zu ertragen ist. Ich unterscheide deshalb zwischen optimaler und maximaler Authentizität. Die Richtlinie ist: Das, was sich an persönlicher Erfahrung im Inneren ereignet, mit optimaler innerer Ehrlichkeit und kommunikativer Klarheit – also authentisch – dem Partner mitzuteilen. Optimale Authentizität hat immer selektiven Charakter; maximale, d.h. absolute Aufrichtigkeit kann zerstören. Ich glaube, dass absolute Offenheit ein Aberwitz ist. Andererseits hat unsere Zivilisation eine lange Zeit destruktiver Verschwiegenheit und Heuchelei auszugleichen. Ich glaube daher, dass mit der Offenheit-um-jeden-Preis-Bewegung das Pendel in die Gegenrichtung ausschlägt. Auch hier bedarf es dynamischer Balance – zwischen Scheinheiligkeit und Rücksichtslosigkeit. Oder positiv gesagt: Zwischen gutem Schweigen und guter Kommunikation.“[61]
Das unkontrollierte und in unsicherem Rahmen erfolgende Publizieren im Internet könne gemäß dem Autor Andrew Keen den gegenteiligen Effekt der erhofften Kontrolle über das Selbstbild erzielen, da viele Bilder frei zugänglich und nicht mehr entfernbar sind, sobald sie einmal im Internet kursieren. Dabei besteht die Gefahr, dass Nacktbilder oder Ähnliches weiter veröffentlicht werden können.[60] Im September 2014 wurden Nackt-Selfies zahlreicher prominenter Frauen ohne deren Zustimmung veröffentlicht, nachdem sich Unbekannte Zugriff auf iCloud-Konten verschafft hatten, siehe Hackerangriff auf private Fotos von Prominenten 2014.
Fragen des Urheberrechts
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Es wird entsprechend ein wirksames Urheberrecht gefordert, um ohne Zustimmung veröffentlichte Selfies aus der Öffentlichkeit entfernen zu lassen und das Weiterleiten zu verhindern.[62] Der EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft, Günther Oettinger, kommentierte den Fall mit den Worten: „Wenn jemand so blöd ist und als Promi ein Nacktfoto von sich selbst macht und ins Netz stellt, der hat doch nicht von uns zu erwarten, dass wir ihn schützen.“ – was jedoch zu heftigem Widerspruch von Datenschützern und Netzaktivisten führte.[63]
Unfälle und Todesfälle
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Beim Versuch, besonders spektakuläre Selfies zu erstellen, passieren gelegentlich Unfälle, teilweise mit Todesfolge.[64][65] Einer Studie zufolge starben von Herbst 2011 bis Herbst 2017 weltweit 259 Menschen während der Erstellung eines Selfies, 159 davon in Indien. Das Durchschnittsalter der Toten lag bei 23 Jahren; der männliche Anteil lag bei über 70 %. Die Studie empfahl, an bestimmten touristischen Plätzen no selfie zones einzurichten.[66][67]
Rechtslage im Arbeitsverhältnis
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Häufig werden die Selfies auch am Arbeitsplatz während der Arbeitszeit angefertigt und dann im Internet oder in den Sozialen Netzwerken veröffentlicht. Dies wirft unter anderem Fragen zum Arbeitsrecht auf. Der Arbeitgeber kann jedoch die private Nutzung des Smartphones durch seine Mitarbeiter regeln und je nach Besonderheit der Arbeitsstätte die Anfertigung von Selfies während der Arbeitszeit verbieten.
Zahlen und Daten
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Nach einer Studie des US-Magazins Time, die weltweit Orte in Städten über 250.000 Einwohner berücksichtigte, wurden an bestimmten Tagen Anfang 2014 die meisten Selfies in der philippinischen Stadt Makati gemacht. An zweiter Stelle stand New Yorks Stadtteil Manhattan, an dritter South Beach in Miami Beach. Innerhalb Deutschlands rangierte Düsseldorf auf Platz 1, weltweit jedoch nur auf Platz 136.[68][69]
Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2013 nehmen zwei Drittel der 18- bis 35-jährigen Frauen aus Australien Selfies auf mit dem häufigsten Zweck, sie auf Facebook zu veröffentlichen.[11] Eine weitere Umfrage, die von dem Smartphone- und Kamerahersteller Samsung in Auftrag gegeben wurde, besagt, dass circa 30 % der Selfie-Fotos von Personen im Alter von 18 bis 24 Jahren geschossen werden.[70] 2013 wurde das Wort „Selfie“ in die Online-Version des Oxford English Dictionary aufgenommen, da es zu einem alltäglichen Begriff wurde.[71]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Chronologisch absteigend:
- Ramón Reichert: Selfies – Selbsthematisierung in der digitalen Bildkultur, transcript Verlag 2023.
- Wolfgang Ullrich: Selfies. Die Rückkehr des öffentlichen Lebens, Verlag Klaus Wagenbach Berlin 2019.
- John Suler: From Self-Portraits to Selfies, in: International Journal of Applied Psychoanalytic Studies, Volume 12, Issue 2 2015.
- N. J. Wade: The first scientific ‘selfie’? (Guest editorial). Perception, 2014, Band 43, S. 1141–1144. doi:10.1068/p4311ed.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Selfie im Oxford English Dictionary
- Selfie, Selfie in der Hand – Wer ist die Schönste im ganzen Land? Radio-Feature von hr2-kultur Der Tag vom 24. Juni 2015 als Podcast
- Frank Patalong: Selfie-Sucht: Egoshooter. Spiegel Online. 2. Juni 2015
- Deutsches Jugendherbergswerk / Landesverband Hessen: Wie offen kann ich sein? Selfies und die Kommunikation in sozialen Medien. Unterrichtsvorschlag für die Klassen 8–10 (PDF)
- Ich und mein Abbild - die Geschichte des Selfie In: Zeitblende von Schweizer Radio und Fernsehen vom 11. Oktober 2014 (Audio)
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Selfie. In: Duden.de – Rechtschreibung, Bedeutung, Definition, Herkunft. Abgerufen am 24. Mai 2021.
- ↑ #Thinkfluencer episode 1: Selfies – video. The Guardian; abgerufen am 5. Dezember 2013
- ↑ S.P.O.N. – Die Mensch-Maschine: Willkommen im Zeitalter der Selfieness. Spiegel Online
- ↑ Ellens Oscar-Selfie legt Twitter lahm. Focus
- ↑ Selfie Sticks verboten, Tagesanzeiger, 11. März 2015
- ↑ This Is What It’s Like To Have A 3D Selfie Taken. In: HuffPost Canada. 29. Juni 2016 (huffingtonpost.ca [abgerufen am 7. Oktober 2018]).
- ↑ Take Your Selfie Game to the Next Level With a 3-D Printed Statue of Yourself. In: Wired. (wired.com [abgerufen am 7. Oktober 2018]).
- ↑ Hans-Christian Dirscherl: Media Markt: Fotorealistische 3D-Selfies von Menschen & Tieren ab 49 Euro. In: PC-Welt. (pcwelt.de [abgerufen am 7. Oktober 2018]).
- ↑ a b The Oxford Dictionaries Word of the Year 2013 is… ( des vom 1. Dezember 2013 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. OxfordWords blog. Oxford Dictionaries; abgerufen am 11. Dezember 2013
- ↑ Bim Adewunmi: The rise and rise of the “selfie”. The Guardian, 2. April 2013; abgerufen am 11. Dezember 2013
- ↑ a b Jillian McHugh: “Selfies” just as much for the insecure as show-offs. WA Today, 3. April 2013; abgerufen am 11. Dezember 2013
- ↑ Das Selfie ist ein Foto-Quickie mit sich selbst – Die Welt
- ↑ Die Harald Schmidt Show, 8. Februar 2007, 13:12, youtube.com
- ↑ Katy Steinmetz: Top 10 Buzzwords – 3. Selfie. Time, 4. Dezember 2012; abgerufen am 5. Dezember 2013
- ↑ N. Bruno, M. Bertamini: Self-Portraits: Smartphones Reveal a Side Bias in Non-Artists. In: PLOS ONE, 2013,) 8(2). doi:10.1371/journal.pone.0055141
- ↑ N Bruno, V. Gabriele, T. Tasso, M. Bertamini: Selfies reveal systematic deviations from known principles of photographic composition. In: Art & Perception, 2013, 2, S. 45–58; doi:10.1163/22134913-00002027
- ↑ June Colburn: Innovative mirror art gallery from Gallatin alum to be displayed. Washington Square News, 1. April 2013; abgerufen am 11. Dezember 2013
- ↑ Total unterschätzt: Wie Selfies unsere Gesellschaft verändern – Bento
- ↑ Teresa Bücker: Das nackte Selbst. Selfies sind ein Akt der Emanzipation. In: Die Zeit, Nr. 42/2014.
- ↑ Peter Praschl: In den Augen der anderen. In: Welt am Sonntag, 13. Oktober 2013.
- ↑ Matthias Oppliger: #Selfiekultur: Du sollst dir dein Bildnis machen. Tageswoche. 21. August 2014
- ↑ Philipp Wampfler: Authentizität als konstanter Mangel. Schule Social Media, 22. August 2014
- ↑ Eva Horn, Was vom Tag übrigbleibt. Über Selfies, Tagebücher und andere Dokumentationszwänge. In: Sinn und Form 6/2020, S. 758–767
- ↑ Selfies ungeschminkt. ikw-jugendstudie.org (PDF) (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Mai 2019. Suche in Webarchiven) Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. ohne Jahr (ca. 2016).
- ↑ Sharing photographs on Facebook could damage relationships, new research shows. Heriot-Watt University Edinburgh. 9. August 2013; abgerufen am 11. Dezember 2013
- ↑ David Houghton, Adam Joinson, Nigel Caldwell und Ben Marder: Tagger’s delight? Disclosure and liking in Facebook: the effects of sharing photographs amongst multiple known social circles. Discussion Paper. University of Birmingham, Birmingham 2013; abgerufen am 11. Dezember 2013
- ↑ Rachel Hills: Ugly Is the New Pretty: How Unattractive Selfies Took Over the Internet. New York Magazine, 29. März 2013; abgerufen am 11. Dezember 2013
- ↑ Andrea Christensen: What kind of selfie taker are you? BYU, 7. Januar 2017
- ↑ Britni de la Cretaz: Studie enthüllt: Es gibt drei unterschiedliche Selfie-Typen - Welcher bist du? 17. Januar 2017
- ↑ Angela J. Aguayoa & Stacy Jill Calverta (2014): (Re)Capturing Womanhood: Perspectives and Portraits Through Mobile Photography. Visual Communication Quarterly, 20 (3), doi:10.1080/15551393.2013.820590
- ↑ Sex-Selfies werden zum neuen Social-Media-Trend – Wochenblatt
- ↑ Das Ego-Shooting findet jetzt im Bad statt – 20min
- ↑ A sexy selfie: snapshot of Australians’ sex lives – Sydney Morning Herald
- ↑ AKTBILDER: Trend Sex-Selfies – News.at
- ↑ Der digitale Stripklub. sueddeutsche.de, 14. Mai 2013, abgerufen am 9. Januar 2016.
- ↑ Former Child Star Dylan Sprouse Cops to Nude Photos – ABC News
- ↑ Put it away Nicki! Minaj surprises her fans as she posts a series of naked shower selfies on Instagram – Daily Mail
- ↑ Nicola Döring, Anne Reif, Sandra Poeschl: How gender-stereotypical are selfies? A content analysis and comparison with magazine adverts. In: Computers in Human Behavior. Band 55, 2016, S. 955–962, doi:10.1016/j.chb.2015.10.001.
- ↑ Jürgen Hesse, Hans Christian Schrader: Selbstmarketing & Selbstvermarktung.
- ↑ Sabine Menkens: Schwesig ist Selfie-Queen der deutschen Politik. Die Welt. 30. April 2015
- ↑ Cosmopolitan: Belfie: Die Po-Fotos der Stars vom 27. April 2015, abgerufen am 2. September 2015
- ↑ a b c d Britta Prasse: Belfie, Drelfie, Shelfie – Kuriose Selfie-Trends im Netz. In: DerWesten.de. 19. Juli 2015, abgerufen am 4. Januar 2016.
- ↑ Volker Briegleb: Nokia 8: Erstes Oberklasse-Smartphone von HMD Global. In: heise.de. 17. August 2017, abgerufen am 22. August 2017.
- ↑ Bayern 2: Vom Selfie zum Belfie ( vom 24. Oktober 2015 im Internet Archive) vom 20. August 2015, abgerufen am 2. September 2015
- ↑ The ‘selfie’ is dead. Introducing the ‘dronie’. The Telegraph, 24. Juli 2014; abgerufen am 1. November 2015
- ↑ nelfie – Wiktionary (englisch)
- ↑ Bayern 2: Vom Selfie zum Belfie ( vom 24. Oktober 2015 im Internet Archive) vom 20. August 2015, abgerufen am 2. September 2015
- ↑ a b c Duckface, Belfie und Co.: Die wichtigsten Selfie-Trends. In: Focus Online. 19. August 2015, abgerufen am 4. Januar 2016.
- ↑ Selfies? Ich will nur Lady Gaga sehn! Der Tagesspiegel, 1. Dezember 2013, abgerufen am 2. September 2015
- ↑ Wikipedia refuses to delete photo as 'monkey owns it', The Telegraph, 6. August 2014, abgerufen am 10. August 2014
- ↑ Wem gehört das Selfie? Für Affen ist die Rechtslage ungünstig, in: FAZ, 7. August 2014, abgerufen am 9. August 2014
- ↑ Monkey selfie: US officials rule that NOBODY owns the copyright on cheeky image that went viral. mirror.co.uk; abgerufen am 22. August 2014.
- ↑ Rechte an Tier-Selfie: Peta reicht Klage im Namen eines Affen ein. Spiegel Online, 23. September 2015; abgerufen am 7. Januar 2016
- ↑ US-Gericht: Dieser Affe hat kein Urheberrecht an seinem Selfie. Spiegel Online, 7. Januar 2016; abgerufen am 1. August 2017.
Wie das berühmte Affen-Selfie einen Fotografen in den Ruin trieb. Stern.de, 1. August 2017; abgerufen am 1. August 2017. - ↑ Finale im Affentheater. Spiegel Online; abgerufen am 12. September 2017.
- ↑ circuit 9 (Mitschnitt der Gerichtsverhandlung)
- ↑ Der unendliche Prozess um ein Selfie. SZ.de
- ↑ Affen-Selfie: Naruto geht leer aus, Peta muss zahlen. In: Spiegel Online. 24. April 2018 (spiegel.de [abgerufen am 10. Juli 2019]).
- ↑ Katja Schmid: Urheberrecht: Rinnzekete bee bee nnz rrk müüüü. In: Die Zeit, Nr. 26/2001.
- ↑ a b Meghan Murphy: Putting selfies under a feminist lens. Georgia Straight, 3. April 2013; abgerufen am 11. Dezember 2013
- ↑ Ich bin ich – ein Aberglaube. (PDF; 1,4 MB) Interview mit Ruth C. Cohn. In: Psychologie heute, März 1979, S. 20.
- ↑ Woodrow Hartzog: How to Fight Revenge Porn. The Atlantic, 10. Mai 2013; abgerufen am 11. Dezember 2013.
- ↑ Nackt-Selfie-Promis sind selber schuld – Computerworld
- ↑ Wenn die fröhliche Jagd nach Likes tödlich endet. Welt Online, 27. September 2015
- ↑ Annie Gowen: More people died taking selfies in India last year than anywhere else in the world. Washington Post, 14. Januar 2016
- ↑ A. Bansal, C. Garg, A. Pakhare, S. Gupta: Selfies: A boon or bane? In: Journal of Family Medicine and Primary Care. 2018, Band 7, Ausgabe 4: S. 828–831. doi:10.4103/jfmpc.jfmpc_109_18. PMID 30234062; PMC 6131996 (freier Volltext).
- ↑ Zu viele Selfies enden tödlich ntv.de, 6. Oktober 2018, abgerufen am 7. Oktober 2018
- ↑ Christian Spolders: Weltkarte der Selbstporträts: Düsseldorf ist Deutschlands Selfie-Hauptstadt. Artikel vom 13. März 2014 im Portal rp-online.de, abgerufen am 15. März 2014
- ↑ Chris Wilson: The Selfiest Cities in the World: TIME's Defini tive Ranking. Artikel vom 10. März 2014 mit interaktiver Grafik im Portal time.com, abgerufen am 15. März 2014
- ↑ Melanie Hall: Family albums fade as the young put only themselves in picture. The Telegraph, 13. Juni 2013; abgerufen am 11. Dezember 2013
- ↑ Charissa Coulthard: Self-portraits and social media: The rise of the “selfie”. BBC News online. 7. Juni 2013; abgerufen am 11. Dezember 2013