Textile Handarbeit
Unter textilen Handarbeiten versteht man Verfahren aus verschiedenen Zweigen der Textiltechnik, die für die Selbstversorgung mit Textilien, als Heimarbeit, im Kontext häuslichen oder schulischen Unterrichts (textiler Werkunterricht), als Freizeitbeschäftigung oder zu ergotherapeutischen Zwecken angewendet werden. In der Regel können diese mit einfachem Werkzeug oder einfachen Maschinen ausgeführt werden. Arbeitsmaterialien bilden Textilien verschiedener Art, wie Garne und Stoffe.
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Textile Handarbeiten bildeten in den bürgerlichen Gesellschaften der Westlichen Welt seit dem 18. Jahrhundert einen festen Bestandteil der Mädchenbildung.[1] In England beispielsweise erlernten Mädchen das Handarbeiten bereits in jungen Jahren, wobei die Anwendung rein dekorativer Techniken Töchtern aus wohlhabenden Familien vorbehalten war.[2] Das erste Mustertuch ist in England im Jahr 1598 belegt.[3] Von den 1760er Jahren an wurden in Irland, Schottland und England Handarbeitsschulen (needlework schools) für arme Kinder eingerichtet.[4] Die erste davon war eine Einrichtung der Royal Dublin Society, weitere Organisationen folgten dem Vorbild. Daraus entstand ein ganzes Verlagssystem, das die stark gestiegene Nachfrage des Marktes nach Stickerei, Weißstickerei, Tambourstickerei, Häkel- und Strickarbeiten deckte. Die englische Kleinstadt Coggeshall wurde nach 1812 ein Zentrum für feine Kettenstich-Tambourstickarbeiten, die zwischen 1829 und 1910 insbesondere für Brautschleier nachgefragt waren.[2]
Im Neuengland der Kolonialzeit erlernten beide Geschlechter das Lesen; während die Jungen auch Schreibunterricht hatten, erhielten die Mädchen jedoch nur Unterricht im textilen Handarbeiten und hatten kaum andere Gelegenheit, selbst Buchstaben hervorzubringen, als beim Sticken von Mustertüchern.[5]
Im deutschsprachigen Bereich entstand vom 18. Jahrhundert an ein selbstständiges schulisches Unterrichtsfach, in dem Mädchen Textiltechniken gelehrt wurden, sei es als Grundlage einer Berufsausbildung, sei es für den häuslichen Gebrauch. An den fränkischen Schulen etwa wurde obligatorischer weiblicher Handarbeitsunterricht per herzoglichem Dekret in den Jahren 1790 und 1792 eingeführt. Die eigentliche Geschichte des Handarbeitsunterrichts geht bis ins Mittelalter zurück, in dem in Nonnenklöstern auch die Mädchen der umliegenden Siedlungen Textiltechniken erlernen konnten. Im 16. Jahrhundert entstanden darüber hinaus Strickschulen, denen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wiederum Industrieschulen folgten.[6]
Im frühen 20. Jahrhundert wurden unter dem Einfluss der Reformpädagogik im Handarbeitsunterricht verstärkt auch neue erzieherischen Möglichkeiten entdeckt, insbesondere die der Weckung schöpferischer Kräfte.[6]
Im Ersten Weltkrieg und im Nationalsozialismus erhielt das Handarbeiten politische Bedeutung insofern, als Mädchen nun immer wieder dazu angehalten wurden, statt für den eigenen Bedarf in erheblichem Umfang z. B. für die Frontsoldaten oder für karitative Zwecke im Kontext der Volksgemeinschaft zu stricken und zu nähen.[6]
Nadelarbeit
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Zur Nadelarbeit genannten Gruppe von Handarbeiten gehörten ursprünglich Techniken, die mit Nadeln verschiedener Form ausgeübt wurden.
- Sticken, einschließlich verschiedener Durchbrucharbeiten
- Stopfen und Flicken
- Nähen, einschließlich Patchwork und Quilten
- Stricken
- Häkeln einschließlich Gabelhäkelei
- Nadelbinden (eine Ende des 20. Jahrhunderts wiederentdeckte Textiltechnik)
Nadelarbeit war ein Synonym für Handarbeiten für Mädchen oder Textiles Werken. In diesem Schulfach wurden die Grundlagen dieser Techniken vermittelt. Von der lange Zeit frauentypischen Nadelarbeit ist der Rechtsbegriff des „Nadelgeldes“ abgeleitet.
Sonstige traditionelle Handarbeiten
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Anfertigung von Spitze
Moderne Handarbeiten
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Ab etwa 1970 wurden ursprünglich handwerklich ausgeübte Techniken für den Privathaushalt entdeckt.
- Weben, insbesondere Bildweben und das Brettchenweben von Bändern
- Knüpfen, als Handarbeit auf Stramin
- Nass- und Nadel-Filzen
- das aus Japan stammende Kumihimo-Flechten von Kordeln und das freie Scoubidou-Knüpfen
- Batik und einfache Formen des Textildrucks
- Seidenmalerei.
Werkzeug
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Werkzeuge, Vorrichtungen und Maschinen, die im Privathaushalt eingesetzt werden, um Textilien aller Art zu schaffen oder zu verzieren.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Margot Grupe: Die neue Nadelarbeit. Lehrbuch für Schule und Haus auf Grund der neuen Lehrpläne für höhere Mädchen- und Mittelschulen. unter Mitwirkung von Hildegard von Gierke, Helene Hasse, Elisabeth Kölling und Gertrud Willms. Dürer-Haus, Berlin 1921.
- Spezialthemen
- Carmen Viktoria Jansen: Textile in Texturen. Lesestrategien und Intertextualität bei Goethe und Bettina Brentano von Arnim. Königshausen & Neumann, Würzburg 2000, ISBN 3-8260-1740-4 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche – über die kulturelle Konstruktion von Weiblichkeit durch Textilarbeit).
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ A discovery of stitches: needlework and 19th century girlhood. Abgerufen am 14. Juli 2024.
- ↑ a b Catherine Amoroso Leslie: Needlework through History: An Encyclopedia. Greenwood Press, Westport, Connecticut 2007, ISBN 978-0-313-33548-8, S. 30 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- ↑ Sampler. 1598 (made). Abgerufen am 16. Juli 2024.
- ↑ Catherine Amoroso Leslie: Needlework through History: An Encyclopedia. Greenwood Press, Westport, Connecticut 2007, ISBN 978-0-313-33548-8, S. xviii (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- ↑ Janet Catherine Berlo: Chronicles in cloth. Quilt-making and female artistry in nineteenth-century America. In: Doborah Cherry, Janice Helland (Hrsg.): Local/Global. Women Artists in the Nineteenth Century. Routledge, London, New York 2016, ISBN 978-0-7546-3197-2, S. 201–222, hier S. 202 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche). Download des Artikels. Abgerufen am 15. Juli 2024.
- ↑ a b c rechte Masche – linke Masche. Zur Geschichte des Handarbeitsunterrichts. Abgerufen am 15. Juli 2024.