Treffen Berliner Schwulengruppen

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Das Treffen Berliner Schwulengruppen (TBS) war ein auf freiwilliger Basis monatlich und öffentlich tagendes Gremium in den 1980er Jahren in West-Berlin, zu dem Schwulen- und Lesbengruppen der Zweiten Schwulenbewegung ein oder mehrere Vertreter schicken konnten, bei dem aber auch Privatpersonen mitarbeiteten. Über Jahre wurden zahlreiche Sitzungen vom Aktivisten Thomas Brüggemann[1] federführend vorbereitet; Sitzungsort waren die Vereinsräume der Allgemeinen Homosexuellen Arbeitsgemeinschaft in der Friedrichstraße 12 in Berlin-Kreuzberg.

Während der Sitzungen, die wenig formalisiert und zum Teil chaotisch abliefen, wurden zahlreiche Projekte aus der Taufe gehoben. So koordinierte/organisierte das TBS in den 80er Jahren den Christopher Street Day West-Berlin. Mit den Einnahmen der CSD-Feten wurden verschiedene Gruppen unterstützt[2] und auch die ab 1984 anfangs schwarz-weiß erscheinende Monatszeitschrift Siegessäule[1][3] gegründet/finanziert. Weiterhin gründete man eine Telefonberatungsstelle (unter Wiederverwendung des Kürzels TBS), welche später in Mann-O-Meter umbenannt wurde.[4][1] Man bündelte Anti-AIDS-, Anti-Razzien- und Anti-Rosa-Listen-Arbeit, koordinierte – unter Federführung von Joachim Müller – Forderungen nach Wiedergutmachung von Naziunrecht gegen Schwule und brachte zahlreiche politische, soziale und kulturelle Akteure an einen Tisch. Als das damalige Tuntenhaus 1982 in Bedrängnis kam, zog man mit den monatlichen Treffen vorübergehend von der AHA in die Bülowstraße und verabschiedete in einer kritischen Phase eine Solidaritätserklärung.[5][6] Auf Initiative des Gremiums zog 1985 Stefan Reiß als erster offen schwuler Mandatsträger für die Alternative Liste in das West-Berliner Abgeordnetenhaus, weil Jörg Bressau sich unter dem Druck disziplinarischer Ermittlungen nicht zu einer Kandidatur entschließen konnte.[7]

Unter den Teilnehmern waren Vertreter von schwul-lesbischen Parteiengruppen, Gewerkschaftsgruppen, Hochschulgruppen (darunter FU, TU, HdK), Verlagen, Radiosendern, soziale Beratungsstellen, Anti-AIDS-Gruppen, Selbsthilfegruppen und auch Hausbesetzergruppen.

Anfang der 1990er-Jahre löste sich das TBS auf.[8]

Durch das moderierende Auftreten von Thomas Brüggemann erhielt das Treffen Berliner Schwulengruppen auch die wohlmeinend-spöttische Bezeichnung Thomas Brüggemann Show (TBS).

Motiviert durch das Missverständnis, das Treffen Berliner Schwulengruppen sei eine einflussreiche Institution, stürmte die Indianerkommune Nürnberg Mitte der 1980er Jahre eine Sitzung, um politische Forderungen öffentlich zu machen und durchzusetzen.

  • Politisches Programm des Treffens der Berliner Schwulengruppen. Verlag Das Treffen, Berlin 1988. 7 S. (u. a. University of Wisconsin – Madison Libraries)
  • Die Protokolle werden im Archiv des Schwulen Museums verwahrt

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. a b c Jörg Bressau: AIDSmemorial.nl – Thomas Brüggemann. aidsmemorial.nl, abgerufen am 7. März 2014: „Als Thomas dazukam, gab es schon ein paar Gruppen. Aber es waren wenige. Mittel und Möglichkeiten waren bescheiden. […] / Sie alle an einen Tisch zu bringen, hatten sich Thomas und das Schwulenreferat vorgenommen. Gemeinsam würde man nicht nur unausstehlich, sondern auch stärker sein. Was sich einfach anhört, erwies sich als äußerst schwierig. Jeder wollte da mit seinem eigenen Kopf in eine andere Richtung und durch die Wand. Bei den Diskussionen –oft im alten Prinz-Eisenherz-Buchladen in der Bülowstraße-, flogen die Fetzen und keiner schenkte dem anderen etwas. / Aber Thomas` Initiative gelang. Aus den so unterschiedlichen Gruppen ging das Treffen Berliner Schwulengruppen (TBS) hervor. Thomas wäre nicht Thomas gewesen, wenn es sich bei diesem von ihm initiierten Treffen nur um etwas gehandelt hätte, was man heute vielleicht neudeutsch „Konsensgespräche“ nennen könnte. Mit Umsicht und Zähigkeit schaffte Thomas es, den von ihm als richtig erkannten Standpunkt durchzusetzen. Und der hieß: jawohl, wir müssen uns zusammentun damit wir als Schwule in der Öffentlichkeit überhaupt wahrgenommen werden. Aber nicht um den Preis der Gleichschaltung und Anpassung! Gemeinsam ja, aber in Vielfalt und jeder unter Wahrung der eigenen Identität. Jedem schwule Mann seine eigene schwule Facon. […] Aus dem Treffen der Berliner Schwulengruppen (TBS) erwuchs dann eine Telefonberatungsstelle. Wir waren überzeugt, das auch Berlin – wie San Francisco und New York – ein Gay Switchboard bräuchte und nannten es etwas altertümlich „Telfonberatungsstelle“. So konnte man das eingeführte Kürzel „TBS“ weiterverwenden und dezent auf seinen Träger hinweisen. [] Sie zog später an den Nollendorfplatz und änderte ihren Namen in Mann-O-Meter. […] Denn aus dem Treffen der Berliner Schwulengruppen ging auch die „Siegessäule“ hervor.“
  2. Ken B: Out of the Closet- into the Streets! In: kenb.org. 30. Januar 2007, abgerufen am 7. März 2014: „Den CSD-Berlin habe ich von 1987–1990 mitorganisiert (Verantwortlich für die Abendveranstaltung im Tempodrom), damals machten aber auch noch alle ehrenamtlich mit und hinterher gabs jedes Jahr über 20.000 DM für die schwulen Vereine und Kultur vom TBS/ Treffen Berliner Schwulengruppen zu verteilen!“
  3. TBS schien auch als Herausgeber auf, siehe Zeitschriften-Register (Memento des Originals vom 23. September 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.csgkoeln.de, Centrum Schwule Geschichte
  4. Berlins erste Adresse in Sachen schwules Leben. In: aidshilfe.de. Deutsche AIDS-Hilfe, 25. August 2011, abgerufen am 7. März 2014: „Entwickelt worden war das Projekt vom „Treffen Berliner Schwulengruppen“ (TBS), in dem seinerzeit alle wesentlichen schwulen Organisationen West-Berlins zusammengeschlossen waren.“
  5. Andreas Salmen: Berlin – Erinnerungen an ein Haus voller Tunten. In: Rosa Flieder. 45 (Februar/März). Nürnberg 1986, S. 22 (Ausschnitte bei Tuntenhaus-Berlin.de [abgerufen am 7. März 2014]).
  6. Urania Urinowa: Tuntenhaus Bülowstrasse. In: etuxx.com. 20. Mai 2013, abgerufen am 7. März 2014: „Polizeirazzien im Haus und Räumungsangst waren wohl mit ein Grund dafür, dass sich 1982 die Bewohner stärker nach außen orientierten. […] Das „Treffen Berliner Schwulengruppen“ traf sich monatlich im Haus und verabschiedete eine Solidaritätserklärung, der Prinz Eisenherz-Buchladen und Rosa von Praunheim übernahmen Patenschaften für das Tuntenhaus. Das erste Tuntenhaus hatte also eine deutliche Verankerung in dem bewegten Teil der damaligen Schwulenszene.“
  7. Micha Schulze: Deutschlands peinlichster schwuler Abgeordneter. Kolumne „Message von Micha“ über Gerwald Claus-Brunner. In: queer.de. 17. Mai 2012, abgerufen am 7. März 2014: „1985 zog mit Stefan Reiß der erste offen schwule Mandatsträger in das (West)-Berliner Abgeordnetenhaus, als Parteiloser für die Alternative Liste – und zwar auf Initiative des Treffens Berliner Schwulengruppen. So basisdemokratisch war das damals!“
  8. Hin Van Tran: Subkulturen der DDR. (PDF) Beitrag 088. In: Ding-Dong.ch Ausgabe 5 „Gegenwelten“. Hochschule der Künste Bern, Fachbereich Gestaltung und Kunst, Fachbereichsleitung GK: Barbara Mauck, 17. April 2013, S. 15, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 7. März 2014; abgerufen am 7. März 2014.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/ding-dong.ch