Wikipedia:WikiProjekt Philosophie/Philosophie und Wikipedia

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Philosophie und Enzyklopädie

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Enzyklopädien haben einen wichtigen Anteil daran, dass Forschung an die Öffentlichkeit gelangt. Sie können Fragen beantworten, einen ersten Überblick verschaffen und dabei kontextabhängig das passende Wissen vermitteln. Durch die Digitalisierung wurden neue Möglichkeiten der Wissensverarbeitung und -vermittlung geschaffen, die längst noch nicht ausgeschöpft sind, jedoch in Projekten wie Wikipedia eine überraschende und vielversprechende Entwicklung gebracht haben.
Der folgende Text soll einen thematischen Überblick vermitteln und zuerst auf die Entwicklung des Enzyklopädieformats und dessen Verhältnis zur Philosophie eingehen. Danach setzt er sich mit der Wikipedia, ihren Stärken und Schwächen, sowie der Artikelgenese auseinander. Das führt zu dem Schluss, dass sich Wikipedia für eine niedrigschwellige Philosophievermittlung eignet und Philosophie hier auch über das Fachgebiet hinaus einen wichtigen Beitrag leisten kann. Damit sich das Engagement jedoch lohnt, müsste es im besten Fall in den Bildungsinstitutionen gewürdigt und gefördert werden.

Begriffsgeschichte

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Geschichtlich steht der Begriff Enzyklopädie in enger Verbindung zur Bildung. Das Ursprüngliche ἐγκύκλιος παιδεία, mit den Bedeutungen enkyklios „kreisförmig, enzyklisch“ und paideia „Bildung“, stand im Altgriechischen vermutlich für eine allgemeine Grundausbildung, die ähnlich den lateinischen Artes liberales auf höhere Bildung vorbereiteten.[1] Die über die Zeit hinweg veränderte Interpretation und Schreibweise wurde von den Humanisten ab Ende des 15. Jh. aufgegriffen und wandelte sich wie beim Theologen Alsted zu einer „methodische(n) Zusammenfassung aller Dinge, die der Mensch in diesem Leben zu lernen hat“ (1630).[2] Seit der Spätantike waren enzyklopädische Werke christlich orientiert und auf Latein mit didaktischem und philosophischen Anspruch konzipiert. Technische Fortschritte wie der Buchdruck und das aufstrebende Bürgertum, förderten jedoch die nationalsprachliche Literatur, die nun auch um alphabetisch geordnete Wörterbücher und Lexika erweitert wurde. Diese öffneten den Zugang zu verfügbarem (Fach-)Wissen, Anekdoten und auch den Kommentaren der Aufklärung. Besonders die umfangreiche, illustrierte Encyclopédie (1751-72) wurde durch ihre empiristische Ausrichtung und den Einbezug von verschiedensten Fachautoren und Lebensbereichen zum Vorbild für zukünftige Enzyklopädien. Nicht beibehalten wurden die Versuche einer philosophischen Gesamtdeutung und (auch aus Angst vor Zensur) „die kritisch-polemische Darstellung gesellschaftlicher Verhältnisse“.[3]

Merkmale einer Enzyklopädie

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Erwähnenswert ist, dass auch in anderen Kulturen, wie in der Arabischen oder Chinesischen, enzyklopädische Werke verfasst wurden. Dabei überschneiden sich sogar einige der metaphorischen Bezeichnungen wie Spiegel oder Ozean.[4] Da es sich bei früheren Werken häufig um Zusammenstellungen tradierter Texte und kürzerer Bücher oder auch um Chroniken handelt, stellt sich die Frage, was eine Enzyklopädie ausmacht? Hierfür bietet es sich an, sie als Format einer Diskurstradition zu betrachten, die in Aspekten wie Autorenintention, Textfunktion & -gestaltung, sowie Sprache, durchgängige Merkmale besitzt.[5]

Beobachtet man die Intention der Autoren, so liegt eine wesentliche Motivation darin, „aus Chaos Ordnung zu schaffen“, oder die bereits antizipierte (göttliche) Ordnung darzulegen. Damit ist der Anspruch verbunden, „alles Wissbare“ zu umfassen und die erkennbare „Struktur der Realität“ zu enthüllen. Die damit verbundene empiristische Ausrichtung wurde besonders von Francis Bacon geprägt, der mit seinem Novum Organum (1620) und weiteren Werken, die aristotelische Scholastik ersetzen wollte.[6] In ihrer ordnenden Funktion sind die enzyklopädischen Artikel nach Relevanz der Lemmata (Oberbegriffe) ausgewählt und im Umfang, sowie in gegenseitiger Referenz, aufeinander abgestimmt. Die Sprache ist verdichtet und unpersönlich distanziert, da sie die Welt nur objektiv beschreiben soll. Im Vergleich dazu ist ein Wörterbuch auf Sprache ausgerichtet und beinhaltet mehr Lemmata, aber nur kurze Definitionen. Das Lexikon befindet sich dazwischen, wobei in der allgemeinen Betitelung keine genauen Grenzen existieren.[7]

Die ordnende Intention steht auch in engem Zusammenhang mit normativem Fortschrittsanspruch. So hoffte zum Beispiel Leibniz, der ein Enzyklopädieprojekt plante, dass universelles Wissen auch zu allgemeinem Glück, Frieden und zu Gott führe.[8] Wiederum stellte der ein Jahr jüngere Hugenotte Pierre Bayle in seinem Dictionnaire historique et critique (1697) die scheinbar neutrale Wissensvermittlung infrage, indem er Le Grand dictionnaire historique (1674) des Jesuiten Louis Moréri kritisch überarbeitete und in langen Fußnoten gegensätzliche Quellen und Positionen skeptisch darlegte.[9] Diese Tradition setzt sich begrenzt auch in den Diskussionen der Wikipedia fort. Wie überall findet man jedoch nicht bloß konstruktive Kritik, sondern auch Ignoranz und Unsinn. (s. WP:Beobachtungskandidaten)

Zur Gegenwart hin sind zudem Aspekte der Stiftung, Repräsentation und Sicherung der eigenen Kultur wichtiger geworden.[10] Dass liegt insbesondere an den technischen Möglichkeiten, die eine umfangreiche Sammlung und Darstellung des Wissens ermöglichen, aber auch daran, dass Sprache und Kultur eng verwoben sind, dementsprechend die Relevanz der Artikel und Inhalte prägen. Als Beispiele in der Wikipedia finden sich Sprachversionen in Boarisch oder Plattdüütsch, sowie der „Monat der Ukrainischen Kulturdiplomatie“, mit dem Ziel die Ukraine in allen Sprachen zu repräsentieren. (MetaWiki, März 2024) Dabei entsteht immer wieder die Frage, welche Persönlichkeiten, Orte, Künste etc. (wie) dargestellt werden, und wie die Sprache durch die Artikel geprägt wird. (s. WP:Relevanzkriterien)

Verfolgt man die Begriffsgeschichte, so scheint die Enzyklopädie jedoch am meisten mit dem Anspruch an Bildung verbunden zu sein. Während die Griechen separate Handbücher benutzten, schufen die Römer wohl als Erste inhaltlich abgestimmte Kompilationen. So vermittelt der Polyhistor Varro in den Disciplinarum libri IX (1. Jh.v.C.) neben sprachlich- und mathematisch orientierten Disziplinen (später die Sieben Freien Künste) Architektur, sowie auch Medizin. Er orientiert sich dabei an der griechischen Bildung, sichert die inhaltliche Qualität also durch einen etablierten Kanon. Da es sich außerdem um elementare Lehrbücher handeln soll, sind sie für ein allgemeines Publikum geschrieben.[11] Auch viele gegenwärtige Enzyklopädien haben die Funktion, eine vermittelnde Position zwischen öffentlichem Publikum und Fachexperten einzunehmen. Die Artikel sind deshalb durch Bildungssprache charakterisiert, dazu gehört ein sachlicher Stil und die Einbindung von Fachbegriffen. Das fachliche Gefälle zwischen Autoren und Lesern hängt vom Werk ab: während gedruckte Artikel sowie solche aus Fachenzyklopädien meist durch Autoren garantiert sind, besitzen Wikipedia-Artikel weniger Autorität.[12]
Auch die Funktion als Nachschlagewerk gehört in den Bereich der Bildung. Die vom Thema entfremdete alphabetische Darstellung etablierte sich erst in der Neuzeit, existierte aber auch schon in der Antike. So diente zum Beispiel das Λεξικὸν τῶν δέκα ῥητόρων [Lexikon der zehn Redner] (~ 2. Jh.) des Grammatikers Harpokration mit seinen kurzen Erläuterungen dem Verständnis klassischer Werke.[13] Durch die Digitalisierung ist die alphabetische Anordnung wieder unwichtiger geworden, dennoch werden die Artikel weiterhin situativ konsultiert. Für die Artikelkonzeption bedeutet das einen Konflikt zwischen der praktischen Nutzerorientierung und allgemeingültiger Darstellung. Gelöst wird dieser Konflikt häufig durch eine Beschränkung auf etablierte Positionen, mit Verweis auf qualitative, weiterführende Quellen.

Die Entwicklung der Enzyklopädie zum heute bekannten Format, basiert auf einer schrittweisen Entwicklung und Verbindung verschiedener Intentionen und Techniken. Ansprüche an Erkenntnis, Fortschritt, Identität und Bildung werden durch überblicksartige Artikel realisiert und wirken sich auf die allgemeine Textgestaltung aus. Buchdruck und Digitalisierung zeigen, welchen Einfluss das Medium auf eine Diskurstradition hat. So kann auch ein Wiki als „neue kommunikative Praktik“ gesehen werden, gleichzeitig wiederholt diese alte Muster.[14]

Rolle in der Philosophie

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Für die Geisteswissenschaften dienen Enzyklopädien nicht nur als Medium, sondern können selbst Gegenstand der Betrachtungen werden. Dabei sind besonders die Aspekte von Wissensordnung und normativem Fortschritt eng mit der Philosophie verknüpft. Wie selbstverständlich diese Verbindung ist, zeigt sich auch daran, dass enzyklopädische Werke häufig von Philosophen, oder solchen die der Philosophie nahe stehen entworfen und verfasst wurden. Auch der Wikipedia-Mitbegründer Larry Sanger ist studierter Philosoph und bereits vor Wikipedia wurden 1995 mit der Internet Encyclopedia of Philosphy und der Stanford Encyclopedia of Philosophy frei zugängliche und bis in die Gegenwart relevante Fachenzyklopädien begründet.[15] Letztere erfüllen auch viel mehr Sangers Konzept der Nupedia, einer peer-reviewten und freien Enzyklopädie, die als Vorläufer der Wikipedia an der aufwendigen Redaktion und dem geplanten Umfang scheiterte.[16]

In der Lehre werden Fachenzyklopädien standardmäßig für den Themeneinstieg empfohlen. Da sie sich jedoch an die akademische Philosophie richten, sind sie nicht immer zugänglich für Fachfremde. So bieten zum Beispiel weder die SEP noch die IEP einen Einführungsartikel zu „Philosophy“.

Mit Blick auf die deutschsprachige Öffentlichkeit, scheinen das Metzler Lexikon Philosophie (2008) und Metzler Philosophen Lexikon (2015) die einzigen relevanten, frei zugänglichen Werke zu sein. Die Artikel sind von Experten verfasst, bieten jedoch nur einen knappen und zum Teil unvollständigen Überblick. (s. Spektrum) Neben unfachlichen Webseiten ist die Wikipedia somit eine der wenigen frei zugänglichen Nachschlagewerke für Philosophie. Je nach Thema kann sich Wikipedia auch mit etablierten Videoformaten wie Sternstunde Philosophie messen. „Logisch denken – Ein Crashkurs mit Christoph Pfisterer“ erreichte in vier Jahren (2020-24) zum Beispiel 220 Tsd. Aufrufe auf YouTube, der Wikipedia-Artikel „Logik“ 270 Tsd. und „Argument“ 160 Tsd. Auffällig ist, dass Artikel wie „Argument“ oder „Immanuel Kant“ mit zyklischen Schwankungen aufgerufen werden, während „Logik“ oder „Friedrich Nietzsche“ stetiger sind. Da die Schwankungen ungefähr mit den Schulferien korrelieren, könnte man vielleicht auf eine relevante Leserschaft aus der Schule schließen. (s. MetaWiki Pageviews, In der deutschen Sprachversion sind Statistiken auch am Ende der jeweiligen Artikelseite verlinkt.)

Wesentlicher Hintergrund der 2001 entstandenen Wikipedia sind die damaligen Entwicklungen in der Programmierbranche. Die Vorgängerin Nupedia bezog sich in ihrem Namen indirekt auf die GNU-Lizenz des Programmierers Richard Stallman, sollte also frei verfügbar und nur unter gleicher Lizenz veränderbar und zu vervielfältigen sein.[17] Ein weiterer ideengebender war das Wiki Wiki Web (1995) von Ward Cunningham, das dem Austausch unter Programmierern diente. Neben dem Namen wurden von diesem Konzepte wie Anonymität, freie Bearbeitungsrechte und einfache Ergänzungen neuer Seiten, sowie die Hypertextstruktur mit vielen Verlinkungen in die Wikipedia übernommen. Wichtige technische Erweiterungen waren die Versionsgeschichte, um Bearbeitungen langfristig zu speichern und die Aufteilung in verschiedene Namensräume, um eine klarere Struktur zu schaffen.[18] In der URL sind Namensräume (außer Artikel-) durch ein Präfix gekennzeichnet. Wichtig sind Benutzer: für jeweilige Benutzerseiten, Wikipedia: für interne Organisation, Kategorie: für die Artikelsystematik und Portal: für eine spezifische Themenpräsentation. Außer für systemdefinierte Seiten wie Spezial:  gibt es auch immer dazugehörige Diskussionsseiten, dort werden die neuesten Beiträge unten angehängt. (s. Hilfe:Namensräume)

Die für Wikipedia inzwischen relevante CC BY-SA 4.0 Lizenz ermöglicht die freie Weiterverwendung unter derselben Lizenz, fordert aber dabei die Kennzeichnung von Urheber und Veränderungen. Da sich anzeigte, dass eine Werbefinanzierung durch die Community nicht erwünscht ist und auch durch Spenden ersetzt werden könnte, übertrug Jimmy Wales 2003 die Wikipedia von seiner Firma Bomis auf die eigens gegründete Wikimedia-Stiftung.[19]

Wichtigstes Element für den Erfolg der Wikipedia sind die engagierten Wikipedianer. Durch ihren ehrenamtlichen Einsatz auf inhaltlicher wie auch technischer Ebene, kann Wikimedia mit vergleichsweise geringen Kosten agieren. Während seit Beginn besonders die politisch-soziale Idee hinter der Free-Software Bewegung ein wichtiges Motiv darstellt, engagieren sich inzwischen auch viele wegen der sozialen Kontakte, aus Zeitvertreib oder um ihre Interessen zu repräsentieren.[20] (WP:Umfragen/Motive der Autoren bei Wikipedia) Der Hintergrund aus der Informatik erklärt auch teilweise die Gender-Gap mit einem Frauenanteil von höchstens 22%, wobei sich dieses Ungleichgewicht trotz Frauenförderung auch bis in die Gegenwart gehalten hat.[21] Ein ähnliches Verhältnis zeigen auch die Biografien, hier wird mit der Initiative Frauen in Rot versucht, die historischen Ungleichheiten teilweise auszugleichen. (WP:Frauen in Rot) Umgesetzt wird diese Initiative in einem WikiProjekt, einem Bereich für „Ausbau und Verbesserung von Artikeln eines Themenkomplexes“. (WP:WikiProjekte) Solch ein Projekt existiert auch für Philosophie, ist aber wie auch viele andere etwas eingeschlafen. Wie in der gesamten Wikipedia dominiert hier die männliche Perspektive. Unter /Teilnehmer stellen sich elf Autoren vor, von ihnen haben immerhin fünf Philosophie studiert, zwei sind über Politikwissenschaft oder Jura damit verbunden, zwei sind Autodidakten und zwei weitere ohne Angabe. Auch wenn die meisten von ihnen inzwischen inaktiv sind und sie nur einen kleinen Teil der Autoren ausmachen, vermitteln sie dennoch einen Eindruck über die Beteiligten an Philosophieartikeln.

Kooperatives Schreiben

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Auf Wikipedia lässt sich ein neuer Artikel sehr einfach erstellen, indem die …/wiki/ URL um das entsprechende Lemma ergänzt, oder ein Benutzerentwurf zu den Artikeln verschoben wird. Davor sollte natürlich geprüft werden, ob es nicht schon ähnliche Artikel gibt. (Hilfe:NA) Als erste Kontrollinstanz, gibt es (in der deutschen Sprachversion) die Sichter; also Benutzer mit mindestens 300 Artikelbearbeitungen. Diese können Einträge von unangemeldeten und neuen Benutzern (unter 150 Artikelbearbeitungen) bestätigen oder verwerfen. (WP:Gesichtete Versionen) Eine weitere wichtigere Rolle spielen von der Community gewählte Administratoren, die Artikel schützen oder löschen und Benutzer sperren können. Die Sichtungen dienen nur dem Schutz vor Vandalismus, nicht der inhaltlich-qualitativen Beurteilung. Diese liegt in der Hand derjenigen, die einen Artikel auf ihre Beobachtungsliste gesetzt haben, oder zufällig darauf stoßen. Mit Blick auf die Be- und Überarbeitungen von Artikeln bedeutet das; je umfangreicher, desto schwieriger ist es eine allgemeine Stimmigkeit zu behalten. So werden teilweise, wie im Artikel „Kausalität“, viele Einzelbeiträge aus verschiedenen Fachperspektiven aneinandergereiht oder auch fachintern um speziellere Aspekte ergänzt.

An dem Punkt, an dem es nicht mehr nur darum geht, Wissen zu sammeln, stellt sich die Frage, wie Wissen vermittelt werden sollte. Dafür wurden im Laufe der Zeit viele Regeln aufgestellt, die durch Qualitätssicherung und Review forciert werden sollen. So markieren Textbausteine fehlerhafte und verbesserungswürdige Artikel. Nach einer gelungenen Abstimmung, die offen für alle Benutzer ist, können vorbildhafte Artikel durch kleine Symbole als Lesenswert oder Exzellent gekennzeichnet werden. (WP:Bewertungsprozess) Die Aussagekraft der Auszeichnungen ist jedoch relativ begrenzt, da bei der Wahl schon drei oder fünf positive Stimmen ausreichen können und Artikel auch nach späteren Veränderungen selten abgewählt werden. Aus diesem Grund findet man im Bereich Philosophie viele Artikel die um 2006 von den damals Engagierten geschrieben und ausgezeichnet wurden, inzwischen jedoch eine komplett andere Form haben. Zum Beispiel wurde „Bewusstsein“ seit seiner Lesenswert-Auszeichnung von 33 auf 57 Tsd. Zeichen erweitert und der Anteil des Hauptautors von 66% auf 24% reduziert. (über XTools) Diese Entwicklung zeichnete sich auch in der Ablehnung aus der Exzellenz-Diskussion ab: die Psychologie sei unterrepräsentiert. Im Bereich Philosophie sind tendenziell fünf Hauptautoren für 50-75% des jeweiligen Artikelinhalts verantwortlich, wie bei „Argument“ (92%) können es aber mehr, oder wie bei „Ludwig Wittgenstein“ (16%) auch weniger sein.

Philosophische Wikipedia-Artikel

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Inzwischen gibt es bei Wikipedia viele Artikel, die eine angemessene Qualität erreicht haben und dabei auch die relevantesten Themen abdecken. Dies erklärt zum Teil den Rückgang der aktiven Autoren, der nun durch die wachsenden Ansprüche auch schwierig auszugleichen ist.[22] Eine weitere Verbesserung der Artikel fordert mehr und mehr Aufwand, umfangreicheres Fachwissen und eine Gesamtsystematik. Für qualifizierte Mitarbeit auf diesem Niveau fehlen Renommee und finanzielle Anreize, dazu kommt der höhere Aufwand durch Diskussionen und die Eingriffe anderer. Insofern stehen die niedrigen Barrieren, die Wikipedia ursprünglich erfolgreich machten, einer Professionalisierung im Wege.

Dennoch kann gerade im Rahmen der Lehre und auch im Bezug zur öffentlichen Philosophie der Umgang mit der Wiki-Umgebung und dem Enzyklopädie-Format einen großen Mehrwert bieten. So wird das Wikipedia-Projekt zum bewussten Gegenstand der Überlegungen und verbleibt nicht nur ein Nachschlagewerk. Das Entwerfen und Schreiben der Artikel entspricht dem klassischen Lernprozess, durch Zusammenfassung und Kommunikation ein tieferes Verständnis zu gewinnen. Die besondere Anforderung liegt dabei darin, Inhalte knapp und präzise zusammenzufassen und gleichzeitig allgemein verständlich zu bleiben. Dadurch wird die Vermittlung von Wissenschaft eingeübt. Hier ist auch das gestalterische Element interessant, weil das Wiki eine einfachere Illustration zulässt. (vgl. WP:Seminararbeit)

Die Grundprinzipien und Richtlinien der Wikipedia sind meist allgemein formuliert, um nicht in einen undurchschaubaren Gesetzestext auszuarten. Trotz diesem Anspruch hat sich im Laufe der Zeit eine unübersichtliche Menge an Regel-, Empfehlungs- und Hilfeseiten angesammelt. In Abstimmungen, Diskussionen und Konflikten stellt somit der grobe Konsens das zentrale Entscheidungskriterium dar. Das bedeutet, unter den Beteiligten wird so lange diskutiert, bis ein gewisser Konsens erreicht wird, jemand aufgibt oder ein Benutzer mit erweiterten Rechten eingreift. Auf diese Weise wurden auch ursprünglich die Grundprinzipien entwickelt. Interessanterweise hat die deutsche Wikipedia das englische „Ignore all rules“ nicht als Grundprinzip aufgenommen, räumt den Regeln also eine tendenziell stärkere Position ein.[23]

Relevanz & Verständlichkeit

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Im Allgemeinen ist das relevant, was zeitüberdauernd im Interesse der Öffentlichkeit steht. Für philosophische Themen existieren Relevanzkriterien nur mit Blick auf Wissenschaftler: diese sollten bedeutsam für ihr Fachgebiet sein. (WP:RK) Einige WikiProjekte haben ihre eigenen Relevanzkriterien aufgestellt, für Philosophie gibt es jedoch keine. Das könnte zum einen daran liegen, dass philosophische Themen selten ihre zeitliche Relevanz verlieren, zum anderen an der kleineren Autorenzahl.

Für die Relevanz auf inhaltlicher Ebene gibt es keine klaren Kriterien. Unter WP:Wie schreibe ich gute Artikel ist die Rede von einer angemessenen Länge und nicht zu vielen Details. Es wird darauf hingewiesen, dass zu lange Artikel auch aufgeteilt und durch Verweise gekennzeichnet werden können. Um die beste Artikellänge zu ermitteln, bräuchte es Statistiken über das Leseverhalten. Lange Artikel wie „Philosophie“ mit momentan 83 Tsd. Zeichen (nur Fließtext) werden vermutlich nur selten bis zum Ende gelesen. Es lässt sich zwar einwenden, dass Enzyklopädieartikel sowieso nur konsultiert werden, aber auch in diesem Fall könnte man weiterführende Inhalte in andere Artikel verschieben. Optimal könnte ein systematisches aufsteigen vom Allgemeinen zum Speziellen sein, mit vielleicht höchstens 30 Tsd. Zeichen pro Artikel, so dass niemand den Überblick verliert. (vgl. WP:WikiProjekt_Philosophie/Artikellänge)

Selbst wenn sich Artikel mit spezielleren Themen beschäftigen, sollte weiterhin darauf geachtet werden, dass Lesende „ohne mindeste Ahnung (vom Thema)“ durch einfache Sprache und Erläuterungen, sowie Links und weiterführende Verweise, Anschluss finden können. (WP:Verständlichkeit) Eine wichtige Stütze für diese Nachvollziehbarkeit bietet die feste Struktur der Artikel: Zu Beginn eine Einleitung mit Definition, ein etwas freier gestalteter Hauptteil, am Ende die Verweise und Belege (absteigend): "Siehe auch", "Literatur", "Weblinks", "Einzelnachweise". (WP:Formatierung) Für den Hauptteil gibt es etablierte Muster. Artikel wie „Kritische Theorie“, mit der Geschichte am Ende und „Philosophie der Neuzeit“, mit einer thematischen Aneinanderreihung von Biografien, zeigen aber, dass auch Abweichungen möglich sind.

Urheberrecht & Belege

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Solange die Autoren anonym bleiben, haftet Wikimedia für Urheberrechtsverletzungen und andere Vergehen. Es gibt zudem aber auch engagierte Wikipedianer die intern Artikel überprüfen und die externe Weiternutzung kontrollieren. (WP:Urheberrecht) Beim Ersetzen und Übersetzen von Artikeln spielt das Urheberrecht auch innerhalb der Wikipedia eine Rolle. Es soll nämlich transparent bleiben wer an den Artikeln gearbeitet hat. Das wird u.a. dadurch erreicht, dass die Seiten zusammengeführt oder importiert werden. (WP:Eigentum an Artikeln)

Die Anforderungen an Einzelnachweise unterscheiden sich im Vergleich zu wissenschaftlichen Arbeiten in wenigen Aspekten. Frei zugängliche Quellen sind in der Wikipedia als Textgrundlage zu bevorzugen und die Belege dienen nicht primär der Kennzeichnung fremder Ideen, sondern strittiger und über das Allgemeinwissen hinausreichender Stellen. (WP:Belege) Wie man am Artikel „Philosophie“ sieht, besteht auch in der Auslegung dieser Regel Spielraum. In der Diskussion Exzellent? (2009) werden die fehlenden Quellenangaben (in der Einleitung) kritisiert. Für den Hauptautor liefern diese aber „nur den Anschein einer Objektivität oder Verlässlichkeit (…), wo es aber gar keine gibt“, denn durch die inhaltlichen Reduktion würden Artikel ohnehin ein kreatives Produkt. Der Hinweis, die weiterführende Literatur am Ende des Artikels sei wichtiger, ist schwierig. Je länger der Text, desto schlechter ist nachzuvollziehen worauf er genau beruht, zudem könnte der Literaturabschnitt durch andere überarbeitet werden. Einzelnachweise sind letzten Endes also hilfreicher und sollten nachvollziehbar machen, welche Quellen verwendet wurden.

Keine Theoriefindung

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Auch die kreative Leistung wird im Anschluss unter Exzellent? kurz diskutiert. So wäre es Theoriefindung, wenn Abschnitte nicht konkret belegt werden können. Dem entgegen steht die Beobachtung, dass „ein gewisses Maß an schöpferischer Eigenleistung“ nötig sei, um qualitative und urheberrechtskonforme Artikel zu verfassen. Die Richtlinie wurde vom englischen „No original research“ übertragen und widerspiegelt den enzyklopädischen Anspruch an Objektivität und kanonische Bildung. Sie soll verhindern, dass Spekulationen, persönliche, oder für den wissenschaftlichen Diskurs irrelevante Theorien durch Wikipedia etabliert werden. (WP:Keine Theoriefindung) Gerade dieser Aspekt steht teilweise im Konflikt zu den in der Seminararbeit geforderten neuen Erkenntnissen. Wohlwollend interpretiert, können aber auch Zusammenfassungen von etablierten Theorien mindestens für Studierende und Laien „eine neue Einsicht zutage (…) fördern“.[24] Das passt zu dem Lernansatz, von Grundlagen aus hin zum Spezielleren zu wandern.

Neutraler Standpunkt

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Schon in der Nupedia war für Sanger der “lack of bias“ ein zentrales Anliegen. Also dass Lesende nicht erkennen können, mit welcher Haltung ein Artikel verfasst wurde. Wales übertrug diesen Gedanken auf den „Neutral point of view“ und implizierte damit eine rationale Haltung, die Meinungen nur als solche beschreibt.[25] Diese Überlegungen scheinen Bayle’s kritischen Ansatz in begrenzter Form fortzuführen, sie haben aber auch einfach den praktischen Vorteil, eine größtmögliche Menge an Mitwirkenden zu erreichen. Allgemein sind für Neutralität zwei wichtige Ebenen zu berücksichtigen. Zum einen welche Inhalte präsentiert werden, zum anderen wie sie dargestellt sind.[26] Je nach Auffassung steht der neutrale Standpunkt jedoch im Konflikt mit der Theoriefindung. Denn er kann eine Perspektive fordern, die nicht mit den etablierten Positionen im Einklang ist. In den Exzellenz-Diskussionen (2006) zu „Philosophie“ wird zum Beispiel das Fehlen der östlichen Perspektive kritisiert, aber auf der anderen Seite mit dem Vergleich zur gängigen Literatur gerechtfertigt.

Zusammenfassung

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Wikipedia ist ein relevantes Medium für öffentliche Philosophie und solange es keine freie, allgemeinverständliche Alternative gibt, wird es auch dabei bleiben. Die Veränderung des Mediums zu einem Wiki entwickelt die Diskurstradition der Enzyklopädie weiter: So gibt es keine zentrale Redaktion mehr, dafür aber WikiProjekte, eine kleine Community der Daueraktiven und die spendenfinanzierte Wikimedia-Stiftung. Die Enzyklopädie steht unter freier Lizenz und kann prinzipiell von allen bearbeitet werden. Durch die wachsende Artikelqualität, aber auch ein wachsendes Regelwerk, gibt es mehr und mehr Hürden für Neulinge. Auf der anderen Seite richtet sich Wikipedia ausdrücklich an eine allgemeine Leserschaft, bewegt sich also auf einem Niveau, welches dem der Lehre entspricht. Insofern macht es Sinn, dass Studierende Wikipedia nicht nur zu nutzen, sondern auch aktiv gestalten. Um das zu ermöglichen und auch generell um die öffentliche Philosophie zu fördern, müssten die Universitäten Formate außerhalb der klassischen Seminararbeit unterstützen. Studierende würden durch Praxis und Selbstwirksamkeit profitieren, die Öffentlichkeit von dem Wissen.

Philosophische Wikipedia-Artikel bilden ein eigenes Format, welches Raum für weitere Entwicklungen zulässt. Wichtig ist, dass sie einen gelungenen Einstieg bieten, also verschiedene Perspektiven fair darstellen und dabei offen zugängliche Quellen bevorzugen. Eine neutraler Standpunkt fordert ein Abwägen auf konzeptioneller und inhaltlicher Ebene, zudem verlangt auch das Herunterbrechen komplexer Zusammenhänge eigene Kreativität. Wie in der Einführung Enzyklopädie & Philosophie angedeutet, kann Philosophie auch innerhalb des Wikipedia-Projekts vieles beitragen: Wie werden Sprache und Begriffe geprägt? Wie können den Grundprinzipien zugrundeliegende Begriffe wie Relevanz, Verständlichkeit, Theoriefindung oder Neutralität interpretiert und bewertet werden? Welcher Systematik sollten (philosophische) Artikel folgen?

  • Eiber, B. (2020). Wikipedia und der Wandel der Enzyklopädiesprache: Ein französisch-italienischer Vergleich. Gunter Narr Verlag.
  • Fowler, R. (1997). Encyclopaedias: Definitions and Theoretical Problems. In P. Binkley (Hrsg.), Pre-Modern Encyclopaedic Texts (Bd. 79). BRILL.
  • Rahmstorf, O. (2023). Wikipedia: Die rationale Seite der Digitalisierung? (Bd. 40). transcript Verlag. doi:10.14361/9783839458624
  • van Dijk, Z. (2021). Wikis und die Wikipedia verstehen. transcript Verlag. doi:10.14361/9783839456453

Einzelnachweise

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  1. Vogelgsang, K. (2004). Zum Begriff „Enzyklopädie“. In Wissenssicherung, Wissensordnung und Wissensverarbeitung: Das europäische Modell der Enzyklopädien (S. 15–23). Akademie Verlag.
  2. Eiber, B. (2020). Wikipedia und der Wandel der Enzyklopädiesprache: Ein französisch-italienischer Vergleich. Gunter Narr Verlag. -- S.21
  3. Eiber, Kap. 2
  4. Lehner, G. (2011). China in European Encyclopaedias, 1700-1850. Brill. -- Kapitel 1.5
  5. vgl. Eiber, Kap. 3.1
  6. Fowler, R. (1997). Encyclopaedias: Definitions and Theoretical Problems. In P. Binkley (Hrsg.), Pre-Modern Encyclopaedic Texts (Bd. 79). BRILL. -- S.7-10
  7. Eiber, Kapitel 3.2
  8. Fowler, S.10f.
  9. Eiber, S.26f.
  10. Eiber, Kap. 5.4
  11. Fowler, S.15ff.
  12. vgl. Eiber, Kap. 3.2 & 6
  13. Fowler, S. 20f.
  14. vgl. Eiber, Kap. 3.1.3
  15. Mertens, N. (2023). Liste der Nachschlagewerke zum Gesamtgebiet Philosophie. Universität Münster. -- S.6
  16. Olaf Rahmstorf: Wikipedia: Die rationale Seite der Digitalisierung? (= Digitale Gesellschaft. Band 40). transcript Verlag, 2023, ISBN 978-3-8394-5862-4, S. 20, doi:10.14361/9783839458624.
  17. Rahmstorf, S.47ff.
  18. Rahmstorf, S.79f.
  19. Ziko van Dijk: Wikis und die Wikipedia verstehen (= Edition Medienwissenschaft). transcript Verlag, 2021, ISBN 978-3-8394-5645-3, S. 79, doi:10.14361/9783839456453.
  20. Rahmstorf S.47
  21. van Dijk, S.133
  22. vgl. van Dijk, S.56
  23. vgl. Rahmstorf, S.89f.
  24. Leitfaden für das wissenschaftliche Arbeiten in der Philosophie. (2021) Humboldt-Universität zu Berlin. -- S.1, 22
  25. Rahmstorf, S.103-6
  26. Rahmstorf, S.195