Anhaltische Gemäldegalerie Dessau

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Schloss Georgium, 2006

Die Anhaltische Gemäldegalerie Dessau ist ein Kunstmuseum in der kreisfreien Stadt Dessau-Roßlau, dessen Sammlungsschwerpunkt auf Werken der Alten Meister liegt. Sie geht zurück auf die Gemäldesammlung der Prinzessin Henriette Amalie von Anhalt-Dessau, welche 1793 nach dem Willen der Stifterin als erste öffentliche Kunstsammlung in Dessau eröffnet wurde. Nach der Zerstörung ihres seit 1927 genutzten Gebäudes im Zweiten Weltkrieg befindet sich die Anhaltische Gemäldegalerie seit 1959 im Schloss Georgium unweit des historischen Bauhausgebäudes und des Dessauer Hauptbahnhofs. Gemäldegalerie, Schloss und Park Georgium gehören zum Unesco-Welterbe Gartenreich Dessau-Wörlitz.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zur Gründung der Anhaltischen Gemäldegalerie Dessau[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Innenansicht des Palais Reina, um 1930

Mit der Eröffnung der Anhaltischen Gemäldegalerie im Dessauer Palais Reina am 17. September 1927 setzte der Freistaat Anhalt die Idee der Gründung eines zentralen Landesmuseums für Kunst um, welche bereits im 19. Jahrhundert immer wieder diskutiert worden war.[1] Grundlage war die Zusammenführung mehrerer Sammlungen: der Kunstnachlass der Henriette Amalie von Anhalt-Dessau (aufbewahrt seit 1793 in der „Fürstlichen Amalienstiftung“ im Palais Dietrich), der Kunstbesitz des Staates Anhalts (erworben aus herzoglichen Beständen), die Kunstsammlung der Stadt Dessau sowie ausgewählte Bestände der Joachim-Ernst-Stiftung, die 1918 mit verschiedenen Schlössern und Gärten einen Teil des Kunstbesitzes des Hauses Anhalt übernommen hatte. Grundstock der Graphischen Sammlung war eine Zeichnungssammlung, die sich ursprünglich im Besitz der Herzöge von Anhalt-Bernburg befand und ab 1927 kontinuierlich durch Ankäufe des Landes Anhalt insbesondere aus herzoglichem Besitz erweitert wurde.[2] Leitbild des Museums war nach den Worten des ersten Direktors Ludwig Grote, ein „lebendiges Organ der Bildung“ zu schaffen. Sitz des Museums wurde das Palais Reina in der Dessauer Innenstadt, ein klassizistischer Bau des frühen 19. Jahrhunderts. In dessen repräsentativer Beletage wurde die Dauerausstellung in einem chronologischen Rundgang präsentiert. Zur farbigen Gestaltung der Ausstellungsräume zog Grote den Bauhausmeister Hinnerk Scheper heran. Nach 1927 eröffnete im Schloss Oranienbaum eine Filialgalerie der Gemäldegalerie, um dem Problem begrenzter Ausstellungsflächen im Palais Reina zu begegnen. Auch hier sorgte Scheper im Hinblick auf die Gemäldepräsentation für eine farbliche Neufassung der Ausstellungsräume, welche sich bis heute erhalten hat.[3] Bemerkenswert ist die Ankaufspolitik Ludwig Grotes, die neben Werken des 19. Jahrhunderts auch Kunst der in Dessau tätigen Bauhausmeister und der Moderne umfasste. So wurden ab 1927 insbesondere mit Mitteln der Stadt Dessau Gemälde von Lyonel Feininger, Oskar Schlemmer, Fritz Winter, Wassily Kandinsky und Paul Klee erworben.

Die Galerie in der NS-Zeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Albrecht Dürer, Der Heilige Christophorus (Kriegsverlust)

Nach der 1932 in Anhalt erfolgten politischen Machtübernahme der NSDAP waren die Ankäufe moderner Kunst ein Grund für politischen Druck auf Grote, der sich daraufhin aus seinem Amt zurückzog. Die Galerie sollte nun im Sinne der nationalsozialistischen Kulturpolitik ein „Spiegelbild der Vielfältigkeit und des Reichtums des germanischen Geistes“ vermitteln. Die altdeutschen Meister Albrecht Dürer und Lucas Cranach d. Ä. bekamen den prominentesten Platz in der Dauerausstellung, im Festsaal des Palais Reina, wo zuvor flämische und holländische Gemälde präsentiert worden waren.

1937 wurde in der Nazi-Aktion „Entartete Kunst“ aus dem Bestand der Galerie eine große Anzahl von Bildern beschlagnahmt. Viele davon wurden anschließend vernichtet.[4] 1939 begann angesichts des Kriegseintritts und bevorstehender Luftangriffe die Evakuierung der Kunstwerke an diverse Standorte, wie z. B. in Bergwerksstollen des Schachtes I des Salzbergwerks Solvayhall bei Bernburg. Im Palais Reina verbliebene und in das Zerbster Schloss ausgelagerte Werke wurden bei Luftangriffen zerstört. Sie sind Teil der mehr als 200 Gemälde umfassenden Kriegsverluste.[5]

Künstler, deren Werke 1937 aus der Galerie als „entartet“ beschlagnahmt wurden[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Lothar Bechstein, René Beeh, Dora Brandenburg-Polster, Heinrich Campendonk, Karl Caspar, Maria Caspar-Filser, Lovis Corinth, Franz Karl Delavilla, Josef Eberz, Friedrich Feigl, Lyonel Feininger, Max Feldbauer, Conrad Felixmüller, Robert Genin, Alexander Gerbig, Rudolf Großmann, George Grosz, Carl Gunschmann, Erich Heckel, Franz Heckendorf, Werner Heuser, Karl Hofer, Johannes Itten, Willy Jaeckel, Richard Janthur, Alexej von Jawlensky, Wassily Kandinsky, Paul Klee, César Klein, Paul Kleinschmidt, Wilhelm Kohlhoff, Oskar Kokoschka, Otto Kopp, Bruno Krauskopf, Alfred Kubin, Gerhard Marcks, Ludwig Meidner, Moriz Melzer, Georg Muche, Otto Mueller, Heinrich Nauen, Emil Nolde, Willi Nowak, Max Oppenheimer, Max Pechstein, Alfred Heinrich Pellegrini, Walter Püttner, August Roeseler, Edwin Scharff, Oskar Schlemmer, Werner Paul Schmidt, Lothar Schreyer, Julius Wolfgang Schülein, Richard Seewald, Otto Theodor Wolfgang Stein, Jakob Steinhardt, Armin Stern (1883–1944), Walther Teutsch, Erich Thum, Viktor Tischler (1890–1951), Max Unold und Hans Wimmer.

Die Galerie in der DDR-Zeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1946 übernahm Julie Harksen das Direktorenamt und kümmerte sich aktiv um die Bergung der Werke aus den Auslagerungsstandorten. Die in Solvayhall gelagerten Werke wurden 1946 von sowjetischen Militärs sichergestellt und nach Moskau und Leningrad verbracht. Eine Wiedereröffnung der Galerie mit eingeschränkter Präsentation fand 1948 im kurzzeitigen Domizil Schloss Mosigkau statt. 1950 erfolgte der Umzug in das Palais Bose in Dessau. Mit der 1958/59 erfolgten Rückgabe der beschlagnahmten Bestände aus der Sowjetunion war eine erneute umfängliche Präsentation Alter und Neuer Meister möglich. Sie wurde 1959 im Schloss Georgium umgesetzt, das seitdem Sitz der Anhaltischen Gemäldegalerie Dessau ist.

Sammlung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Sammlung umfasst heute ungefähr 1.800 Gemälde und 18.000 Arbeiten auf Papier (Zeichnungen, Druckgraphik) sowie kleinere Bestände an Plastik und angewandter Kunst. Die Werke entstammen der Zeitspanne vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart, wobei ein klarer Schwerpunkt in der Zeit von 1500 bis 1850 liegt.

Eine besondere Verbundenheit mit dem Werk des in Dessau als Hofmaler tätigen Johann Friedrich August Tischbein zeigt sich in der großen Gruppe seiner Gemälde in dem nach ihm benannten Festsaal des Hauses. In der Abteilung der Altdeutschen Malerei nehmen die Werke Lucas Cranachs des Älteren den prominentesten Platz ein, hierunter eines seiner Hauptwerke: der Dessauer Fürstenaltar. Auch die Graphische Sammlung der Anhaltischen Gemäldegalerie besitzt einen wichtigen Schwerpunkt bei den Zeichnungen deutscher und Schweizer Künstler des 16. Jahrhunderts. Die durch verwandtschaftliche Beziehungen zu den Oraniern begründete Neigung der Mitglieder des Hauses Anhalt-Dessau für die niederländische Malerei spiegelt sich in den Beständen der Anhaltischen Gemäldegalerie deutlich wider. Sie weist wichtige Werke flämischer und holländischer Maler vom späten 15. bis zum frühen 18. Jahrhundert auf. Wesentlich vom Geschmack der anhaltischen Fürstenfamilie ist auch die Auswahl deutscher Gemälde des 17. und 18. Jahrhunderts geprägt. Aufgrund der Aufgeschlossenheit der Prinzessin Henriette Amalie für die zeitgenössische Kunst ihrer Wahlheimat befindet sich darunter eine singuläre Gruppe von Gemälden Frankfurter Meister der Mitte des 18. Jahrhunderts. Anschließend an diese Maler aus Goethes Frankfurter Kindheit entwickelt sich der Dessauer Sammlungsschwerpunkt der deutschen Kunst der Goethezeit. Besonders gut vertreten sind hier die aus Anhalt stammenden oder in den anhaltischen Residenzen tätigen Künstlerinnen und Künstler wie zum Beispiel Johann Friedrich August Tischbein, die Brüder Ferdinand, Friedrich und Heinrich Olivier, Caroline Bardua und Franz Krüger.

Der Bestand der deutschen Kunst nach 1850 ist wesentlich durch Erwerbungen aus den 1920er und 1930er Jahren geprägt. Dabei konnte die Werkgruppe der um 1930 von den Dessauer Bauhausmeistern angekauften Gemälde und Grafiken nach den Verlusten der NS-Zeit nur in Ausnahmefällen zurückerworben werden. Die Erwerbungen deutscher Kunst nach 1945 haben ein besonderes Augenmerk für die Nachfolge des Bauhauses und die künstlerischen Entwicklungen auf dem Territorium des historischen Landes Anhalt. Wie auch bei der Stärkung der älteren Sammlungsschwerpunkte sowie dem Ausgleich der Kriegsverluste sind Schenkungen und Dauerleihgaben in den letzten Jahrzehnten von grundsätzlicher Bedeutung für die inhaltliche Fortentwicklung der Anhaltischen Gemäldegalerie Dessau gewesen.

Literatur (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Gustav Müller: Catalog der Gemälde-Sammlung der Fürstlichen Amalienstiftung zu Dessau. Dessau 1877
  • Julius Vogel: Katalog der Gemälde-Sammlung der Fürstlichen Amalienstiftung zu Dessau. Hofbuchdruckerei Weniger & Co., Dessau 1913
  • Max J. Friedländer: Handzeichnungen deutscher Meister in der Herzoglich Anhaltschen Behörden-Bibliothek zu Dessau, Felix Krais Verlag, Stuttgart 1914
  • Ludwig Grote: Führer durch die Anhaltische Gemäldegalerie, Dessau 1927
  • Kurt Marholz: Die Dessauer Galerie. Ein Museum der Maltechniken. In: Bildende Kunst, Berlin, 11–12/1956, S. 637–639
  • Julie Harksen: Staatliche Galerie Dessau – Schloss Georgium. Kleiner Führer durch die Galerie Alte und Neue Meister, Dessau 1976
  • Werner Schade: Lucas Cranach Gemälde. Zwischen 1510 und 1530. Dessau 1993
  • Stephan Klingen und Margit Ziesché: Die deutschen Gemälde des 16. und 17. Jahrhunderts. Böhlau, Weimar 1996, ISBN 3-7400-1009-6
  • Norbert Michels (Hrsg.): „... Waren nicht des ersten Bedürfnisses, sondern des Geschmacks und des Luxus“: Zum 200. Gründungstag der Chalcographischen Gesellschaft in Dessau. Böhlau, Weimar 1996, ISBN 3-7400-1021-5
  • Norbert Michels (Hrsg.): Verrat an der Moderne. Die Gründungsgeschichte und das erste Jahrzehnt der Anhaltischen Gemäldegalerie Dessau 1927–37. Dessau 1996
  • Bettina Werche: Die altniederländischen und flämischen Gemälde des 16. bis 18. Jahrhunderts. Böhlau, Weimar 2001, ISBN 3-7400-1037-1
  • Manfred Großkinsky/Norbert Michels (Hrsg.): Sammlerin und Stifterin – Henriette Amalie von Anhalt-Dessau und ihr Frankfurter Exil. Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-00-010315-5
  • Alexandra Nina Bauer: Die holländischen Gemälde des 17. und 18. Jahrhunderts. Stekovics, Dößel 2005, ISBN 3-89923-097-3
  • Guido Messling: Handzeichnungen. Die deutschen und schweizerischen Meister der Spätgotik und der Renaissance. Imhof, Petersberg 2011, ISBN 978-3-86568-695-4
  • Norbert Michels (Hrsg.): Cranach in Anhalt. Vom alten zum neuen Glauben. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2015, ISBN 978-3-7319-0227-0
  • Norbert Michels (Hrsg.): Hendrick Goltzius (1558–1617). Mythos, Macht und Menschlichkeit. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2017, ISBN 978-3-7319-0581-3
  • Margit Schermuck-Ziesché: Gestohlen, abtransportiert, zurückgekehrt : die Anhaltische Gemäldegalerie Dessau im Zweiten Weltkrieg. Böhlau, Weimar 2020, ISBN 3-412-51833-6
  • Ruben Rebmann (Hrsg.): Von Dürer bis Kandinsky. 100 Meisterzeichnungen der Anhaltischen Gemäldegalerie Dessau. Sandstein Verlag, Dresden 2023, ISBN 978-3-95498-713-9

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Anhaltische Gemäldegalerie – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Norbert Michels (Hrsg.): Verrat an der Moderne. Die Gründungsgeschichte und das erste Jahrzehnt der Anhaltischen Gemäldegalerie Dessau 1927–37. Dessau 1996.
  2. Ruben Rebmann (Hrsg.): Von Dürer bis Kandinsky. 100 Meisterzeichnungen der Anhaltischen Gemäldegalerie Dessau. Sandstein Verlag, Dresden 2023, S. 8–23.
  3. Christian Eger: Bauhaus trifft Barock. Abgerufen am 30. September 2023.
  4. Stale Session. Abgerufen am 10. Januar 2023.
  5. Margit Schermuck-Ziesché: Gestohlen, abtransportiert, zurückgekehrt (= Studien zu kriegsbedingt verlagerten Kulturgütern). Böhlau Verlag, Köln 2020, ISBN 978-3-412-51833-2.