Anna Sfard

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Anna Sfard (* 1949) ist eine Mathematikdidaktikerin und Lerntheoretikerin und emeritierte Professorin für Mathematikdidaktik an der Universität Haifa, Israel. Sie beschäftigt sich vor allem mit dem mathematischen Denken, zu dem sie eine umfassende Theorie entwickelt hat, die Denken als Kommunikation interpretiert. Sowohl ihre theoretischen Beiträge als auch ihre empirischen Untersuchungen werden breit wahrgenommen.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Anna Sfard ist eine von drei Töchtern der polnisch-britischen Schriftstellerin Janina Bauman (1926–2009) und des polnisch-britischen Soziologen und Philosophen Zygmunt Bauman (1925–2017). Sie wurde in Polen geboren. Dort begann sie 1967 ein Physikstudium an der Universität Warschau in Polen, verließ dann gemeinsam mit ihren Eltern und Schwestern Polen und siedelte nach Israel über. Ihre Eltern gingen später nach Leeds, England.

Werdegang[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Anna Sfard erlangte 1972 einen B.Sc. in Mathematik und Physik (1972) an der Hebräischen Universität Jerusalem, Israel, und ebendort im Jahr 1977 auch ihren M.Sc. in Mathematik.[1] Sie promovierte 1988 in der Mathematikdidaktik an der Hebräischen Universität Jerusalem, Israel. 1995 wurde sie zur Professorin für Mathematikdidaktik an der Universität Haifa, Israel, berufen. Von 2003 bis 2007 war sie Lappan-Phillips-Fitzgerald-Professorin für Mathematikdidaktik an der Michigan State University, Michigan, USA, und von 2007 bis 2009 Chair of Mathematics Education am Institute of Education der University of London, England. Von 2008 bis 2016 war sie dort auch Gastprofessorin.[2]

Arbeitsschwerpunkte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Anna Sfards Arbeitsschwerpunkt ist die Beziehung zwischen Denken und Kommunikation, die sie sowohl für spezielle Felder wie die Mathematik als auch im Allgemeinen untersucht. Sfard nimmt mit dem Philosophen Ludwig Wittgenstein und dem Sprachpsychologen Lev S. Vygotskij an, dass Denken und Kommunikation untrennbar miteinander verbunden sind: Diskursivität ist ein Grundmerkmal des menschlichen Denkens. Diese Bezüge arbeitet sie in theoretisch tiefgründiger und origineller Weise für mathematisches Denken und Lernen aus.

Sie hat einen eigenständigen Ansatz zur Beschreibung mathematischen Denkens entwickelt, der um etwas kreist, das sie Kommognition nennt (ein Kunstwort auf Kommunikation und Kognition).[3]

Kommognition, ein Kunstwort aus Kommunikation und Kognition, ist der Kernbegriff eines Lernansatzes, der auf der Annahme beruht, dass Denken sinnvollerweise als Kommunikation mit sich selbst begriffen werden kann. Dieser Grundgedanke steht im Gegensatz zur berühmten cartesianischen Trennung zwischen dem Körperlichen und dem Geistigen. Nach der aus dem kommognitiven Ansatz resultierenden nicht-dualistischen Sichtweise auf menschliche Kognition ist die Mathematik ein historisch gewachsener Diskurs, und Mathematik zu lernen bedeutet, an dieser besonderen Form der Kommunikation teilzuhaben. Die Grundannahme über das Denken als Kommunikation hat mehrere Konsequenzen, die sich zu einer umfassenden nicht-dualistischen Theorie des Lernens verbinden.[4] (eigene Übersetzung)

Ihre einflussreichen Veröffentlichungen zur Mathematikdidaktik begannen mit Untersuchungen zur Rolle von Verdinglichung („reification“) im Mathematiklernen.[5][6] Sfard interessiert sich auch für die Rolle von Metaphern beim Lernen, etwa die metaphorischen Grundlagen von Lernverständnissen[7][8] oder Metaphern in der Mathematik[9], die einen engen Bezug zur Verdinglichung haben.[10] Diese Untersuchungen erweiterte sie zu einem Fokus auf die Rolle von Diskursen oder Diskursivität für Mathematiklernen.[11]

Werke (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Sfard, Anna (Hg.). (2012). Developing mathematical discourse: Some insights from communicational research. Special Issue of The International Journal of Educational Research, 51-52.
  • Sfard, Anna (2008). Thinking as communicating: Human development, the growth of discourses, and mathematizing. Cambridge: Cambridge University Press.
  • Sfard, Anna (1998). On two metaphors for learning and the dangers of choosing just one, Educational Researcher, 27(2), 4–13.
  • Sfard, Anna & McClain, Kay (Hg.) (2002). Learning tools: Perspectives on the role of designed artifacts in mathematics learning. Mahwah, NJ: Laurence Erlbaum Associates
  • Kieran, Carolyn, Forman, Ellice & Sfard, Anna (Hg.) (2002). Learning discourse: Discursive approaches to research in mathematics education. Dordrecht: Spinger Netherlands.

Preise und Auszeichnungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Angaben zum Studium im Lebenslauf der International Commission on Mathematical Instruction. Abgerufen am 2. Juli 2023.
  2. Biographische Information zu Anna Sfard auf ihrer Webseite an der Universität Haifa. Abgerufen am 28. Juni 2023.
  3. Anna Sfard, Carolyn Kieran: Cognition as communication: Rethinking learning-by-talking through multi-faceted analysis of students’ mathematical interactions. , 8(1), 42-76. In: Mind, Culture, and Activity. Band 8, Nr. 1, 2001, S. 42–76.
  4. Anna Sfard: Commognition. In: S. Lerman (Hrsg.): Encyclopedia of Mathematics Education. Encyclopedia of Mathematics Education, Cham 2020.
  5. Anna Sfard: On the dual nature of mathematical conceptions: reflections on processes and objects as different sides of the same coin. In: Educational Studies in Mathematics. Band 22, 1991, S. 1–36.
  6. Anna Sfard, Liora Linchevsky: The gains and the pitfalls of reification: The case of algebra. In: Educational Studies in Mathematics. Band 26, 1994, S. 191–228.
  7. Anna Sfard: On two metaphors for learning and the dangers of choosing just one. In: Educational Researcher. Band 27, Nr. 2, 1998, S. 4–13.
  8. Anna Sfard: Metaphors in education. In: Harry Daniels, Hugh Lauder, Jill Porter (Hrsg.): Educational theories, cultures and learning: A critical perspective. Taylor & Francis, 2012, S. 39–49.
  9. Anna Sfard: Steering (dis)course between metaphor and rigor: Using focal analysis to investigate the emergence of mathematical objects. In: Journal for Research in Mathematics Education. Band 31, Nr. 3, 2000, S. 296–327.
  10. Anna Sfard: Reification as a birth of a metaphor. In: For the Learning of Mathematics. Band 14, Nr. 1, 1995, S. 44–55.
  11. Anna Sfard: Symbolizing mathematical reality into being: How mathematical discourse and mathematical objects create each other. In: P. Cobb, K. E. Yackel, K. McClain (Hrsg.): Symbolizing and communicating: Perspectives on mathematical discourse, tools, and instructional design. Erlbaum, Mahwah, NJ 2000, S. 37–98.
  12. Liste der neuen Mitglieder der American Academy of Arts & Sciences; Anna Sfard unter Class III, Education. Abgerufen am 2. Juli 2023.
  13. Anna Sfard auf der Seite der National Academy of Education. Abgerufen am 2. Juli 2023.
  14. Erwähnung Anna Sfards auf der Seite der American Educational Research Association. Abgerufen am 2. Juli 2023.
  15. Bericht über die Verleihung der Medaille auf der Seite der Intetnational Commission on Mathematical Instruction. Abgerufen am 2. Juli 2023.