Articuli Reprobati

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Die articuli reprobati sind 14 Artikel des Sachsenspiegels, die durch die päpstliche Bulle Salvator Humani Generis verboten wurden.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Es soll bereits 1356 durch Innozenz VI. ein Brief erschienen sein, der den Sachsenspiegel als häretisch bezeichnet.[1] Teilweise wird dies als eine Verdammung angesehen.[2]

In vielen wissenschaftlichen Schriften wird der Dekadikon des Augustinermönchs Johannes Klenkok als Ursache gesehen für das Handeln von Papst Gregor XI.[1] Dem Mönch werden teilweise persönliche Motive unterstellt, so hatte ein Gericht eine Verfügung gegenüber einem Kloster 1343 für ungültig erklärt.[1] Zunächst war Klenkok in einer Schrift nur gegen 10 Artikel vorgegangen. Als Reaktion auf diese Schrift traf ihn Ablehnung und Verfolgung. Seine spätere Verurteilung von dann 21 Artikeln soll nach alter Literatur daran liegen, dass Klenkok durch den Widerspruch gereizt gewesen sein soll.[3] Diese verschiedenen Autorenschaften werden zum Teil dann auch mit einer angeblichen generellen Ablehnung des Sachsenspiegels durch Rom in Verbindung gebracht.[4]

In einigen späteren Handschriften fehlen die articuli reprobati.[5] An einigen Artikeln steht in den Handschriften daneben, dass dies ein articulus reprobatus sei.[6]

In den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten der Veröffentlichung der Bulle gab es verschiedene kirchliche Rezeptionen. Aus dem Ermland ist eine Urkunde von 1410, des Bischof Heinrich III. überliefert, in der er einen Vertrag schloss, die reprobierten Artikel aber aus dem anwendbaren Recht ausschloss.[7] So beauftragte der Bischof Wenzel von Breslau erst 1397 die Veröffentlichung der Bulle, in Westfalen waren die Schriften Klenkoks Ursache für einige Predigten. Der Bischof Michael von Riga verlangte Anfang des 16. Jahrhunderts die Streichung der articuli reprobati aus dem Stadtrecht Rigas. In der sächsischen Oberhofgerichtsordnung und in den statuta regni des polnischen König Alexander fehlen die articuli reprobati.[8]

Teilweise werden auch andere Autoren für die Verdammung der Artikel angesehen, so bspw. noch in einer Schrift von Benedict Carpzov, der Gregor XII. und das Konzil von Basel nennt.[9] Es wurde auch beschrieben, dass das Konzil 22 Artikel verurteilt (reprobiert) habe, im 19. Jahrhundert setzte sich aber die wissenschaftliche Meinung durch, dass dies nicht beweisbar sei.[10]

Nicht alle der Artikel unterfielen der gleichen Rezeptionsgeschichte. Einige Artikel entfielen wohl in den späteren Rechtsbüchern auch aus Praktibilitätsgründen, einige hielten sich noch Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte als Rechtsinstitute in den Rechtsbüchern der deutschen Lande.[8]

In einem Reichsgerichtsurteil (RGZ 137, 343) wird jedoch ein Artikel der articuli reprobati wieder angewandt.

Inhalt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Stelle des Sachsenspiegels Regelungsinhalt Gruppe (nach Kullmann)
Ldr. I 3, 3 Wirkung der Gesetzgebung des Papstes bzgl. des Landrechtes Kirchenpolitische Artikel
Ldr. III 57, 1 Die Exkommunikation des Kaisers Kirchenpolitische Artikel
Ldr. III 63, 2 Wirkungen des Kirchenbannes Kirchenpolitische Artikel
Ldr. I 52, 2 Gesundheitsprobe Privatrechtliche Artikel
Ldr. I 52, 1 Erbenlaub Privatrechtliche Artikel
Ldr. I 63, 3 gerichtlicher Zweikampf (Gottesurteil) Prozessrechtliche Artikel
Ldr. I 39 Ordale Prozessrechtliche Artikel
Ldr. I 37 1. Var. und 2. Var. (als zwei Stellen) Ehe mit einer entehrten Frau oder einer, die ihre Ehe gebrochen hatte (als Zwei Artikel gewertet) Privatrechtliche Artikel
Ldr. I 18, 2 germanisches Rechtsinstitut des Eides der Unschuld oder Reinigungseid Prozessrechtliche Artikel
Ldr. I 18, 3 Urteilsschelte Prozessrechtliche Artikel
Ldr. I, 64 Regelung zum Zweikampf nach Erschlagen eines Räubers/Diebes. Umgehen eines Kampfes bei Beibringen von Sieben Zeugen. Prozessrechtliche Artikel
Ldr. II 12, 10. Fragen der Urteilsfindung Prozessrechtliche Artikel
Ldr. I 6, 2 2. Satz Haftung des Erben für Schulden des Erblassers Privatrechtliche Artikel

Von Klenkok wurden in der Ursprungsversion des Dekadikons noch weitere Artikel verdammt, die die Bulle jedoch nicht verdammte, wie Ldr. I 17, 2 und I 18, 1, die ein weniger vorhandenes Erbrecht der Schwaben regelte, Ldr. I 25, 1 und Ldr. I 25, 3, welches das Erb- und Lehensrecht im Zusammenhang mit dem Eintritt ins Kloster regelten, und Ldr. III 2, der sich auf die Behandlung von Geistlichen bezog.

Rezeption[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Rechtspraxis des Sachsenspiegels argumentierten Prozessparteien mit den reprobierten Artikeln um zu zeigen, dass der Sachsenspiegel in seiner Gesamtheit nicht anwendbar sei. Diese Argumentation wurde jedoch zurückgewiesen, denn nur spezifische Artikel seien verworfen worden.[11]

In der germanistischen Forschung des 19. Jahrhunderts wird die Wirkung der articuli reprobati als gering angesehen.[12] So wird geschrieben, dass die articuli reprobati zwar in einigen Schriften erwähnt worden seien, aber ohne spürbare Auswirkungen geblieben sind.[3] In der späteren Forschung wird dies differenzierter gesehen, so habe die Bedeutung der articuli reprobati von der Maßgabe der Landesfürsten abgehangen und wie diese mit ihnen umgingen. Lars Rentmeister sah in den articuli reprobati ein indirektes Zeichen des Konfliktes zwischen Kaisertum und Kirche, aber auch zwischen Kaiser und Landeskirchen.[8]

Eine wohl als sehr bedeutend anzusehende Rezeption der articuli reprobati ist, dass sie in dem in Osteuropa, insbesondere Preußen, geltenden Rechtsbuch, dem Alten Kulm, welches den Sachsenspiegel fast vollständig übernimmt, nicht enthalten sind.[13] In einer Handschrift aus Olmütz tauchen die articuli reprobati in einer Gesetzessammlung des römischen Rechtes nach den drei Büchern personae, res, actiones im Rahmen eines vierten Buches kirchenrechtlichen Inhaltes auf.[14]

Die articuli reprobati werden teilweise benutzt, um ein Werk datieren zu können. Insbesondere in Polen, wo die articuli reprobati rezipiert wurden, wird aus der Tatsache, ob diese in einer Handschrift des Sachsenspiegels auftauchen, geschlossen, wie alt die Handschrift sein könnte.[15]

Kullmann beschrieb die Argumentation Klenkoks als moderne Auffassung. Zwar habe ihr Streben nicht unmittelbaren Erfolg gehabt, doch sei der Kirche des Mittelalters zu verdanken, dass das heutige Recht die richterliche Beweiswürdigung kennt und Krankheit und Gebrechlichkeit nicht mehr zur Verfügungsbeschränkung führen.[7]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c Rolf Lieberwirth: Die Wirkungsgeschichte des Sachsenspiegels. In: Ruth Schmidt-Wiegand (Hrsg.): Sachsenspiegel: Die Wolfenbütteler Bilderhandschrift. Kommentarband. Walter de Gruyter GmbH & Co KG, 2015, ISBN 978-3-05-006909-8, S. 76.
  2. Friedrich Schuler-Libloy: Deutsche Rechtsgeschichte. Braumüller, 1868, S. 14.
  3. a b Roderich Stintzing: Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. R. Oldenbourg, 1880, S. 9–10.
  4. Johann Gottfried Grohmann: Neues historisch-biographisches Handwörterbuch oder kurzgefasste Geschichte aller Personen, welche sich ...: bis auf gegenwärtige Zeiten einen ausgezeichneten Namen machten ... Leipzig. F.G. Baumgärtner, 1808, S. 196.
  5. Stephan Meder: Rechtsgeschichte: Eine Einführung. UTB, 2014, ISBN 978-3-8252-4269-5, S. 175.
  6. Theodor Gomperz: Platonische Aufsätze. In commission bei C. Gerold's Sohn, 1887, S. 337–338.
  7. a b Hans-Josef Kullmann: Klenkok und die 'Articuli Reprobati' des Sachsenspiegels. 1959, S. 21, 119–120.
  8. a b c Lars Rentmeister: Das Verhältnis zwischen Staat und Kirche im späten Mittelalter am Beispiel der Diskussion um den Sachsenspiegel. Berlin 2015, S. 54, 295–296,297 ff.
  9. Johann Benedict Carpzov: Neueröffneter Ehren-Tempel merckwürdiger Antiquitaeten des Marggraffthums Ober-Lausitz: In welchen Allerhand bisher unbekandte, oder von andern Autoribus nicht gründlich untersuchte historische Nachrichten, so des Marggraffthums Ober-Lausitz alten und neuern Zustand, Regenten und Landes-Herren, Rechten, Gewohnheiten und Verfassungen, Müntz-Wesen, Mineralien, Bergwercken und Gesund-Brunnen betreffen, getreulich angezeiget, derer sechs Städte, und zweyer Catholischer Jungfrauen-Clöster, Marienstern und Marienthal, Fundationes, Erbauung, fatale Veränderungen, und sonderbahre Begebenheiten umständlich ausgeführet, einiger derer ältesten im Lande florirenden Adelichen Familien, Genealogische Geschichte und Geschlechts-Register sorgfältig geschrieben, auch was sonst ex Historia Civili, Naturali & Literaria in Ober-Lausitz denckwürdiges anzumercken, deutlich vorgetragen worden. Alles Aus beglaubten Uhrkunden und Documentis publicis mühsam zusammen gebracht, mit beygefügten Diplomatibus, Tractaten, und Brieffschafften bewiesen, durch das Zeugnüß bewährter Scribenten bestärcket, in zweyen Theilen durch gewisse Capitul und Paragraphos abgehandelt, mit nützlichen Marginalien, auch behörigen Registern versehen, und denen Liebhabern Lausitzischer Historien ans Licht gestellet. Verlegts David Richter, Buchhändler, 1719 (google.com [abgerufen am 2. Juni 2022]).
  10. Heinrich Thöl: Einleitung in das deutsche Privatrecht. Dietrich, 1851, S. 29 (google.com [abgerufen am 3. Juni 2022]).
  11. Marek Wejwoda: Spätmittelalterliche Jurisprudenz zwischen Rechtspraxis, Universität und kirchlicher Karriere: Der Leipziger Jurist und Naumburger Bischof Dietrich von Bocksdorf (ca. 1410-1466). BRILL, 2012, ISBN 978-90-04-18507-4, S. 321.
  12. Geschichte der Wissenschaften in Deutschland: Neuere Zeit. 1880, S. 9–10 (google.com [abgerufen am 3. Juni 2022]).
  13. Articuli Reprobati. In: Zeitschrift der Savigny Stiftung für Rechtsgeschichte. Band 3-4. H. Böhlau, 1864, S. 202 (google.com [abgerufen am 3. Juni 2022]).
  14. Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien: Anzeiger der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften: Philosophisch-Historische Classe. K. Gerold's Sohn, 1880, S. 63 (google.com [abgerufen am 4. Oktober 2022]).
  15. Beiträge zur Geschichte des Magdeburgerrechts. In: Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Classe. Band 50. K. K. Hof- und Staatsdruckerei, 1865, S. 366.