Auf der Reede

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Film
Titel Auf der Reede
Originaltitel En rade
Produktionsland Frankreich
Originalsprache Zwischentitel auf Französisch
Erscheinungsjahr 1927
Länge 5 Akte, 1525 Meter, bei 18 BpS 92 Minuten
Stab
Regie Alberto Cavalcanti
Drehbuch Alberto Cavalcanti, Claude Heymann
Produktion Neo-Film Paris
Musik Arthur Kleiner (1974), Martin de Ruiter (2004)
Kamera James E. Rogers
Schnitt Alberto Cavalcanti
Besetzung

außerdem

Auf der Reede ist der deutsche Titel des stummen französischen Melodrams En Rade, das Alberto Cavalcanti 1927 nach einem Drehbuch, das er zusammen mit Claude Heymann[1] geschrieben hatte, für die Gesellschaft Neo-Film Paris gedreht hat. Vorlage war das Manuskript[2] zu dem Roman Le Départ de Valdivia des Schauspieler-Schriftstellers Philippe Hériat, welcher auch im Film mitwirkt.

Handlung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ein naiver junger Mann in Marseille verliebt sich in das Servierfräulein des Hafencafés. Er träumt davon, mit ihr zu fliehen und zusammenzubleiben und hat deswegen bereits Schiffskarten für zwei Personen für eine Reise nach Valparaiso gekauft. Seine Mutter, eine robuste Waschfrau, ist misstrauisch. Ein melancholischer Hafenarbeiter begeht eine Verzweiflungstat.[3]

The emotional and fearful relationship between a small bar waitress, bullied by her mother, distraught by her customers, the dockworkers, and Jean, the son of the laundress who dreams of other horizons. A simple-minded man interferes, fascinated by the young girl and the boats that are moving away.[4]

Der Sohn einer Wäscherin (Georges Charlia) träumt von der Ferne. Er interessiert sich für die hübsche Serviererin (Catherine Hessling), welche in einer Hafenspelunke arbeitet und ihn im Gegensatz zu anderen Männern sanft und behutsam findet. Er kauft zwei Fahrkarten nach Valparaiso (Chile), aber die Serviererin will nicht mehr mit, nachdem er sie trotz aller scheinbaren Behutsamkeit beinahe vergewaltigt. Sie ist allgemein traumatisiert vom Hafen und fühlt sich von einheimischen Dockern wie auch von fremdländischen Matrosen bedrängt. Genauso traumatisiert ist ein »Idiot« (Philippe Hériat), ein ehemaliger Matrose, der einen Schiffsuntergang miterlebt hatte und -am Ende des Films- versucht, in einem kleinen Boot aus dem Hafen zu rudern. Der Film endet traurig: der Sohn der Wäscherin kehrt zur Mutter zurück, und in der letzten Einstellung wird der »Idiot« und ehemalige Matrose tot ans Ufer geschwemmt.[5]

Produktionsnotizen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Produktion der Neo-Film Paris wurde von James E. Rogers photographiert. Das Szenenbild schuf Erik Aaes. Die Außenaufnahmen entstanden im alten Hafen von Marseille. Die Erstaufführung fand am 18. November 1927 in Paris statt. Der Film wurde auch in Deutschland, den Niederlanden, in Japan und den Vereinigten Staaten gezeigt, wo er den Titel Sea Fever bekam, alternativ zu Stranded.[6]

Rezeption[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der englische Titel des Films war Stranded, obwohl es hier „um Sehnsucht geht, um Menschen, welche die Träume des Hafens teilen, aber nicht wegkommen“. Der »Idiot« ist, obwohl er nicht eigentlich an der Handlung teilnimmt, „ein wichtiger Aspekt des Films, denn er verkörpert als ehemaliger, schiffbrüchiger, narbenbedeckter, traumatisierter Matrose das Thema des Gestrandetseins.“[7]

Der niederländische Romanschriftsteller Lodewijk Van Deyssel, bürgerlich Karel Joan Lodewijk Alberdingk Thijm (1864–1952), sah den Film in den 1920er Jahren und war beeindruckt:

„Der Moment in Cavalcantis Film, in dem die Mutter, die ihren Sohn sucht, zwischen den Wänden voller Kalkablagerungen (oder ähnlichem) geht und einen anderen, den schlafenden »Idiot«, findet, ist der Höhepunkt des Werkes. (...) In diesem Moment wird die Wirklichkeit in ihrer gewöhnlichen Erscheinung zum Symbol. Das bedeutet, dass die gewöhnliche Realität die Essenz eines visionären Motivs annimmt.“

(zitiert aus: „Buch und Kunst“)[8]

Der Film wurde „von der Kritik als Meisterwerk des fiktionalen Stummfilms anerkannt“ und „half die Ästhetik des französischen Impressionismus zu etablieren“.[9] Die Poesie des Films lebt auch von der Kunst der Hauptdarstellerin Catherine Hessling, welche auch in weiteren Filmen Cavalcantis[10] mitspielen sollte. 26 Jahre später, 1953, drehte Cavalcanti ein remake des Stoffes unter dem Titel O Canto do Mar in Brasilien als Tonfilm.[11]

Wiederaufführungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Norddeutsche Rundfunk NDR strahlte En Rade in seinem Fernsehprogramm am 16. Oktober 1974 mit Musikillustration durch den Pianisten Arthur Kleiner aus.[12]

Im Filmhuis Den Haag wurde der von einer Nitrokopie aus der Cinemateca Italiana in Mailand restaurierte Film 2004 mit einer neu komponierten Musik für Bandoneon, Marimba und Cello von Martin de Ruiter wiederaufgeführt.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Peter Bosma: Sfeerschets van een havenstad. En rade. 1927. (peterbosma.info)
  • Ulrich Gregor, Enno Patalas: Geschichte des Films. Band 1, Verlag C. Bertelsmann, 1973, ISBN 3-570-00816-9, S. 83.
  • Sabine Haeni: Der Hafen der Avantgarde. In: Heinz-Peter Preußer (Hrsg.): Anschauen und Vorstellen. Gelenkte Imagination im Kino. (= Schriftenreihe zur Textualität des Films. Band 4). Schüren Verlag, 2016, ISBN 978-3-7410-0025-6, S. 240f., 251.
  • Wolfgang Klaue: Alberto Cavalcanti. Verlag: Staatliches Filmarchiv der Deutschen Demokratischen Republik, 1962, S. 46, 59 u. 78.
  • Siegfried Kracauer: Theorie des Films (= Schriften, Siegfried Kracauer. Band 3). Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1971, S. 441, 444.
  • Silvana Mariani: O Canto do Mar: Die Ästhetisierung von Realität?: Reflexionen über den Realismus bei Alberto Cavalcanti. Unter Mitwirkung von Irmbert Schenk u. Hans Jürgen Wulff. ibidem-Verlag / ibidem Press, 2017, ISBN 978-3-8382-7100-2.
  • Lothar Prox: Stummfilmvertonungen deutscher Fernseh-Redaktionen. Eine Aufstellung. In: Stummfilmmusik gestern und heute. Beiträge und Interviews anläßlich eines Symposiums im Kino Arsenal am 9. Juni 1979 in Berlin. Verlag Volker Spiess, Berlin 1979, ISBN 3-88435-008-0.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Abbildungen

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Claude Heymann (* 1907 in Paris; † 1994 in Paris) war ein französischer Drehbuchautor und Filmregisseur.
  2. Silvana Mariani: O Canto do Mar: Die Ästhetisierung von Realität?: Reflexionen über den Realismus bei Alberto Cavalcanti. 2017, Anm. 16.
  3. Inhaltsangabe nach peterbosma.info
  4. Inhaltsangabe aus rarefilm.com
  5. Inhaltsangabe bei Sabine Haeni: Der Hafen der Avantgarde. In: Heinz-Peter Preußer (Hrsg.): Anschauen und Vorstellen. Gelenkte Imagination im Kino. 2016, S. 243.
  6. vgl. IMDb/releaseinfo, Sabine Haeni: Der Hafen der Avantgarde. In: Heinz-Peter Preußer (Hrsg.): Anschauen und Vorstellen. Gelenkte Imagination im Kino. (= Schriftenreihe zur Textualität des Films. Band 4). Schüren Verlag, 2016, S. 243.
  7. Sabine Haeni: Der Hafen der Avantgarde. In: Heinz-Peter Preußer (Hrsg.): Anschauen und Vorstellen. Gelenkte Imagination im Kino. 2016 S. 243–244.
  8. vgl. Peter Bosma: Sfeerschets van een havenstad: “Het ogenblik in Cavalcanti‘s film waar d haar zoon zoekende moeder tussen de muren kalkvoorraden (of iets dien overeenkomstigs) gaat en een ander, de slapende idioot, vindt, is de hoogste verheffing van het werk. (-) op dat ogenblik wordt de werkelijkheid in haar gewone voorkomen symbool. Dat betekent dat de gewone werkelijkheid het wezen aanneemt van een visionnair motief.” (geziteert uit: “Boek en Kunst”)
  9. Silvana Mariani: O Canto do Mar: Die Ästhetisierung von Realität?: Reflexionen über den Realismus bei Alberto Cavalcanti. 2017.
  10. so in Yvette, La P'tite Lily (beide 1927) und Le petit chaperon rouge (1929)
  11. mit Außendrehs in Pernambuco, vgl. O Canto do Mar bei pt.wiki (portugiesisch)
  12. NDR, Redaktion Film und Theater, Leitung Hans Brecht, vgl. Prox, Stummfilmvertonungen S. 30.