Benutzer:HerbertErwin/Tierphilosophie

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Die Tierphilosophie (engl. philosophy of animal minds) befasst sich mit dem Unterschied zwischen Mensch und Tier (Anthropologische Differenz), den mentalen Fähigkeiten von Tieren (Geist der Tiere) und unserem moralischen Verhältnis zu den Tieren (Tierethik).

Tiere spielen in der Philosophie seit ihren Anfängen eine erhebliche Rolle. Sowohl Aristoteles als auch Descartes stehen unter dem Anspruch, den Menschen eindeutig vom Tier zu unterscheiden. Die Beantwortung der Frage „Was ist der Mensch?“, die zu den großen Leitfragen der Philosophie gehört, verläuft wesentlich über die Unterscheidung des Menschen vom Tier.

Anthropologische Differenz[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Begriff „Anthropologische Differenz“ bezeichnet ein bestimmtes (kognitives, soziales, moralisches, religiöses) Merkmal, das den Menschen vom Tier grundlegend vom Tier unterscheidet. [1] Die Anthropologischen Differenz stellt eine der Grundunterscheidungen der Philosophie und der Kultur dar. Ihre Erkundung ist das Hauptanliegen der Philosophischen Anthropologie, der es – nach der bekannten Formulierung von Max Scheler – um die „Sonderstellung des Menschen im Kosmos“[2] geht. Immanuel Kant war der Ansicht, dass die anthropologische Frage „Was ist der Mensch?“ - in der die drei philosophischen Grundfragen „Was kann ich wissen?“, „Was soll ich tun?“ und „Was darf ich hoffen?“ letztlich wurzeln[3] - nur mit Blick auf den Unterschied zwischen Mensch und Tier beantwortet werden kann.

Historische Positionen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Philosophiegeschichte wird die Frage, ob es einen entscheidenden Unterschied zwischen Mensch und Tier gibt, von Anfang an kontrovers diskutiert. Während unter anderem von Aristoteles, Descartes, Heidegger und in der gegenwärtigen evolutionären Anthropologie die These einer anthropologische Differenz vertreten wird, wird sie z.B. von Sextus Empiricus, Montaigne, Hume, Darwin und Derrida bestritten.

Antike[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ausgangspunkt der europäischen Debatte war Aristoteles. Er bestritt, dass Tiere Vernunft besitzen [4]. Der Mensch unterscheide sich von anderem Lebendigem darin, dass er eine rationale Seele hat, die erst Denken und Wollen ermöglicht. Daher ist er auch in der Lage, ein Leben in gerechten Gemeinschaften zu führen, während dies bei Tieren nicht der Fall ist und sie daher auch nicht moralisch berücksichtigt werden müssen.

Im Gegensatz zu Aristoteles zieht die antike Skepsis die Anthropologische Differenz grundlegend in Zweifel. Der skeptischen Argumentation zufolge hat der Mensch wie die Tiere nur eine Perspektive auf die Welt. Es gibt keine neutrale Instanz, die darüber entscheiden könnte, welche Perspektive die Welt zutreffender wiedergibt [5].

Frühe Neuzeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Am Beginn der neuzeitlichen Diskussion steht Michel de Montaignes Verteidigung der Tiervernunft und seine Einebnung der Anthropologischen Differenz. In dem Essay Apologie für Raimundus Sebundus (1580)[6] zieht er die Anthropologische Differenz im Anschluss an die antike Skepsis radikal in Zweifel. Montaigne baut das skeptische Perspektivismus-Argument weiter aus. Er äußert darüber hinaus die Vermutung, dass den Tieren, deren Sinne sich von unseren menschlichen Sinnen unterscheiden oder diese sogar übersteigen, mehr Eigenschaften der Dinge zugänglich sein könnten und sie möglicherweise auch über eine erweiterte oder angemessenere Perspektive auf die Welt verfügen.

Die Diskussion um die Anthropologische Differenz entflammt vor allem mit Descartes’ Reaktion auf Montaigne. In Discours de la méthode (1637) drückt er die These aus, dass Tiere im Unterschied zu Menschen Maschinen seien, wenn auch lebendig und empfindungsfähig. Zur Erklärung ihrer Fähigkeiten genügen physiologische Mechanismen; die Annahme einer sensitiven Seele sei überflüssig. [7].

John Locke vertritt eine grundlegende kognitive Differenz zwischen Mensch und Tier. Ihm zufolge bezieht sich all unser Wissen auf Ideen (ideas), die letzlich aus der äußeren oder inneren Wahrnehmung und der Reflexion des Verstandes darauf entstammen. Während Tiere nur über Ideen von konkreten Dingen verfügen, sind Menschen imstande, abstrakte oder allgemeine Ideen zu bilden.

David Hume kritisiert Lockes Position. Ideen sind für Hume stets partikular, es gibt für ihn kein spezifisch menschliches Verstandesvermögen, das der Bildung abstrakter Ideen fähig wäre. Er unterstreicht die Ähnlichkeit der kognitiven Vermögen von Mensch und Tier, um zu zeigen, dass es der Annahme eines besonderen Vernunftvermögens, das Menschen von Tieren unterscheidet, nicht bedarf. Hume stellt allerdings in moralischer Hinsicht eine Anthropologischen Differenz fest. So werde z.B. der Inzest von Tieren moralisch nicht verurteilt, von Menschen hingegen schon.

Moderne[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Während in der Folge des Empirismus und der Evolutionstheorie die Annahme einer Anthropologischen Differenz weitgehend fallen gelassen wird, entsteht mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts eine Gegenbewegung, die diese strukturell zu denken versucht: nicht eine besondere Fähigkeit wie die Sprache, das Denken, die Kultur oder die Moral unterscheide Menschen von Tieren, sondern das Verhältnis, das der Mensch zu sich selbst einzunehmen in der Lage ist.

Ein wichtiger Repräsentant dieses Ansatzes ist Hegel. Nach ihm unterscheiden wir uns von den nichtmenschlichen Tieren erst dadurch, dass wir uns unserer selbst bewusst werden. Der Geist wird sich dabei nicht einer essenziellen Natur des Menschen bewusst, sondern gibt sich selbst sein eigenes Wesen.[8]

Hegels struktureller Ansatz wird nicht nur von seinen Anhängern, sondern auch von seinen Kritikern fortgesetzt. So betont Sören Kierkegaard in Die Krankheit zum Tode (1849), dass der Mensch Geist, das heißt ein Selbst sei, das sich zu sich selbst verhält. Tiere würden zwar wie Menschen über einen Körper (Leib) und über psychische Zustände (Seele) verfügen. Das Spezifische des Menschen bestehe aber darin, dass er Leib und Seele zueinander in ein Verhältnis setzt.

Bei Friedrich Nietzsche wird der Mensch ebenso wie die Tiere als Triebwesen mit einer Naturgeschichte aufgefasst. Im Unterschied zu Tieren seien Menschen in der Lage, eine Vielfalt von Trieben auszubilden und diese Vielfalt einem dominanten Trieb unterzuordnen. Diese Struktur der Dominanz gehe jedoch stets mit Unterdrückung und Unterordnung einher. Bei Tieren finde man hingegen eine Vielfalt nicht integrierter Triebe, die keinem dominanten Trieb unterworfen sind, wobei je nach Situation ein anderer Trieb eine vorübergehend dominante Stellung übernehme. Jeder Trieb eines Lebewesens bilde eine eigene Perspektive bzw. Interpretation der Welt aus und strebe danach, diese auf Kosten anderer Triebe zum Ausdruck zu bringen.

Martin Heidegger arbeitet in Die Grundbegriffe der Metaphysik (1929/30) die Anthropologische Differenz in der Formel heraus, das Tier sei weltarm, der Mensch hingegen weltbildend. Demgemäß können wir Tiere nur als etwas verstehen, dem im Unterschied zu uns etwas fehlt.[9] Weil das Tier im Unterschied zum Menschen niemals etwas als etwas nimmt hat es keine Welt und ist so „durch einen Abgrund vom Menschen getrennt“.[10]

Gegenwart[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Giorgio Agamben und Jacques Derrida entwickeln ihre Kritik der Anthropologischen Differenz in Auseinandersetzung mit Heidegger.

Nach Giorgio Agamben wird in der Anthropogenese der Konflikt zwischen Humanem und Animalischem ausgetragen [11] Der mit der Anthropogenese einhergehende Konflikt ist der entscheidende politische Konflikt in unserer Kultur. Diese Beziehung manifestiert sich in unserem Umgang mit dem Tier, das wir wirtschaftlich ausbeuten, umformen und gegen das wir gleichsam ununterbrochen Krieg führen.

Derrida kritisiert, dass mit dem Denken der Anthropologischen Differenz ein hierarchisch-binärer Gegensatz zwischen Mensch und Tier aufgebaut werde. Es werde mit dem Abstraktum „Tier“ eine abstrakte begriffliche, metaphysische Einheit konstruiert und im Diskurs verfügbar gemacht.

Die moderne Verhaltensforschung und insbesondere die Kognitive Ethologie [12] hat seit den 1970er Jahren eine Vielzahl an Untersuchungen zusammengetragen, die traditionelle Ansätze der Anthropologischen Differenz in Frage stellen. Für verschiedene Tier-Familien wie Menschenaffen, Delfinen, Papageien und Rabenvögeln wird dort allgemein davon ausgegangen, dass es sich um denkende, soziale, selbstbewusste, kulturbildende und strukturiert kommunizierende Wesen handelt. [13] Aus diesem Grund wird von einigen Autoren auch die Forderung nach gewissen Persönlichkeitsrechten für Mitglieder dieser Familien erhoben. [14]

Geist der Tiere[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Frage, ob zumindest einige Tiere einen Geist besitzen, der mit dem menschlichen vergleichbar ist, wird in einer ganzen Reihe von Disziplinen diskutiert wie der Evolutionstheorie, Neurophysiologie, Verhaltensforschung, Psychologie, Linguistik und der Philosophie. Der Beitrag der Tierphilosophie zu dieser Fragen besteht in erster Linie in der Klärung dessen, was es überhaupt heißt, geistige Eigenschaften zu besitzen, und welche Bedingungen ein Organismus erfüllen muss, damit ihm solche Eigenschaften zugeschrieben werden können.

Zum Geist der Tiere gibt es grundsätzlich zwei konträre Meinungen. Differentialisten zu Folge bestehen zwischen Mensch und Tier, was den Geist anbelangt, wesentliche qualitative Unterschiede. Assimilationisten halten dagegen, die Unterschiede zwischen Mensch und Tier seien selbst in dieser Hinsicht nur quantitativ; sie diagnostizieren eine Kontinuität bezüglich der geistigen Fähigkeiten zwischen dem Menschen und den höheren Tieren.

Tierethik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Zentrum der Tierethik steht die Frage nach dem moralischen Status von Tieren. Während in der philosophischen Tradition überwiegend die moralische Sonderstellung der Menschen gegenüber den Tieren betont wurde, wird diese von einem großen Teil der Tierethiker in Frage gestellt. Es lassen sich gegenwärtig unterschiedliche Ansätze der Tierethik unterscheiden. Sogenannte Welfarists zielen darauf ab, das am Wohlbefinden (engl. welfare) der Tiere orientierte Tierschutzniveau Schritt für Schritt zu heben. Sie konzentrieren sich dabei meist auf die Verbesserungen innerhalb der Tiernutzung, wobei die Nutzung von Tieren nicht grundsätzlich abgelehnt wird. Abolitionists zielen demgegenüber auf die Abschaffung (engl. abolition) der Nutzung von Tieren zu menschlichen Zwecken.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Roland Borgards (Hrsg.): Tiere. Kulturwissenschaftliches Handbuch. Metzler Stuttgart 2016
  • Reinhard Brandt: Können Tiere denken? Ein Beitrag zur Tierphilosophie, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2009
  • Robert W. Lurz (Hrsg.): The philosophy of animal minds. Cambridge, Cambridge University Press 2009
  • Markus Wild: Tierphilosophie zur Einführung. Junius, Hamburg 2008

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Anmerkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Vgl. Markus Wild: Anthropologische Differenz. In: Roland Borgards (Hrsg.): Tiere. Kulturwissenschaftliches Handbuch. Metzler Stuttgart 2016, S. 49-59
  2. Max Scheler: Die Stellung des Menschen im Kosmos. Bonn 2010 [1928], S. 7
  3. Immanuel Kant: Logik [1800]. Berlin 1923 [Akademie-Ausgabe Bd. 9], S. 25
  4. Aristotels: Politik 1, 2 1253 b–c
  5. Vgl. Sextus Empiricus: Grundriss der pyrrhonischen Skepsis. Hg. und übers. von Malte Hossenfelder. Frankfurt a. M. 1968 [zw. 180 und 200]
  6. Vgl. Michel de Montaigne: Essais. Frankfurt a. M. 1998 [1580/1588], S. 223 ff.
  7. Vgl. Alex Sutter: Göttliche Maschinen. Frankfurt a. M. 1988; Markus Wild: Die anthropologische Differenz. Der Geist der Tiere bei Montaigne, Descartes und Hume. Berlin/New York 2006
  8. Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik I [1817 ff.]. Hg. von E. Moldenhauer und K. M. Michel. Frankfurt a. M. 1969 [Werkausgabe Bd. 13], S. 112
  9. Heidegger, Martin: Grundbegriffe der Metaphysik [1929/30]. Frankfurt a. M. 2004, S. 307
  10. Martin Heidegger: Grundbegriffe der Metaphysik[1929/30]. Frankfurt a. M. 2004, S. 384
  11. Vgl. Giorgio Agamben: Das Offene. Der Mensch und das Tier. Aus dem Italienischen von Davide Giuriato. Frankfurt a. M. 2003 (ital. 2002), S. 88.
  12. Vgl. Shettleworth, Sara J.: Cognition, Evolution and Behavior. Oxford 2012.
  13. Vgl. Van Horik, Jayden O./Clayton, Nichola S./Emery, Nathan J.: Convergent evolution of cognition in corvids, apes and other animals. In: Jennifer Vonk/Todd K. Shackelford (Hg.): The Oxford Handbook of Comparative Evolutionary Psychology. Oxford 2012, 80–101.
  14. Vgl. Thomas I. White: In Defense of Dolphins. The New Moral Frontier. Malden 2007; Gary L. Francione: Animals as Persons. Essays on the Abolition of Animal Exploitation. Columbia 2008


Kategorie:Philosophische Disziplin