Benutzer:Joachim Schnitter/Teilautonome Arbeitsgruppen

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Teilautonome Arbeitsgruppen (TAG) sind Arbeitsgruppen eines (Wirtschafts-)Betriebes, deren Mitglieder eine begrenzte Aufgabenstellung gemeinsam bearbeiten, wobei sie gleichzeitig für die Organisation, Planung und Erarbeitung der geforderten Ergebnisse verantwortlich sind. Entscheidendes Kriterium für das Vorliegen solcher Arbeitsgruppen stellt die Autonomie bei der Entscheidung dar, wie viel Arbeitszeit jedem Arbeitsschritt zugestanden wird. Die „Hoheit über die Zeit“ wird also nicht mehr allein von Management oder technischen Arbeitstakten ausgeübt. Vielmehr sind die technischen Arbeitstakte den Möglichkeiten der TAG anzupassen, und das Management hat diese Grenzen zu respektieren. Teilautonomie in der Arbeitswelt wird besonders dort angestrebt, a) wo sich die Anforderungen oft und rasch ändern, b) oder wo monotone Arbeit die Mitarbeitergesundheit gefährdet und c) zu einer Entfremdung der Menschen von der Arbeit und somit zu abnehmender Produktqualität führt, sowie d) wo nicht alle Gruppenmitglieder über bestimmte, gelegentlich hilfreiche Spezialkenntnisse verfügen.

Der Begriff wird vorwiegend im Bereich der Fertigungsindustrie benutzt. Allerdings lassen sich die Organisationstechniken des Lean Management und der Agilen Softwareentwicklung, soweit sie einzelne Arbeitsgruppen („Teams“) betreffen, ebenfalls darunter einordnen. Forschungsteams arbeiten häufig teilautonom unter Verwendung von Methoden der beiden genannten Organisationstechniken. Die Autonomie betrifft dort häufig auch die Entscheidungsfreiheit über ein gewisses Budget.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das von Frederick Winslow Taylor (1856–1915) entwickelte Managementkonzept des Scientific Management (deutsch Wissenschaftliche Betriebsführung) ist eine der frühesten wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit Fragen der Betriebsorganisation. Taylor meinte, Management, Arbeit und Unternehmen mit einer rein wissenschaftlichen Herangehensweise optimieren zu können, um dadurch soziale Probleme zu lösen sowie „Wohlstand für alle“ zu erreichen. Im Gegensatz dazu standen Praktiken, die mit Taylors Methoden der Planung, Arbeitszeitbemessung und Entlohnung vor allem das Ziel der Gewinnmaximierung verfolgten und Taylors Ziele karikierten. Der Begriff des Taylorismus wird heute vorwiegend im Kontext der Kritik an Praktiken verwendet, die sich Taylors Methoden, nicht aber dessen Menschenbild bedienen.

In Deutschland wurde 1924 der REFA, der Reichsausschuß für Arbeitszeitermittlung, gegründet. Seine Wurzeln liegen in einer Initiative des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI), der 1921 zur Untersuchung technisch-wirtschaftlicher Probleme einen Ausschuss für wirtschaftliche Fertigung (AWF) gründete. Er trat auf als Unternehmensberatung, die Unternehmen bei der Umsetzung des Scientific Management unterstützte. In dieser Rolle existierte der REFA im Spannungsfeld zwischen den Unternehmen, deren Verbänden, den Gewerkschaften und der Reichsregierung, das sich mit den zerstörerischen Wirtschaftskrisen der 1920er-Jahre verschärfte. Die Nationalsozialisten gliederten den REFA in die Deutsche Arbeitsfront ein und unterdrückten Kritik am REFA.

Ein Beispiel der Rezeption der Arbeitswelt in jener Zeit stellt Charlie Chaplins Film Moderne Zeiten von 1936 dar.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es in allen Industriestaaten zu einer Neubewertung von Organisationsmethoden, die u. a. einer zunehmenden Demokratisierung der Gesellschaften Rechnung tragen sollten. Der Krieg hatte überall zu Verlusten vorwiegend männlicher Arbeiter geführt und die in der Kriegswirtschaft beschäftigten Frauen ausgebrannt, so dass die Produktion zur Restauration der Lebensverhältnisse besonders nach Optimierung der Methoden verlangte. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich in den 1960er-Jahren die gewerkschaftliche Forderung nach mehr Freizeit, der durch steigende Automatisierung und somit höhere Produktivität stattgegeben werden konnte, denn die Möglichkeiten der Automatisierung waren durch die technischen Entwicklungen zu Kriegszwecken noch einmal deutlich gesteigert worden. Die Auswirkungen dieses Automatisierungsschubs hatten jedoch längerfristig zur Folge, dass die Identifikation der Arbeiter mit ihren Arbeitsergebnissen sank (sie taten bloß noch, was die Maschinen noch nicht konnten), was zu psychosomatischen Krankheiten, hohen Kündigungsraten und Qualitätsproblemen führte.

In Europa gab es in den 70er-Jahren erste Versuche beim Automobilhersteller Volvo, der Entfremdung Einhalt zu bieten, indem die Fließband- durch Gruppenarbeit ersetzt wurde.[1] Waren diese Umstellungen nicht in jeder Hinsicht erfolgreich, so gaben sie jedoch Anlass zu weiterer Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Grenzen menschlicher Produktivität. Im Zentrum der Verbesserungsideen stand die Anreicherung der Arbeit durch vielfältigere Tätigkeiten („Jobenlargement“) sowue mehr Verantwortung und Entscheidungsspielraum („Jobenrichment“).

In Japan erfolgte eine ähnliche Innovation aus einer anderen Motivation heraus. Dort herrschte zum einen schon vor dem Krieg Rohstoffknappheit, zum anderen versuchten die USA, durch ihre Isolationspolitik die japanische Konkurrenz im Automobilbau zu verhindern. Selbst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erhielt Japan keine wirtschaftliche Hilfe aus den USA, und so mussten die japanischen Unternehmen mit bescheidenen Mitteln die Automobilproduktion wieder aufnehmen. Da die Ressourcen knapp waren, musste man mit dem Vorhandenen sehr sparsam umgehen und mit organisatorischen Mitteln versuchen, Prozesse und Abläufe zu optimieren und zugleich die Qualität zu steigern. Diese Überlegungen legten die Basis für das Toyota-Produktionssystem (TPS) und das Lean Management. Beim TPS stehen die Verhinderung von Verschwendung und die ständige Verbesserung (nicht allein die quantitative Optimierung) im Mittelpunkt. Die Verantwortung dafür wird jedem einzelnen Mitarbeiter übertragen, der dafür Einfluss auf den gesamten Produktionsprozess gewinnt. Sowohl symbolisch als auch praktisch steht dafür Andon, ein System aus Anzeigetafeln und Not-Aus-Schaltern („Andon-Chord“), mit dem bei einer Qualitätsabweichung ein Mitarbeiter den gesamten Produktionsprozess anhalten kann. Insgesamt wird beim TPS die Verantwortung für die Qualität und Materialeinsparung weitestgehend delegiert. Unterstützt wird dieses Vorgehen durch zahlreiche Praktiken, die die traditionelle, militärischen Strukturen nachgebildete Managementhierarchie durchbrechen. Das Management wird dazu von einer Befehlsgeberrolle (Forderer) in eine Unterstützerrolle (Förderer) weiterentwickelt. Bekannte Prinzipien des TPS sind der Respekt den Menschen gegenüber und die ständige Verbesserung. Beide Prinzipien lassen sich durch die Praxis teilautonomer Arbeitsgruppen realisieren.

Praxisaspekte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bei Vergleichen mit westlichen Arbeitspraktiken ist zu berücksichtigen, dass die japanische Grundeinstellung zur Arbeit nicht mit der deutschen vergleichbar ist. Japan ist eines der kollektivistisch am stärksten geprägten Länder. Japaner sehen sich oft nicht so ausgeprägt als Individuum, sondern eher als Teil einer Gruppe. Hier ist die Gruppe Mittel zur Individualisierung. Das japanische Erfolgskonzept kann deshalb nicht ohne Weiteres übertragen werden. In der Theorie gelten teilautonome Arbeitsgruppen als das „non plus ultra“ moderner Personalentwicklung. In der Praxis sind die Strukturen der Gruppen allerdings mitunter kritisch zu betrachten, da Gruppenmitglieder aus verschiedenen Intentionen einer Arbeitsgruppe beitreten können. Daher ist es sinnvoll, die Kompetenzen der TAG auch auf die Personalauswahl auszudehnen, was entsprechende Koordinationskompetenzen seitens der Personalwirtschaft erfordert.

Unterstützend wirkt ein konkretes Interesse seitens der Beschäftigten an der Aufgabenstellung und eine jeweils besondere individuelle Qualifikation. Verfügen alle Gruppenmitglieder über vergleichbare Qualifikationen, dann sind sie untereinander austauschbar, was einerseits durch die Redundanz eine höhere Prozessqualität erzeugt, andererseits zu Problemen wie dem Trittbrettfahrer-Effekt, Ringelmann-Effekt, und sozialem Faulenzen führen kann. Individuelle Fähigkeiten, wenn sie einsetzbar sind, führen zu höherer Anerkennung und weniger Trittbrettfahrern. Daneben besteht die Gefahr, dass Unternehmensführungen das arbeitsorganisatorische Konzept der TAG als Mittel zur kurzfristigen Profitmaximierung missverstehen, oder versuchen, TAG ohne die notwendige Vorbereitung und Bereitschaft zur Delegation von Aufgaben einzuführen.

Nicht zu vergessen sind „konservative“ Mitarbeiter, die mit ihrer Arbeit bislang zufrieden waren (Problematik der Arbeitszufriedenheit). Werden diese vom Management unter mangelhafter Einfühlungskompetenz genötigt, in einer Arbeitsgruppe erweiterte Aufgaben wahrzunehmen, so kann sich besonders bei älteren Mitarbeitern oder geringfügig Beschäftigten Angst verbreiten, dass sie die neuen Anforderungen nicht mehr erfüllen können. Die drei Schlagwörter „Jobrotation“, „Jobenrichment“ und „Jobenlargement“ sind aus arbeitswissenschaftlicher wie auch aus personalwirtschaftlicher Sicht positiv zu sehen, haben aber neben den Vorteilen höherer Flexibilität und Reagibilität auf Kunden- und Marktanforderungen wegen einer erhöhten Redundanz im System unter anderem den Nachteil, dass neue, unproduktive Einarbeitungszeit entsteht. Arbeitspolitik und -verwaltung der meisten Länder stellen hierfür in der Regel Förderinstrumente bereit, die von Personalverantwortlichen mit der Bereitschaft zur Informierung genutzt werden können. Auf längere Sicht können bei sachkundiger Einführung die deutlichen Vorteile eventuelle Nachteile für das Unternehmen überwiegen.

Kategorie:Arbeitsstudium Kategorie:Mitarbeiterbeteiligung Kategorie:Form einer sozialen Gruppe Kategorie:Soziologie der Arbeit

  1. https://www.deutschlandfunk.de/schoene-neue-arbeitswelt-bei-volvo-100.html Deutschlandfunk: Schöne neue Arbeitswelt bei Volvo.