Benutzer:Jpascher/Hybrid-Windkanal

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Die konventionelle Windkanaltechnik stößt an Leistungsgrenzen, die in der kinematischen Umkehr der Bewegungsverhältnisse ihre Ursche haben. Der Hybrid-Windkanal (HWK) ist ein Versuchsanlagenkonzept zur wirtschaftlichen Durchführung aerodynamischer Modell-Messungen bis zum transsonischen (schallnahen) Geschwindigkeitsbereich.Die Anströmung setzt sich aus zwei Komponenten zusammen (Hybridprinzip): Dem Fahrtwind als Hauptkomponente und Blaswind bei höheren Anströmgeschwindigkeiten.

Historie der Strömungsversuchstechnik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Flugpionier Otto Lilienthal benutzte zur Ermittlung der Strömungskräfte an seinen Flügelmodellen einen Rundlauf. Die Bewegung des Modells auf einer Kreisbahn im eigenen Nachlauf war jedoch sehr störend. So wurden dann mit Beginn der Flugtechnik an der Schwelle zum 20. Jh. auch die ersten Windkanäle der verschiedensten Bauweisen entwickelt. Die hiermit vollzogene Umkehrung der Bewegungsverhältnisse: Modell in Ruhe – Gas bewegt, wurde diktiert durch den Stand der damaligen Messtechnik mit außerhalb der Messstrecke gelegenen Windkanalwaagen zur Messung der Strömungskräfte und Manometern für Druckverteilungsmessungen. Diese Inversion der Kinematik ist extrem energieaufwändig, zumal wenn im Modellversuch die gasdynamischen Ähnlichkeitsgesetze beachtet werden. Der heutige Stand der Meßtechnik in Verbindung mit neuen Technologien der Antriebstechnik Linearmotor eröffnen Auswege aus diesem Dilemma.

Anforderungen an die Simulationsbedingungen (Ähnlichkeitsgesetze)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Machzahl ist das Verhältnis der Anströmgeschwindigkeit u zur Schallgeschwindigkeit a des Testfluids (im Folgenden immer als Stoffgröße verstanden).

Diese Kennzahl erfasst den Kompressibilitätseinfluss und den Strömungscharakter bei Annäherung und Überschreitung der Schallgrenze.

Die Reynoldszahl

steht für die originalgetreue Simulation der Wechselwirkung der wandnahen Reibungs-Grenzschicht mit der Außenströmung um das Testobjekt. In der Kennzahl bedeutet l ein charakteristisches Längenmaß (z.B. die mittlere Profiltiefe der Tragfläche). Im Nenner steht die kinematische Zähigkeit ν des Testfluids. Die Duplizierung der Reiseflug-Re-Zahl eines modernen Düsenjets im Windkanal bei bodennahen Testgas-Stoffwerten von Schallgeschwindigkeit a und kinematischer Zähigkeit ν erfordert einen Modellmaßstab von ca. 1:3.

Zur Umgehung dieses unlösbaren Maßstabsproblems hatte man in der Vergangenheit am Tragflügel des Versuchsmodells an der entsprechenden Stelle, wo man am Original den Umschlag der laminaren in die turbulente Grenzschicht etwa vermutete, lokale Rauigkeiten (Turbulenzstreifen) aufgebracht zur künstlichen Auslösung des Grenzschicht-Umschlages. Es zeigte sich jedoch, dass diese Behelfsmaßnahme zu Fehl-Ergebnissen führte. So wurde der Ruf nach Windkanälen laut, mit denen die Simulation von Original-Reynoldszahlen von Großflugzeugen bei akzeptablem Modell-Maßstab möglich wurde.

Problematik und Stand der Windkanal-Versuchstechnik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die kinematische Zähigkeit ν von Gasen ist umgekehrt proportional dem Druck.

Somit kann in Überdruck-Windkanälen der Modellmaßstab reduziert werden. Aus Gründen der Festigkeit des Modells und dessen elastischer Deformation setzt ein Betriebsdruck von maximal etwa 5 bar eine Obergrenze. Daraus ergibt sich zur Simulation von Original-Reynoldzahlen ein Modellmaßstab von 1/ 3*5 = 1:15.

Die im Nenner der Reynoldzahl stehende kinematische Zähigkeit ν kann außer über den Druck auch durch Absenkung der Betriebstemperatur des Windkanals weiter reduziert werden (Kryo-Windkanäle). Mit einer Temperaturabsenkung sinkt auch die Schallgeschwindigkeit a des Testgases und damit auch die erforderliche Strömungsgeschwindigkeit u in der Windkanal-Messstrecke zur Mach-Zahl-Simulation.

Der Leistungsbedarf eines Windkanales wächst mit der dritten Potenz der Strömungsgeschwindigkeit u in der Messstrecke. Wegen der niedrigeren Strömungsgeschwindigkeiten u ist der Leistungsbedarf bei Kryo-Windkanälen deutlich niedriger als bei vergleichbaren konventionellen Versuchsanlagen. Beim Europäischen Transsonik-Windkanal ETW liegt er bei 50 MW. Diese in den Kanalkreislauf eingebrachte äquivalente Wärmemenge von max 50 MW muss jedoch auf niedrigem Temperaturniveau ständig abgeführt werden. Dies geschieht durch Einspritzen von mehreren hundert Kilogramm Flüssigstickstoff LN2 (=Testmedium) pro Sekunde. Der verdampfende Flüssigstickstoff wirkt als Wärmesenke zur Abführung der über die Wellenleistung des Windkanalgebläses in den Kreislauf eingebrachten Wärme. Die Flüssigstickstoff-Mengen werden dazu vor Versuchsbeginn in einem großen Flüssiggas-Speicher bereitgestellt. Würde man den flüssigen Kühlstickstoff simultan beim Kanalbetrieb produzieren, wäre dafür ein Leistungsaufwand bis zum 25- fachen der Windkanal-Gebläseleistung erforderlich. Diese Energiebilanz zeigt, dass das Kryo-Konzept das Problem des großen Energieaufwandes der Windkanal-Versuchstechnik nicht löst.

Die Ursache dieses immensen Energieaufwandes in der Windkanal-Versuchstechnik liegt in der hier praktizierten kinematischen Umkehr der Bewegungsverhältnisse. Bei üblichen Test-Konfigurationen liegt das Verhältnis der Windkanal-Antriebsleistung zur rechnerischen „Schleppleistung“ des Testmodells (Modellwiderstandskraft W * Anströmgeschwindigkeit u) in der Größenordnung von ca. 400 : 1. Selbst wenn man beim Wechsel der kinematischen Bewegungsverhältnisse bei der Schlepptechnik einen Zusatzwiderstand für den Messschlitten vom 10–15 fachen der Testmodell-Widerstandskraft annimmt, bleibt ein beachtliches Energie-Einsparpotential. Die messtechnischen Zwänge aus der Frühzeit der Windkanaltechnik existieren bei dem heutigen Stand der Messtechnik mit internen Waagen und Druckscannern nicht mehr. Neue Technologien wie die Linearmotor-Technik in Verbindung mit der Supraleitung sowie elektromagnetische Beschleuniger (rail-gun) eröffnen auch der aerodynamischen Versuchstechnik neue Perspektiven.

Konzept des Hybrid-Windkanals[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Datei:Modell eines Hybrid-Windkanales.jpg
Modell eines Hybrid-Windkanales
Datei:Weg-Zeit-Diagramm des Hybrid-Windkanales.jpg
Weg-Zeit-Diagramm

Die Modell-Schlepptechnik muss zur Re-Zahl Simulation bei akzeptablen Modellgrößen in einem geschlossenen Überdruck-Kanal stattfinden. Anström-Machzahlen bis etwa Ma = 0,75–0,8 werden im reinen Schleppbetrieb erreicht. Für höhere Anströmmachzahlen wird eine Gegenströmung überlagert.

Dazu wird am Startpunkt des Schleppkanals ein kurzes Niederdruck-Saugrohr angefügt (siehe Weg-Zeit-Diagramm). Schleppkanal und Saugrohr sind getrennt durch ein Klappenventil. Beim schlagartigen Öffnen dieses Klappenventils entstehen zwei instationäre Druckwellen. In den Überdruck-Schleppkanal läuft eine sich auffächernde Expansionswelle. Quasi als „immaterielle Düse“ induziert diese Welle eine Gasströmung entgegengesetzt zur Wellen-Laufrichtung. Eine instationäre Stoßwelle bewegt sich indessen auf den Boden des Saugrohres zu und läuft nach Reflexion der Expansionswelle hinterher. Dabei begrenzt die reflektierte Stoßwelle den Gegenströmungskorridor stromab und rekomprimiert das Testgas wieder auf nahezu den Ausgangswert (immaterieller Diffusor). Die Geschwindigkeit der Gegenströmung im Korridor lässt sich durch das Ausgangs-Druckverhältnis am Klappenventil einstellen. Die Gegenströmung reduziert die Messschlitten-Geschwindigkeit und erlaubt transsonische Anströmbedingungen mit unkomplizierten radgestützten Versuchsträgern. Bei vorgegebener Messzeit verkürzt die Gegenströmung auch die Länge des Schleppkanals. Der energetische Aufwand für die Herstellung der Gegenströmung ist aus folgenden Gründen gering. Eine Unterschall-Strömung ist schon von Natur aus relativ energiearm. Hinzu kommt, dass im HWK diese Unterschall-Gegenströmung noch fortdauert, wenn der Gasabfluss in das Saugrohr mit der Ankunft der reflektierten Stoßwelle am Ort des Klappenventils schon beendet ist.

Bezüglich des Investitionsaufwand für einen solchen Hybrid-Windkanal bietet sich ein Vergleich mit einem Speicherwindkanal an. Bei dem Ausschreibungswettbewerb für den Europäischen Windkanal hoher Re-Zahl wurde für die intermittierend nach dem blow- down Prinzip arbeitenden Windkanalkonzepte eine Messzeit von 10 Sekunden gefordert. In dieser Kategorie war der Rohrwindkanal (oder Ludwieg-tube) ein Konzept, das sich durch Einfachheit (keine Druck- und Temperaturregelung erforderlich) auszeichnet. Wie beim Hybrid-Windkanal wird auch beim Rohrwindkanal die Strömung durch eine instationäre Expansionswelle vorbeschleunigt, dann aber in einer konventionellen Windkanaldüse nachbeschleunigt. Die instationäre Expansionswelle durchläuft ein kilometerlanges Druckspeicherrohr in beiden Richtungen. Die Messzeit ergibt sich aus dieser Wellenlaufzeit.

Beim Rohrwindkanal wird das Volumen des Druckspeicherrohres optimal genutzt und kann somit kleiner als bei vergleichbaren konventionellen Druckspeicher-Windkanälen ausgeführt werden (am Ende der Messzeit ist der Gasdruck im Speicherrohr niedriger als der Ruhedruck der Gasströmung in der Messstrecke während der gesamten Messzeit).

Vergleicht man nun Ludwieg-Rohr und HWK auf der Basis gleicher Baumasse für die Rohre (rohes Maß für den Investitionsaufwand), so kann der Hybrid-Schleppkanal bei gleicher Messzeit von 10 Sekunden dank des niedrigeren Druckniveaus mit einem etwa 4,5 fach größeren Kanalquerschnitt realisiert werden. Damit wird auch das Problem der Wandinterferenz, Windkanalkorrekturen weitgehend eliminiert.

Eine Röhrenbauweise ist jedoch nicht zwingend. Alternativ kann ein Hybrid-Windkanal auch in Tunnelbauweise ausgeführt werden.

Einfluss der Schallgeschwindigkeit des Testgases[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Testgase mit niedriger Schallgeschwindigkeit a reduzieren die Schleppgeschwindigkeit und damit auch die Länge Schleppkanals. Niedrige Schallgeschwindigkeiten a sind erzielbar durch Wahl eines schweren Testgases mit hoher Dichte ρ und/oder durch Absenkung der Gastemperatur T (Kelvin):

mit κ Adiabatenexponent , p Druck, R Gaskonstante.

Beide Maßnahmen reduzieren auch den Leistungsbedarf. Dieser geht mit der dritten Potenz der Geschwindigkeiten von Gas und Schlitten ein. Somit bringen auch schon kleine über die Absenkung der Testgas-Schallgeschwindigkeit erreichte Minderungen des Geschwindigkeitsniveaus große Energie-Einspareffekte. Ein weiterer vorteilhafter Effekt ist die Erhöhung der Reynoldszahl durch Reduktion der im Nenner der Kennzahl stehenden kinematischen Zähigkeit ν.

Schwere Gase als Testgas[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In den 1950er Jahren wurden im NACA-Lewis Center USA bei der Untersuchung von Überschall–Axialverdichtern Difluordichlormethan (CF2 Cl2 Handelsnamen: Freon 12, Frigen 12) eingesetzt. Dieses inzwischen wegen Ozonschichtabbaus verbotene schwere Gas weist schon bei Normaltemperatur eine etwa halb so große Schallgeschwindigkeit von Luft auf bei einem κ-Wert von 1,15. Bei diesen Verdichter-Untersuchungen ging es um den qualitativen Vergleich verschiedener Baukonzepte. In der Windkanal-Versuchstechnik ist eine solch starke Abweichung des Adiabatenexponenten des Testgases von dem der Luft nicht tolerabel. Unsere irdische Atmosphäre besteht im Wesentlichen aus zweiatomigen Gasen mit gaskinetisch 5 Freiheitsgraden f (drei translatorische, zwei rotatorische). Daraus resultiert der in der Gasdynamik relevante Adiabatenexponent κ für Luft zu:

(kalorisch perfekt).

Die bei Windkanal-Untersuchungen tolerierbare Abweichung des Adiabatenexponenten von dem in der Atmosphäre vorgegebenen Wert hängt stark von der Testmachzahl ab. So spielt der κ-Wert etwa bei Simulation von Start- oder Landekonfigurationen im Modellversuch bei Machzahlen um Ma ~ 0,3 praktisch keine Rolle. Auch bei Reiseflugmachzahlen um Ma = 0,9 bleibt der Einfluss noch minimal, um dann bei Überschall-Machzahlen zunehmend gewichtiger zu werden.

Bei weniger schweren Gasen als dem genannten Frigen 12 ist naturgemäß deren Adiabatenexponent näher bei dem der atmosphärischen Luft. Durch Zumischung von Luft kann der κ-Wert auf einen für den Test tolerablen Wert abgestimmt werden. Als lästiges Abfallprodukt fällt in Kohlekraftwerken Kohlendioxyd CO2 an. Wegen seines Treibhauseffektes soll es künftig im CCS-Verfahren (Carbon Capture and Storage) verflüssigt und in Erdschichten endgelagert werden. Bei Verwendung von CO2 als Testgas in aerodynamischen Versuchsanlagen müsste es nicht eigens dafür produziert werden. Die Verwendung in einem geschlossenen Schleppkanal wäre auch nicht umweltschädlich.

Anwendung der Kryotechnik im HWK[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die beim Schleppvorgang in den Hybrid-Windkanal eingebrachte Wärme ist infolge der Dominanz der Fahrtwind-Komponente um Größenordnungen niedriger als in der Kryo-Windkanaltechnik. Diese beim HWK stark reduzierte Prozesswärme muss außerdem nicht simultan abgeführt werden, sondern kann in der Zeitspanne zwischen den Messläufen erfolgen. Dem steht jedoch im Vergleich zum Kryo-Windkanal eine größere Kanaloberfläche gegenüber. Der Wärmefluss durch diese Oberfläche ist eine Frage des Isolationsaufwandes.

In der Tabelle sind die wesentlichen Stoffwerte von Testgasen bei einem Gasdruck von 3 bar und verschiedenen Gastemperaturen zusammengestellt. Über das Mischungsverhältnis CO2 / Luft können die κ- und z-Werte auf für den Versuch tolerierbare Werte eingestellt werden (Beispiel in der Tabelle für ein Masseverhältnis CO2/Luft 1:1). In der letzten Spalte der Tabelle ist das reziproke Zähigkeitsverhältnis bezogen auf die Zähigkeit des Referenzgases der ersten Zeile aufgeführt. Um diesen Faktor erhöht sich die Reynoldszahl (nur Zähigkeitseinfluss).

Medium Temperatur
[K]
Schallgeschw.
a [m/sec]
Adiabatenexp.
κ
Kompr.-Faktor
z
Referenz-Zähigk.
1/ν'
N2 300 341 1,40 1 1
N2 120 219 1,46 0,965 5,19
CO2 300 270 1,31 0,985 1,92
CO2:Luft (1:1) 300 302 1,35 0,99 1,42

Der Kompressibilitätsfaktor z ist ein in die Gasgleichung p/ρ = z R T eingeführter Korrekturfaktor bei Abweichung vom thermisch perfekten Gas (z=1).

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Hottner, Th.: Hybridtechnik zur Erzeugung transsonischer Anströmungen hoher Reynoldszahl. Z. Flugwiss. 22 (1974).
  • Hottner, Th.: Experimental investigation of a hybrid wind tunnel model. Experiments in Fluids 7 (1989).
  • Hottner, Th.: Theoretical and experimental investigations of wall adaptation control in wind tunnel and hybrid wind tunnel testing. Experiments in Fluids 19 (1995).

[[Kategorie:Windkanal]]