Benutzer:K.bunzel/Heines Verhältnis zu Napoleon

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Vorwort

Mit keiner anderen Person setzte Heinrich Heine sich in seinen Werken so intensiv und nachhaltig auseinander wie mit Napoleon Bonaparte. Hierbei verschmelzen jedoch Huldigung und Kritik derartig miteinander, dass es schwierig und beinahe unmöglich wird, den einen Napoleon klarer zu fassen. Denn während Heine ihn als Kind und Fortsetzer der französischen Revolution, als Verbreiter der Ideale Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, als Verkünder der menschlichen Emanzipation und als Kämpfer für Gerechtigkeit und Gleichheit darstellt, wird er kurz darauf als tyrannischer Despot, als Eroberer und Unterdrücker verurteilt. Für Heine ist Napoleon ein Mann der Idee, der glorreichen und Welt verändernden Idee und der Kaiser, der durch seine Machtergreifung die Freiheit verraten hatte. Bei der Untersuchung des Napoleonbildes Heinrich Heines und dessen Klärung sollen daher neun Werke, die im Zeitraum zwischen 1822 und 1854 entstanden waren und die sich direkt und unvermittelt auf die Person Napoleon Bonaparte beziehen, analysiert und gedeutet werden. Jedoch ergibt sich aus diesem Konzept im Vorfeld ein weitläufiges Problem, da die eine Aussage die andere aufhebt, negiert und auch ad absurdum führt. Folglich ist der eine Napoleon auf diese Art und Weise noch nicht greifbar. Daher muss der historische Kontext, in dem sich die einzelnen Werke befinden, genauer dargelegt werden. Denn die persönliche Situation Heines als auch die politischen und gesellschaftlichen Konstellationen haben direkten Einfluss auf den Entwurf dieses Bildes, der sich in seinen Werken abzeichnet. Jedoch darf hierbei auch das geschichtsphilosophische Denken Heines, welches somit Rückschlüsse auf das jeweilige Bild von Napoleon ermöglicht, nicht außer Acht gelassen werden und muss kurz Erwähnung finden. Somit soll bei dieser Analyse des Napoleonbildes Heinrich Heines ein Dreiklang aus Werk, Zeit und geschichtsphilosophischem Denken entstehen, der es ermöglicht, Heines Napoleon, mit seinen vielfältigen Facetten und gegensätzlichen Dispositionen, ein wenig greifbar zu machen. Auch soll die Entwicklung, Erneuerung und Entfaltung dieses Bildes, die sich zwischen den ersten literarischen Anfängen bis zum Lebensende Heines vollziehen, näher geprüft und dargestellt werden. Der eine Napoleon wird zwar auch dadurch nicht vollkommen fassbar werden, aber dies ist wohl auch die Intention Heines: Napoleon, als Individuum und als Idee, der aus der üblichen und regulären Dimension des 19. Jahrhunderts hervorragt; und der Versuch dieser Zeit, eine neue Sinnstiftung zu übertragen.

Siglenverzeichnis:

In der nachstehenden Arbeit wurden folgende Siglen benutzt:

DHA = Heine, Heinrich: Historisch-Kritische Gesamtausgabe der Werke. Hg. von Manfred Windfuhr.

Berücksichtigt wurde auch die digitalisierte Version der DHA des Heinrich-Heine-Portals, URL: http://germazope.uni-trier.de/Projects/HHP/werke [Stand August 2007]

HSA = Heine, Heinrich: Werke, Briefwechsel, Lebenszeugnisse. Hg. von den Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar und dem Centre National de la Recherche Scientifique in Paris. Berlin und Paris 1970 ff.

Berücksichtigt wurde auch die digitalisierte Version der HSA des Heinrich-Heine-Portals, URL: http://germazope.uni-trier.de/Projects/HHP/briefe [Stand August 2007]

HJb = Heine-Jahrbuch. Hg. vom Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf. Hamburg 1962 ff.















1. Die Grenadiere (1822) Nach dem Tod von Napoleon Bonaparte am 5. Mai 1821 auf der Insel St. Helena setzt eine internationale Veröffentlichungsflut über den Mann ein, der Europa wie kein anderer zuvor in der Neuzeit so geprägt hat. Es folgen Veröffentlichungen von Augenzeugenberichten, Memoiren, wie die des Grafen Louis-Philippe de Ségur und Historienromanen, zu denen auch Walter Scotts Werk Life of Napoleon zählt. Auch Heine veröffentlicht kurz nach Napoleons Tod das Gedicht Die Grenadiere, das jedoch schon früher entstanden war. In seiner ersten literarischen Auseinandersetzung mit der Person Napoleon Bonaparte kehren zwei französische Grenadiere aus der Gefangenschaft in Russland zurück und erfahren in Deutschland von der Gefangennahme des Kaisers. In dieser Beschäftigung mit einem nahen zeitgeschichtlichen Stoff, nämlich der Gefangenschaft des Kaisers durch die Engländer nach der Schlacht bei Waterloo, konzipiert Heine ein aufopferungsvolles Gefolgschaftsverhältnis zwischen einem Grenadier und Napoleon; wobei durch die Treue und Opferbereitschaft des Untergebenen die Stellung des Herrschenden, also Napoleon, und sein rechtmäßiges Handeln herausgestellt wird. Außerdem wird durch die Entsagung von familiären Bindungen und der Appell zur eigenen Demut, „´Was schert mich Weib, was schert mich Kind, / Ich trage weit beßres Verlangen / […] Mein Kaiser, mein Kaiser gefangen!`“, nochmals die Aufopferung für höhere Ideale, dessen Repräsentant Napoleon ist, verdeutlicht. Ähnlich wie im Wintermärchen (1844), wo die Hoffnung auf ein geeintes Deutschland durch Barbarossa repräsentiert wird, tritt hier Napoleon als Garant für Freiheit auf. Jedoch wird auch ein Spannungsverhältnis dargestellt, welches von den zwei Grenadieren verkörpert wird und welches auch zwischen der Bereitschaft des Individuums unterscheidet, sich einem höheren Ziel, hier die freiheitlichen Ideale der französischen Revolution, die Napoleon verkörpert, hinzugeben oder die privaten Interessen zu verfolgen und somit realistisch zu handeln. Denn der erstere will auch nach dem Tod seinem Kaiser folgen, wo hingegen der andere seinen privaten Verpflichtungen nachkommen will: „[…] Doch hab ich Weib und Kind zu Haus […]“. Dieser Erzählstrang ähnelt auch der Berufung der Jünger und Nachfolger Jesu im Lukasevangelium (vgl. Luk 9, 57-62) und verdeutlicht auch schon in dieser frühen Schrift den messianischen Charakter, den Heine Napoleon zuspricht, und die Erlöserrolle Napoleons. Denn die Einführung des Code Civil versinnbildlichte für Heine den beginnenden Prozess der menschlichen Emanzipation und somit die Erlösung der Menschheit von feudalen und repressiven Verhältnissen. Auch war Heine bewusst, dass der Code Civil für die Juden den Weg für den Gleichstellungs- und Selbstbestimmungsprozess in Deutschland eröffnet hatte und da Heine selbst diesen enormen Fortschritt erfahren hatte, bestand für ihn kein Zweifel an der progressiven Rolle Napoleons. Des Weiteren wird in diesem ersten Gedicht über Napoleon Bonaparte ein weiterer Aspekt zum Verständnis für die Auffassung Heines über Napoleon deutlich, denn wie auch in späteren Werken, zum Beispiel in Ideen. Das Buch Le Grand oder Der Reise von München nach Genua, vollzieht sich hier ein Wechsel der Darstellung, die von einer realistischen Situation ausgeht und in einem phantastischen Bild endet. Damit erzeugt Heine seinen persönlichen Wunschtraum und stellt ihn der Realität gleich, wobei dadurch die Emanzipation der Menschheit als Endziel erscheint und angestrebt werden soll.

2. Die Nordsee. Dritte Abteilung (1826) Nach der anfangs lyrischen Auseinandersetzung mit Napoleon beginnt Heine nun auch in fast allen Reisebildern, sich prosaisch mit der wohl umstrittensten Person seiner Zeit zu beschäftigen. Heine charakterisiert seine gegenwärtige Epoche, als einen von „[…] kranken, zerrissenen, romantischen Gefühlen, die […] aus allen Ländern und Zeitaltern zusammengelesen […]“ (DHA 6, 147) werden, geprägten Zeitabschnitt. Durch diese Darstellung der Restaurations-epoche und durch die gleichzeitige Entsagung war es ferner notwendig, ein Gegenbild hierfür zu entwerfen. Entgegen der kleinstaatlichen Politik der europäischen Länder nach dem Wiener Kongress sei Napoleon befähigt gewesen, über die „[…] Anschauung eines Ganzen […]“ (DHA 6, 159) zu verfügen. Dieser nach Kant intuitive Geist, über den Napoleon verfüge, geht über die gewöhnliche menschliche Norm hinaus und daher waren seine Handlungen immer „[…] beständig naturgemäß, einfach, groß, nie krampfhaft barsch, immer ruhig milde“ (DHA 6, 160). Neben dieser Mythisierung Napoleons mithilfe eines Naturmotivs würdigt Heine auch den progressiven Geist Napoleons, wenn er ihn als einen Mann „[…] der neuen Zeit, dem Manne, worin diese neue Zeit so leuchtend sich abspiegelt […]“ (DHA 6, 161), bezeichnet. Diesen Genius einer Modellfigur bekräftigt Heine durch eine scheinbar grenzenlose Überhöhung ins Heroisch-Göttliche, indem er herausstellt, „[…] der Kaiser selbst findet nicht seines Gleichen, in seinem Haupte ist der Olymp des Gedichtes […]“ (DHA 6, 163). Doch werde diese Erkenntnis nur allmählich sichtbar: „Wir sehen wie das verschüttete Götterbild langsam ausgegraben wird, und mit jeder Schaufel Erdschlamm, die man von ihm abnimmt, wächst unser freudiges Erstaunen über das Ebenmaaß und die Pracht der edlen Formen […]“ (DHA 6, 159). Auch wird der progressive Charakter des Befreiers Napoleon herausgestellt, da die „[…] Sedezdespötchen ihr Regieren einstellen mußten“ (DHA 6, 157). Schon in Briefe aus Berlin (1822) rühmte Heine diesen Fortschritt Napoleons, indem er hoffe, der Code Civil, oder wie ein Berliner sie bezeichnete, die „[…] ´Fesseln der französischen Tyranney` […]“ (DHA 6, 48) werde noch lange das Rheinland beschweren und dass die Freiheit ohne antifranzösische und deutschnationale Mentalität am Rhein entstehen würde.

3. Ideen. Das Buch Le Grand (1826) Vor der Erscheinung der Reisebilder. Zweiter Teil 1827 schreibt Heine an seinen Freund Friedrich Merckel am 10. Januar desselben Jahres: „Das Buch wird viel Lärm machen, nicht durch Privatskandal, sondern durch die großen Weltinteressen, die es ausspricht. Napoleon und die französische Revolution stehen darin in Lebensgröße“ (HSA 20, 281). Sowohl in Die Nordsee. Dritte Abteilung, als auch in Ideen. Das Buch Le Grand setzt sich Heine mit Napoleon auseinander, wobei im Letzteren eine viel deutlichere Akzentuierung zu verzeichnen ist. Die intensive Beschäftigung mit dem Napoleon-Stoff findet in den Kapiteln VII – XI, die Düsseldorfer-Kapitel, ihren Ausdruck. Hier stellt Heine auch im Vergleich zu der Nordsee, in der er nur über verschiedene Werke referiert hat, selbst einen Aspekt der Napoleon-Biografie dar, nämlich den selbsterlebten. Im Zentrum der Geschichte steht die Kindheit und Jugend Heinrich Heines. Hier greift er die Einquartierung eines Tambour ins elterliche Haus auf und die persönliche Begegnung mit dem Kaiser im Düsseldorfer Hofgarten. Für Heine bildet Napoleon die Idee und widmet dieser Synthese aus Mensch und weltbewegenden Vorstellungen auch einen Teil seines Titels. In einem Brief an Karl August Varnhagen von Ense vom 1. Mai 1827 verdeutlicht Heine diese Ansicht: „[…] der Mann der Idee, der Idee gewordene Mensch, nemlich Napoleon […]“ (HSA 20, 286). Somit wird deutlich, worin Heines Verehrung für Napoleon begründet liegt, denn erst durch die Personifizierung der Ideen der Französischen Revolution durch den Konsul und Kaiser Napoleon werden diese aus der Abstraktion herausgerissen und in die Realität übertragen. Für Heine sind auch die Ideen Triebkräfte der Geschichte, hiermit greift er auch Fichtes Ansicht auf, in der die Freiheitsidee, Rechtsidee und die nationalstaatliche Idee den Menschen zum Handeln treiben. Diese Auffassung von einem Geschichtsprozess erreichte ihre Vollendung durch die Hegelsche Lehre: „Die Idee ist Substanz und unbegrenzte Energie der Welt, sie äußert sich in den Entwicklungen des Geistes, und ihr Erscheinen im menschlichen Bewusstsein ist der eigentliche Gegenstand der Geschichtsschreibung.“ Zu dem verkörpern die großen Männer der Geschichte für Hegel die schrittweise Verwirklichung der Menschheit. Nach dem Besuch bei Goethe 1824 schreibt Heine an Rudolf Christiani von seiner eigenen Position bezüglich der Idee, nämlich dass er „[…]das Leben im Grunde gringschätzt und es trotzig hingeben möchte für die Idee“ (HSA 20, 200). Jedoch berichtet Heine im Sommer 1825 Moses Moser von seinem persönlichen Zwiespalt zwischen Lebensgenuss (Sensualismus) und der Aufopferungsbereitschaft für die höheren Ziele (Spiritualismus) und greift somit auch den Konflikt aus den Grenadieren auf. Die Vorstellung von der Idee reflektiert Heine und erklärt, Napoleon hätte „[…] das vielköpfige Ungeheuer der Anarchie [das Direktorium] gebändigt und den Völkerzweikampf geordnet […]“ (35). Jedoch brauchte diese Idee einen Vermittler, nämlich den Tambour Le Grand, der mithilfe des Instruments der Trommel zwischen dem Kaiser, dem Träger der Idee, und dem Erzähler eine Verbindung schuf. Die Zerstörung des Instruments hingegen führt zum Ende dieser Vermittlung, es stellt auch allegorisch das Ende der Revolutionsepoche dar und verneint auch gleichzeitig einen zielgerichteten Verlauf der Geschichte. Daher befindet sich der Prozess wieder am Anfang, nur dass der Erzähler nun ein weiterer Träger der Idee ist. Somit treffen hier zwei vollkommen gegensätzliche Geschichtsauffassungen aufeinander: Zumal die Vorstellung von einem progressiven Verlauf, der durch die Verbreitung von der Idee durch Napoleon und danach durch Le Grand beispielhaft dargestellt wird, und des Weiteren die Auffassung von Geschichte als ständige Wiederholung oder wie Hegel es sagt, als ein Kreis von Kreisen. Um die Erhabenheit und Größe der napoleonischen Idee zu entfalten, bedient sich Heine einer übermenschlichen Darstellung und einer mythisch-religiösen Überhöhung Napoleons. Wobei Letzteres durch Bezüge zum Alten Testament, wie „Du sollst keine Götter haben außer mir“ (35) und zum Neuen Testamen, „[…] die Taten des weltlichen Heilands […]“ (37) hervorgehoben wird. Diese Akzentuierung auf den Aspekt des Messias wird besonders beim Einzug Napoleons in die Stadt Düsseldorf deutlich, in dem er wie der Einzug Jesus in Jerusalem dargestellt ist und durch die Bezeichnung St. Helenas als das „[…] heilige Grab, wohin die Völker des Orients und Okzidents wallfahrten [...]“ (37). Auch bedeutete Napoleon für das Deutsche Reich das Ende des Feudalsystems: […] die Lippen brauchten nur zu Pfeifen, - et la Prusse n´existait plus […]“ (35). Jedoch stellt auch Heine die kontrastreiche Übergangszeit heraus, indem er Napoleons Ausspruch „Du sublime au ridicule il n´y a qu´un pas“ benutzt, um den Epochenwandel vom Erhabenen (des napoleonischen Zeitalter) zum Komischen (der bürgerliche Zeit) zu verdeutlichen und der Restaurationsepoche ihre Existenzberechtigung abspricht. Außerdem wird in Ideen. Das Buch Le Grand auch ein weiterer Teilaspekt der Geschichts-auffassung Heines deutlich. Im III. Kapitel stellt er die Gegensätzlichkeit der Geschichte durch Alliterationen dar: „[…] die Traumgebilde gestalten sich oft buntscheckig toll, oft auch harmonisch vernünftig – die Ilias, Plato, die Schlacht bei Marathon, Moses, die Mediceische Venus, der Straßburger Münster, die Französische Revolution, Hegel, die Dampfmaschine usw. sind einzelne Gedanken in diesem schaffenden Gottesraum […]“ (11). Tollheit und Besonnenheit, Chaos und Ordnung der Weltgeschichte werden gegenübergestellt und verdeutlichen jedoch die stetige Entwicklung und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, in der das Ziel Emanzipation verbunden mit einer sich durchsetzenden Vernunft endlich realisiert werden kann. Auch die Beschreibung der „[…] Begräbnisstimmung […]“ (21) am ersten Tag der französischen Besetzung steht im Gegensatz zu der scheinbar neu angestrichen Welt am darauffolgenden Tag. Das wechselvolle Spiel der Geschichte zwischen Apokalypse, Untergang und Auferstehung, Verheißung wird dadurch kraftvoll inszeniert.

4. Die Reise von München nach Genua (1828) In den Ideen. Das Buch Le Grand lag der Akzent der Betrachtung eher auf der Person Napoleon, nun verschiebt sich dieser in Die Reise von München nach Genua, zwei Jahre später deutlicher auf seine Taten. Natürlich ist auch schon vorher Napoleon als Träger und Überbringer der freiheitlichen Idee zu verstehen, aber hier wird diese Aussage durch einen besonderen Vergleich zum Titanen Prometheus deutlicher. Dieser, ein Sprössling des erdgeborenen Uranussohnes, stellt in der griechischen Mythologie den Kulturstifter der Menschheit dar, der als Strafe von Zeus für den Raub des Feuers für die Menschen an den Kaukasus gefesselt wurde, wo täglich der Adler Ethon seine Leber fraß. Diese Sage des klassischen Altertums bezieht nun Heine auf Napoleon, der „[…] ganz identisch sey mit jenem andern Titane […]“ (DHA 7/I, 67) und eröffnet tatsächlich viele Parallelen. Napoleon Bonaparte, ein Vertreter des korsischen Kleinadel, ist ein Teil der herrschenden Schicht wie Prometheus, wendet sich aber von dieser ab und kann die Idee, nach Heine die Ideale der Französischen Revolution, in Europa verbreiten. Heine spricht im Text auch bewusst nicht von Feuer, das Napoleon brachte, sondern vom „[…] Licht […]“ (ebd.), dem Sinnbild der Aufklärung. Dieser Raub von den Göttern beziehungsweise von der Obrigkeit, die den Menschen das Feuer vorenthalten wollten, führt letztendlich zur Bestrafung. Man demütigte Prometheus durch die Fesselung am Kaukasus, Napoleon wurde durch den Wiener Kongress zunächst nach Elba und dann auf die Atlantikinsel St. Helena verbannt. Das einsame Schicksal ist beiden gleich. Durch die Wahl des Prometheus-Motivs eröffnet Heine jedoch auch noch eine Lösung aus dem zeitgenössischen Dasein: Prometheus wird von Herakles nach Jahren des Schmerzes und der Einsamkeit befreit. Somit hoffte auch Heine auf eine Wendung des Geschichtsverlaufs. Trotz dieser mythischen Vergleiche setzt nun hier eine allmähliche politische Besonnenheit ein, denn neben der Würdigung des Geistes und der Idee übt Heine jedoch auch erstmals in deutlicher Form Kritik an der Person Napoleon Bonaparte: Er „[…] war ein Aristokrat, ein adliger Feind der bürgerlichen Gleichheit […]“ (DHA 7/I, 68). Er relativiert seine Verehrungen und erklärt, seine „[…] Huldigung gilt nicht den Handlungen, sondern nur dem Genius des Mannes“ (ebd.) und begrenzt seine Verehrung temporär „[…] bis zum achtzehnten Brumaire – da verrieth er die Freyheit“ (ebd.). Der Staatsstreich des 18. Brumaire des Jahres VIII des französischen Revolutionskalenders führte zum Ende des Direktoriums und zum endgültigen Abschluss der Revolution; hingegen markiert der Staatsstreich aber auch den Anfang des Konsulats und der Alleinherrschaft Napoleons. Heine macht den Ruhm und die Vorliebe für Aristokratie dafür verantwortlich, dass Napoleon wie „[…] im Rausche Consul, Kaiser [und] Welteroberer wurde […]“ (ebd.). Hier tritt erstmal eine augenscheinliche Unvereinbarkeit von Verehrung und Kritik hervor. Napoleon war ein Kind der Revolution und Despot, ein aufgeklärter Herrscher und ein Militärdiktator, Befreier und Eroberer. Die napoleonische Herrschaft enthält viele Facetten und ist durch mannigfaltige Widersprüche geprägt. Heine reflektiert diese und gelangt dadurch zu einer differenzierteren und klareren Bewertung, wobei die Errungenschaften niemals an Wert verlieren. Jedoch gesteht Heine, der Rausch der Ära Napoleons hätte viele mitgerissen und das Ende des Traums führte doch letztendlich zur Ernüchterung. Somit gelingt eine Versöhnung mit dem kritischen Napoleonbild, da die umgreifende Begeisterung ein Zeit-Phänomen war und der Rausch der Geschichte, der Rausch der Ideen nicht durch menschlichen Einfluss zu beheben war. Außerdem stellt Heine, wie schon in den Ideen, einen nicht zielgerichteten Verlauf der Geschichte dar, indem er von der Menschheitsgeschichte als ein „[…] trostlos ewiges Wiederholungsspiel […]“ (DHA 7/I, 79) spricht und die Menschen seien „[…] Copien von längst verschollenen Menschen […]“ (ebd.). Hingegen habe die Menschheitsgeschichte ein Ziel, nämlich die „[…] Emanzipazion der ganzen Welt […]“ (DHA 7/I, 69) und die Französische Revolution – und die Verbreitung derer Ideale durch Napoleon – sei nur der Anfang gewesen. Heine bedauert jedoch die Gemächlichkeit dieser Entwicklung und die Belastungen, die die Menschheit dadurch ertragen muss: „[…] jeder Zoll, den die Menschheit weiter rückt, kostet Ströme Blutes; und ist das nicht etwas zu theuer? Ist das Leben des Individuums nicht vielleicht eben so viel werth wie das des ganzen Geschlechtes?“ (DHA 7/1, 71). Die Antwort auf diese Frage wird dann in Die Stadt Lukka 1831 gegeben: „Vergebliches Bemühen! Eine flammende Riesinn, schreitet die Zeit ruhig weiter […]“ (DHA 7/1, 197), somit könne niemand den Lauf der Geschichte aufhalten.

5. Englische Fragmente (1828) Der Prozess der mythologischen Verherrlichung, in Ideen. Das Buch Le Grand begonnen, erreicht seinen Höhepunkt nun in die Englische Fragmente. Das Messias-Motiv wird weiter ausgeführt: „Ist doch, in ähnlicher Weise, der Name Pontius Pilatus eben so unvergeßlich geblieben, wie der Name Christi. Wellington und Napoleon!“ (DHA 7/I, 261). Auch die Bezüge zur Antike werden fortgeführt: Napoleon „[…] hoch zu Roß, mit den ewigen Augen in dem marmornen Imperatorgeschichte […]“ (ebd.) und „[…] jeder Zoll ein Gott!“ (ebd.). Hier wird das Motiv der Überhöhung ins Übermenschliche genutzt, um den Fortschritt, den Napoleon in Form des Code Civils und der damit verbundenen Ausbreitung von den Idealen der Französischen Revolution, Egalité, Fraternité und Liberté brachte, zu konkretisieren. Außerdem stellt Heine im 10. Kapitel nochmals sein Verständnis für Geschichte heraus, indem er erläutert, dass Fortuna grollte, als Wellington, der englische Befehlsführer, während der Schlacht bei Waterloo, „[…] ihren ehemaligen Liebling stürzte, obgleich dessen Sturz ihr eigener Wille war“ (DHA 7/I, 259). Somit wird auch deutlich, dass Heine die Geschichte hier als Produkt des Schicksals ansieht, das somit nicht aktiv durch den Menschen beeinflussbar ist. Außerdem wird der Bezug zur klassischen Antike auch in den Englischen Fragmenten, wie schon zuvor in der Nordsee. Dritte Abteilung und in den Ideen. Das Buch Le Grand fortgeführt: Die vorbeiziehenden Grenadiere grüßen Napoleon mit „Te, Caesar, morituri salutant!“ (DHA 7/I, 262) und weiterhin stellt Heine heraus, dass der Name des Kaisers „[…] wie eine Kunde der Vorwelt [klinge], und eben so antik und heroisch wie die Namen Alexander und Cäsar“ (ebd.). Durch die Gegenüberstellung der antiken Persönlichkeit mit Napoleon weist Heine auch hier auf die Wiederholung im Geschichtsprozess hin, da Prallelen zwischen Alexander, Caesar und Napoleon hinsichtlich ihrer weitläufigen Eroberungen, ihres Machtanspruchs und ihrer autoritären Herrschaft bestehen; wobei Letztere nur im geringen Maße auf Alexander zutreffen.

6. Französische Zustände (1832) Vor und nach der Julirevolution 1830 vergleicht Heine Napoleon mit Caesar. Zwei Jahre später formuliert er unter dem Einfluss des Saint-Simonismus die erstrebenswerte Staatsform, als „[…] die Idee einer Alleinherrschaft, angewendet zum Besten des Volkes […]“ (DHA 12/1, 217) und 1839 konkretisiert Heine dies in Portia (Julius Cäsar): „Die beste Demokratie wird immer diejenige seyn, wo ein Einziger als Inkarnazion des Volkswillens an der Spitze des Staates steht, wie Gott an der Spitze der Weltregierung“ (DHA 10, 41). Somit war es zwangsläufig eine Notwendigkeit, dass der große Napoleon-Verehrer Heine, der die Rolle der großen Männer in der Geschichte weiterhin anerkannte, mit den Ideen des Saint-Simon sympathisierte. Zum Cäsarismus bekennt sich Heine dann auch präzise in den Briefen Aus der Normandie: „[…] so giebt Napoleon seinen Namen einem neuen Cäsarthume […]“ (DHA 12/1, 217) und bezeichnet ihn des Weiteren als einen „[…] saint-simonistische[n] Kaiser […]“(ebd.). Zu den Tagen des französischen Juliregimes hingegen nahm Heine eine ablehnende Haltung ein. In einem Brief an Varnhagen vom 1. April 1831 berichtet er von nun gedämpften Stimmen der Freiheit. Für ihn erreichte das Juste-Milieu keine erfolgreiche Wechselbeziehung von Monarchie und Demokratie und legte den Akzent zu stark auf die Interessen des Mittelstandes, wobei die Anliegen der Masse regelrecht übergangen wurden. In Französische Zustände greift Heine diesen Konflikt auf und formuliert: „Man ist nemlich der Meinung, daß der Sohn des Mannes [Napoleon] nur zu erscheinen brauche, um der jetztigen Regierung ein Ende zu machen“ (DHA 12/I, 116). Das Napoleon-Bild, das Heine nun entwirft, ist zum großen Teil unheroischer und nüchterner dargestellt, als es in den vorherigen Werken der Fall war. Zwar wird die kritische Auseinandersetzung mit Napoleon fortgeführt, aber die Darstellung des Genius ist verhaltener. Die Selbstsucht Napoleons wird nochmals thematisiert, denn „[…] jener kämpfte mehr um den Lorbeer als um den Eichenkranz“ (DHA 12/I, 90). Diese Gegenüberstellung der verschiedenen Pflanzensymbole, der Lorbeer steht für den persönlichen Ruhm, hingegen war der Eichenkranz im antiken Rom ein Ruhmeskranz für einen Bürger, der einem Mitbürger das Leben gerettet hatte, stellt nochmals die Widersprüchlichkeit Napoleons heraus. Die nüchterne Betrachtung der Gestalt Napoleons resultierte auch aus der Enttäuschung über die mäßigen Entwicklungen nach der Julirevolution. Dies wirkte sich auch in den späteren Werken aus, in denen Heine ein nüchternes und von Resignation gekennzeichnetes Geschichtsbild entwirft. Außerdem stellt Heine die Folgen der napoleonischen Eroberungskriege dar, indem er einen alten Soldaten porträtiert, der „[…] ebenfalls von dem Ruhme des Kaisers ein Liedchen singen konnte, denn dieser Ruhm hatte ihm beide Beine gekostet“ (DHA 12/I, 91). Die Geltungssucht Napoleons wird hier nun mit direkten Folgen in Verbindung gebracht und Heine distanziert sich dadurch von der Eroberungspolitik und spricht ihr auch jede vernünftige Grundlage ab. Des Weiteren wird in Artikel II eine menschlichere Darstellung Napoleons entworfen, in der ein Konflikt zwischen Idee und der individuellen Natur deutlich wird: „[…] in dessen Haupte die Adler der Begeisterung horsteten, während in seinem Herzen die Schlange des Kalkuls sich ringelte […]“ (DHA 12/I, 90). Somit finden auch Vernunft und Menschlichkeit in einer einzigen Person irdische Vollendung. Auch wird der Tod, das wohl menschlichste Schicksal, und die Leben spendende Kraft, nämlich die Ideen Napoleons, gegenübergestellt: „Auf dem einen Bilde gleicht Napoleon einem Heilande, von dessen Berührung die Pestkranken zu genesen scheinen; auf dem andern Bilde stirbt er gleichsam den Tod der Sühne“ (DHA 12/1, 218).

7. Verschiedenartige Geschichtsauffassung Das Fragment, welches wohl zwischen 1832 und 1834 entstand , setzt sich kritisch mit zwei Geschichtsauffassungen auseinander. Das erste Modell geht von einem organischen Kreislauf aus und ist der Romantischen Schule und den Vertretern der Goetheschen Kunstperiode zugeschrieben; die zweite Ansicht beinhaltet einen Fortschrittsgedanken, der besonders durch die Aufklärung vertreten wurde. Heine lehnt beide entschieden ab, obwohl er sie in seinen Werken mehrfach und oszillierend gebraucht. Auch in einem Brief an Varnhagen aus dem Frühjahr 1831 gesteht sich Heine seine wechselnden Meinungen zur Geschichte ein und fragt sich: „Werden die Dinge von selbst gehen, ohne Zuthun der Einzelnen? Das ist die große Frage, die ich heute bejahe morgen wieder verneine […]“ (HSA 20, 434). Heines Ablehnung bezieht sich auf die lebensfremde Anschauung, die beide Ansichten vertreten: Das Kreislauf-modell beinhaltet eine Wiederholung vergangener Ereignisse und das Progressionsmodell geht davon aus, dass das gegenwärtige Leben nur als Mittel zu einem in der Zukunft befindlichen Ziel führe. Die individuelle und gegenwärtige Existenz werden nicht gewürdigt, Heine kreiert daher ein drittes Modell und formuliert: „Das Leben ist weder Zweck noch Mittel; das Leben ist ein Recht“ (DHA 10, 302). Diese Akzentverschiebung auf die Gegenwart erklärt vermutlich auch die nüchterne Betrachtung Napoleons in Französische Zustände und die Reduktion einer Auseinandersetzung mit ihm in den folgenden Jahren.

8. Lutezia (1854) Lutezia als auch die im selben Jahr erschienenen Geständnisse bilden eine Wiederbelebung des Bonapartismus der Reisebilder, denn die für Heine gescheiterte Februar- und Märzrevolution bestätigte die Ansicht von einer Staatsform mit Durchsetzungsvermögen und konsequenter Machtausübung und bestimmte die Rückkehr zum napoleonischen System. Die Korrespondenzberichte, die Heine 1854 veröffentlichte und mit dem Untertitel „Berichte über Politik, Kunst und Volksleben“ versehen hatte, geben seine ablehnende Haltung gegenüber der Julimonarchie wieder und stellen antagonistisch auch wieder die empfundene Erhabenheit des napoleonischen Zeitalters dar. Wie zuvor in Ideen. Das Buch Le Grand charakterisiert Heine eine Übergangszeit, vom Erhabenen zum Lächerlichen. Dieses dialektische Geschichtskonzept wird in Lutezia durch die Darstellung der „[…] Bürgerkomödie […]“ (DHA 13/1, 139) veranschaulicht, in dem diese Zeit, repräsentiert von Louis-Philippe, nur einen Übergang von der napoleonischen Heldenzeit bildet. Jedoch formuliert Heine auch erstmals einen geschichtlichen Vorteil aus der Niederlage Napoleons, denn „[…] die Alliirten waren es, die bey der Einnahme von Paris jene gebundene Idee in Freyheit setzten“ (DHA 13/1, 116) und somit den Weg bis hin zur Revolution von 1848 führte, die Heine zwar als kleines Übel ansah (vgl. DHA 14/1, 289), aber dessen historischen Fortschritt er trotzdem erkannte. Weiterhin sieht Heine die Rolle Napoleons als eine zeitlich begrenzte Geschichterscheinung, die somit nur für einen historischen Zeitabschnitt bedeutend gewesen wäre, denn „[…] Napoleon besaß Scharfblick nur für Auffassung der Gegenwart oder Würdigung der Vergangenheit, und er war stockblind für jede Erscheinung, worin sich die Zukunft ankündigte“ (DHA 14/1, 17). In Lutezia berichtet auch Heine von der Überführung der „[…] Leiche des Riesen von Sankt-Helena […]“ (DHA 13/1, 74) 1840 in den Invalidendom von Paris. Bei der Beschreibung der mitziehenden Masse wird die Sicht der neuen französischen Generation auf Napoleon deutlich, denn sie sahen „[…] auf diesen goldenen Katafalk, worin gleichsam alle Freuden, Leiden, glorreiche Irrthümer und gebrochene Hoffnungen ihrer Väter, die eigentliche Seele ihrer Väter, eingesargt [lagen]“ (DHA 13/1, 110). Für Frankreich war Napoleon nur noch ein Mythos einer vergangenen Zeit und seine Person hatte für den modernen Freiheitskampf keine Bedeutung mehr. Sehr prägnant für dieses Werk ist außerdem, dass Heine seine Napoleon-Verehrung ausformuliert: „Es ist wahr, es ist tausendmal wahr, daß Napoleon ein Feind der Freyheit war, ein Despot, gekrönte Selbstsucht, und daß seine Verherrlichung ein böses, gefährliches Beyspie.“ (DHA 13/I, 56). Diese Sicht wurde zwar auch schon in Die Reise von München nach Genua dargestellt, aber im Anschluss erfolgt die Würdigung seines Fortschritts: „Nein; es ist der Mann, der das junge Frankreich dem alten Europa gegenüber repräsentirte, […] in seiner Person siegte das französische Volk, in seiner Person ward es gedemüthigt, in seiner Person ehrt und feyert es sich selber […]“ (DHA 13/1, 56). Auch vollzieht sich in Lutezia wieder ein Wechsel von der zyklischen Betrachtungsweise der Geschichte (vgl. Artikel vom 20.7. 1843) und einer stark zielgerichteten (vgl. Artikel vom 15.6. 1843).

9. Geständnisse (1854) Heines Gesundheitszustand verschlechterte sich dramatisch; zwei Jahre nach seiner unwider-ruflichen körperlichen Lähmung versuchte er, in Geständnisse die Einheit seiner Werke mithilfe einer persönlichen Autobiografie herauszustellen. Dennoch kamen nicht alle geplanten Teile in das Werk, wie Waterloo. Fragment, welches sich mit der napoleonischen Ära und den innerpolitischen Zuständen im Frankreich des Napoleons III. beschäftigt. Heine war jedoch auch von der Herrschaft Napoleons III. enttäuscht und vertraute im Februar 1852 seinem Freund Gustav Kolb an: „Die schönen Ideale von politischer Sittlichkeit, Gesetzlichkeit, Bürgertugend, Freyheit und Gleichheit […] – da liegen sie nun zu unseren Füßen, zertrümmert, zerschlagen […]“ (HSA 23, 181). Die Unterdrückung der Presse- und Meinungsfreiheit als auch die Ausweisung oppositioneller Führer, wie den genialen Schriftsteller Victor Hugo, veranlassten Heine zu dieser Bemerkung. An die Stelle der Hoffnung auf Emanzipation rückte nun die Resignation, die in einem nüchternen und einem besonnenen Napoleonbild zum Ausdruck kommt. Zunächst bezeichnet Heine Napoleon als „[…] Gonfalonière der Demokratie […]“ (DHA 15, 188). Das Motiv des Gonfalonieres, dem Bannerträger, führt er fort und stellt Napoleons Rolle bis Waterloo exakt heraus: Er „ […] kämpfte hier nicht bloß für seine Krone, sondern auch für das Banner der Revoluzion, das er trug […]“ (DHA 15, 187). Die gegenrevolutionäre Rolle des Napoleon Bonaparte, wie noch 1832 in Französische Zustände dargestellt, ist nun sekundär und manifestiert somit nochmals die Enttäuschung über das Regime Napoleons III. Des Weiterem wird Napoleon wieder als Repräsentant der französischen Revolution und dessen Idealen gefeiert: „[…] es waren die Interessen der Freiheit, der Gleichheit, der Brüderlichkeit, der Wahrheit und der Vernunft, welche zu Waterloo die Schlacht verloren“ (DHA 15, 188). Jedoch zeigt sich Heines Resignation bezüglich des geschichtlichen Entwicklungsprozesses, wenn er sagt, dass es „[…] nicht Neues unter der Sonne“ (DHA 15, 57) gibt. Auch blieben die Bruchstücke Napoleons Heldentum und Die Rehabilitation Napoleons vom Druck in Geständnisse ausgeschlossen, zumal sie in das Konzept der Autobiografie nicht eingegliedert werden konnten, als auch durch die Zäsur in der Meinungsfreiheit. An Kolb schreibt Heine: „[…] doch ich will schweigen, und Sie wissen warum“ (HSA 23, 180).

10. Verräter der Freiheit und Mann der Idee Nach der nun über drei Jahrzehnte andauernden Auseinandersetzung mit dem antiken Gott, dem Genius, einem Giganten, dem Riesen des Jahrhunderts und dem Geist der Revolution zeichnet sich in Heines Darstellung eine klarere Distanzierung ab. Die Verehrung der progressiven Dispositionen und Handlungen Napoleons traten allmählich in den Vordergrund, wobei dies durch die vor- und nachrevolutionären Ereignisse von 1830 und 1848 zu erklären ist, und wiesen der Gestalt Napoleon einen erhöhten Platz in der Menschheitsgeschichte zu. Heine sieht nun diese Person, wie bei Lutezia und Geständnisse gezeigt wurde, wieder als „[…] Mann der Idee […]“ (HSA 20, 286), als Überbringer der freiheitlich-emanzipatorischen Ideale. Wobei die Vollbringung dieses große Menschheitsziel nur durch die Gestalthaftigkeit eben dieser einen Person, in der unzählige gegensätzliche und unvereinbare Momente sich vereinigen, möglich war. Auch seine „[…] permanente Vermischung von (göttlicher) Heilsgeschichte und (irdischer) Weltgeschichte […]“ bezüglich der Geschichtsauffassung macht diesen Moment erst greifbar. Trotz der Tatsache, dass Napoleon ein Verräter der Freiheit war (vgl. DHA 7/I, 68), bleibt Heines Verehrung für diese zu kurze glorreiche Zeit der napoleonischen und nicht der bonapartistischen Ära bestehen.

Heinrich Heine dachte seinen Napoleon Bonaparte nicht als widerspruchsfreies Wesen, nicht als der Menschheit verrückte Person, sondern als Einzelwesen, das durch seine zahlreichen menschlichen und politischen Facetten erst in der Lage war, die Entwicklung der Menschheit im Sinne von kosmopolitischem Denken und Emanzipation voranzutreiben und letztendlich doch an dieser noch heute ausstehenden Entfaltung scheitern sollte.