Benutzer:KarlV/Faschismus und Antifaschismus in der Wikipedia

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Warum diese Unterseite[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

9. März 2021

Der Anlass für diese Unterseite resultierte einmal aus meinem „Fachgebiet Rechtsextremismus“, dem Anspruch das „gesicherte Wissen“ zu diesem Bereich nach besten Wissen und Gewissen in Wikipedia enzyklopädisch darstellen zu helfen, aber auch aus einem konkreten Anlass datiert auf Anfang 2020 auf Twitter. Mir fiel dort etwas erstaunliches auf, dem ich unbedingt auf den Grund gehen wollte.

Es geisterte in verschiedenen Tweets ein Zitat umher, mit gleichen Wortlaut und Inhalt - jedoch wurde er mal Huey Long zugeschrieben, dann wiederum Winston Churchill oder aber Antonio Gramsci und manchmal auch Theodor Adorno. Am häufigsten aber wurde dieses Zitat Ignazio Silone zugeschrieben. So begann ich meine Recherche zunächst auf Wikipedia um zu ergründen, was es mit diesem Zitat auf sich hatte.

In einem ersten Teil dieser Unterseite möchte ich die Leser zu einer kurzen Reise Original Research mit Wikipedia-Bezug rund um das Zitat schicken. Ein zweiter Teil beschäftigt sich mit dem Thema, warum die Diskreditierung von Antifaschismus ein elementarer Bestandteil neurechter und rechtsextremer Propaganda ist. Ein dritter Teil beschreibt die Strategie dahinter.


Die Instrumentalisierung von Ignazio Silone[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

10. März 2021, aktualisiert Dezember 2021/Januar 2022

Der Wikipedia Artikel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Wikipedia-Artikel Ignazio Silone wurde am 11. Januar 2005 duch Benutzer Xabraxas angelegt und enthielt das angeblich berühmte Zitat nicht. Silones angeblicher Spruch war im Jahr 2005 im deutschen Sprachraum und vor allem in sozialen Medien völlig unbekannt. Der Artikel wurde bis heute weiter ausgebaut. Andere Lexika beschreiben Silone, wie im Wikipedia Artikel auch, als Sozialisten und Antifaschisten. Das war er übrigens bis zu seinem Tod 1978. Seine Novelle „Brot und Wein“ (1936 - „Vino e Pane“ 1937) wurde während des Zweiten Weltkrieges in 2 Millionen Auflage von den Alliierten kostenlos verteilt und machten Silone weltweit zum Helden des Antifaschismus.

Das erste Mal, dass Silones angebliches Zitat im Artikel eingepflegt wird, erfolgte am 2. September 2008 durch Benutzer Common Senser. Administrator Enzian44 mahnte einen Tag später an Belege zu liefern und kommentierte das Zitat erst einmal aus. Das erste Mal, dass Silones angebliches Zitat dann auf der Diskussionsseite erwähnt wird, erfolgte am 26. Januar 2009. Benutzer tickle me war über das auskommentierte Zitat im Artikel gestolpert und fragte dort in die Runde, ob es dafür Belege gibt. Eine Antwort erfolgte eher verhalten einen Monat später durch eine IP (man solle Googeln) und schließlich meldete sich 6 Monate später Benutzer Abdiel mit dem Hinweis, dass dieses Zitat eher wohl ein Fake ist. Dann war erst einmal einige Jahre Ruhe zu diesem Thema. Kein einziger Beitrag hierzu und auch im Artikel wurde das angebliche Zitat nach wie vor nicht erwähnt.

Die Wende kam dann 6 Jahre nach Artikel-Anlage, nämlich am 5. Januar 2011 durch einen interessanten Benutzer Knaeckepaul, der nur von 2009 bis 2011 aktiv war und auf seiner Benutzerseite angab „Offizier der Panzergrenadiertruppe“ zu sein der an der Bundeswehruniversität Hamburg studiert habe. Zunächst behauptete er auf der Diskussionsseite, das Zitat sei kein Fake, um es 10 Minuten später im Artikel einzuführen.

Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: <Ich bin der Faschismus> Nein, er wird sagen: <Ich bin der Antifaschismus.>[3]

Immerhin fügte er einen Beleg an und eine Anmerkung, auf die ich später zurückkommen werde:

Mit diesen Worten zitiert Bondy Silone, das Zitat ist in Silones eigenen Werken nie aufgetaucht.

Damit war das angebliche Zitat erstmals im Wikipedia-Artikel eingeführt, bis ich es am 28. Februar 2020 wieder löschte. Zu den Gründen gehe ich im nächsten Abschnitt ein.

Die doppelte Instrumentalisierung Silones[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ich habe lange und gründlich recherchiert. Von Silone gibt es nicht viele Zitate. Die Meisten in italienischer Sprache, verständlicherweise. In keiner einzigen Schrift findet sich ein derartiges Zitat. Auch meine Recherchen vor Ort in Italien (in Italien gibt es ein Museum ein Archiv zu Silone und ein Recherchekreis) ergaben, dass eine solche Aussage von Silone in schriftlicher Form nicht existiert. Stutzig machte mich die Aussage der Italiener, dass dieses angebliche Zitat von Silone nur im deutschen Sprachraum kursiert. Also machte ich mich auf zu recherchieren, warum nur in deutschen Tweets und nur in deutschsprachigen sozialen Medien Silone zitiert wird und nicht etwa in Italien, Frankreich oder einem anderen Sprachraum.

Ein erstes Recherche-Ergebnis ergab sich bezüglich der Datierung der Verwendung des angeblichen Silone Zitats. Nachdem ich verschiedene soziale Medien untersuchte kam heraus, dass das angebliche Zitat verstärkt ab 2009 ausschließlich in deutschsprachigen sozialen Medien verwendet wurde, überwiegend im Zusammenhang von politischen Auseinandersetzungen und überwiegend angewendet von neurechten bzw. rechtsextremen Accounts, Kreisen und Filterblasen. Auf Twitter etwa datiert der allererste Tweet vom 6. Juli 2009 - wenig überraschend von einem NPD-Account. Das erklärte jedoch noch nicht, warum Silone plötzlich, ganze 31 Jahre nach seinem Tod im deutschsprachigen Raum von Rechtsextremisten instrumentalisiert wurde und wird.

Der Eintrag in Wikipedia von 2011 verwies bereits auf François Bondy. Also konzentrierte ich mich auf diesen Autor wobei auch die Hinweise des Benutzers Assayer und seine Recherche recht hilfreich waren.

1988, also 10 Jahre nach dem Tod Silones, erschien im Benziger-Verlag ein Essay-Band von François Bondy unter dem Titel Pfade der Neugier: Portraits. Darin findet sich eine Übersetzung eines kurzen Absatzes aus dem Englischen eines Nachrufs von Bondy aus 1979 (François Bondy: Ignazio Silone: In Memoriam. The Washington Quarterly, vol. 2 1979, issue 2). Bondy kannte Silone aus seinen Schweizer Tagen und schrieb sowohl im Nachruf 1979 als auch im Buch 1988 über eine Begegnung mit Silone in Genf, an dem Tag an dem Silone aus dem Exil nach Italien zurückkehrte. Das war, nach Aussagen verschiedener Quellen im Oktober 1944, also als der 2. Weltkrieg noch im vollem Gange war. Bondy schrieb auf Seite 84 folgende Passage:

Ich traf Silone in Genf am Tag, an dem er aus dem Exil nach Italien zurückkehrte, und plötzlich sagte er: »Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: ‚Ich bin der Faschismus‘. Nein, er wird sagen: ‚Ich bin der Antifaschismus.‘«

Viele Jahre später, als »Antifaschismus« in der Tat instrumentalisiert wurde und zu einem Slogan herunterkam, verstand ich, daß dieses kaustische Aperçu prophetisch war

Das Buch erschien nur in deutscher Sprache und dies ist schon mal die Antwort auf die Frage, warum es so exklusiv durch den deutschsprachigen politischen Diskurs geistert, jedoch nicht, warum Silones angeblicher Spruch von 1988 bis 2009, also 21 Jahre in Bondys Buch unentdeckt vor sich hin schlummerte, um plötzlich ab 2009 von rechtsextremen Kreisen als „berühmtes Zitat“ in sozialen Medien gehandelt und verwendet zu werden. Verwunderlich auch deshalb, weil im April/Mai 2000 längere Artikel zum 100ten Geburtstag von Silone erschienen, unter anderem in der FAZ, Welt, NZZ, Tagesspiegel oder Südkurier und in keinem das angeblich „berühmte Zitat“ erwähnt wurde. Offenbar war den unterschiedlichen Autoren der Leitmedien im Jahr 2000 das angebliche Zitat noch völlig unbekannt. Hierzu lieferte die rechtsextreme Metapedia den entscheidenden Hinweis. Dort wird im Artikel Ignazio Silone im Mai 2012 als Quelle die Zeitschrift Nation Europa: Band 59, 2009, S. 17 angegeben (erschienen im Januar 2009 übrigens). Nun war Nation und Europa eines der wichtigsten Theorieorgane des deutschen Rechtsextremismus. Der Verfassungschutzbericht 2009 hierzu:

Der „Nation Europa-Verlag“, der Ende 2009 im Zuge einer geplanten Kooperation mit dem „Arndt-Verlag“ von dem Verleger Dietmar Munier übernommen worden ist, besaß aufgrund der von ihm bis zum Jahresende herausgegebenen Zeitschrift „Nation & Europa – Deutsche Monatshefte“ eine besondere Bedeutung. Die 2009 im 59. Jahrgang erschienene Abonnementzeitschrift verfügte über eine gewachsene Leserschaft und fand im rechtsextremistischen Lager große Aufmerksamkeit. Die von einer Redaktion um Harald Neubauer geleitete Zeitschrift publizierte sowohl Grundsatzbeiträge zum aktuellen politischen Tagesgeschehen als auch zu strategischen und theoretischen Fragen. (…) Auch 2009 bedienten die Monatshefte verschwörungstheoretische Erwartungen ihrer Leserschaft

Somit wäre nunmehr geklärt, warum Silone-Memes mit dem angeblichen Zitat ab 2009 exklusiv und nur im deutschsprachigen Raum in sozialen Medien verwendet wurden. Das angebliche Zitat wurde 2009 in das Propaganda-Arsenal aufgenommen und ab da intensiv von der entsprechenden Klientel verwendet.

Die Zitate von Bondy[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zugeschriebene Zitate waren schon immer problematisch, da die Quellelage oft sehr dürftig ist. Daher wird im wissenschaftlichen Kontext eher selten auf zugeschriebene Zitate rekurriert. Bei wissenschaftlichen Arbeiten sind Primärquellen obligat. Auf der Suche, ob es außer Bondy eine andere unabhängige Quelle oder einen anderen Autor gibt, welche die Authentizität des Silone-Spruchs belegen könnte wurde ich leider nicht fündig.

Bei der Sichtung deutschsprachiger rechtsextremer Literatur um 2009 ergab sich ein weiteren Fund, der auf Silone verwies, jedoch in einer etwas abgewandelter Form. In der rechtsextremen russlanddeutschen Zeitschrift „Panorama“ Nr. 6 vom 1. Juni 2009 wurde auf der Titelseite folgendes „zitiert“:

Der neue Faschismus wird nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Er wird sagen: Ich bin der Antifaschismus. Ignazio Silone 1978

Der Publikation war nicht zu entnehmen, ob Silone das 1978 geäußert hat, oder sein Todesjahr hier nur diesen Anschein erwecken sollte (in sozialen Medien, wie etwa Twitter feiert die Datierung aus Mangel an validen Quellen fröhliche Umstände). Nachdem ich also vergebens nach weiteren Quellen für eine Bestätigung suchte, konzentrierte ich mich auf Texte von Bondy um zu schauen, ob es wenigstens bei ihm weitere Erwähnungen gibt, welche eventuell eine Authentizität bestätigen könnte.

Wir rekapitulieren - das angebliche Zitat von Silone entstammt offenbar einem Nachruf von Bondy, der in Erinnerung an ein Ereignis im Oktober 1944, 35 beziehungsweise 44 Jahre später, mitten im Kalten Krieg 1979/1988 geschrieben wurde, und nichts darüber verrät, im welchen Zusammenhang Silone diese Aussage getätigt hat. Bondy schreibt den Spruch Silone zu und liefert gleichzeitig die eigene Interpretation und den Kontext als „kaustische Aperçu prophetisch“. Die Frage stellte sich also, ob diese Aussage wirklich authentisch sein kann, oder aber Bondy Silone die Aussage „sinngemäß“ in den Mund gelegt hat. Tatsächlich gibt es einen Hinweis auf letzteres. Denn es fand sich eine weitere, ältere Aussage von Bondy, welche sich auf den gleichen Spruch bezieht.

In der Zeitschrift Encounter (Vol. 47) erschien 1976, zwei Jahre vor Silones Tod, ein Artikel von Bondy unter dem Titel „European Notebook“, wo er auf Seite 51 in einem Nebensatz folgendes schrieb:

This reminded me of what Ignazio Silone said in 1945 soon after he returned to Italy from his Zurich exile: "The Fascism of tomorrow will never say 'I am Fascism.' It will say: 'I am anti-Fascism.

Wie man unschwer erkennen kann, stimmt die angebliche Aussage Silones im Vergleich der Darstellung Bondys von 1976 und 1979/1988 weder

  • in der Formulierung (hier „Der Faschismus von Morgen wird niemals sagen“ versus „Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen“)
  • noch mit dem Zeitpunkt (1945 versus 1944 - beides vor Kriegsende)
  • in der Ortsangabe (hier Italien versus Genf)
  • noch im Kontext, in den Bondy es einbettet, überein (im welchem Zusammenhang Silone das Gesagte gesagt haben soll, schweigt sich Bondy in beiden Texten aus).

Der Bondy-Kontext 1976 bettet Silones Spruch als Kommentar Bondys in seinem Bericht über ein Gespräch mit dem Kunsthistoriker und Kleinverleger Vanni Scheiwiler. Bondy zitiert Scheiwiler, der sich über den neuen Konformismus in Mailand und den Niedergang der intellektuellen Vitalität beschwerte:

I spoke the other day to the art historian Vanni Scheiwiler who publishes in Milan. But Signor Scheiwiler is pessimistic; he says that under the influence of the new conformism the city, after all the cultural centre of Italy, has been undergoing a decline in intellectual vitality. Anyone who comes up with something that does not fit in with the line is promptly put down by being called a Fascist. The word Fascist is repeated so often that one wonders whether it hasn’t lost all meaning! This reminded me of what Ignazio Silone said in 1945 soon after he returned to Italy from his Zurich exile: "The Fascism of tomorrow will never say 'I am Fascism.' It will say: 'I am anti-Fascism.

Diesen Kontext stellt Bondy her und nicht Silone, der sich mit Scheiwiler nie befasst hat. Es ist auch hier eine Erinnerung Bondys und kein Interview, wie manchmal behauptet wird. Interessanterweise kann man dem Bondy-Text von 1976 auch nirgends eine „Warnung“ oder eine „Prophezeiung“ entnehmen, wie heutzutage in sozialen Medien gerne behauptet wird (dazu später).

Der Bondy-Kontext 1988 ist ein völlig anderer. Auf Seite 84 spielt Bondy auf Silones Buch „Die Schule der Diktatoren“ an und beschreibt Silones „imaginierte – zuweilen auch wirklich geführten“ Dialoge, in denen er „sarkastische Verve“, „Ironie“ und „epische Phantasie“ entfaltete. Als Beispiel nennt Bondy die als Zitat oben schon genannte kursierende Aussage Silones, jedoch ohne einen weiteren konkreten Zusammenhang zu erwähnen. Durch seinen Nachsatz, indem er diesen Satz den Stempel „kaustisch Aperçu prophetisch“ (sarkastisch geistreiche Bemerkung) verpasste, stellte Bondy, 10 Jahre nach Silones Tod, den Kontext her, wie der Satz zu verstehen sei, erklärbar durch die Endphase des Kalten Krieges, wo „der Antifaschismus in der Tat instrumentalisiert“ wurde (etwa durch die DDR, die Antifaschismus als Staatsdoktrin einführte).

Die Gesamtpassage lautet:

Die «Schule der Diktatoren» konnte wie später «Das Abenteuer eines armen Christen» auf die Bühne gebracht werden. Im imaginierten – zuweilen auch wirklich geführten – Dialog entfaltete Silone sarkastische Verve, Ironie, auch epische Phantasie. Was er im Gespräch sagte – manchmal nach einer langen Pause, die wie ein endgültiger Abbruch der Unterhaltung wirkte - , prägte sich ein. Ich traf Silone in Genf am Tag, an dem er aus dem Exil nach Italien zurückkehrte, und plötzlich sagte er: «Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: ‹Ich bin der Faschismus›. Nein, er wird sagen: ‹Ich bin der Antifaschismus›.» Viele Jahre später, als «Antifaschismus» in der Tat instrumentalisiert wurde und zu einem Slogan herunterkam, verstand ich, daß dieses kaustische Aperçu prophetisch war.

In der englischen Originalversion aus 1979 ist die Formulierung wieder anders (François Bondy: Ignazio Silone: In Memoriam. The Washington Quarterly, vol. 2 (1979), issue 2, S. 131):

When I met him in Geneva on the day of his scheduled return home after the long exile in Switzerland, Silone said abruptly: «If at a future moment fascism will return, it will not be so stupid as to say: 'I am fascism. ' It will say: 'I am antifascism».'

In keinem der insgesamt drei Texte führt Bondy auf, in welchem Kontext Silone diesen Spruch gesagt haben soll, auf was konkret er sich bezogen haben könnte. Aber genau das macht eine Instrumentalisierung leicht. Ignazio Silone sprach übrigens kein Englisch. Neben seiner Muttersprache Italienisch sprach er Französisch, Spanisch und etwas Deutsch.

Ein weiteres Detail spricht für eine Verselbstständigung und Überhöhung in Bondys Erinnerung, die scheinbar über die Jahre hinweg eine Art Stille-Post Metarmophose durchläuft. Das ist bei jedem Menschen normal, dass Ereignisse manchmal mit wachsendem Abstand in der Erinnerung größer werden durch beispielsweise Übertreibung und sich so von der Realität entkoppeln. Das lässt sich in unserem Fall anhand der Texte von 1976, 1979 und 1988 sehr gut nachzeichnen. Im Text von 1976 endet der Abschnitt mit einer Erinnerung an den Spruch, den Silone angeblich getätigt haben soll (hier 31 Jahre später) eher im saloppen Nebensatz („Das erinnerte mich...“. Es folgt ein Bericht aus Spanien - kein Hinweis auf eine Prophezeihung oder gar einer Warnung. Keine drei Jahre später, 1979 folgt der Erinnerung ein Nachsatz „It took me years to understand that this was a prophecy.“ 1976 schien Bondy entweder noch nicht so weit gewesen zu sein oder aber der Satz war ihm (Bondy) 1979 für seine eigene Botschaft so wichtig, dass er das so formulierte. Weitere 9 Jahre später (1988) wurde die Erinnerung für Bondy schließlich zu der „sarkastisch geistreichen Bemerkung“ hochstilisiert, welche er zudem als prophetisch attribuierte.

Das bisher Dargelegte lässt nur den Schluß zu, dass es sich bei diesem angeblichen Silone Zitat nicht um ein authentisches Zitat Silones handelt.

Hierzu hat Benutzer Assayer auf der Diskussionsseite des Wikipedia Artikels zu Silone treffend angemerkt: „Mit anderen Worten, Francois Bondy instrumentalisiert Silone, sodass es sich weniger um ein Silone-Zitat, als um ein Bondy-Zitat handelt. Das, was Bondy 1988 zu verstehen meint, wird dann ja auch gleich mitzitiert.“'

Die Instrumentalisierung Silones durch Bondy (konkret die kontextlose und im Wortlaut auch divergierende Übernahme eines Spruchs aus dem Gedächtnis und deren Eibettung in seinen eigenen Kontext) bereitete letztendlich den Boden für die weitere Instrumentalisierung durch neurechte bis rechtsextreme Ideologen, welche die Silone-Memes ab 2009 in ihr Arsenal aufnahmen und sehr gezielt zur Diskreditierung des Antifaschismus einsetzen, indem sie Antifaschismus mit Linksextremismus oder mit Faschismus gleichsetzen.

Das war letztendlich auch der Grund für meine Löschung des Zitat-Abschnittes im Wikipedia Silone-Artikel. Man kann in einer Enzyklopädie nicht eine Instrumentalisierung darstellen, indem man die Instrumentalisierung reproduziert. Dies ist bis heute Konsens bei den Autoren in Wikipedia.

Andere Recherchen zum Spruch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Der Blogger Dominik Lagushkin veröffentlichte am 4. Juni 2013 auf seinem Blog die Seite Über untergejubelte, aber gern verwendete Zitate. Seine frühe Recherche kam, obwohl er nur die Bondy Quelle aus 1988 kannte, zu selben Schlüssen wie ich. Er war es auch, der dankenswerterweise auf die rechtsextreme Zeitschrift Nation und Europa aus 2009 verwies. Als Österreicher zeigte er anhand von Beispielen welche politischen Ecke den Spruch in der Tagespolitik verbreitet und verwendet.
  • Am 30. Januar 2020 erschien in der linken Zeitschrift Jungle World ein Arikel von Christian R. Schmidt unter dem Titel Silones Warnung. Darin entfaltete er ein Gedankenspiel um sich der Frage zu nähern, was Silone vielleicht gemeint haben könnte und ob der Spruch überhaupt authentisch sein kann. Schmidt verwendete für seinen Gedankenspiel ebenfalls die Bondy Quelle aus 1988 (Zitat: „Soweit bekannt, ist dies die einzige Quelle für den Silone zugeschriebenen Ausspruch“). Im Ansatz ist dieser Artikel recht ordentlich, allerdings mit dem Manko, dass ältere Bondy Quellen, hier die aus 1979 (der Bondy Text 1988 war eine teilweise übersetzte Variation des englischen Nachrufs aus 1979, nur viel ausgeschmückter) und vor allem die älteste aus 1976, nicht berücksichtigt wurden, weil er sie offenbar nicht kannte. Sein Gedankenspiel wäre sicher anders ausgefallen. Sein Artikel wurde übrigens nicht nur gekürzt, sondern auch seine ursprüngliche Überschrift von „Ignazio Silone und der Faschismus“ in das mehr reisserische „Silones Warnung“ abgeändert. Das Ergebis ist, dass seither Rechtsextreme die "Linke"-Quelle gerne nutzen, um auf „eine Warnung“ Silones zu verweisen, obwohl alle oben besprochenen Bondy Textstellen und auch der Artikel von Schmidt das nicht hergeben. Seinen ungekürzten Artiel vom 11. August 2019 Ignazio Silone und der Faschismus ist im direktem Vergleich wesentlich besser. Ein Beispiel für Verschlimmbesserung.


Der Antifaschismus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

12. März 2021

Antifaschismus - das ist keine Ideologie, sondern eine Haltung, entstanden unmittelbar als Reaktion und Folge (nicht nur) des Nationalsozialismus in Deutschland. Entstanden ist der Antifaschismus als genuin demokratische Bewegung in Italien der frühen 1920er Jahre als Antwort auf den Terror und den Morden der Schwarzhemden Mussolinis. Mit einer antifaschistischen Haltung haben die Gründer der Bundesrepublik das Grundgesetz geschrieben und damit diese Haltung fest in unserer Verfassung verankert: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ (Artikel 1 GG).

Mit dem Erstarken neurechter und rechtsextremer sozialen Bewegungen in Deutschland fast 80 Jahre nach dem Niedergang des Nationalsozialismus, welche sich auch an den Wahlerfolgen ihrer parlamentarischen Ableger ablesen lässt, geht eine zunehmende Diskreditierung des Antifaschismus einher. In sozialen Medien wird Antifaschismus von diesen Strömungen verstärkt mit Linksextremismus oder gar Faschismus gleichgesetzt, obwohl unsere Demokratie im Kern antifaschistisch ist, jeder Demokrat, der diese Verfassung stützt im Prinzip Antifaschist ist. Dass diese Angriffe auf den Antifaschismus letztendlich darauf zielen die Demokratie per se zu delegitimieren wird einem erst klar, wenn man sich auf die Spuren der Verursacher der Diskreditierung macht.

Anti-Antifa[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Spur führt zu einem prominenten Ideengeber für die Neue Rechte, nämlich zu Hans-Helmuth Knütter, Spiritus Rektor einer intellektuellen Anti-Antifa, der in den 1980er Jahren einerseits behauptete, dass der Rechtsextremismus in Deutschland eigentlich gar keine Chance mehr hätte, und andererseits ein von Antifaschisten aufgestelltes „rechtsextremistisches Schreckbild“ als reine Propaganda denunzierte. „Antifaschismus als Mittel der Destabilisierung der Bundesrepublik Deutschland“ war dann auch Titel und zentrale These eines seiner Aufsätze (1987). Norbert Reichling fasste die publizistischen Aktivitäten Knütters gegen dem Antifaschismus 1993 wie folgt zusammen:

Ungeachtet aller verquetschten Dementis, der Rechtsextremismus solle nicht kleingeredet werden, trägt Knütter durch seine Publikationen gezielt zur Eingemeindung rechtsradikaler Argumente in den Kreis demokratischer Positionen bei.[1]

Knütter, so Reichling, würde ein letztes Gefecht gegen den „Antifaschismus als «Schrumpfform» des Kommunismus“ „herbeiphantasieren“, unter Zuhilfenahme von „Freund-Feind-Schemata und Pathologisierung“. Knütters These fand schließlich seine Fortsetzung in seinem 1993 erschienen Werk „Die Faschismuskeule“. Der Begriff „Faschismuskeule“ wurde anschließend als Bestandteil neurechter Tagespolitik eingeführt und institutionalisiert. Über den Zusammenhang zwischen der militanten und intellektuellen Antifa, der gemeinsamen zeitlichen Entstehung am Beispiel der Protagonisten in meiner Heimatstadt Bonn, habe ich bereits andernorts geschrieben und werde das hier nicht wiederholen. Bitte hier nachlesen.

Antifaschismus, also eine Haltung, als extremistisch zu brandmarken, zu kriminalisieren und zu delegitmieren ist ein fester Bestandteil rechtsextremer und neurechter Propaganda und findet auch heute international - also nicht nur in Deutschland - seinen Niederschlag, etwa als der ehemalige Präsident der USA Donald Trump sich nicht entblödete die „Antifa“ als „terroristische Vereinigung“ verbieten zu wollen. Ein Unterfangen, dass in Deutschland von der Alternative für Deutschland nachgeplappert wurde. Im diesen Kontext sind die in der Einleitung dieser Unterseite erwähnten Memes zu betrachten. Die Methode in sozialen und alternativen Medien nie getätigte Aussagen politischen Gegnern in den Mund zu legen und diese als Zitate zu präsentieren (mit Memes von Silone, Churchill, Adorno, Gramsci oder Long etwa), ist ein beliebtes Mittel aus der Propagandakiste.

Bleibt zu erklären, warum aktuell in sozialen und alternativen Medien von Seiten des organisierten Rechtsextremismus mit Fake-News und Fake-Zitaten hantiert wird und was das für Wikipedia bedeutet. Dazu folgt ein weiteres Kapitel dieser Unterseite.


Der Faschismus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

17. März 2021

Nach dem 2.Weltkrieg war die politische Rechte in Europa diskreditiert – die Menschen, welche der rechtsextreme Ideologie folgten waren jedoch nicht verschwunden. Der beginnende Kalte Krieg machte es möglich, die extreme politische Rechte wieder salonfähig zu machen. Die Strategen, die fleißig daran arbeiteten eine Gesellschaft wieder nach rechts zu rücken erfanden neue Konzepte, um den Errungenschaften moderner Zivilisation, wie Freiheit und Gleichheit, den Garaus zu machen.

Die Strategie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Camouflage in der Natur, hier Fangschrecken

Die Nachkriegszeit war die Geburtsstunde einer Neuen Rechten, die den Faschismus erst einmal von Hitler befreite und vom „Hitlerismus“ entkernte, indem man sich gezielt auf die Wegbereiter des nationalsozialistischen Desasters, nämlich auf die „Konservativen Revolutionäre“ berufte, mit deutlichen Sympathien für Julius Evola und Benito Mussolini oder der Falange in Spanien. Die neurechte Legendenbildung folgte von Anfang an dem gleichen Muster: im Anschluss an den Kalten Krieg die Gleichsetzung von Nationalsozialismus mit Sozialismus und im Zuge dessen, etwas die Propagierung, dass Nationalsozialismus in erster Linie Sozialismus sei. Wegbereiter des Nationalsozialismus wie etwa Oswald Spengler oder Ernst Jünger wurden in diesem Kontext als Widerstandskämpfer gegen Hitler hochstilisiert. Einer der ersten neurechten Protagonisten, Armin Mohler, prägte sehr früh die Strategie des Etikettenschwindels, oder, wie es der Philosoph Matthias Schloßberger treffend formulierte:

Die Motive Mohlers, seine eigene geschichtsphilosophische Option unter den Begriff des Konservatismus zu stellen, liegen klar auf der Hand. Wer im Klima der 1950er Jahre einen neben dem Nationalsozialismus gescheiterten Faschismus salonfähig machen wollte, musste sein Anliegen unter einem anderen Etikett präsentieren. Es waren begriffspolitische Gründe, die ihn dazu bewogen haben mögen, die Bezeichnung „Konservative Revolution“ zu wählen, zumal Ernst Jünger, dessen Sekretär er 1949 wurde, nun tatsächlich eine konservative Wende vollzogen zu haben schien. Späte Konsequenz war es, dass Mohler sich in den 1980er Jahren dann selbst als Faschist bezeichnet hat.[2]

Wichtigstes Ziel dieser Strategie war und ist die Entgrenzung des Rechtsextremismus, rechtsextremes Gedankengut in die Mitte der Gesellschaft zu tragen und wieder Salonfähig zu machen. Ihre Protagonisten passten sich sprachlich dem Mainstream an und vertraten ab den 1970er Jahren ihre rechtsextremistischen Positionen in frischem, scheinbar unverfänglichem Gewand. So wurde etwa der Begriff des „Ethnopluralismus“ 1973 durch Henning Eichberg popularisiert und gehört heute fest zum Arsenal neurechter Ideologie. Das Narrativ ordnet Menschen in unterschiedliche „Völker“ und „Kulturen“ mit jeweils in sich geschlossener Identität ein. Diese „Völker“ haben feststehende und unveränderliche Eigenschaften und können angeblich nur auf ihrem angestammten Territorium gedeihen. Konflikte entstehen erst, wenn Menschen anfangen sich zu „vermischen“, weil sie ihre Heimat verlassen haben. So rufen etwa die Identitären heute nicht wie seinerseits die NPD-Anhänger „Deutschland den Deutschen“ oder „Ausländer raus“, sondern sprechen von „Remigration“ und „Ethnopluralismus“, auch wenn das gleiche gemeint ist. Gerade das Beispiel des Begriffs „Ethnopluralismus“ zeigte die Anschlussfähigkeit rechtsextremer Ideologeme an aktuelle gesellschaftliche Debatten. Dies ist jedoch nur ein Beispiel von vielen anderen, denn die Neue Rechte entwickelte mittels Ihrer „Think-Thanks“ wie GRECE, dem Thule-Seminar oder dem Institut für Staatspolitik neue Konzepte, worin es vor allem um „kulturelle Hegemonie“ im Diskurs von gesellschaftlichen Themen, Deutungen und Lösungen geht. Dass dies auch außerhalb Deutschlands geschieht, sieht man am neurechten Protagonisten Steve Bannon.

Geiselnahme von Begriffen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Dieser „Kampf um Begriffe und Deutungen“ wird seit Jahren verstärkt im Internet, in sozialen und alternativen Medien aber auch in Wikipedia ausgetragen. Welche Wendung eine Begriffsbeschlagnahmung nehmen kann, durfte ich selbst anhand des Begriffes „Querdenker“ erfahren. Ich war und bin schon immer, im positiven Sinn, ein „Querdenker[3]. Wenn ich das heute unter Freunden äußere, werde ich mittlerweile schief angeschaut, weil mit heutigen „Querdenkern“ die „Covidioten“, also etwas ganz anderes assoziiert wird.

Dass solche Geiselnahmen von Begriffen durchaus erfolgreich sein können, kann man am Begriff „Konservativ“ aufzeigen. Die Gründung der AfD stellt einen solchen Terraingewinn dar, welcher eingeleitet wurde durch die Begriffsbeschlagnahmung als die „wahren Konservativen“ und der gezielten Diskreditierung der konservativen Partei CDU. Dies begann lange vor der Gründung der AfD und unter anderem mittels einer Aktion Linkstrend Stoppen etwa (heute mehr oder weniger ersetzt durch die Werteunion), in der am Ende zumindest am rechten Rand des politischen Spektrum die CDU nicht mehr als konservative, sondern als linke Partei wahrgenommen wurde/wird.

Die Strategie der Destabilisierung von Demokratie und sozialen Rechtsstaat findet so aktuell ihren Niederschlag im politischen Tagesgeschehen, über Memes in sozialen und alternativen Medien, und dazu gehört auch die im ersten Teil dieser Unterseite beschriebene Instrumentalisierung von zeitgeschichtlichen Gegnern des Faschismus, wie Ignazio Silone, mittels zugeschriebenen Fake-Zitaten. Wenn Rechtsextremisten sich als Konservative ausgeben können, Konservative als linksradikale denunziert werden - wenn Demokratie als Diktatur denunziert wird und Freiheit als Tyrannei - wenn also Rechtsextremisten sich zu harmlosen Demokratiekritiker deklarieren, als harmlose Identitäre – dann ist in dieser propagandistischen Logik Antifaschismus natürlich gleich Faschismus.

Das Problem hierbei ist, dass aktuell – bedingt durch die Pandemie und den durchaus berechtigten existenzialen Ängsten der Menschen – solche Propaganda anschlussfähig ist an bürgerliche und esoterische Kreise. Die rechtsextremen schwarz-weiß-roten Fahnen sind dieser Tage nicht ohne Grund auf vielen Querdenker-Demonstrationen zu sehen. Dazu hat die TAZ übrigens einen sehr klugen Artikel publiziert aus dem ich folgende Passage als eine Art Warnung zitieren möchte:

Eine Wirklichkeitswahrnehmung kann so irre sein, wie man es sich nur vorstellen kann – wenn Menschen auf der Grundlage einer solchen Wahrnehmung handeln, schafft dieses Handeln nichtsdestoweniger Wirklichkeit.[4]


Anmerkungen und Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Norbert Reichling, Antifaschismus als Grundtorheit unserer Epoche?, In: Vorgänge Nr. 124, Heft 4 1993, S. 49
  2. Matthias Schloßberger, Rekonstruktion der „Konservativen Revolution“: Nietzsche – Jünger – Mohler, In: Sebastian Kaufmann und Andreas Urs Sommer, Nietzsche und die Konservative Revolution, De Gruyter 2018, S. 567
  3. Das habe ich im Februar 2019 kommuniziert - also bevor die „Querdenker-Demonstrationen“ 2020 boomten
  4. Harald Welzer, Irre, TAZ vom 10. März 2021


Verweise auf diese Seite[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]