Benutzer:Ob.helm/Bauvorhaben Gezi Park - Auslöser von landesweiten Protesten

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Mit dem Bauvorhaben Gezi Park als Auslöser von landesweiten Protesten in der Türkei sind anhaltende Demonstrationen und Aktionen gegen die Regierung von Recep Tayyip Erdoğan gemeint, die am 28. Mai 2013 in Istanbul mit Demonstrationen gegen ein geplantes Bauprojekt auf dem Gelände des Gezi-Parks, neben dem Taksim-Platz begannen. Nach gewaltsamen Polizeieinsätzen am 31. Mai 2013 opponierten Demonstranten in mehreren türkischen Großstädten gegen die als autoritär empfundene Politik der islamisch-konservativen Regierungspartei Adalet ve Kalkınma Partisi (AKP).[1]

Der Gezi Park wurde Mitte Juni von der Polizei gewaltsam geräumt und erst rund drei Wochen später erstmals für wenige Stunden wieder eröffnet.[2] Neben Istanbul wurde besonders Ankara Schauplatz anhaltender Proteste und gewalttätiger Auseinandersetzungen mit der Polizei, insbesondere am Kızılay-Platz, im Kuğulu-Park und im Dikmen-Viertel.[3] Die schwersten Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Polizeikräften während der Unruhen fanden in von Aleviten dominierten Vierteln und in der Provinz Hatay statt. Nach offiziellen Angaben nahmen während der ersten drei Monate mehr als 3,5 Millionen Menschen an rund 5000 Protestaktionen teil.

Bis zum 1. August 2013 kamen während der Proteste nach Angaben des türkischen Ärzteverbandes TTB vier Zivilisten und ein Polizist ums Leben.[4] Von der TTB wurden über 8100 Verletzte registriert,[4] von den türkischen Sicherheitsbehörden 4.329, darunter 697 Polizisten.[5]

Demonstranten im Gezi-Park am 3. Juni 2013.

Hintergrund[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die AKP stellt seit 2002 die Regierung. Bei den Parlamentswahlen in der Türkei am 3. November 2002 erreichte sie 34,4 %, Durch eine Nachwahl am 9. März 2003 in der Provinz Siirt konnte am 11. März 2003 Recep Tayyip Erdoğan das Amt des Ministerpräsidenten übernehmen; seitdem hat er es inne. Das Kabinett Erdoğan I amtierte bis 29. August 2007. Bei den Wahlen am 22. Juli 2007 erreichte die AKP 46,6 %. Das Kabinett Erdoğan III regiert seit 2011. In ihrer dritten Amtszeit zeigte die Regierung Erdoğan – nach Einschätzung des Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung (ZfTI) wie die von ihr abgelöste kemalistische Regierung – zunehmend autoritäre Züge.[6]

Praktisch im Alleingang hatte Erdoğan beschlossen, dass die kleine Grünfläche des Gezi-Parks einem Einkaufzentrum weichen solle. Laut einem Bericht einer Vereinigung türkischer Immobilienagenturen ist bis 2015 in der Türkei der Bau von 100 neuen Einkaufszentren geplant; mehr als 80 davon sollen in Istanbul und Ankara gebaut werden, obwohl Fachleute warnen, dass der Markt in den beiden Städten bereits übersättigt sei. Die Zeitung Hürriyet berichtete, allein in Istanbul hätten in jüngster Zeit elf Einkaufszentren mangels Nachfrage geschlossen werden müssen.[7]

Verlauf der Ereignisse[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

→ Hauptartikel: Zeittafel der Proteste in der Türkei 2013

  • 27. Mai: In Istanbul fahren erste Bulldozer zur Entwurzelung von Bäumen im Gezi-Park am Taksim-Platz vor. Es kommt zu einer Kundgebung von Mitgliedern der Initiative „Solidarität mit dem Taksim Platz“ im Gezi-Park1 und zu Zusammenstößen mit der Polizei. Über soziale Netzwerke verbreitet sich der Aufruf „occupy Gezi“ schnell. In Istanbul wachsen die Protestgruppen am Gezi-Park.
  • 31. Mai: Beim Polizeieinsatz in Istanbul erleiden Hunderte Personen durch Tränengas und Wasserwerfer Verletzungen, darunter auch Journalisten und eine in Deutschland lebende Frau.
  • 1. Juni: Erdoğan verteidigt die Polizeieinsätze und fordert die Menschen auf, die Proteste zu beenden, doch setzen Hunderttausende Demonstranten in 40 türkischen Städten die Proteste fort. In Ankara wird der 26-jährige Ethem Sarısülük während der Proteste durch Kopfschuss von einem Polizisten tödlich verletzt.
  • 2. Juni: In Eskişehir wird der 19-jährige Student Ali İsmail Korkmaz auf der Flucht vor dem Polizeieinsatz während einer Demonstration von einer Gruppe unbekannter Täter tödlich verletzt. In Istanbul wird der 21-jährige Mehmet Ayvalıtaş von einem in eine Gruppe von Demonstranten fahrenden Auto tödlich verletzt.
  • 3. Juni: In Antakya wird der 22-jährige Abdullah Cömert während der dortigen Proteste durch zwei Schläge auf den Kopf tödlich verletzt.
  • 5. Juni: In Ankara, Rize, Ankara and Tunceli setzen sich Zusammenstöße fort. In Adana verletzt sich der Polizeikommissar Mustafa Sarı beim Sturz von einer im Bau befindlichen Brücke tödlich.
  • 12. Juni: In Istanbul räumt die Polizei morgens gewaltsam den Taksim-Platz. In Istanbul erleiden über 70 Personen Kopfverletzungen, eine Person erleidet eine durch ein Schädeltrauma ausgelöste Gehirnblutung, eine Person verliert ein Auge.
  • 16. Juni: In Ankara kommt es im Zuge der Beerdigung von Ethem Sarısülük zu heftigen Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften. In Istanbul wird der Teenager Berkin Elvan von einer Tränengaspatrone lebensgefährlich am Kopf verletzt. An den Folgen der Verletzung stirbt Elvan nach einem monatelangen Koma im März 2014.[8]
  • 28. Juni: In Istanbul und anderen Orten kommt es zu Solidaritätsaktionen, nachdem in der Provinz Diyarbakır der 18-jährige, ethnisch kurdische Demonstrant Medeni Yıldırım bei Auseinandersetzungen mit der Gendarmerie getötet worden war.
  • 10. Juli: Die Anzahl der bekannten Toten erhöht sich durch den Tod von Ali İsmail Korkmaz auf fünf.
  • 9. September: In Antakya-Armutlu wird Medienberichten zufolge bei einer Solidaritätsdemonstration in der Nacht auf den 10. September der 22-jährige Ahmet Atakan tödlich verletzt.

Formen der Proteste[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Verlauf der Demonstrationen entwickelte sich neben traditionellen Formen des Protestes auch neue Aktions- und Organisationsformen. Erdoğans herabsetzend verwendete Bezeichnung der Demonstranten als Çapulcu (deutsch: Plünderer auch im Sinne von Chaot verwandt) wurde von der Protestbewegung positiv und ironisch umgedeutet und zur Eigenidentifikation verwendet. Wie seit Beginn der Proteste spielten die sozialen Onlinemedien die entscheidende Rolle dabei, den Begriff von Erdoğan zu erobern und positiv zu besetzen.[9]

Mit dem Schlagen auf Töpfe und Pfannen oder ähnliche Küchengeräte zur Lärmerzeugung signalisierten Menschen ihre Unterstützung der Demonstranten bereits seit Beginn der Demonstrationen auch von ihren Wohnungen oder Balkonen aus. Es handelt sich dabei um eine traditionelle Form des Protestes in der Türkei, die auch im Zusammenhang mit dem Susurluk-Skandal weit verbreitet war. Ein sehr spezifischer Protest wurde als duran adam (also stehender Mann) bekannt. Nachdem am 17. Juni ein stadtweites Demonstrationsverbot über Istanbul verhängt worden war, stellte sich der Künstler Erdem Gündüz in der folgenden Nacht stundenlang auf den Taksim-Platz und blickte in einer Art Steh-Performance in Richtung des vom Abriss bedrohten Atatürk-Kulturzentrums.[10] In der Folge verbreitete es sich als passive Widerstandsform in der gesamten Türkei auf öffentlichen Plätzen. Laut der linksgerichteten Zeitung Jungle World nahmen im Laufe der Zeit auch Kopftuchträgerinnen an den Stehprotesten auf dem Taksim-Platz oder in den Parks teil.

Tote, Verletzte und Festnahmen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach einer Aufstellung des Menschenrechtsvereins IHD vom 28. Februar 2014[11] kam es zu folgenden Todesfällen bei Protesten um den Gezi-Park in Istanbul gegen die Regierung von Recep Tayyip Erdoğan zu folgenden Todesfällen:

Ziffer Datum Name Ort Einzelheiten
1 1. Juni 2013 Ethem Sarısülük Ankara Schuss eines Polizisten aus 3 Meter Entfernung. Der Tatverdächtige wurde freigelassen.
2 2. Juni 2013 Mehmet Ayvalıtaş Ümraniye Ein Auto fuhr in die protestierende Menge und tötete ihn
3 3. Juni 2013 Abdullah Cömert Antakya Er starb durch zwei heftige Schläge eines Polizeibeamten auf den Kopf
4 5. Juni 2013 Mustafa Sarı Adana Polizeibeamter, der bei der Verfolgung von Demonstranten von einer Brücke fiel
5 28. Juni 2013 Medeni Yıldırım Lice Bei Protesten vor einem Militärposten wurde er durch die Kugel eines Soldaten getötet.
6 10. Juli 2013 Ali İsmail Korkmaz Eskişehir Er floh vor Pfeffergas und wurde in einer Nebenstraße von Personen mit Stöcken erschlagen
7 9. September 2013 Ahmet Atakan Antakya Er wurde von Tränengas-Kartuschen getroffen und starb durch den Sturz aus dem 5. Stock eines Hauses
8 11. März 2014 Berkin Elvan Istanbul Berkin Elvan (damals 14) wurde am 16. Juni 2013 in der Istanbuler Okmeydanı-Gegend von einer Tränengaspatrone am Kopf getroffen und erlitt eine Schädelfraktur mit Hirnblutung. Er befand sich seitdem in einem induzierten Koma

Der Bericht des IHD führt zwei weitere Todesfälle auf, die jedoch in keinem Zusammenhang mit den Protesten um den Gezi Park zu stehen scheinen. Des weiteren wurden 774 Aktionen gezählt, bei denen 9564 Personen von den Sicherheitskräften geschlagen und/oder verletzt worden sein sollen. Bei den Demonstrationen sollen 6977 Menschen festgenommen worden sein.

Das Generaldirektion für Sicherheit in der Türkei gab im November 2013 eine Analyse der Vorfälle um den Gezi-Park heraus.[12] Dieser Analyse zufolge kam es zwischen dem 28. Mai und der ersten Woche im September 2013 (in 112 Tagen) zu 5532 Aktionen in 80 Städten der Türkei. An den Aktionen waren ca. 3,6 Millionen Menschen beteiligt. Die Sicherheitskräfte nahmen 5513 Personen fest, von denen 189 in U-Haft kamen. Es wurden 4329 Demonstranten und 697 Polizeibeamte verletzt. Fünf Menschen verloren ihr Leben. Die Mehrheit der Demonstranten (56 %) waren zwischen 18 und 25 Jahren alt. Der Anteil von Alewiten unter den Demonstranten soll 78 % betragen haben.

Verletzungsursachen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Freiwillige versorgen Verletzte.

Die Türkische Medizinervereinigung erklärte, die Mehrzahl der Verletzungen sei auf den Einsatz von Wasserwerfern und Tränengas zurückzuführen.[13] Auch der Präsident des Weltärztebundes (WMA), Cecil B. Wilson, gab in einem Brief an Erdoğan Wasserwerfer und Tränengas als Ursache für die meisten Verletzungen an. Der WMA verurteile den unverhältnismäßigen Einsatz dieser Mittel, der möglicherweise als Menschenrechtsverletzung eingestuft werden müsse.[14]

Nach einem Mitte September veröffentlichten Bericht der TTB klagten 39 Prozent der 11000 landesweit Befragten Demonstranten, über fortdauernde Auswirkungen des Tränengases, wobei 14 Prozent weiterhin unter Hautirritationen litten und 10 Prozent von Schwindel und Gleichgewichtsproblemen berichteten.[15]

Einwirkung des Tränengases[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Als die Sicherheitskräfte innerhalb von 20 Tagen 130.000 Tränengaspatronen verbraucht hatten, plante die Türkei die Anschaffung weiterer 100.000 Patronen.[16] Die TTB forderte in einer „dringenden“ Pressemitteilung des Gösteri Kontrol Ajanları Bilimsel Danışma Kurulu vom 19. Juni das unverzügliche Verbot des als Pfefferspray bekannte Reizstoffes mit dem Wirkstoff Oleoresin Capsaicin, der zusammen mit anderen chemischen Kampfstoffen als chemische Waffe betrachtet werden solle. Den Ergebnissen der TTB zufolge sei es seit dem 31. Mai bereits zu „zehntausenden“ Verletzungen durch „Gas“-Einsatz gekommen. Die Anzahl der indirekt Getöteten sei unbekannt.[17]

Laut Amnesty International zögen die Auswirkungen des unverhältnismäßigen Tränengaseinsatzes auch Passanten in Mitleidenschaft, die nicht an den Protesten beteiligt seien. So sei Tränengas unter anderem in abgeschlossenen Bereichen wie den U-Bahnstation am Taksim-Platz und in Gebäuden eingesetzt worden, in denen Protestierende Zuflucht gesucht hatten.[13] Human Rights Watch (HRW) forderte in einem Bericht vom 17. Juli 2014 die Türkei auf, eine falsche und unrechtmäßige Verwendung von Tränengas zu beenden.[18] Im September 2013 rief Amnesty International dazu auf, dass kein Tränengas, gepanzerte Fahrzeuge und andere Projektile zur Kontrolle von Unruhen an die Türkei geliefert werden, bis sie das Recht auf friedfertige Versammlung und Meinungsfreiheit garantiert.[19] Neben Brasilien, Indien, Südkorea und den USA sollen auch Belgien, China, die tschechische Republik, Hongkong und Großbritannien die Türkei mit solchem Material beliefert oder Bereitschaft bekundet haben, die Türkei damit zu beliefern.[19]

Nach dem Chemiewaffenübereinkommen der Vereinten Nationen von 1992 dürfen Polizeikräfte Tränengas zur „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“ und „innerstaatlichen Bekämpfung von Unruhen“ einsetzen – das ist in der Türkei legal, aber auch in Deutschland.[20] Am 2. Juli 2013 unterzeichnete die Türkei das Arms Trade Treaty (Abkommen zum Waffenhandel), das im März 2014 noch nicht in Kraft getreten war.[19]

Einwirkung von Zusätzen im Wasser der Wasserwerfer[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Polizeibeamte geben dem Tank eines Wasserwerfers eine unbestimmte Flüssigkeit hinzu.

Laut dem Generalsekretär der Istanbuler Sektion der TTB, Hüseyin Demirdizen, war dem Wasser der Wasserwerfer – Masseninterventionsfahrzeuge (TOMA) – eine nicht näher definierbaren Chemikalie, vermutlich Reizgas, beigemischt worden.[21] Allein am 16. Juni erlitten laut der TTB 20 Menschen in Istanbul Verbrennungen, die durch säurehaltiges Wasser verursacht wurden, das von Wasserwerfern auf sie gespritzt wurde.[22]

Nach Angaben der Tagesschau soll der Gouverneur von Istanbul bestätigt haben, dass den Wasserwerfern der Polizei ein Reizstoff beigemischt wurde, der zu schweren Hautreizungen führe.[23][24] Einem Bericht der Hürriyet zufolge konnte die Zeitung mit Fotos belegen, dass dem Wasser flüssiges Pfeffergas (Capsaicin oder Capsaicinderivate) beigemischt wurde. Auf den Fotos wird ein Wasserwerfer mit einem Zehn-Liter-Kanister, der die Aufschrift „Jenix“ – der Markenname eines Pfeffersprays – trägt, befüllt. Laut dem Chef der Istanbuler Ärztekammer, Ali Çerkezoğlu, zeigten Menschen, die mit dem Wasser in Berührung gekommen sind, eine „allergische Reaktion“.[25]

Mechanische Einwirkung von Tränengasgranaten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Laut Amnesty International zeigen Videoaufnahmen, dass die Polizei vorsätzlich Tränengaskanister auf Protestierende schleuderte.[13] Auch nach Angaben von Human Rights Watch (HRW) haben die Einsatzkräfte Demonstranten durch gezieltes Abschiessen von Tränengas-Projektilen verletzt. Es seien „zahlreiche Fälle von Verletzungen am Kopf oder am Oberkörper durch verschossene Tränengas-Kartuschen“ dokumentiert.[26]

Mitte Juni verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das Zielen auf die Köpfe von Demonstranten an dem Fall eines 13-Jährigen, der von einer Kartusche am Kopf verletzt worden war. Ein Bericht der Menschenrechtsorganisation Physicians for Human Rights (PHR) von September 2013 kam zu dem Ergebnis, dass die türkische Regierung während der Demonstrationen im Juni unnötige und exzessive Gewalt angewendet hat, Tränengas in einem massiven Ausmaß als Waffe verwendet hat und vorsätzlich auf medizinische Einrichtungen und medizinisches Personal abgezielt hat.[27]

Seit 2009 genehmigte die Bundesregierung jedes Jahr den Export von Pfefferspray und zugehörigen Abschussgeräten im Wert von rund 140.000 Euro in die Türkei. Als Ausstattungshilfe schenkten Bundeskriminalamt und -innenministerium den türkischen Behörden Observations- und Computertechnik, Diensthunde sowie Schutzwesten für 300.000 Euro.[28]

Gerichtsverfahren[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Am 28. Februar 2014 veröffentlichte der Menschenrechtsvereins IHD einen Bericht über die Verletzungen des Rechts auf Leben und der Demonstrations- und Meinungsfreiheit bei den Protesten gegen den Bau eines Einkaufzentrums im Gezi Park.[29] Der IHD kommt in seinem Bericht (Stand 31. Dezember 2013) auf 78 Verfahren, in denen 3276 Personen angeklagt sind, 1309 davon alleine in Kırklareli.[29]

Einzelne Meldungen des IHD-Berichts zu Gerichtsverfahren ergeben eine Gesamtzahl von 2166 Angeklagten. Die Meldungen sind den täglich erscheinenden Berichten der Stiftung für Menschenrechte in der Türkei (TIHV) entnommen worden. Das Demokratische Türkeiforum (DTF), die deutsche Unterstützergruppe der TIHV hat im Februar 2014 Meldungen zu Verfahren wegen der Gezi Proteste in deutscher Sprache wiedergegeben.[30] Aus diesen Meldungen ergibt sich eine Zahl von weiteren 1527 Angeklagten. Im Unterschied zum IHD hat die TIHV erfahren, dass allein in Kırklareli 16 Verfahren eröffnet wurden, in denen 3108 angeklagt sind.[31]

Unter den Angeklagten in Kırklareli befinden sich auch Halil Muhacir, Vorsitzender der Ärztekammer Kırklareli, der Generalsekretär Taner Pehlivan, das Vorstandsmitglied Bahadır Tunçol und der Angestellte Süleyman Edesan. Am 13. Februar 2014 machte die Ärztekammer Ankara in einer Pressekonferenz auf eine Klage des Gesundheitsministeriums aufmerksam.[32] Das Gesundheitsministerium beantragte darin, den Vorstand und die Organe der Ärztekammer Ankara ihrer Ämter zu entheben, da sie im Verlauf der Ereignisse von Gezi "unter dem Namen Krankenstation gesetzwidrig, unbefugt und unkontrolliert Gesundheitsdienste geleistet und Aktivitäten jenseits ihrer Ziele entfaltet haben".

Die TIHV meldete am 13. Februar 2014, dass auch gegen die Ärztekammer in Istanbul ein solches Verfahren eröffnet wurde.[33]. Schon im Januar 2014 hatte der Weltärztebund, die Bundesärztekammer der Ständige Ausschuss der Europäischen Ärzte, der Britische Ärzteverband, die „Physicians for Human Rights“ und andere Organisationen gegen ein Gesetz protestiert, mit dem in der Türkei die Notfallversorgung durch Ärzte kriminalisiert werden und Ärzte bei Zuwiderhandlung bestraft werden sollen.[34]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Proteste gegen Erdogan: Fast tausend Festnahmen in der Türkei. Spiegel Online, 1. Juni 2013, abgerufen am 2. Juni 2013.
  2. Proteste Türkei – Zusammenstöße nach Gezi-Park Eröffnung, Berliner Zeitung, 8. Juli 2013, archiviert vom Original am 9. Juli 2013.
  3. Police detain protesters as thousands gather at Taksim Square (englisch). Hürriyet Daily News, 29. Juni 2013, archiviert vom Original am 24. Juli 2013.
  4. a b Göstericilerin Sağlık Durumları / The Health Status Of The Demonstrators - 1 Ağustos 2013 (türkisch). Türk Tabipleri Birliği, archiviert vom Original am 20. September 2013. Nominelles Herausgabedatum ist der 25. Juli 2013. Als Bearbeitungsstand wird der 1. August 2013, 16 Uhr, angegeben.
  5. Geziye katılmayan tek il (türkisch). Milliyet.com.tr, 25. November 2013, von Tolga Şardan, archiviert vom Original am 26. November 2013.
  6. Caner Aver, Dirk Halm (Mitarb.): Proteste gegen die Regierung in der Türkei – Eine Zwischenbilanz - (PDF). In: Stiftung Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung (ZfTI), 24. Juni 2013, S. 1–4, archiviert vom Original (PDF; 347 KB) am 3. Juli 2013.
  7. Die Schlacht um den Gezi-Park. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. Juni 2013, von Michael Martens, archiviert vom Original am 18. Juli 2013.
  8. Türkischer Junge stirbt nach neun Monaten Koma. In: Spiegel Online vom 11. März 2014 (abgerufen am 13. März 2014).
  9. Siehe Die Zeit vom 7. Juni 2013 Sie nehmen Erdoğan die Worte weg; Zugriff am 31. März 2014
  10. Siehe u.a. Frankfurter Rundschau vom 18. Juni 2013 Ein Mann macht Erdogan nervös; Zugriff am 31. März 2014
  11. Der Bericht zu Gezi (Türkisch) ist als PDF Datei verfügbar; Zugriff am 24. März 2014
  12. Darüber berichtete Bianet vom 25. November 2013 unter Berufung auf eine Nachricht in der Tageszeitung Milliyet unter dem Titel Polisten Gezi Direnişi Analizi (Analyse der Polizei zum Widerstand von Gezi); Zugriff am 25. März 2014
  13. a b c Urgent Action / Türkei: Gewaltvolle Repression der Proteste stoppen!. Amnesty International, 14. Juni 2013, abgerufen am 14. Juni 2013 (archiviert am 14. Juni 2013). Nominelles Herausgabedatum ist der 11. Juni 2013.
  14. WMA Urges Turkish Authorities to End Excessive Force (englisch). WMA, 5. Juni 2013, archiviert vom Original am 31. Juli 2013.
  15. Report On The Assessment Of Health Problems In Persons Exposed To Chemical Riot Control Agents (englisch; PDF), 1. Ausgabe, Turkish Medical Association, Central Council, Ankara, September 2013, S. 27., ISBN 978-605-5867-75-1, archiviert vom Original (PDF; 3,4 MB) am 4. Oktober 2013.
  16. Protest gegen Erdogan – Türkei geht das Tränengas aus, Frankfurter Rundschau, 19. Juni 2013, archiviert vom Original am 29. Juli 2013.
  17. Biber gazı ve diğer gösteri kontrol ajanları kimyasal bir silah olarak kabul edilmelidir! Acilen yasaklanmalıdır! (türkisch). Türk Tabipleri Birliği, 19. Juni 2013, archiviert vom Original am 19. Juni 2013.
  18. Der Bericht Turkey: End Incorrect, Unlawful Use of Teargas enthält 10 Fälle, in denen Menschen durch übermäßige und gewaltsamen Einsatz von Tränengas durch die Polizei verletzt wurden; Zugriff am 23. März 2014
  19. a b c Der Bericht vom 12. September 2013 wurde unter dem Titel Turkey: Fresh protests spark fears over pending tear gas shipments veröffentlicht; Zugriff am 23. März 2014
  20. Siehe einen Artikel in Focus vom 17. Juni 2014 Wie gefährlich sind Tränengas, Pfefferspray und Wasserwerfer?; Zugriff am 23. März 2014
  21. Neuber, Harald: Protestwelle in der Türkei: Türkische Ärzte im Visier. Deutsches Ärzteblatt, 110 (26) (2013) (Printversion: 28. Juni 2013), S. A-1308 f., archiviert vom Original am 26. Juni 2013. Alternativ: PDF-Version, archiviert vom Original am 26. Juni 2013.
  22. Göstericilerin Sağlık Durumları / The Health Status Of The Demonstrators – 17 Haziran 203 (türkisch). Türk Tabipleri Birliği, 17. Juni 2013, archiviert vom Original am 17. Juni 2013. Als Bearbeitungsstand wird der 17. Juni 2013, 18 Uhr angegeben. Englische Version (Textdatei): Health Statues of demonstrators – Data covered by medical chambers and phsicians (31st of MAY – 17th of JUNE), archiviert vom Original (MS Word; 41 KB) am 21. Juni 2013.
  23. Bittere Bilanz nach neuer Gewalt Tagesschau.de, abgerufen am 17. Juni 2013.
  24. Proteste in der Türkei – Bittere Bilanz nach neuer Gewalt. tagesschau.de, 17. Juni 2013, archiviert vom Original am 21. Juni 2013.
  25. Verdacht auf Pfefferspray in türkischen Wasserwerfern. Zeit Online, 17. Juni 2013, archiviert vom Original am 20. Juni 2013.
  26. Turkey: End Incorrect, Unlawful Use of Teargas, Human Rights Watch, 17. Juli 2013, archiviert vom Original am 30. Juli 2013.
  27. PHR Documents Unlawful Use of Force and Tear Gas and Attacks on Medical Community in Turkey (Englisch). Physicians for Human Rights (PHR), Pressemitteilung, 25. September 2013, archiviert vom Original am 29. September 2013.
  28. Die Angaben beruhen auf einer Anfrage der Fraktion Die Linke und wurde in der Frankfurter Rundschau vom 17. Juli 2013 zitiert: Türkische Polizei mit Pfefferspray aus Deutschland; Zugriff am 23. März 2014
  29. a b Der Bericht zu Gezi (Türkisch) ist als PDF Datei verfügbar; Zugriff am 24. März 2014
  30. Vergleiche die Berichte des DTF im Februar 2014; Zugriff am 31. März 2014
  31. Siehe den Bericht der TIHV für den 4 March 2014 (Englisch); Zugriff am 31. März 2014
  32. Die entsprechende Meldung ist in Türkisch auf den Seiten der Ärztevereinigung der Türkei zu finden.
  33. Siehe die englischen Berichte für den 13. Februar 2014; Zugriff am 31. März 2014
  34. Siehe hierzu eine Presseerklärung der Bundesärztekammer vom 22. Februar 2014 oder auch die Erklärung der Physicians for Human Rights vom 17. Januar 2014 Turkish President Signs Bill that Criminalizes Emergency Medical Care