Benutzer:Oskar Delta/Strukturierte Analyse (qualitative Analysen)

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Strukturierte Analyse beschreibt das Vorgehen, bei dem Schritt für Schritt strukturierte Analysetechniken eingesetzt werden, die den Denkprozess von Analysten externalisieren und damit erfassbar für andere machen. Diese Vorgehensweise erlaubt es Anderen, den Denkprozess nachvollziehen, diskutieren und konstruktiv kritisieren zu können. Auf diese Weise wandelt sich der Analyseprozess von einem traditionell individuellen Bestreben hin zu einer Gruppenaktivität, bei der alle Gruppenmitglieder mit den Perspektiven der jeweils anderen Mitglieder konfrontiert werden. Die strukturierte Analyse soll den Austausch von Informationen fördern, das Lernen in Gruppen ermöglichen und individuelle Schwachpunkte im Fachwissen kompensieren.[1]

Strukturierte Analysetechniken[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Strukturierte Analysetechniken (SATs) sind das Herzstück strukturierter Analyse. Sie leiten durch den Analyseprozess und ermöglichen eine strukturierte und transparente Vorgehensweise. Sie erleichtern das Analysieren in Gruppen. Darüber hinaus zielen strukturierte Analysetechniken auf das Vermeiden oder Reduzieren negativer kognitiver Effekte ab, die bei der Nutzung intuitiver Analyse auftreten. Hierbei handelt es sich vor allem um Biases[2], Heuristiken[3] und intuitive Stolperfallen. Klassische Beispiele für strukturierte Analysetechniken sind Brainstorming-Techniken, die Analyse konkurrierender Hypothesen, der Key-Assumptions-Check und die SWOT-Analyse. Das englischsprachige Standardwerk auf diesem Feld umfasst insgesamt 60 Analysetechniken.

Strukturierte Analyse grenzt sich ab von der intuitiven Analyse. Diese „traditionelle“ Analyse basiert auf intuitivem Denken und kombiniert Fachwissen und grundlegende Denkfähigkeiten. Beispiele dieser Analyseform sind historische Vergleiche, die Fallstudienmethode (case study method) und analogiebasierende Schlüsse. Der Hauptunterschied zur strukturierten Analyse liegt darin, dass der Denk- und Analyseprozess im Wesentlichen ein individueller Prozess bleibt, bis ein erster Produktentwurf angefertigt wird.[4]

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bei der Geschichte von strukturierten Analysetechniken müssen zwei unterschiedliche Facetten unterschieden werden. Die erste Facette bezieht sich auf die Techniken selbst. Diese stammen aus unterschiedlichen Bereichen. Der Bereich Intelligence Analysis ist nur einer davon – die Wirtschaft ist beispielsweise ein anderer Bereich. Die zweite Facette ist die Geschichte der strukturierten Analyse innerhalb des Bereichs Intelligence Analysis. Vorreiter in der Entwicklung und Adaption strukturierter Analysetechniken sind die USA und hier speziell die CIA.[5] Dort gab es bereits in den 1970er und 1980er Jahren grundlegende Überlegungen, wie sich die menschliche Informationsaufnahme und Verarbeitung auf Analysen auswirkt. Inhaltlich wegweisend waren hierbei Randolph Pherson und Richards Heuer. So ist Heuer beispielsweise der Erfinder der Analyse konkurrierender Analysen – der ACH – einer der bekanntesten Techniken.[6]

Bis ins Jahr 2005 war das, was heute unter dem Dach der strukturierten Analysetechniken zu finden ist, unter dem Begriff „alternative Analysis“ bekannt.[7] Das „Alternative“ bezogt sich vor allem darauf, auch alternative Hypothesen mit in die Analyse mit einzubeziehen. Aber auch auf die Vermeidung von Einschätzungen des Gegners aus der eigenen Perspektive –  also dem Mirror Imaging. Einen echten Schub bekam die „Alternative Analysis“ dann durch zwei sehr tragische Vorfälle. Zum Einen die Anschläge vom 11. September 2001 und zum Anderen die Fehler der U.S. Intelligence Community im Zusammenhang mit der Invasion der USA in den Irak 2003.  Diese Fehler führten zu einer Reform der U.S. Intelligence Community – dem Intelligence Reform and Terrorism Prevention Act.[8]

Ein Teil dieser Reform war der National Security Intelligence Reform Act.  Dieser sah die Einrichtung einer zentralen Stelle für die Aufsicht über die Tätigkeiten der unterschiedlichen Intelligence-Organisationen vor. Also der CIA, FBI, NSA und so weiter. Diese zentrale Stelle ist das Office of the Director of National Intelligence – kurz ODNI. Das ODNI entwickelte 2007 die  Intelligence Community Directive (ICD) 203.[9] Hier wurde das erste Mal verbindlich festgelegt, nach welchen analytischen Standards in der US Intelligence Community gearbeitet werden sollte. Teil dieser Standards sind auch die „alternative analysis“ – also der begriffliche Vorgänger der strukturierten Analysetechniken. Diese sind inzwischen also intregraler Bestandteil angemessenen analytischen Handwerks in der U.S. Intelligence Community.  

Rezeption in Deutschland[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Notwendigkeit intuitive Analyse durch strukturierte Analyse zu ergänzen, wird zunehmend auch in Deutschland erkannt. Auf Ebene der Bundeswehr und der deutschen Nachrichtendienste wurde 2019 der Master of Intelligence and Security Studies etabliert. Hier wird unter anderem auf die Felder Intelligence Analysis und „Methoden der Intelligence & Security Studies“ gesetzt.[10]

Auf akademischen Feld befasst sich zudem die OTH Regensburg mit strukturierten Analysetechniken. So fand beispielsweise 2019 eine Summer University über „Sicherheit und Strategische Analysen“ statt, bei der der Fokus auf: „[…] strukturierten Analysetechniken [lag] und gab Impulse zu kritischem und analytischem Denken, wobei die Vermittlung von praxisnahen berufsbezogenen Konzepten ebenso einen hohen Stellenwert einnahm.“[11]

Im Bereich der Polizei Hamburg wird mit dem „Berufsbild Kriminalitätsanalytik“ die Wichtigkeit erkannt, dass „[…] in Methodenkompetenz und somit die Qualifikation von Menschen zu investieren, um den auch zukünftig immer wieder neuen Herausforderungen und Möglichkeiten begegnen zu können.“[12] Hier wurden strukturierte Analysetechniken im „Modulhandbuch Grundausbildungs- und Aufbaumodule Kriminalitätsanalyse“ fest integriert.[13]

Kritik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Ansatz strukturierter Analyse ist nicht unumstritten. So argumentieren Welton Chang et al., dass die Anwendung von strukturierten Analysetechniken die Auswirkungen von Biases und Heuristiken auch erhöhen könnten.[14] Eine Studie des RAND-Institutes kommt zu dem Schluss, dass Analyseprodukte, die auf Grundlage strukturierter Analyse zu Stande gekommen sind ein breiteres Spektrum möglicher Entwicklungen und Implikationen adressieren, als Analysen die anders zu Stande gekommen sind. Die Autoren der Studie regen an, dass der Nutzen von strukturierten Analysetechniken weiter wissenschaftlich untersucht werden sollte.[15] Auch Randolph Pherson und Richards Heuer, die beiden amerikanischen Pioniere auf diesem Feld regen an, dass weitere Forschungen betrieben werden sollten. Sie machen „[…] Vorschläge, wie die Effektivität von SATs wissenschaftlich untersucht werden könnte. Sie legen hierbei den Fokus auf das durch die jeweilige SAT angestrebte Ziel und ob dieses erreicht wird. Beispielsweise ist das Ziel des Key Assumptions Check (KAC) die Identifikation und das Überprüfen von einer Analyse zu Grunde liegenden Annahmen. Daher sollte die Zielsetzung einer wissenschaftlichen Überprüfung sein, ob beispielsweise dieses Ziel bei der Anwendung eines KAC erreicht wurde oder nicht. Ähnlich sollte mit weiteren SATs verfahren werden.“[16]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • A Tradecraft Primer: Structured Analytic Techniques  for Improving Intelligence Analysis, Prepared by the US Government, 2009, online: https://www.cia.gov/library/center-for-the-study-of-intelligence/csi-publications/books-and-monographs/Tradecraft%20Primer-apr09.pdf
  • Heuer, Jr., Richards J.: / Pherson, Randolph: Structured Analytic Techniques for Intelligence Analysis, 2nd Edition, CQ Press, California 2015.
  • Heuer, Jr., Richards J.: Psychology of Intelligence Analysis, Center for the Study of Intelligence, 1999.
  • Hendrickson, Noel: Reasoning for Intelligence Analysis – A Multidimensional Approach of Traits, Techniques, and Targets, Rowman & Littlefield, Maryland 2018.
  • Kahneman, Daniel: Schnelles Denken, Langsames Denken, 13. Auflage, Penguin Verlag, München 2012.
  • Pherson, Katherine / Pherson, Randolph: Critical Thinking for Strategic Intelligence, 2nd Edition, CQ Press, California 2017.
  • Pherson, Randolph: Handbook of Analytic Tools & Techniques, 5th ed., Pherson Associates LLC, 2018.
  • Pherson, Randolph / Heuer, Jr., Richards J.: Structured Analytic Techniques for Intelligence Analysis, 3rd Edition, CQ Press, California 2020.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Pherson, Randolph / Heuer, Richards: Structured Analytic Techniques for Intelligence Analysis. 3. Auflage. CQ Press, California 2020, S. 20 ff.
  2. Ole Donner: Bias. Abgerufen am 24. November 2021.
  3. Ole Donner: Heuristik. Abgerufen am 24. November 2021.
  4. Pherson, Randolph / Heuer, Richards: Structured Analytic Techniques for Intelligence Analysis. 3. Auflage. CQ Press, California 2020, S. 17 ff.
  5. CIA: Tradecraft Primer. Abgerufen am 14. November 2021.
  6. Richards Heuer: Psychology of Intelligence Analysis. Center for the Study of Intelligence, 1999.
  7. Richards Heuer / Randolph Pherson: Structured Analytic Techniques for Intelligence Analysis. Band 2. CQ Press, California 2015, S. 8 f.
  8. ODNI: CIVIL LIBERTIES AND PRIVACY OFFICE - INTELLIGENCE REFORM AND TERRORISM PREVENTION ACT OF 2004. Abgerufen am 14. November 2021.
  9. ODNI: Analytic Standards. Abgerufen am 14. November 2021.
  10. Center for Intelligence and Security Studies: MISS. Abgerufen am 14. November 2021.
  11. OTH Regensburg: Summer University über „Sicherheit und Strategische Analysen“. Abgerufen am 14. November 2021.
  12. Polizei Hamburg wir informieren: Projekt: „Entwicklung Berufsbild Kriminalitätsanalytik“. Abgerufen am 14. November 2021.
  13. Polizei Hamburg: Hamburger Polizei Journal. Nr. 5, 2021, S. 24 (polizei.hamburg [PDF]).
  14. Welton Chang et al.: Restructuring structured analytic techniques in intelligence. In: Intelligence and National Security. Band 33, Nr. 3.
  15. Stephen Artner, Richard S. Girven, James B. Bruce: Assessing the Value of Structured Analytic Techniques in the U.S. Intelligence Community. Hrsg.: RAND CORPORATION. (rand.org).
  16. Ole Donner: Structured Analytic Techniques for Intelligence Analysis von Richards Heuer und Randolph Pherson - Buchrezension -. Abgerufen am 14. November 2021.

Kategorie:Methoden, Techniken und Verfahren