Benutzerin:BlaueWunder/Wikimania - review

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Ja, bin ich denn hier auf dem Piratenparteitag?[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

wiki2013hk[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Es war nicht die Lage am Südchinesischen Meer, wo es ja noch Piraten gibt, die diesen Gedanken aufflammen ließ, denn er überfiel mich immer dann, wenn ich - im Auditorium und den Seminarräumen der PolyU - meinen Blick auf die anderen Teilnehmer der Wikimania schweifen ließ. Ein Großteil der Zuhörer hatte ihren Laptop oder ihr Smartphone vor sich und twitterte, haute Edits in die Tasten oder las, was andere geschrieben hatten oder gerade schrieben. Dass diese anderen vielleicht drei Reihen hinter ihnen in der gleichen Veranstaltung saßen, kam mir unvermittelt in den Sinn und dann auch komisch vor.

Eine der ersten Amtshandlung auf der Wikimania ist entsprechend das Eingeben des W-LAN-Passwortes der diesjährigen Konferenz. Offenbar gehört die Möglichkeit, online zu sein, zu den verbrieften Grundrechten dieser Generation.

Dagegen gehöre ich zu einer aussterbenden Art, ein Relikt aus dem letzten Jahrtausend, jemand, der noch Fotoalben anlegt und beschriftet und Schule wie auch Studium ohne Wikipedia durchlaufen hat, also analog. Ungelogen.

Als Frau und jenseits der 45 zähle ich zudem zu der Spezies User, die in der Wikipedia unterrepräsentiert ist. Und da ich dazu noch im pädagogischen Bereich tätig bin, bleibt meine Wahrnehmung entsprechend der allenthalben diskutierten Problemlagen „Allgemeinbildung“, „Chancengerechtigkeit“, „cultural clash“ und „Nutzen und Gefahren des Internets“ sensibilisiert. Aus dieser Perspektive sind folgende Eindrücke entstanden:

Verkehrschaos und Verständnisprobleme im asiatischen Sommer[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Meine chinesische Sitznachbarin im Flugzeug, zurück aus dem Urlaub in Deutschland, hatte ihre Verwunderung über die Hitze in Leipzig, das Hochwasser und die fehlenden Klimaanlagen dort und, schlimmer noch, die nicht vorhandenen Ventilatoren, geäußert. So schlimm wird die Hitze in Hongkong dann schon nicht sein, dachte ich. Neben Einkaufstipps hatte sie mir noch den Hinweis gegeben, dass die Telefone am Flughafenausgang kostenfrei seien - sehr praktisch, wenn der Neuankömmling kein Kleingeld zur Verfügung hat.

Da sie ein ausgezeichnetes Englisch sprach, fand ich es umso erstaunlicher, wieviel Bewohner Hongkongs abseits der touristischen Hauptzentren kein Englisch verstehen bzw. sprechen können – und dies nur gut 15 Jahre nach Ende des Status als britische Kronkolonie. Allerdings finden sich Anklänge an den ehemaligen Kolonialherren u.a. im Linksverkehr, der praktischen "Octopus-card", die der Londoner "Oyster-card" ähnelt und der doppelten Beschriftung der Straßennamen. Doch schon wenige Gehminuten von der PolyU entfernt war es bereits ein Glücksspiel, jemanden anzusprechen, der die englischen Straßenbezeichnungen versteht. Im Bus fand sich jedoch immer jemand mit Sprachkenntnissen, im Unterschied zum Personal in meinem 3-Sterne-Hotel in der Wuhu-Street im eher chinesisch bewohnten Teil Hung Homs. Hilfe wurde mir häufig über die App im Handy angeboten, und interessanterweise waren es eher die Frauen, die bereitwilliger und zuverlässiger Auskunft gaben.

Man geht aber offenbar kaum zu Fuß, was angesichts von 35 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von bis zu 90% auch ratsam erscheint und mithilfe des hervorragend ausgebauten Bus- und U-Bahnnetzes und der zahllosen Taxis, die die Straßen Hongkongs in einen roten Fluss verwandeln, sehr leicht durchzuhalten ist. Auf diese Weise ist man dem Gestank und der immensen Luftverschmutzung – die South China Morning Post spricht von „severe pollution“ – nicht so ausgesetzt. Gegen die Sonne schützt man (besser: frau) sich mit dem Regenschirm (der während der zahlreichen Schauer auch noch in seiner originären Funktion eingesetzt werden kann), gegen den Gestank und die Milliarden von Viren in den Menschenmengen mit dem Mundschutz. Die Gesichtsmaske soll auch das übermäßige Bräunen der Haut verhindern, denn eine blasse Haut gilt bei den Frauen als Symbol für Jugend und Schönheit.

Online sein[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In den öffentlichen Bussen, den Cafés und auch den restrooms (komfortabel ausgestattete Aufenthaltsräume vor den Toiletten) der großen Kaufhäuser gibt es free Wifi, und das Angebot wird exzessiv genutzt, nach meinem Eindruck stärker als in (Nord-)Europa. Ein Eindruck, der sich auch in den ärmeren südostasiatischen Ländern wie Thailand, Korea, Vietnam und Kambodscha bestätigen wird, wo landesweit erstaunlich gute Zugangsmöglichkeiten bestehen. Facebook und co sind mindestens so beliebt wie in westlichen Ländern, doch bedauerlicherweise üben online-Wettspiele eine fatale Anziehungskraft auf die Männer, nicht nur die jungen, aus und sind für so manchen finanziellen Ruin ganzer Familien verantwortlich, wenn im Rausch selbst der Wasserbüffel und Haus und Hof verspielt werden.

Auch soll die Cyberkriminalität eine reale Gefahr darstellen, Phishing beim Online-Banking und Skimming der EC- oder Kreditkartendaten. Die ATMs erkennen - anders als die „sensibler“ getunten europäischen Geldautomaten - die aus den abgefangenen Daten hergestellten Doubletten nicht als Fälschung und spucken bereitwillig Geldsummen an die Hacker aus.

Dass auch andere Daten von ganz anderer Seite abgefangen werden, wissen wir spätestens, seit Snowden von sich Reden gemacht hat. Auf der Eröffnungsfeier erhielt Jimmy Wales lautstarken Applaus für sein eingeworfenes Bedauern, dass der berühmteste Whistleblower nicht mehr in Hongkong weile, er hätte ihn sonst als Ehrengast eingeladen.

Die schöne neue Welt steckt demnach also voller Gefahren, mit den Möglichkeiten steigen bekanntlich die Missbrauchsmöglichkeiten und meine Bank reagierte darauf, indem die EC-Karte vorsichtshalber gleich gesperrt wurde. Doch worin liegen die eindeutig positiven Möglichkeiten der weltweiten Vernetzung? Und ist das neueste Smartphone nicht in erster Linie ein Statussymbol der westlichen bzw. postindustriellen Gesellschaften?

Wikipedia zero[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Für mich war daher ein besonderes Aha-Erlebnis, was ich auf der Abschlussveranstaltung über die revolutionäre Nutzung des Mobiltelefons erfuhr. Eine zunehmend große Anzahl der Edits erfolgt mittlerweile mit dem Handy, und dementsprechend wird fieberhaft an der Verbesserung der mobilen Version der Wikipedia gearbeitet. Warum, machte die charismatische Sue Gardner eindringlich deutlich, als sie in einem sehr bewegenden letzten Auftritt als Managerin einen Filmausschnitt mit diesen Worten ankündigte:

„We want to enable access to free knowledge for every single person on the planet.“

Jeder einzelne Mensch soll freien Zugang zu dem gesammelten Wissen der Menschheit haben. Auch Menschen in sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländern. Auch Kinder und Jugendliche, die ansonsten keinen Zugang zu Bildung haben, weil die Schulen zu weit weg sind und sie oftmals ohne Bibliotheken auskommen, weil nur wenige Jahre Schulbesuch finanzierbar oder realisierbar sind, weil keine Printmedien verfügbar sind, keine Bücher gekauft und aufbewahrt werden können, weil es vielleicht keinen festen Wohnsitz oder zuverlässige private Stromversorgung, geschweige denn PCs oder genügend Lehrer gibt. Unzählige Gründe, doch institutionalisierte Bildung wie in der Ersten Welt bleibt oftmals nur ein frommer Wunsch.

Umso fantastischer, was die Wikimedia-Foundation in Zusammenarbeit mit einigen Telefonanbietern bzw. Providern ausgehandelt hat, um dem Ziel ein Stück näher zu kommen, nämlich kostenlose Verbindung zu den Wikipedia-Seiten zu ermöglichen. Das Video verschaffte einen plastischen Eindruck, wie Schülerinnen und Schüler den kostenlosen Zugang nutzten, um ihre Sprachkenntnisse zu verbessern, zu recherchieren, Projekte vorzubereiten und zu koordinieren und sich eingebunden fühlen in die Welt des Wissens mit Hoffnung auf Teilhabe. Der Hauptfokus liegt dabei auf Afrika, Asien, dem Nahen Osten, Osteuropa und Lateinamerika. Länder wie Serbien, Russland, Saudi-Arabien, Indonesien, Thailand, Bangladesch, Malaysia, Indien, Uganda, Botwana oder die Elfenbeinküste und viele andere sind beteiligt. Die Wikipedia ist in wenigstens der Landessprache, häufig in einigen Hauptsprachen und z.T. in allen Sprachen gratis zugänglich, denn das meint Wikipedia zero, null Kosten, damit auch die, für die der Internetzugang nicht finanzierbar ist, in die Welt des Wissens eintauchen können.

Wenn man bedenkt, dass alles ohne kommerzielle Werbung funktioniert und Wikipedia auf der Liste der weltweit am häufigsten aufgerufenen Seiten die Nummer 5 einnimmt, kann man dem Projekt nur allen erdenklichen Erfolg wünschen.

Diversität[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Somit erahne ich allmählich, was Vielfalt heißen kann: nicht nur Einbindung von Frauen oder den Neuen Medien traditionell kritisch gestimmten „Bildungsbürgern“, sondern Einbezug aller: Männer und Frauen, Mädchen und Jungen aus dem sogenannten „global south“, von Menschen, die bislang kaum formale Bildung erfahren haben, aber über einen reichen Erfahrungsschatz mündlich weitergegebenen Wissens verfügen und Einbezug von Bevölkerungsgruppen, die aus Ländern mit staatlicher Zensur kommen und solchen, die ihre Kunstschätze, nicht nur ihr Wissen, bewahren möchten. Und das hoffentlich alles im Sinne eines Lebens in Toleranz und Friedfertigkeit, so, wie ich die Wikimania erlebt habe. Nur auf Dauer mit etwas weniger Plastikmüll und Aluminium. --BlaueWunder (Diskussion) 18:00, 8. Sep. 2013 (CEST)