Benutzerin:Ktiv/Hallischer Pietismus

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Francke-Denkmal in den Franckeschen Stiftungen (Christian Daniel Rauch, 1829)

Der Hallische Pietismus (auch Hallescher Pietismus) ist eine Form des lutherischen Pietismus, die mit der Wirksamkeit von August Hermann Francke verbunden ist. Francke kooperierte bei dem Aufbau seiner Schulstadt (Franckesche Stiftungen) und bei der Studienreform in Halle eng mit dem preußischen Staat.

Begriff und Abgrenzung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach Johannes Wallmann handelt es sich beim Hallischen Pietismus um eine Richtung des Pietismus, die zwar in Halle durch Francke und seine Mitarbeiter geprägt wurde, aber bereits vorher in Leipzig und Erfurt existent war, letzten Endes angeregt durch Philipp Jacob Spener in Berlin. Daher gibt es auch die Bezeichnung als „Spener-Franckeschen Pietismus“.

In Preußen war neben Halle als Strahlungszentrum auch Ostpreußen eine eigenständige, pietistisch geprägte Region, die man in einem weiteren Sinn als Hallischen Pietismus bezeichnen kann. In diesem weiteren Sinn kennzeichnete der Historiker Carl Hinrichs den Pietismus als „preußische Staatsreligion.“[1]

„Buß-Kampf“ und Bekehrungserlebnis[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kennzeichnend für Franckes Frömmigkeitstyp ist die plötzliche, datierbare und einmalige Bekehrung. Damit bekommt Franckes Biografie exemplarischen Charakter für den Hallischen Pietismus: was er erlebt hat, kann und soll jeder Christ erleben.

Francke selbst hatte 1687 ein religiöses Erlebnis, das seine vorausgegangene innere Krise beendete: „Denn wie man eine Hand umwendet, so war alle mein Zweiffel hinweg.“[2] Durch die Lektüre von Johann Arndt und Miguel de Molinos war Francke bereits mit dem Gedanken vertraut, dass es eine plötzliche Lebenswende, einen Durchbruch, zu Gott hin geben könne.[3] Später hat Francke den Bekehrungsweg systematisch dargestellt. Zwar werde man schon als Säugling durch den Taufbund in die Gotteskindschaft aufgenommen, aber der Mensch breche diesen Bund, so dass er in der Buße erneuert werden müsse. Das geschieht nach Francke gemäß der „Ordnung Gottes“ in mehreren Stufen:[4]

  1. „Göttliche Rührung“ des Sünders z. B. durch Leiden oder durch ein treffendes Wort;
  2. „Buß-Kampf“ durch Auseinandersetzung mit Teufel und Welt. Der Mensch erfährt sein Scheitern, bereut es und sehnt sich nach Gottes Vergebung. Diese „Geburts-Schmertzen“ (länger andauernde Lebenskrise, tiefe Niedergeschlagenheit) sind unvermeidlich.
  3. „Durchbruch“, der Sünder ergreift die Rechtfertigung und tritt in den Stand des Glaubens. Dies geht mit positiven Empfindungen (Trost, Freude) einher.

Francke verstand sich als Lutheraner und meinte, hierbei im Einklang mit Martin Luther zu sein; tatsächlich setzte er einige Akzente anders. Der „Durchbruch“ bedeutet bei ihm eine Statusveränderung des Menschen, zwar sei der Mensch lebenslang Anfechtungen ausgesetzt, doch diese haben nach der Bekehrung nicht mehr so viel Gewicht. Francke betonte anders als Luther die menschliche Willensfreiheit; die Frömmigkeit müsse aus den Werken erkennbar sein. Die Kirche wird durch die frommen Mitglieder konstituiert, nicht wie bei Luther durch Wort und Sakrament.[5]

Bibelstudium[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

An der theologischen Fakultät der Universität Halle führte Francke die von Spener angeregte Reform des Theologiestudiums durch. In den Mittelpunkt wurde das Erlernen der biblischen Sprachen Hebräisch und Griechisch sowie die gründliche philologische Beschäftigung mit dem biblischen Urtext gestellt. Entwertet wurde demgegenüber, was bisher den Lehrplan der lutherischen Orthodoxie dominiert hatte: aristotelische Philosophie und konfessionelle Polemik.[6]

Im Sommer 1696 entwarf Francke eine biblische Hermeneutik (Manductio ad lectionem Sacrae Scripturae). Grundsätzlich unterschied er bei der Bibel zwischen Schale und Kern. Die Schale – der Text – soll philologisch, historisch und logisch untersucht werden. Den Kern können aber nur die Wiedergeborenen geistlich erfassen. Wer diese lebendige Erkenntnis habe, erkenne die „symphonische Harmonie“ der ganzen Bibel und komme zu einer praktischen, alltagsrelevanten Aneignung.[7] Da Francke das Bibelstudium für einen wichtigen Teil des christlichen Lebens hielt, gab er Ratschläge, wie jeder Christ auch ohne große Vorkenntnisse „die heilige Schrifft zu seiner wahren Erbauung lesen solle“. Wichtig sei, dass das Bibellesen von Gebet begleitet werde und in die Meditation übergehe. Dabei solle man den Zweck („Skopus“) des jeweiligen biblischen Buchs kennen, der vom Hauptzweck der ganzen Bibel („unsere Seligkeit“) umfasst werde.[8]

Durch die philologische Beschäftigung mit dem Urtext wurde Francke auf Fehler in der Lutherbibel aufmerksam. Ab Januar 1695 veröffentlichte er eine Monatsschrift mit dem Titel Observationes biblicae, worin „die Teutsche Übersetzung des Sel. Lutheri gegen den Original-Text gehalten und bescheidentlich gezeiget wird Wo man dem eigentlichen Wort-Verstande näher kommen könne.“ Waren in der altlutherischen Orthodoxie schon erhebliche Vorbehalte gegen Franckes „Buß-Kampf“ und seine Lehre von der Kirche (Ekklesiologie) vorhanden, so hatte er mit der Kritik an der Lutherbibel seinen Gegnern weitere Munition geliefert. Francke focht das nicht an. Er hielt die Lutherübersetzung für unübertroffen; Luther sei aber ein fehlbarer Mensch, seine Bibel könne und solle revidiert werden.[9]

Pädagogik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Francke hatte aus bescheidenen Anfängen und unterstützt von seinem Mitarbeiterstab eine Schulstadt aufgebaut, in der erhebliche Teile der preußischen Offiziere und Beamten erzogen wurden. Zum Konzept des Unterrichts äußerte er sich 1702 in einer Programmschrift („Kurzer und einfältiger Unterricht, wie die Kinder zu wahrer Gottseligkeit und christlicher Klugheit anzuführen sind“).[10]

Ziel ist die Gottseligkeit des Kindes, der Weg dahin geht über die Einübung liebevoller christlicher Verhaltensweisen schon in früher Kindheit (nicht durch Dressur), wobei dem Vorbild des Erziehers besondere Bedeutung zukommt. Anstelle von auswendig zu lernenden Katechismusformeln sollten biblische Geschichten erzählt werden. Möglichst bald sollten die Kinder selbst imstande sein, in der Bibel zu lesen.

Der „natürliche Eigenwille“ des Kindes müsse „gebrochen“ werden, sein Gegenteil ist der Gehorsam, den Christen einander jederzeit erweisen sollen (also auch über Standesgrenzen hinweg), so weit Gottes Ehre nicht angetastet werde. Ständige Beaufsichtigung und Beschäftigung der Kinder sollten deren Züchtigung möglichst überflüssig machen; erlaubt war Abwechslung, spielerisches Lernen und sportliche Betätigung, verpönt dagegen Müßiggang und Zerstreuung, insbesondere durch fiktive schöne Literatur.

Grenzen des Hallischen Pietismus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Johannes Wallmann urteilt: „Es wurde das Schicksal des hallischen Pietismus und schnitt ihm schließlich die Lebensfäden ab, daß er sich völlig in die Organisation des aufstrebenden preußischen Staates hineinziehen lassen mußte.“[11] Martin Brecht verweist allerdings darauf, dass sich der Hallische Pietismus den Unionsplänen von Lutheranern und Reformierten, die der Berliner Hof verfolgte, zäh und letztlich erfolgreich widersetzte.[12]

Problematischer sei gewesen, dass die Universitätsreform in Halle allein auf den Praxiswert des Theologiestudiums gesetzt habe und die Theorie vernachlässigte. Die Defizite zeigten sich in der Auseinandersetzung mit der Aufklärung. Symptomatisch war hier die Vertreibung des Aufklärungsphilosophen Christian Wolff von der Universität Halle. Auf Intervention Franckes hin ordnete Friedrich Wilhelm I. dessen Absetzung und Landesverweisung an. Brecht fasst zusammen: „Der Hallische Pietismus bediente sich in seinem Kampf gegen die Aufklärung auch … denunziatorischer Argumentation sowie der Inanspruchnahme staatlicher Gewalt… Er versuchte auf diese Weise seine denkerische Schwäche zu verdecken, die aus seiner Geringschätzung der Philosophie resultierte. Ein überzeugendes und konsequentes alternatives System vermochte er indes nicht zu offerieren.“[13]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Martin Brecht: August Hermann Francke und der Hallische Pietismus. In: Geschichte des Pietismus: Der Pietismus vom siebzehnten bis zum frühen achtzehnten Jahrhundert. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1993, S. 440–540. ISBN 3-525-55343-9.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Johannes Wallmann: Eine alternative Geschichte des Pietismus. Zur gegenwärtigen Diskussion um den Pietismusbegriff. In: Pietismus und Neuzeit. Band 28, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2002, S. 30-71, hier S. 38.
  2. Martin Brecht: August Hermann Francke und der Hallesche Pietismus. Göttingen 1993, S. 445.
  3. Martin Brecht: August Hermann Francke und der Hallesche Pietismus. Göttingen 1993, S. 443.
  4. Martin Brecht: August Hermann Francke und der Hallesche Pietismus. Göttingen 1993, S. 463.
  5. Martin Brecht: August Hermann Francke und der Hallesche Pietismus. Göttingen 1993, S. 466.
  6. Johannes Wallmann: Kirchengeschichte Deutschlands seit der Reformation. 4., durchgesehene Auflage Mohr, Tübingen 1993. S. 145.
  7. Martin Brecht: August Hermann Francke und der Hallesche Pietismus. Göttingen 1993, S. 467.
  8. Martin Brecht: August Hermann Francke und der Hallesche Pietismus. Göttingen 1993, S. 467 f.
  9. Martin Brecht: August Hermann Francke und der Hallesche Pietismus. Göttingen 1993, S. 469 f.
  10. Martin Brecht: August Hermann Francke und der Hallesche Pietismus. Göttingen 1993, S. 490 ff.
  11. Johannes Wallmann: Kirchengeschichte Deutschlands seit der Reformation. 4., durchgesehene Auflage Mohr, Tübingen 1993. S. 147.
  12. Martin Brecht: August Hermann Francke und der Hallesche Pietismus. Göttingen 1993, S. 499.
  13. Martin Brecht: August Hermann Francke und der Hallesche Pietismus. Göttingen 1993, S. 506 ff.