Berufsausbildung und Studium im Gefängnis

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Berufsausbildung und Studium im Gefängnis sind Maßnahmen der Erwachsenen- und Weiterbildung während des Strafvollzugs. Sie dienen insbesondere dem Ziel, die Fähigkeiten von Gefangenen für eine Erwerbstätigkeit nach der Entlassung zu vermitteln, zu erhalten oder zu fördern.

Nach den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen[1] soll Arbeit, die eine Berufsausbildung umfasst, für Gefangene, die davon profitieren können, und insbesondere für junge Gefangene, angeboten werden. Soweit möglich soll die geleistete Arbeit so sein, dass die Fähigkeit des Gefangenen, seinen Lebensunterhalt nach der Entlassung zu verdienen, erhalten oder erhöht wird.

Die deutschen Strafvollzugsgesetze enthalten entsprechende Vorschriften, die nach der Föderalismusreform 2006 die bundesgesetzlichen Regelungen im Strafvollzugsgesetz (Arbeit, Ausbildung und Weiterbildung, §§ 37 ff. StVollzG) ersetzt haben.

Hintergrund[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Ursprungsgedanke des Angebotes fokussiert die Resozialisierung. Man geht davon aus, dass durch eine Ausbildung oder ein Studium eine bessere Grundlage für ein straffreies Leben nach der Haft geschaffen werden kann.[2] Durch Ausbildung und Studium und die dadurch vermittelten Kompetenzen sollen die Insassen ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt verbessern.[3]

Insbesondere für den Jugendstrafvollzug hat das Ziel der Befähigung zu einem straffreien Leben in Freiheit und die Ausrichtung des Vollzuges auf das Ziel der sozialen Integration ein besonders hohes Gewicht. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, ein wirksames Resozialisierungskonzept zu entwickeln und den Strafvollzug darauf aufzubauen. Dies betrifft neben Formen der Unterbringung und Betreuung, die soziales Lernen in Gemeinschaft, aber auch den Schutz der Inhaftierten vor wechselseitiger Gewalt ermöglichen, insbesondere die Bereitstellung ausreichender Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten.[4][5][6]

Schulabschluss[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ein Schulabschluss, der für eine weiterführende Ausbildung oder ein Studium relevant ist, kann im Gefängnis nachgeholt werden. Verschiedene Bildungsabschlüsse von der Hauptschule bis zum Abitur stehen zur Verfügung.[7] Der Unterricht richtet sich nach den in öffentlichen Schulen geltenden Vorschriften.[8]

Berufsausbildung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eine Berufsausbildung kann in mehreren deutschen Gefängnissen absolviert werden. Hierbei erlernen die Häftlinge erste berufliche Fähigkeiten, außerdem soll das Interesse für weiteres Lernen und einen geregelten Arbeitsalltag gefördert werden. Die Insassen werden innerhalb des Gefängnisses in Eigen- oder Unternehmerbetrieben angelernt.[9] Während die praktische Ausbildung in den vollzugseigenen Ausbildungsbetrieben durchgeführt wird, wird der theoretische Teil der Ausbildung durch den Berufsschulunterricht des Justizvollzugsamtes vermittelt.[8]

Nicht jede Ausbildung kann in jeder Justizvollzugsanstalt ermöglicht werden. Daher können Gefangene bei Interesse für eine bestimmte Berufsausbildung in ein Gefängnis, mit entsprechendem Berufsausbildungsangebot verlegt werden.[9]

Neben klassischen Ausbildungsgängen bieten manche Strafanstalten auch sogenannte Kurzausbildungen an, die nur einen Zeitraum von zwei beziehungsweise vier Monaten andauern.[10] Es gibt ein breitgefächertes Ausbildungsangebot, so z. B.: Energieelektroniker, Mediengestalter, Maurer, Maler und Lackierer, Koch, Schweißer, Gärtner oder Fliesenleger.[11]

Studium[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Auch ein Studium kann in einigen deutschen Haftanstalten angetreten und absolviert werden. Häftlinge, die einen Studiengang im Gefängnis anstreben, müssen entweder das Abitur, eine Fachhochschulreife oder eine abgeschlossene Berufsausbildung mit mehr als drei Jahren Berufserfahrung vorweisen können.[12]

Das Angebot an Studiengängen für die Insassen ist beinahe genauso groß, wie das ihrer Mitstudierenden außerhalb der JVA.[13]

Die Entscheidung darüber, ob der sich bewerbende Insasse schlussendlich studieren darf, trifft die jeweilige Strafvollzugsanstalt.[14]

Wie im Falle der Berufsausbildung, kann sich der interessierte Sträfling auch für ein Studium an eine andere JVA verlegen lassen, sofern es in der ursprünglichen Anstalt kein entsprechendes Studienangebot gibt.[13]

Bei erfolgreicher Immatrikulation kann das Studium als sogenanntes Fernstudium begonnen werden. Präsenzveranstaltungen dürfen die Häftlinge jedoch nicht besuchen. Die Insassen lernen hauptsächlich allein, ohne die Möglichkeit mit Kommilitonen und Kommilitoninnen zu interagieren. Abhilfe schafft hier ein seltenes Projekt namens „Uni im Gefängnis“: Dabei wird regulären Studierenden erlaubt, die JVA und die inhaftierten Kommilitonen für ein Semester zu besuchen. Auch die Nutzung des Internets ist den Studierenden in Haft untersagt. Dieses Nutzungsverbot beinhaltet u. a. Chats, andere gängige Online-Lerngruppen und interaktive Videoseminare der FernUni.[15]

Um dies zu ändern, wurde die Lernplattform Elis (E-Learning im Strafvollzug) entwickelt, mit der die studierenden Straftäter auf die Website und eine Offlineversion von Wikipedia zugreifen können. Elis wird mit Ausnahme von Sachsen-Anhalt und Thüringen bereits deutschlandweit sowie in Österreich verwendet.[16]

Evaluation[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Studien belegen, dass beanspruchte Bildung während des Justizvollzugs sich positiv auf das darauffolgende Arbeitsleben der Häftlinge auswirkt sowie das Rückfallrisiko senkt.[17][18]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Elena Benz: Auf dem Weg zum lebenslangen Lernen? Die Berufsbildungspolitik der Europäischen Union und die tatsächliche und rechtliche Situation der beruflichen Weiterbildung in der Bundesrepublik Deutschland. Frankfurt a. M.: Lang, 2007. ISBN 978-3-631-56449-3.
  • Johannes Feest, Wolfgang Lesting (Hrsg.): StVollzG – Kommentar zum Strafvollzugsgesetz (AK-StVollzG). Carl Heymanns Verlag, Köln 2011. ISBN 978-3-452-27536-3.
  • H. Häßler, E. Preusche et al.: (2004). Einführung der modularen Berufsausbildung und Aufbau eines Berufsintegrationsdienstes in sächsischen Justizvollzugsanstalten. Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe (ZfStrVo) 2004, S. 276–279.
  • Jens Borchert, Sabine Böttcher, Marcel Schweder: Berufliche Bildungsmaßnahmen im Jugendstrafvollzug – Eine weitere Station im Übergangssystem? Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, 2011. Link zum Download.
  • Sven Hartenstein, Susann Prätor: Schulische und berufliche Qualifizierungsmaßnahmen. In: Johann Endres, Stefan Suhling (Hrsg.): Behandlung im Strafvollzug. Ein Handbuch für Praxis und Wissenschaft. Springer-Verlag 2023, S. 507–523.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Empfehlung Rec(2006)2-rev des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten zu den europäischen Gefängnisregeln. Europarat, überarbeitete Fassung vom 1. Juli 2020, abgerufen am 15. Februar 2024.
  2. Martin Hagen: Schriftliche Anfrage. In: Bayerischer Landtag. Bayerischer Landtag, 13. August 2021, abgerufen am 14. Januar 2024.
  3. Kai Bammann, Ralf Bührs, Bernd Hansen, Eduard Matt: Bildung & Qualifizierung im Gefängnis. In: Uni Oldenburg. Eduard Matt, 2008, abgerufen am 14. Januar 2024.
  4. BVerfG, Urteil vom 31. Mai 2006 - 2 BvR 1673/04, 2 BvR 2402/04 Rz. 52 ff., 61 zur verfassungsrechtlichen Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung für den Jugendstrafvollzug.
  5. vgl. auch Frieder Dünkel: Die Europäische Empfehlung für inhaftierte und ambulant sanktionierte jugendliche Straftäter ("European Rules for Juvenile Offenders Subject to Sanctions and Measures", ERJOSSM) und ihre Bedeutung für die deutsche Gesetzgebung. Recht der Jugend und des Bildungswesens 2008, S. 375–403.
  6. Johannes Kühl: Arbeit, Ausbildung und Freizeit. In: Die gesetzliche Reform des Jugendstrafvollzugs in Deutschland im Licht der European Rules for Juvenile Offenders Subject to Sanctions or Measures (ERJOSSM). Forum Verlag Godesberg, 2012, S. 171 ff.
  7. Cedric Pelka: Resozialisierung durch Bildung: Studieren im Gefängnis – schwierig, aber möglich. Deutschlandfunk Nova, 7. Dezember 2020.
  8. a b Bildungsmaßnahmen. Ministerium der Justiz und für Migration Baden-Württemberg, abgerufen am 15. Februar 2024.
  9. a b Leiterin JVA Geldern: Arbeit und Ausbildung. In: JVA Geldern. JVA Geldern, 2024, abgerufen am 14. Januar 2024.
  10. Frank Decker: Ausbildung in der Justizvollzugsanstalt Bruchsal. In: Justizvollzugsanstalt Bruchsal. Justizvollzugsanstalt Bruchsal, 2024, abgerufen am 5. Januar 2024.
  11. JVA Gelsenkirchen: Berufliche Bildung. In: JVA Gelsenkirchen. Leiterin der Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen, 2024, abgerufen am 28. Dezember 2023.
  12. Marie-Charlotte Maas: Studieren im Gefängnis - Wo Häftlinge zu Akademikern werden. In: Spiegel. Spiegel Gruppe, 26. Mai 2018, abgerufen am 12. Dezember 2023.
  13. a b Vanessa Köneke: Studieren hinter Gittern. In: Süddeutsche Zeitung. Süddeutsche Zeitung, 20. März 2023, abgerufen am 21. Januar 2024.
  14. Carolin Hagenauer: Hofgang und Hörsaal: Wie ein 26-Jähriger trotz Haft studiert. In: BR24. BR24, 14. Februar 2022, abgerufen am 22. Januar 2024.
  15. Swantje Unterberg: Kleine Freiheit im Knast. In: Spiegel. Spiegel Gruppe, 31. Mai 2020, abgerufen am 2. Januar 2024.
  16. Ariane von der Mehden, Dr. Barbora Moormann-Kimáková: E-Learning im Strafvollzug (elis). In: Institut für Bildung in der Informationsgesellschaft. Institut für Bildung in der Informationsgesellschaft, 2024, abgerufen am 17. Januar 2024.
  17. Carolin Hasenauer: Hofgang und Hörsaal: Wie ein 26-Jähriger trotz Haft studiert. Bayerischer Rundfunk, 14. Februar 2022.
  18. Evaluation des Jugendstrafvollzuges: Schulische und berufliche Bildung im Fokus. Vergleichende Darstellung von Strukturdaten der Jahre 2012 – 2016 und Falldaten der Jahre 2011 – 2015. Arbeitsgruppe länderübergreifende Evaluation Jugendstrafvollzug, 2017.