Bijagos

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Die Bijagos oder Bissagos, Eigenbezeichnung Bijuga, Alternativnamen: Bidjogo, Bijago, Bijao, Bijogo, Bijougot, Budjago, Bugago sind ein westafrikanisches Volk von etwa 33.000 Menschen, die den Bissagos-Archipel vor der Küste von Guinea-Bissau bewohnen. Der Begriff „Bissagos“ wird vornehmlich für die Inselgruppe verwendet, „Bijagó“ mehr in der portugiesischen Literatur, während „Bijogo“ in der Literatur anderer Herkunft vorherrscht.[1]

Karte des Bissagos-Archipels

Sprache[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Bijagos sprechen eine Atlantische Sprache, die als einzige dieser Sprachfamilie aufgrund ihrer isolierten Entstehung weder dem nördlichen noch dem südlichen Zweig zugeordnet wird. Diese Zuordnung hat aber mehr geographische Ursachen, linguistisch gehört die Sprache eher den Benue-Kongo-Sprachen an.[2] Viele Bijago sprechen daneben auch Kreol und Portugiesisch.

Kultur und Wirtschaft[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bijago-Frauen

Der österreichische Ethnologe Hugo Bernatzik beschrieb die Inselbewohner 1934 als „konservative, tapfere, verschlossene, vollkommen ehrliche, fleißige und höfliche Menschen“. Als erster europäischer Wissenschaftler erforschte er mit Hilfe der Pilotin Elly Beinhorn die Bissagos-Inseln.

Die Ortschaften der Bijagos liegen im Inneren der Inseln, da die Küsten immer gefährdet waren. Alle landwirtschaftlichen Nutzflächen sind Gemeineigentum. Auf den Inseln Bubaque, Bolama und Caravela wohnen die meisten Menschen. Die Bijagos betrachten die unbewohnten Inseln als heiligen Boden und Gemeinbesitz, weshalb dort niemand leben darf. Erlaubt ist allerdings die Kultivierung des Bodens.[3] Sie leben in dörflichen Gemeinschaften in Lehmhäusern mit Strohdächern und betreiben Subsistenzwirtschaft. In Palmenhainen wird während der Regenzeit Reis angebaut, auch die Fischerei ist von großer Bedeutung.

Die Bijagos sind das einzige Volk Guinea-Bissaus, das traditionell einer matriarchale Gesellschaftsstruktur folgt. Die Frau ist Oberhaupt der Familie und wählt ihren Ehepartner selbst aus. Zumindest früher konnte sie mit zwei Männern gleichzeitig verheiratet sein. Die traditionelle Lebensweise gibt es unter anderem noch auf den Inseln Canhabaque und Orango.[4]

Als einzige Ethnie in Guinea-Bissau beschneiden die Bijagos ihre Kinder nicht.[5]

Religion[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Noch heute ist die animistische Lokalreligion mit ihren Initiationsriten und heiligen Plätzen der wichtigste Glaube der Bijagos. Trotz einer starken Christianisierung, heute sind rund 15 % Christen, haben die Bijagos ihren Schöpferkult mit Geistern in Natur und unbelebten Gegenständen beibehalten. Figuren werden als in Sitz von Gottheiten betrachtet. Die Figuren dienen als zentrales Objekt von Zeremonien, als Beschützer der Haushalte gegen Flüche und als Heiler. Sie werden an besonderen Stellen im Haus aufgestellt und es werden ihnen Opfer gebracht. Der islamische Einfluss spiegelt sich mehr in der Kultur, als in der Ausübung der konkreten Religion wider.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bijagos vor einem Termitenhügel (um 1890)

Erstmals erwähnt wurden die Bijagos vom portugiesischen Seefahrer Pedro da Cintra 1456.[6] Schon vor der Zeit der Entdeckungen hatten die Bijagos eine zentrale Rolle im westafrikanischen Handel und unterhielten eine starke Flotte aus großen hochseetauglichen Kanus, die bis zu 70 Männer fassen konnten.[7] Dies ermöglichte es ihnen 1535 die Portugiesen von der Eroberung der Inseln abzuhalten.[8] Mitte des 17. Jahrhunderts schwächten sich die Auseinandersetzungen mit den Portugiesen ab und eine rege Handelsbeziehung begann.[9]

Im 16./17. Jahrhundert betätigten sich die Bijagos erfolgreich als Sklavenjäger und -händler, wurden aber von den Portugiesen teilweise auch selbst als Sklaven verschleppt. Als Sklaven waren sie allerdings bekannt für ihr Rebellentum.[10] Auch Briten, Niederländer, Franzosen und Spanier frequentierten häufig die Umschlagplätze für den Sklavenhandel.[11] Mit den erbeuteten weiblichen Sklaven erbrachten Frauen, laut europäischen Beobachtern, bald die gesamte produktive Arbeit des Volkes,[12] da die Männer fast ausschließlich in Sklavenjagd und -handel tätig waren.[13] Bei europäischen Gütern waren die Bijagos lediglich an Waffen, Eisen und Brandy interessiert.[14] Die Piratenüberfälle der Bijagos auf die Festlandküste gingen ab den 1630ern zurück, da dort Forts errichtet und auch Gegenangriffe lanciert worden waren.[15]

Die Bijagos organisierten sich dezentral mit militärisch starken lokalen Herrschern, die immer wieder Überfälle auf die Küste des Festlandes unternahmen, ohne gemeinsame Monarchie oder Staat. Während auf Bubaque, Roxa und Orango Grande eine göttliche Königswürde vererbt wurde, wurden auf den übrigen besiedelten Inseln Häuptlinge gewählt. Zusätzlich gab es noch „geheime Häuptlinge“, die Priesterinnen.[6] Auch ein britischer Siedlungsversuch Ende des 18. Jahrhunderts scheiterte an ihrem Widerstand.[11] Isolierte Lage und dezentrale Organisation verbunden mit gemeinsamen religiösen Überzeugungen ermöglichten es ihnen lange Zeit ihre Unabhängigkeit und Identität zu bewahren.[6] Ihr kriegerisches Leben und religiöse Überzeugungen erleichterten den Widerstand gegen militärischen und sozio-kulturellen Druck von außen.

Seit 1870 unternahm Portugal verstärkt Anstrengungen, die Inseln unter seine Kontrolle zu bringen, aber erst in den 1920ern wurden die Inseln „pazifiziert“ und 1936 wurde der letzte Aufstand der Bijagos niedergeschlagen.[7] Alle Schmiede wurden als Waffenproduzenten getötet.[16] Daraufhin wurden die Inseln endgültig an die Kolonie Portugiesisch-Guinea angegliedert. Die Kolonialherren errichteten ein System von Zwangsarbeit,[17] für die ungebundenen Bijagos besonders katastrophal.[6] Der Bissagos-Archipel wurde zusammen mit Portugiesisch-Guinea 1973/74 zum unabhängigen Guinea-Bissau.

Im 21. Jahrhundert haben die Inseln eine relative Selbständigkeit von Guinea-Bissau erreicht, aber die matriarchalen Strukturen erodieren, was von Beobachtern auf die christliche Mission zurückgeführt wird.[18]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Hugo Adolf Bernatzik: Im Reich der Bidjogo. Geheimnisvolle Inseln in Westafrika. Ullstein, Berlin 1960.
  • Christine Henry: Grandeur et décadence des marins bijogo. In: Cahiers d'études africaines, 29 (1989), Nr. 114, S. 193–207.
  • Brandon D. Lundy: Number 1 – Resistance is Fruitful: Bijagos of Guinea-Bissau. In: Peace and Conflict Management Working Papers Series, Nr. 1, Kennesaw State University, 2015, S. 1–9
  • Alexandra O. de Sousa: Defunct Women. Possession among the Bijagós Islanders. In: Heike Behrend, Ute Luig (Hrsg.): Spirit Possession. Modernity & Power in Africa. James Currey, Oxford 1999, S. 81–88
  • Inge Tvedten: The difficult transition from subsitence to commercial fishing. The case of the Bijagòs of Guinea-Bissau. In: Centre for maritime research (Hrsg.): MAST. Band 3/1, 1990, ISSN 0922-1476, S. 119–130 (englisch, Digitalisat [PDF; 543 kB]).

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Bijagos – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. History in Africa. A journal of method. African Studies Association, 24 (1997), S. 185.
  2. William André Auquier Wilson: Guinea Languages of the Atlantic Group. Description and internal classification. Peter Lang, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-631-55170-7; und R. Blench: Archaeology, language, and the African past. Rowman Altamira, Lanham 2006, ISBN 0-7591-0466-2, S. 116; und Bidyogo. A language of Guinea-Bissau.
  3. João Paulo Madeira: Gestão Participativa dos Recursos Naturais no Arquipélago dos Bijagós Participatory Management of Natural Resources in the Bijagos Archipelago, Universidade de Cabo Verde (Cabo Verde).
  4. Weltspiegel: Guinea-Bissau: Matriarchat - Frauenpower auf Orango, 18. September 2022, abgerufen am 2. Januar 2023.
  5. Initiationsriten der Bijago
  6. a b c d Brandon Lundy: Bijogo islanders. Speculations on forced migration and identity.
  7. a b James S. Olson: The People of Africa. An Ethnohistorical Dictionary. Greenwood Press, Westport 1996, ISBN 0-313-27918-7, S. 96.
  8. John Kelly Thornton: Africa and Africans in the making of the Atlantic world, 1400–1800. Cambridge University Press, Cambridge 1998, ISBN 0-521-62217-4, S. 39.
  9. History in Africa. A journal of method. African Studies Association, 24 (1997), S. 181.
  10. Linda A. Newson, Susie Minchin (Hrsg.): From capture to sale. The Portuguese slave trade to Spanish South America in the early seventeenth century. Brill, Boston 2007, ISBN 90-04-15679-8, S. 50, 54f., 120 und 132.
  11. a b Toyin Falola, Amanda Warnock (Hrsg.): Encyclopedia of the middle passage. Greenwood milestones in African American history. Greenwood, Westport 2007, ISBN 0-313-33480-3, S. 60f.
  12. John Kelly Thornton: Africa and Africans in the making of the Atlantic world, 1400–1800. Cambridge University Press, Cambridge 1998, ISBN 0-521-62217-4, S. 107.
  13. Robert O. Collins (Hrsg.): Problems in African history. The precolonial centuries Topics in world history. Markus Wiener Publishers, New York 1993, ISBN 1-55876-059-8, S. 191f.
  14. George E. Brooks: Eurafricans in western Africa. Commerce, social status, gender, and religious observance from the sixteenth to the eighteenth century. James Currey Publishers, Athens/Ohio 2003, ISBN 0-85255-489-3, S. 290.
  15. George E. Brooks: Eurafricans in western Africa. Commerce, social status, gender, and religious observance from the sixteenth to the eighteenth century. James Currey Publishers, Athens/Ohio 2003, ISBN 0-85255-489-3, S. 165.
  16. Ulrich Schiefer: Von allen guten Geistern verlassen? Guinea-Bissau, Entwicklungspolitik und der Zusammenbruch afrikanischer Gesellschaften. Institut für Afrika-Kunde im Verbund Deutsches Übersee-Institut, Hamburg 2002, ISBN 3-928049-83-6, S. 28.
  17. Bijagós Archipelago
  18. Heiner Hoffmann: Matriarchat auf einer Insel vor Guinea-Bissau: Was ist anders, wenn Frauen die Entscheidungen treffen? Der Spiegel vom 3. April 2022.