Bocanje

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Bocanje, auch bockanje, badanje, sicanje (kroatisch für „stechen“) oder šaranje („färben“),[1] sind Bezeichnungen für die traditionellen Tätowierungen die bei den römisch-katholischen Kroaten in Bosnien und Herzegowina bis etwa Mitte des 20. Jahrhunderts vor allem in Zentralbosnien weit verbreitet waren und seltener auch in der Herzegowina vorkamen. In geringerem Maße gab es diese Tätowierungen auch bei den Kroaten im Turopolje und in Dalmatien.

Insbesondere Frauen, aber auch Männer ließen sich an christlichen Feiertagen an sichtbaren Stellen wie den Fingern, Händen, Unter- und Oberarmen, der Brust oder seltener auch auf der Stirn tätowieren. Die Motive wurden mit einfachen Nadeln gestochen. Die Tätowierfarbe bestand aus einer Mischung aus Holzkohle, Ruß, Honig und der Muttermilch von Frauen, die einen Sohn geboren hatten.[2]

Kroatin aus dem Lašvatal in Zentralbosnien in Tracht und mit typischen Tätowierungen (1896)[3]

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Tradition geht auf die Illyrer zurück, die Bosnien und die Herzegowina bis zur Landnahme der Slawen auf dem Balkan ab dem 7. Jahrhundert bewohnten. Der griechische Geschichtsschreiber und Geograph Strabon (um 63 v. Chr.–nach 23 n. Chr.) bemerkte beiläufig, dass bei den Illyrern Tätowierungen üblich gewesen seien, was durch die Entdeckung von Tätowiernadeln in illyrischen Grabhügeln in Bosnien bestätigt wurde. Dagegen war das Tätowieren bei den Slawen zu keiner Zeit und an keinem Ort Brauch.[4]

Nach der Eroberung Bosniens durch die Osmanen im Jahr 1463 sollte mit den Tätowierungen einer Konversion zum Islam und dem Missbrauch der Frauen vorgebeugt werden, beziehungsweise deren Identität im Falle einer Zwangskonversion bewahrt bleiben. Auch Kindern wurden vor ihrem zehnten Lebensjahr entsprechende Tätowierungen gestochen, um Verschleppungen in die Türkei (Knabenlese) zu verhindern. Dabei wurden dem Kind in der Regel auch die Initialen seines Namens tätowiert.

Junge Kroatin aus Zentralbosnien mit typischen Tätowierungen

In den 1920er-Jahren untersuchte die englische Balkanreisende Edith Durham (1863–1944) detaillierte diesen Brauch. Sie kopierte viele der einfachen geometrischen Muster aus Kreisen, Kreuzen und Halbmonden und berichtete

„Frauen sind viel kunstvoller tätowiert als Männer. Ihre Ober- und Unterarme sind oft von Zeichnungen bedeckt […] Die freundlich gesinnten sagten, sie seien tätowiert ‚weil das bei uns so Brauch ist‘, ‚weil wir katholisch sind‘, ‚weil es hübsch ist‘, und sie meinten, meine Hände würden tätowiert auch schöner aussehen.“[4]

Mit der geringeren Bedeutung der Religion im späteren sozialistischen Jugoslawien verlor auch die Tradition der Tätowierungen an Bedeutung.[5]

Gegenwärtig sind die traditionellen Motive bei kroatischen Tätowierern wie Tätowierten wieder in Mode[6] und werden auch auf Kleidung verwendet.[7]

Sonstiges[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Kroatische Post Mostar gab am 20. März 2004 eine Briefmarke mit dem Titel „Tradicijska tatuaža hrvatskih žena u BiH“ (Traditionelle Tätowierung kroatischer Frauen in BuH) mit einem Nominalwert von 0,50 Konvertiblen Mark heraus. Die Marke zeigt mit den typischen Motiven tätowierte Hände.

Motive[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Motive der blauen Tätowierungen bestanden vor allem aus christlichen Symbolen und Stećak-Ornamenten,[8] die meist das Kreuz als zentrales Motiv darstellten.[9]

Motive und Bilder von tätowierten Kroatinnen aus Zentralbosnien (1896)[10].
Motive und Bilder von tätowierten Kroatinnen aus Zentralbosnien (1896)[10].

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • bocanje. In: Hrvatska enciklopedija. Leksikografski zavod Miroslav Krleža, abgerufen am 10. Oktober 2021 (kroatisch).
  • Toni Herceg: Tetovaže Katholika u srednjoj Bosni : simbolički ornament duha i tijela. In: Hum : časopis Filozofskog fakulteta Sveučilišta u Mostaru. Band 12, Nr. 17/18, 2017, S. 342–367 (kroatisch, srce.hr).
  • Mojca Ritonja: Razvoj in zgodovina tetoviranja v Evropi : tradicionalno tetoviranje na Balkanu. Hrsg.: Fakultet za družbene vede. Ljubljana 2014 (slowenisch, uni-lj.si [PDF] Diplomarbeit).
  • Monika Jukić: Tradicionalno tetoviranje Hrvata u Bosni i Hercegovini : bocanje kao način zaštite od Osmanlija. In: Lucius : Zbornik radova Društva studenata povijesti "Ivan Lučić - Lucius". Jg. 12, Nr. 18/19, 2013, S. 197–218 (kroatisch, academia.edu).
  • Mario Petrić: Običaj tatauiranja kod balkanskih naroda : karakteristike, uloga i podrijetlo. Sarajevo 1973 (kroatisch).
  • Ćiro Truhelka: Die Tätowirung bei den Katholiken Bosniens und der Hercegovina. In: Bosnisch-Hercegovinisches Landesmuseum in Sarajevo (Hrsg.): Wissenschaftliche Mittheilungen aus Bosnien und der Hercegovina. Band 4. Wien 1896, S. 493–508 (zobodat.at [PDF]).

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Für alle Bezeichnungen siehe bocanje. In: Hrvatska enciklopedija. Leksikografski zavod Miroslav Krleža, abgerufen am 10. Oktober 2021 (kroatisch).
  2. Alex Hoban: Der kroatische Tattoo-Oma Kult. In: www.vice.com. Vice, 12. April 2011, abgerufen am 10. Oktober 2021.
  3. Ćiro Truhelka: Die Tätowirung bei den Katholiken Bosniens und der Hercegovina. In: Bosnisch-Hercegovinisches Landesmuseum in Sarajevo (Hrsg.): Wissenschaftliche Mittheilungen aus Bosnien und der Hercegovina. Band 4. Wien 1896, S. 504 (zobodat.at [PDF]).
  4. a b Noel Malcolm: Geschichte Bosniens. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1996, ISBN 3-10-029202-2, S. 22.
  5. Alex Hoban: Der kroatische Tattoo-Oma Kult. In: www.vice.com. Vice, 12. April 2011, abgerufen am 10. Oktober 2021.
  6. Veronika Švob: Hrvatske tradicionalne tetovaže sve su veći trend. Komentiraju ga tattoo majstori i umjetnica OKO. In: super1.telegram.hr. Super1 – Livestyle pokret stvarnih žena, 6. Juli 2021, abgerufen am 11. Oktober 2021.
  7. Traditionalne tetovaže. Abgerufen am 11. Oktober 2021 (kroatisch).
  8. Ćiro Truhelka: Die Tätowirung bei den Katholiken Bosniens und der Hercegovina. In: Bosnisch-Hercegovinisches Landesmuseum in Sarajevo (Hrsg.): Wissenschaftliche Mittheilungen aus Bosnien und der Hercegovina. Band 4. Wien 1896, S. 493–508 (archive.org).
  9. Tattooing of Croatian Women In Bosnia-Herzegovina (Memento vom 7. April 2014 im Internet Archive), abgerufen am 10. Oktober 2021
  10. Ćiro Truhelka: Die Tätowirung bei den Katholiken Bosniens und der Hercegovina. In: Bosnisch-Hercegovinisches Landesmuseum in Sarajevo (Hrsg.): Wissenschaftliche Mittheilungen aus Bosnien und der Hercegovina. Band 4. Wien 1896, S. 493–508 (zobodat.at [PDF]).