Brasilianisierung

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Brasilianisierung des Westens ist eine vom deutschen Soziologen Ulrich Beck Ende der 1990er Jahre in die soziologische Debatte eingeführte Kurzformel für den von ihm vermuteten sozialen Wandel Europas in Richtung einer zunehmenden sozialen Ungleichheit.

Begriffsbedeutung und Ursachen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Beck versteht den Begriff wie folgt: Brasilianisierung meint den Einbruch des Prekären, Diskontinuierlichen, Flockigen, Informellen in die westlichen Bastionen der Vollbeschäftigungsgesellschaft. Damit breitet sich im Zentrum des Westens der sozialstrukturelle Flickenteppich aus, will sagen: die Vielfalt, Unübersichtlichkeit und Unsicherheit von Arbeits-, Biographie- und Lebensformen des Südens.[1]

Beck sieht die genannten Veränderungen als Folge der Globalisierung mit dem neoliberalen Paradigma eines vollständig freien Marktes voraus. Diese gingen einher mit einer sich ändernden Schichtung postindustrieller westlicher Gesellschaften hin zu einer Arbeitskultur mit den Standards der Entwicklungsländer und einer zerfallenden Bürgergesellschaft. Seine Skizze sagt somit den europäischen Staaten einen Entwicklungsrückgang voraus, der sich – seit den 1920er Jahren vorweggenommen – im (zu Europa relativen) Abstieg etlicher lateinamerikanischer Staaten bereits durchgesetzt hat. Er ist charakterisiert durch eine Zerrüttung der Mittelschichten, eine Öffnung der Einkommensschere und durch Armutsszenarien, die bislang nur aus Ländern der Dritten Welt bekannt waren. Brasilien, aber auch Chile, Argentinien, Uruguay oder Costa Rica könnten hier genannt werden.

Rezeption[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Begriff wurde ab Mitte der 2000er Jahre auch durch Franz Josef Radermacher in der Forderung nach einer Änderung des politischen Systems in Richtung einer weltweiten ökosozialen Marktwirtschaft aufgegriffen.[2] Er verbindet damit nicht nur die von Beck genannten Armutsszenarien, sondern eine Zweiklassengesellschaft mit einer großen Masse an Menschen, die weitestgehend in Armut lebt und eine elitäre Oberschicht, die ähnlich wie in Brasilien Reichtum anhäuft.[3]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Ulrich Beck: Schöne neue Arbeitswelt – Vision: Weltbürgergesellschaft, Campus, Frankfurt am Main 1999, ISBN 3-593-36036-5

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Modell Bürgerarbeit, in: Ders., Schöne neue Arbeitswelt - Vision Weltbürgergesellschaft, Frankfurt am Main, 1999, S. 7
  2. Asymmetrien des globalen Reichtums - Die Brasilianisierung der Welt, Interview mit Franz Josef Radermacher (mit Fritz R. Glunk), in: Die Gazette, Nr. 10, Sommer 2006; ferner: Wir müssen für eine bessere Globalisierungsgestaltung werben! (Memento vom 27. September 2007 im Internet Archive), archive.org, 27. September 2007; Interview Kerstin Holzheu mit Franz Josef Radermacher; Björn Josten, Egoistische Eliten wollen, dass es schief läuft (Memento des Originals vom 28. September 2007 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/files.globalmarshallplan.org (PDF; 81 kB), in: Westfälische Rundschau, 27. Februar 2007 (alle abgerufen am 7. Juni 2007)
  3. Totaler Kollaps, "Brasilianisierung" oder Wohlstand für alle. Abgerufen am 19. Juli 2022 (österreichisches Deutsch).