Carnival Road March

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Der Carnival Road March ist ein seit 1932 jährlich stattfindender Musikwettbewerb des karibischen Karnevals. Seine Heimat liegt im trinidadischen Karneval, er wird aber auch auf anderen karibischen Inseln abgehalten.

Ablauf[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die beim Road March gespielten Musiktitel sind generell dem Genre Soca zugehörig, historisch auch dem Calypso. Für den trinidadischen Road-March-Wettbewerb müssen Künstler einzelne Titel bei der staatlichen National Carnival Commission (NCC) anmelden. Die Karnevalsumzüge finden am Karnevalsdienstag statt und folgen im Vorfeld festgelegten Routen.[1] Entlang der Routen werden von Jurymitgliedern besetzte Wertungsstationen festgelegt, deren genaue Positionierung den Karnevalszügen bekannt sind. Die einzelnen Karnevalszüge spielen während ihres mehrstündigen Marsches entlang der festgelegten Route Musik vom Band ab; früher wurde die Musik live gespielt. Die Jurymitglieder notieren, welcher Karnevalszug welches Lied spielt, während er ihre Wertungsstation passiert. Die Züge des trinidadischen Karnevals enden grundsätzlich in der Queen’s Park Savannah, die auch die letzte Wertungsstation darstellt. Der über alle Stationen und Züge hinweg am häufigsten gespielte Titel ist der Road-March-Sieger des jeweiligen Jahres.[2] Der Begriff road march wird auch für Siegertitel sowie potentielle Gewinnertitel verwendet.[3] Der Ablauf auf anderen Karibikinseln ist ähnlich.

Im Gegensatz zu den anderen Musikwettbewerben rund um den trinidadischen Karneval (Calypso bzw. Soca Monarch, historisch auch Calypso King) findet der Carnival Road March nicht in einem soziokulturellen Spannungsfeld statt, da die Kriterien für die Punktevergabe objektiv und überprüfbar sind und die Jury somit keinen Einfluss auf das Ergebnis nehmen kann.[4] Oftmals gewinnen beim Road March Titel, die in der jeweiligen Karnevalssaison in der Gunst des Publikums vorne liegen, aber von der Fachjury nicht zum Calypso bzw. Soca Monarch gewählt wurden. Der Ruhm eines Calypsonians bzw. Soca-Künstlers misst sich in der kompetitiv geprägten Musikszene Trinidads nicht an Hitparaden, Verkaufszahlen oder Airplay, sondern an der Anzahl gewonnener Titel der beiden großen Wettbewerbe Road March und Soca Monarch.[5]

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Carnival Road March hat seinen Ursprung im Karneval in Trinidad und Tobago, der seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert in seiner jetzigen Form gefeiert wird. Von dort aus verbreitete er sich über weitere Inseln der Karibik, konkret wird auch in Antigua und Barbuda, Barbados, Grenada, St. Kitts und Nevis, St. Lucia und St. Vincent und den Grenadinen sowie auf Anguilla und Saint Thomas der Carnival Road March abgehalten. Durch Exiltrinidadier wurde er 2009 auch in Großbritannien eingeführt.

Die trinidadischen Musikwettbewerbe entstanden mit dem Aufkommen der trinidadischen Mittelschicht Anfang des 20. Jahrhunderts. Auslöser für die Einführung war der Wunsch der Mittelschicht, den textlich als ausufernd empfundenen Calypso-Darbietungen einen Rahmen zu verpassen, der als moralisch konsentiert gelten konnte.[6] Der Road March ist der älteste kontinuierliche Musikwettbewerb des trinidadischen und damit des karibischen Karnevals. Vor der Einführung des Wettbewerbs, ab etwa 1910,[2] war vor und während der Karnevalstage die Darbietung von Calypsos in „calypso tents“ üblich, ursprünglich oft behelfsmäßigen Konstruktionen, in denen die „Calypsonians“ (Künstler, die Calypso-Titel schrieben und mit einer Begleitband aufführten und sich dabei oft durch Bühnenkostüme und Auftreten ein spezifisches Image gaben) ihre für die jeweils aktuelle Karnevalssaison geschriebenen Titel darboten. In den „calypso tents“ saß das Publikum auf Stühlen, die Akustik ließ klassische Begleitbands mit Streichern und Bläsern zu, und die Calypsonians konnten das Publikum mit ihrer Bühnenshow für sich einnehmen. Primär wurde der Karneval in den Straßen gefeiert, und die dort Feiernden hatten andere Ansprüche an die sie begleitende Musik, doch in den „calypso tents“ verdienten die Calypsonians ihr Geld, so dass ihre Titel auf das dortige Publikum zugeschnitten waren.

Mit der Einführung des Road-March-Wettbewerbs 1932 fand ein Paradigmenwechsel statt.[2] Die Tanzenden in den Straßen erwarteten schnellere Songs und mitsingbare Refrains. Mit dem zahlenmäßig deutlich größeren Publikum beim Road March konnten beim Wettbewerb erfolgreiche Calypsonians höhere Plattenverkäufe erzielen, weshalb viele Calypsonians ab Einführung des Wettbewerbs am Road March beteiligten. Calypsonians anderer Karibikinseln wurden vom publikumsstarken Road March auf Trinidad angezogen.[7] In diese Zeit fiel auch eine Phase der Innovation im Calypso; vor Einführung des Road March wurden in der Regel bekannte Melodien neu betextet, während ab etwa 1931 ausgehend durch den Calypsonian Roaring Lion neue Kompositionen entworfen und vom Publikum goutiert wurden.

“There were about 100 melodies, and every year new words were put to those same melodies.”

Roaring Lion[8]

In Trinidad wird der Wettbewerb seit 1932 jährlich durchgeführt; lediglich zwischen 1942 und 1945 wurde wegen des Zweiten Weltkriegs kein Karneval abgehalten und damit auch kein Road-March-Titel vergeben. Ursprünglich wurde im Rahmen des Wettbewerbs abgesehen von Percussion keine Musik gespielt, vielmehr sangen die einzelnen Karnevalszüge ihre Lieblingstitel.[9] Oft führten Calypsonians einen Zug an, was dazu führte, dass viele derjenigen Calypsos dieser Zeit, die explizit für den Road March geschrieben wurden, einem Call-and-Response-Muster folgen.

Um 1940 herum wurde der trinidadische Karneval durch eine musikalische Neuerung revolutioniert: Die Erfindung der Steel Pan führte zum Aufkommen der ersten Steel Bands, die fortan auf Lastwagen oder hinter solchen hängenden Anhängern spielend die musikalische Beschallung der Karnevalszüge stellten.[3] Die Calypsonians stellten sich schnell auf das neue Instrument ein, das nicht nur auf den „trucks“ des Road March, sondern auch in den „calypso tents“ eingesetzt werden konnte. Durch die Steelbands veränderten sich für die Calypsonians nochmals die Arbeitsbedingungen, da die Steelbands ihre Stücke zwangsweise als Instrumentalversionen spielten und so die Bedeutung der Melodien nochmals stark anstieg.[2] 1953 und 1957 gab es jeweils zwei rivalisierende Road-March-Wettbewerbe mit unterschiedlichen Siegern, weshalb 1957 das staatliche Carnival Development Committee (CDC) gegründet wurde, das fortan den trinidadischen Karneval und damit auch den Road March organisierte.[10] 1955 kam es zu einem skurrilen Sieg, der zu einer Regeländerung des Wettbewerbs führte: Bis dahin waren alle teilnehmenden Titel dem Calypso-Genre zuzurechnen, auch wenn dies nirgendwo als Bedingung festgehalten war. Der Sieger im Jahr 1955 aber waren die Schaumburger Märchensänger, die unter dem Namen „Obernkirchen Children’s Choir“ mit einer englischen Version des Liedes Mein Vater war ein Wandersmann (The Happy Wanderer) antraten und gewannen. Im Anschluss wurde im Reglement des Wettbewerbs festgehalten, dass die Teilnehmer am Wettbewerb Trinidadier sein müssen.[11] 1956 gewann Mighty Sparrow seinen ersten Road-March-Titel mit dem Calypso Jean and Dinah, was insofern eine Besonderheit darstellte, als er mit diesem Titel auch den gänzlich anders gelagerten Calypso-King-Wettbewerb gewann.[12]

Ab den 1970er-Jahren wurden mit der Verfügbarkeit entsprechender Technik zunehmend PA-Anlagen auf den Lastwagen installiert, die die Musik des jeweiligen Zuges vom Band abspielten.[1] Der Einsatz von Livebands kam dadurch aus der Mode und findet in der Gegenwart nicht mehr statt. 1977 gewann mit Calypso Rose erstmals eine Frau den Road March. Ihr Titel Give Me More Tempo war zugleich der erste Vertreter des noch neuen Soca-Genres, der den Road March gewinnen konnte.[13] In den folgenden Jahren nahm die Beliebtheit des Soca-Genres zu, was sich in mehreren Road-March-Siegertiteln niederschlug. Um 1990 herum löste Soca den Calypso als beliebteste Musikrichtung der Karnevalsumzüge endgültig ab.[14] 1991 wurde in Trinidad die staatliche National Carnival Commission (NCC) gegründet, die das CDC ablöste und den trinidadischen Road March seitdem ausrichtet.[15] 2000 gab es mit Superblue und Iwer George zwei Sieger, da beide die gleiche Punktzahl erzielten. Wegen der grassierenden COVID-19-Pandemie wurde der Road March 2021 online abgehalten.[16] 2022 fiel er Covid-bedingt aus.

Die Rekordhalter des Carnival Road March sind Lord Kitchener mit elf Siegen zwischen 1946 und 1976, Superblue und Machel Montano mit je zehn Siegen und Mighty Sparrow mit acht Titeln. Die erfolgreichste Frau ist Fay-Ann Lyons mit drei Titeln.

Sieger[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Superblue (2014)
Jahr[17] Künstler Titel
1932 King Radio Tiger Tom Play Tiger Cat
1933 King Radio Wash Pan Wash
1934 Railway Douglas After Johnny Drink Me Rum
1935 Roaring Lion Dingolay Oy
1936 Roaring Lion Advantage Could Never Done
1937 Roaring Lion Netty Netty
1938 Roaring Lion No Nora Darling
1939 King Radio Mathilda
1940 Lord Beginner Run Yuh Run
1941 Roaring Lion Whoopsin Whoopsin
1942 Kriegsjahr, kein Wettbewerb
1943 Kriegsjahr, kein Wettbewerb
1944 Kriegsjahr, kein Wettbewerb
1945 Kriegsjahr, kein Wettbewerb
1946 Lord Kitchener Jump in the Line
1947 King Pharaoh Portuguese Dance
1948 Lord Melody Canaan Barrow
1949 Lord Wonder Ramgoat Baptism
1950 Mighty Killer In a Calabash
1951 Mighty Terror Tiny Davis Blow
1952 Spit Fire Post, Post Another Letter For Thelma
1953 Vivian Comma
Spit Fire
Madeline Oye
Bow Wow Wow
1954 Lord Blakie Steel Band Clash
1955 Obernkirchen Children’s Choir Happy Wanderer
1956 Mighty Sparrow Jean and Dinah
1957 Lord Christo
Nelson Cato
Chicken Chest
Doctor Nelson
1958 Mighty Sparrow Pay As You Earn
1959 Lord Caruso Run the Gunslingers
1960 Mighty Sparrow Mae Mae
1961 Mighty Sparrow Royal Jail
1962 Lord Blakie Maria
1963 Lord Kitchener The Road
1964 Lord Kitchener Mama This Is Mas
1965 Lord Kitchener My Pussin
1966 Mighty Sparrow Obeah Wedding
1967 Lord Kitchener Sixty Seven
1968 Lord Kitchener Miss Tourist
1969 Mighty Sparrow Sa Sa Yea
1970 Lord Kitchener Margie
1971 Lord Kitchener Mas' At Madison
1972 Mighty Sparrow Drunk and Disorderly
1973 Lord Kitchener Rain-O-Rama
1974 Mighty Shadow Bass Man
1975 Lord Kitchener Tribute to Spree
1976 Lord Kitchener Flag Woman
1977 Calypso Rose Give More Tempo
1978 Calypso Rose Come Leh We Jam
1979 Poser Ah Tell She
1980 Superblue Soca Baptist
1981 Superblue Ethel
1982 Penguin Deputy
1983 Superblue Rebecca
1984 Mighty Sparrow Don't Back Back
1985 Crazy Soucouyant
1986 David Rudder Bahia Gyal
1987 Mighty Duke Is Thunder
1988 Tambu This Party Is It
1989 Tambu Free Up
1990 Tambu No No We Eh Going Home
1991 Superblue Get Something and Wave
1992 Superblue Jab Jab
1993 Superblue Bacchanal Time
1994 Preacher Jump and Wave
1995 Superblue Signal for Lara
1996 Nigel Lewis Moving
1997 Machel Montano Big Truck
1998 Wayne Rodriguez Footsteps
1999 Sanell Dempster De River
2000 Superblue
Iwer George
Pump Up
Carnival Come Back Again
2001 Mighty Shadow Stranger
2002 Naya George Trinidad
2003 Fay-Ann Lyons Display
2004 Shurwayne Winchester The Band Coming
2005 Shurwayne Winchester Dead or Alive
2006 Machel Montano & Patrice Roberts Band of de Year
2007 Machel Montano Jumbie
2008 Fay-Ann Lyons Get On
2009 Fay-Ann Lyons Meet Super Blue
2010 JW & Blaze Palance
2011 Machel Montano Advantage
2012 Machel Montano Pump Yuh Flag
2013 Superblue Fantastic Friday
2014 Machel Montano Ministry of Road
2015 Machel Montano Like Ah Boss
2016 Machel Montano Waiting on the Stage
2017 Ultimate Rejects featuring MX Prime Full Extreme
2018 Machel Montano & Superblue Soca Kingdom
2019 Skinny Fabulous, Machel Montano & Bunji Garlin Famalay
2020 Iwer George & Kees Dieffenthaller Stage Gone Bad
2021[18] Farmer Nappy Backyard Jam
2022[19] --- ---
2023 Bunji Garlin Hard Fete
2024 Mical Teja DNA

Rekordhalter[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Künstler Siege Jahre
Lord Kitchener 11 1946, 1963, 1964, 1965, 1967, 1968, 1970, 1971, 1973, 1975, 1976
Superblue 10 1980, 1981, 1983, 1991, 1992, 1993, 1995, 2000, 2013, 2018
Machel Montano 10 1997, 2006, 2007, 2011, 2012, 2014, 2015, 2016, 2018, 2019
Mighty Sparrow 8 1956, 1958, 1960, 1961, 1966, 1969, 1972, 1984
Roaring Lion 5 1935, 1936, 1937, 1938, 1941
Fay-Ann Lyons 3 2003, 2008, 2009
King Radio 3 1932, 1933, 1939
Tambu 3 1988, 1989, 1990

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Jocelyne Guilbault: Governing Sound: The Cultural Politics of Trinidad's Carnival Musics. University of Chicago Press, Chicago 2007, ISBN 978-0-226-31060-2, S. 76.
  2. a b c d Shannon Dudley: Carnival Music in Trinidad: Experiencing Music, Expressing Culture. Oxford University Press, New York 2004, ISBN 0-19-513833-3, S. 41.
  3. a b Lise Winer: Dictionary of the English/Creole of Trinidad & Tobago. McGill-Queen's University Press, Montreal 2009, ISBN 978-0-7735-3406-3, S. 762.
  4. Jocelyne Guilbault: Governing Sound: The Cultural Politics of Trinidad's Carnival Musics. University of Chicago Press, Chicago 2007, ISBN 978-0-226-31060-2, S. 74.
  5. Jocelyne Guilbault: Governing Sound: The Cultural Politics of Trinidad's Carnival Musics. University of Chicago Press, Chicago 2007, ISBN 978-0-226-31060-2, S. 78.
  6. Jocelyne Guilbault: Governing Sound: The Cultural Politics of Trinidad's Carnival Musics. University of Chicago Press, Chicago 2007, ISBN 978-0-226-31060-2, S. 46.
  7. Jocelyne Guilbault: Governing Sound: The Cultural Politics of Trinidad's Carnival Musics. University of Chicago Press, Chicago 2007, ISBN 978-0-226-31060-2, S. 23.
  8. Gordon Rohlehr: Calypso & Society in Pre-Independence Trinidad. 3. Auflage. Lexicon Trinidad, San Juan 2016, ISBN 976-8012-52-8, S. 130.
  9. Erroll Hill: The Trinidad Carnival. 2. Auflage. New Beacon Books, London 1997, ISBN 978-1-873201-14-5, S. 56.
  10. NALIS.gov.tt: Carnival: Carnival in the Twentieth Century. Abgerufen am 22. Januar 2022.
  11. SN-Online.de: Zwei Waliser suchen die Geschichte hinter dem Welthit (Memento vom 23. Januar 2022 im Internet Archive)
  12. Shannon Dudley: Carnival Music in Trinidad: Experiencing Music, Expressing Culture. Oxford University Press, New York 2004, ISBN 0-19-513833-3, S. 27.
  13. Hope Munro: What She Go Do: Women in Afro-Trinidadian Music. University Press of Mississippi, Jackson 2016, ISBN 978-1-4968-0754-0, S. 101.
  14. Shannon Dudley: Carnival Music in Trinidad: Experiencing Music, Expressing Culture. Oxford University Press, New York 2004, ISBN 0-19-513833-3, S. 88.
  15. NCCTT.org: National Carnival Commission (NCC). Abgerufen am 22. Januar 2022.
  16. Socanews.com: Click online for Trinidad Carnival Road March 2021. Abgerufen am 22. Januar 2022.
  17. CaribbeanBeat.com: Every Trinidad Road March ever — and our top 10. Abgerufen am 22. Januar 2022.
  18. In diesem Jahr fand der Road March bedingt durch die Covid-19-Pandemie online statt.
  19. In diesem Jahr fiel der Road March pandemiebedingt aus.