Das ehrfürchtige Rudern hin zu Gott

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Das ehrfürchtige Rudern hin zu Gott (englischer Originaltitel The Awful Rowing Toward God) ist ein Gedichtband der US-amerikanischen Schriftstellerin Anne Sexton. Er erschien im März 1975 postum im Verlag Houghton Mifflin und in deutscher Übersetzung erstmals 1998 im Verlag S. Fischer.

Hintergrund[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das ehrfürchtige Rudern hin zu Gott ist dem Dichterkollegen James Wright und dem Mönch Dennis Farrell gewidmet, mit dem Anne Sexton in den 1960er Jahren einen intensiven Schriftverkehr unterhielt.[1] Die enthaltenen Gedichte waren zuvor unter anderem in den Magazinen American Poetry Review, Georgia Review, Ms., The New Republic, The Paris Review und The New Yorker publiziert worden. Den Gedichten vorangestellt sind Zitate von Henry David Thoreau, Søren Kierkegaard und William Butler Yeats. Ein Gedicht trägt zudem den Titel eines Traktats von Kierkegaard, The Sickness Unto Death, zu deutsch Die Krankheit zum Tode.

Sexton, Vertreterin der Confessional Poetry, thematisierte auch in diesem Band, dem letzten, den sie persönlich zusammenstellte, intime, biografische Details, darunter Selbstmordversuche und Psychiatrieaufenthalte. Die Gedichte entstanden in einer Phase starker Gemütsschwankungen, begleitet von übermäßigem Alkoholkonsum und wiederholten versuchten Selbsttötungen.[2] Unmittelbar nach Korrektur der Druckfahnen nahm sie sich im Alter von 46 Jahren das Leben.[3]

Während Diana Hume George als Entstehungszeitraum „weniger als drei Wochen“ angibt, nahm in den Worten von Anne Sextons Tochter Linda Gray Sexton die Arbeit an dem Gedichtband ihr ganzes letztes Lebensjahr in Anspruch.[4][2]

Der Titel des Buchs bezieht sich auf die Suche nach bzw. die ersehnte Begegnung mit Gott. Das erste Gedicht, Rowing (Rudern) schildert das Rudern hin zu Gott, dem sie im letzten Gedicht des Bandes,The Rowing Endeth (Das Rudern endet), schließlich begegnet und das mit einem gemeinsamen, befreiendem Gelächter endet.

Inhalt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Rowing
  • The Civil War
  • The Children
  • Two Hands
  • The Room of My Life
  • The Witch’s Life
  • The Earth Falls Down
  • Courage
  • Riding the Elevator Into the Sky
  • When Man Enters Woman
  • The Fish That Walked
  • The Fallen Angels
  • The Earth
  • After Auschwitz
  • The Poet of Ignorance
  • The Sermon of the Twelve Acknowledgments
  • The Evil Eye
  • The Dead Heart
  • The Play
  • The Sickness Unto Death
  • Locked Doors
  • The Evil Seekers
  • The Wall
  • Is It True?
  • Welcome Morning
  • Jesus, the Actor, Plays the Holy Ghost
  • The God-Monger
  • What the Bird with the Human Head Knew
  • The Fire Thief
  • The Big Heart
  • Words
  • Mothers
  • Doctors
  • Frenzy
  • Snow
  • Small Wire
  • The Saints Come Marching In
  • Not So. Not So.
  • The Rowing Endeth

Analyse[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die durchgehend in freien Versen (free verse) verfassten Gedichte teilen sich auf in „positive und hoffnungsvolle“ und solche „über Versagen, Enttäuschung und Frustration“: „Wie eine Ruderbewegung pendeln die Gedichte vor und zurück, von Möglichkeit zu Rückschlag, von Hoffnung zu Enttäuschung“, so R. Baird Shuman in Great American Writers: Twentieth Century. Alle seien im weitesten Sinne religiös: „Es sind Gedichte des Ringens, des Widerstands und des Aufschreiens, aber sie repräsentieren eine Suche nach Gott.“ (Shuman)[5] Ruth Whitman präzisierte: „Der Gott, den sie sucht, ist eindeutig das Symbol für das, was sie selbst nicht ist: Gesundheit, Einssein, das Gegenteil der „Ratte“, die häufig ihre Gedichte heimsuchte.“[6]

Richard Morton ging so weit, Sextons Lyrik als eine der „Erlösung“ und „Bekehrung“ zu deuten, eine Sichtweise, der sich Philip McGowan mit Nachdruck entgegenstellte: Die „schwierige und trostlose Bewegung ihrer Verse“ widerspräche Mortons „eindimensionaler“ Lesart. The Death Notebooks (1974) und Das ehrfürchtige Rudern hin zu Gott zeige Sexton auf einem Gebiet, das die Bedeutung des Wortes Erlösung in Frage stelle. McGowan verneinte im Falle von Sexton auch Wallace Stevens’ Ansicht, dass nach der Abkehr vom Gottesglauben die Poesie eine Position als erlösendes Moment im Leben einnehmen könne, denn die Autorin führe eine Auseinandersetzung sowohl mit den Möglichkeiten der Sprache als auch mit der Möglichkeit eines göttlichen Prinzips.[7]

Diana Hume George deutete Das ehrfürchtige Rudern hin zu Gott in einem feministischen Kontext als „Kapitulation“ vor dem „kleinen Gott einer orthodoxen religiösen Wunschvorstellung“ und damit als die Bereitschaft, sich mit geringeren Forderungen als denen in Sextons früheren Büchern zufriedenzugeben: Die Stimme einer Frau wandle sich zu einem „weiblichen Bittgesuch“.[8]

Kritiken[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sextons erster nach ihrem Tod erschienener Gedichtband stieß auf ein geteiltes Echo. William Heyen, der schon seit längerem eine nachlassende Energie und Intensität in Sextons Gedichten ausgemacht zu haben glaubte, schrieb in Newsday, das Buch sei „lesbar und oft berührend, aber nicht sehr gut […] es besitzt eine gewisse Unschärfe und Hast.“[9] In The New Leader bemerkte Pearl K. Bell, das Buch sei „eine traurige Lektüre, nicht nur weil die Gedichte von der Selbstzerstörung durchzogen sind, die deren schreckliches Finale bildete, sondern, so herzzerreißend sie als Schmerzensschreie sein mögen, nicht mehr als Mittelmaß darstellen. […] Ihre Bilder sind abgestanden und flach, ihre Worte nicht gewählt sondern hinausgeschrien […] Das jenseits ihrer qualvollen Ichbezogenheit liegende Böse in der Welt, das sie beklagt, nimmt die Peepshow-Vulgarität eines Horrorfilms an“.[10]

Joyce Carol Oates dagegen bescheinigte den Gedichten eine „grandiose, unvergessliche Kraft“, auch wenn einige darunter „beinahe zu schmerzhaft sind, um sie lesen zu können“. Man könne Sexton „als krank und ihre Lyrik als Ausgeburt einer pathologisch-egozentrischen Einbildungskraft“ abtun oder die „gewagte These“ aufstellen, dass „Dichter wie Sexton, Plath und John Berryman sich mit quälender Genauigkeit den kollektiven (und nicht bloß individuellen) Krankheiten unserer Zeit annahmen“.[11] Ruth Whitman lobte in Harvard Magazine den „Reichtum ihrer Bilder“ und den Erfindungsreichtum ihrer Metaphern, auch wenn manche Gedichte von „Nachlässigkeit und Redundanz“ zeugten.[12]

Der Dichter und Essayist Ben Howard betonte trotz seiner Vorbehalte gegen Sextons Stil ihre bedeutende Stellung in der neuzeitlichen amerikanischen Literatur: „Sie reduziert ihren einst eleganten Stil auf das bloße, grobe Wesentliche. Was man auch von diesen Gedichten halten mag, es wäre unklug, ihre Bedeutung zu unterschätzen. […] sie sind […] ein um eine zertrümmerte Windschutzscheibe verstreutes Scherbenmeer. Angesichts ihrer Radikalität stellt sich die Frage, wo die amerikanische Lyrik in der vergangenen Dekade stand, und wohin sie sich bewegt.“[13]

Ausgaben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Linda Gray Sexton, Lois Ames (Hrsg.): Anne Sexton: A Self-Portrait in Letters. Mariner Books/Houghton Mifflin, New York 2004, S. 124.
  2. a b Linda Gray Sexton: Searching for Mercy Street: My Journey Back to My Mother, Anne Sexton. Counterpoint, Berkeley 2011, S. 177–184. (Deutsch: Auf der Suche nach meiner Mutter, Anne Sexton. Fischer, Frankfurt/Main 1997.)
  3. Lorna Sage (Hrsg.): The Cambridge Guide to Women’s Writing in English. Cambridge University Press, 1999, S. 571.
  4. Diana Hume George (Hrsg.): Sexton: Selected Criticism. University of Illinois, 1988, ISBN 978-0-252-01552-6. Online auf Modern American Poetry, abgerufen am 11. Januar 2013.
  5. „Indeed, several of the poems in The Awful Rowing Toward God seem positive and hopeful in tone, although they are balanced by poems of failure, disappointment, and frustration. Like the movement of oars, the poems go back and forth from possibility to setback, from hope to disappointment. […] However, there is no question that the poems contained in The Awful Rowing Toward God are, in the broadest sense, religious poetry They are poems of struggle, opposition, and outcry, but they represent a search for God.“ – R. Baird Shuman (Hrsg.): Great American Writers: Twentieth Century. Marshall Cavendish Corp., 2002, S. 1373.
  6. „Clearly, the God she is searching for is the symbol to her of what she is not: health, wholeness, the opposite of the rat—which […] has haunted much of her poetry […]“ – Ruth Whitman in Harvard Magazine, Juli/August 1975.
  7. „As Stevens indicates in "Adagio," "[a]fter one has abandoned a belief in God, poetry is that essence that takes its place as life's redemption." […] Sexton’s debate with the possibilities of language is at levels played out as an encounter with the possibility of the divine, and the Christian God-centered nature of the last two collections, The Death Notebooks (1974) and the posthumously published The Awful Rowing Toward God (1975), discover Sexton in territory that questions the very meaning of redemption. The difficult and bleak movements of these verses operate in opposition to Richard Morton's reading of Sexton’s writing as partaking in “the conversion narrative … the principal American literary enterprise.” Morton's chronological and one-dimensional readings of Sexton’s collections collapses any perception of the deeply traumatic encounter with both the possibility of the Absolute and with language that is a mark of Middle Generation writers such as Sexton and Berryman.“ – Philip McGowan: Anne Sexton and Middle Generation Poetry: The Geography of Grief. Greenwood Publishing, 2004, ISBN 978-0-313-31514-5, S. 11; Wallace Stevens: Adagia, in: Opus Posrhumous. Faber and Faber, London 1989, S. 185; Richard E. Morton: Anne Sexton's Poetry of Redemption: The Chronology of a Pilgrimage. The Edwin Mellen Press, Lewiston, Lampeter und Queenston, 1988, S. 7.
  8. „In thematic and tonal terms the project is less ambitious. The voice is increasingly desperate, ready to settle for less than the demands she made upon the deities or the cosmos in previous volumes. The collection ends with a capitulation to the imaginatively small God of an orthodox religious hope. In feminist terms the female voice of rebirth and transformation turns into the conservative voice of feminine supplication.“ – Diana Hume George (Hrsg.): Sexton: Selected Criticism. University of Illinois, 1988, ISBN 978-0-252-01552-6.
  9. „[…] readable and often touching, but it's not very good. […] There's a certain blur and rush to this book […]“ – William Heyen: Holy Whispers beside the Grave, Newsday vom 23. März 1975, S. 16, S. 20.
  10. „The Awful Rowing Toward God […] is sad reading, not only because the poems are haunted by the self-destruction that was to be their terrible climax, but because, however rending as cries of pain, they are never more than mediocre. […] Her images are stale and flat, the words screamed, not chosen. The evil she decries in the world beyond her anguished solipsism turns into the peep show vulgarity of a horror movie […]“ – Pearl K. Bell in The New Leader, 26. May 1975.
  11. "The Awful Rowing Toward God" contains poems of superb, unforgettable power […] while some are almost too painful to read […] Anne Sexton, then, can be dismissed as "sick" and her poetry dismissed as the outpouring of a pathologically egocentric imagination—unless one is willing to make the risky claim, which will not be a popular one, that poets like Sexton, Plath, and John Berryman have dealt in excruciating detail with collective (and not merely individual) pathologies of our time. – Joyce Carol Oates in The New York Times Book Review, 23. March 1975.
  12. „[…] a richness of imagery tumbles off her tongue […] she has always been astonishing and inventive in her use of metaphor. […] There are poems, such as "Is It True?," where one wishes the poet could have stopped and revised; there are poems full of carelessness and redundancy.“ – Ruth Whitman in Harvard Magazine, Juli/August 1975.
  13. „[…] she reduces a once-graceful style to its barest, crudest essentials. Whatever one might think of these poems, it would seem unwise to underestimate their importance. […] they are a form of evidence: a field of glass around a shattered windshield. In their extremity they prompt the question of where American poetry has been during the past decade, and where it might be heading.“ – Ben Howard: Shattered Glass, in Poetry, February 1976, S. 286–292.