Der Affe als Mensch

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Der Affe erhält Tanzstunden. Illustration von Bertall

Der Affe als Mensch ist der Titel einer Gesellschaftssatire Wilhelm Hauffs über die Bewunderung eines auf menschliches Verhalten dressierten Affen durch die Bürger eines fränkischen Städtchens. Der Text erschien 1826 als Binnenerzählung der Märchensammlung Der Scheik von Alessandria und seine Sklaven.[1]

Überblick[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ein Fremder lässt sich im Städtchen Grünwiesel nieder, lebt dort zurückgezogen und gilt als Sonderling. Nach einigen Jahren stellt er den Bürgern seinen Neffen vor, angeblich einen jungen Engländer, der ihm von den Eltern zur Erziehung anvertraut worden ist. Sein Mündel ist jedoch ein Orang-Utan, den er einem Wanderzirkus abgekauft und in harter Dressur einigermaßen gesellschaftsfähig erzogen hat. Seine Entgleisungen in den Salons werden als Eigenarten eines Engländers entschuldigt, von den Frauen bewundert und von den jungen Männern nachgeahmt. Zum Eklat kommt es bei einem Konzertabend. Er soll als Sänger auftreten, tobt aber durch den Saal. Man fängt ihn ein und gibt ihn einem Naturkundler für sein Tiergehege. Der Fremde ist zuvor abgereist. In einem Brief erklärt er den Affen-Scherz als Lehre für die Borniertheit der Kleinstädter.

Inhalt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Fremde besucht den Bürgermeister.

Grünwiesel ist ein typisches Biedermeierstädtchen: Um den Marktplatz sind die Häuser der Honoratioren und Bürger angeordnet. Jeder kennt jeden und Neuigkeiten sprechen sich schnell herum. Eines Tage lässt sich ein Fremder in der Stadt nieder. Man ist neugierig auf ihn und lädt ihn zum Kaffee oder zu den Treffen im Wirtshaus oder auf der Kegelbahn ein, doch er lässt sich entschuldigen, lebt in seinem Haus ohne gesellschaftliche Kontakte und wird deshalb für einen entweder verrückten oder jüdischen oder hexenden Sonderling gehalten und „der fremde Herr“ genannt.

Zehn Jahre später gastiert ein Wanderzirkus in der Stadt und führt Tierdressuren mit einem tanzenden Bären, mit Hunden in Menschenkleidern und einem Orang-Utan auf. Nach Abzug der Artisten reist ihnen der Fremde nach und kommt zusammen mit einem Begleiter, den er als seinen Neffen ausgibt, zurück. Da der Torwächter in dessen breiter Aussprache das Wort „Goddam“ erkannt haben will, geht man davon aus, einen jungen Engländer in der Stadt zu haben. Wie sein Onkel lebt er verborgen im Haus, aus dem jetzt allerdings Geschrei und Lärm auf die Straße dringen. Da Passanten durch die Fenster sehen, wie der Fremde seinen Neffen mit einer Reitpeitsche verprügelt, stellt der Bürgermeister ihn zu Rede. Der Onkel erklärt ihm sein Vorgehen als Erziehungsmaßnahme, weil sein ihm von den Eltern anvertrauter Zögling nicht die deutsche Sprache lernen will. Dies sei aber notwendig, um in der Gesellschaft zu verkehren. Die Bürger haben Verständnis für diese Bestrafung und ändern ihre Meinung über den bisherigen Außenseiter. Nach einem Vierteljahr engagiert der Fremde einen französischen Tanzmeister, der dem jungen Mann seine fratzenhaften Sprünge abgewöhnen soll. Er macht Fortschritte und wird bei unartigen Rückfällen, wenn er z. B. dem Lehrer seine zierlichen Tanzschuhe an den Kopf wirft und auf allen Vieren durchs Zimmer hetzt, durch eine schnallenartige Halsbinde gezähmt. Die Situation verbessert sich, als ein Stadtmusikant engagiert wird und der unermüdliche Tänzer seinen, die Rolle der Dame spielenden, Meister zur Erschöpfung treibt.

Nach Abschluss dieser Etappe scheint der Neffe gesellschaftsfähig zu sein und begleitet seinen Onkel in einer Kutsche zu den Besuchen bei den Honoratioren. Die jungen Frauen freuen sich auf den flinken Tänzer. Der stets ein wenig lächelnde alte Herr wird jetzt als ein sehr vernünftiger Mann wahrgenommen. Der Jüngling bezaubert alle und gewinnt die Herzen. Sein bräunlicher Teint, seine gelegentlichen Grimassen und fletschenden Zähne und das Herumfläzen auf dem Sofa gelten als Genialität: „Er ist ein Engländer […] so sind sie alle.“ Auch bei geselligen Herrenrunden imponiert der Gast: beim Kegeln, Schach- und Kartenspiel, bei dem er viel Geld verliert, was für einen reichen Engländer kein Grund zur Aufregung sei. Ärgerlich ist für die Gesellschaft nur, dass der Engländer in gebrochenem Deutsch überzeugt ist, alles über Krieg und Frieden besser zu wissen und tiefe politische Kenntnisse zu besitzen. Der Erzähler kommentiert das Ansehen des Neffen verwundert, eigentlich habe der junge Mann außer dem Tanzen nichts gelernt, und dies wird auch vom Pfarrer bemerkt. Trotzdem finden die Bürger alles trefflich, was er tut.

Im Winter steigern sich die Auftritte des Engländers. Er zeigt sich in der Gesellschaft blasiert und steht im Mittelpunkt, selbst wenn er zu einer vernünftigen Äußerung schlecht formuliert etwas Törichtes bemerkt. Mit einer großen Brille tritt er als Dichter auf und liest Sonette vor, die rauschenden Beifall finden, obwohl einige Zuhörer sie ohne Sinn finden. Er holt, ohne zu fragen, die Damen auf die Tanzfläche und ist durch seine kühnen und zierlichen Sprünge der Ballkönig. Sein erfolgreiches unkonventionelles Verhalten imponiert den jungen Männern und regt sie zur Nachahmung an. Sie halten sich nicht mehr an die Anstandsregeln, verlieren die Achtung vor den Älteren, singen rohe Lieder, rauchen und treiben sich auf den Plätzen und Straßen und in den Kneipen herum.

Ein Ende findet diese Entwicklung auf einem die Wintervergnügen abschließenden Konzert, bei dem die musischen Frauen und Männer des Städtchens als Musikanten und Sängerinnen auftreten. Der Fremde schlägt vor, dass sein Mündel mit der Tochter des Bürgermeisters ein Duett singt. Am Abend lässt sich der alte Herr wegen einer Erkrankung entschuldigen und rät dem Bürgermeister, bei einer Entgleisung seines Neffen, dessen Halsbinde zu lösen. Das Konzert verläuft nach Plan, doch als das Duett beginnt, hält sich der Sänger nicht an die Noten und wirft dem ihn ermahnenden Organisten seine Schuhe an den Kopf. Der verzweifelte Bürgermeister löst das Halstuch und entfesselt so den Jüngling: Er zieht Perücke und Handschuhe ab, entblößt sein braunes Fell, tobt durch den Saal, wirft die Instrumente um und zerkratzt die Gäste. Schließlich fängt man ihn ein und fesselt ihn. Ein Naturkundler identifiziert ihn als Affen der Spezies „Homo Troglodytes Linnaei“ und kauft ihn für sein Naturalienkabinett. Die Bürger sind entsetzt darüber, dass sie sich so täuschen konnten. Der Fremde ist inzwischen abgereist. Ein hinterlassener Brief erklärt die ganze Aktion als einen für die Grünwieseler lehrreichen Scherz: Sie sollten niemanden zwingen, an ihrem Klatsch, ihren schlechten Sitten und an ihrem lächerlichen Wesen teilzunehmen.

Die Kleinstädter schämen sich, auf den Betrug hereingefallen zu sein, und die jungen Leute bessern sich und werden wieder artig und gesittet. Und wenn jemand sich schlecht benimmt, sagen sie: „Es ist ein Affe.“

Form[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Affe als Mensch ist in der Originalfassung des Märchen-Almanachs, die auch vier Texte anderer Autoren enthält, eine von acht Erzählungen innerhalb der Rahmengeschichte Der Scheik von Alessandra und seine Sklaven: Scheich Ali Banu schenkt jeweils am Jahrestag, als sein Sohn entführt worden ist, einigen Sklaven die Freiheit. Nach dem Muster orientalischer Märchensammlungen bedanken sie sich dafür mit Geschichten. Als Fünfter kommt ein Deutscher zum Vortrag. Weil er keine Erfahrung mit persischen Märchen hat, erzählt er ein Ereignis aus seiner Heimatstadt Grünwiesel. Nach Beendigung seines Vortrags verstärkt die Reaktion der Zuhörer die Lehre der Geschichte: Alle lachen über die sonderbaren Leute und die törichten Frauen in Grünwiesel, und ein Kaufmann kommentiert: „In Frankistan[2] möchte ich nicht tot sein. […] für einen gebildeten Türken oder Perser müsste es schrecklich sein, dort zu leben.“

Quellen und Anregungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Während eines Paris-Aufenthalts, Mai–Juni 1825, besuchte Hauff im „Théatre de la Porte Saint-Martin“ die Ballettpantomime Jocko ou le Singe du Brésil: Der portugiesische Reishändler Fernandez rettet auf seiner Reisplantage in Brasilien dem Affen Jocko das Leben. Dieser schließt sich ihm an, und Fernandez versucht ihn zu erziehen. Jocko rettet Fernandez’ Sohn zweimal das Leben: nach einem Schiffbruch und bei einem Schlangenangriff.

Für seine Erzählung nutzte Hauff E.T.A. Hoffmanns Satire Nachricht von einem gebildeten jungen Mann und, vermutlich, Langbeins Die Kleinstädter und der Fremdling.[3][4]

Vergleich mit E.T.A. Hoffmanns „Nachricht von einem gebildeten jungen Mann“[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In beiden Texten dient ein dressierter Affe zur Gesellschafts- und Künstlerkritik. Wie in Hauffs Erzählung wird in Hoffmanns Satire ein Affe zum Menschen erzogen. Während dies bei Hauffs jungem Engländer, mit Ausnahme des Tanzens, nur ansatzweise gelingt und mit einem Eklat und einer Lehre für die Kleinstädter endet, ist Hoffmanns Milo ein privatisierender Künstler und Gelehrter und kann einen sprachlich elaborierten Brief an seine Freundin schreiben. Er wurde im Haus eines Kommerzienrates im Sprechen, Lesen und Schreiben sowie in den Künsten unterrichtet und verhält sich, von gelegentlichen kleinen Ausfällen abgesehen, gesellschaftskonform.

Als Beweis seiner erworbenen „Weisheit und Tugend“ sowie seines „Kunstgefühls“ gibt der Erzähler einen Brief Milos an seine Affenfreundin Pipi in Nordamerika wieder. Er resümiert, von aller Kunst habe ihn die Musik besonders angezogen. Ein berühmter Sänger habe ihn zum Singen ermuntert und ihm bei seinem Bekenntnis, er habe keine gute Stimme, erklärt, der wahren Singkunst stehe eine gute, natürliche Stimme eher entgegen, als dass sie ihr nütze. Auch halte er sich nicht an die Partituren. Anstatt die vom Komponisten intendierte Melodie zu singen, habe er Manieren einstudiert, virtuos zu singen, wie es einem Genie entspreche. Sein Grundsatz sei die gänzliche Verachtung alles Bestrebens gewöhnlicher Künstler. Dies bedeute „die höchste Selbstzufriedenheit mit allem, was nun so ohne alle Anstrengung die eigene Kraft hervorruft: das alles sind untrügliche Zeichen des höchstkultivierten Genies.“ So lebe er anerkannt und erfolgreich in der menschlichen Gesellschaft und verdanke seinen „glücklichen Zustand […] der erlangten hohen Bildung“. Doch überkomme ihn gelegentlich die Sehnsucht nach dem früheren Leben und er klettere auf Bäume. Aber dann schäme er sich und strebe wieder nach Kultur und weisheitsvollen Lehren, um „zu der inneren Ruhe und Behaglichkeit zu gelangen, die nur die höchst Kultur erzeugt, wie sie aus dem innern Ingenio und dem Umgang mit weisen, gebildeten Menschen entspringt.“[5]

In den Erzählungen Hoffmanns und Hauffs sind die dressierten Tiere[6] Spiegelbilder der Menschen und dienen durch ihre Fähigkeit, den Menschen nachzuahmen, als Reflexionsfigur.[7]

Adaptionen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Verfilmung: „Der Affe als Mensch“ ist die Vorlage für den DEFA-Spielfilm Der junge Engländer (1958).
  • Hörspiel: Günter Eich bearbeitete „Der Affe als Mensch“ als Hörspiel unter dem Titel „Der junge Engländer“ (Produktion: NDR 1956, mit Rolf Boysen u. a.).[8]
  • Hörbuch: „Der Affe als Mensch, Tiergeschichten, Hoffmann, Hauff, Kafka , Hagenbeck.“ Sprecher: Gerd Udo Feller[9]
  • Hörbuch: „Der junge Engländer oder Der Affe als Mensch.“ Sprecher: Gregor Höppner[10]

Ausgaben und Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

s. Ausgaben

s. Sekundärliteratur

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Der Affe als Mensch – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Der Affe als Mensch – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise und Anmerkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. im „Märchen-Almanach auf das Jahr 1827“ bei Franckh in Stuttgart.
  2. Orientalische Bezeichnung für Europa. In Brockhaus’ Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 605. auf zeno.org.
  3. Scheible Verlag 1837.
  4. Wilhelm Hauff Werke in einem Band. Hanser Verlag München Wien, 1981, Anhang S. 743.
  5. zitiert nach: E.T.A. Hoffmann: „Nachrichten von einem gebildeten jungen Mann“. In: Sämtliche Werke in Einzelbänden, 6 Bände, Bd. 1 „Fantasie- und Nachtstücke“. Winkler Verlag, München 1960, S. 297 ff.
  6. Max Linde: „Tier und Mensch. Dressurgeschichte“. Planet wissen. https://www.planet-wissen.de/natur/tier_und_mensch/dressurgeschichte/index.html
  7. Ivo Schmucki: „Affen in der Literatur halten unserer Gesellschaft den Spiegel vor“. https:// Das Online-Magazin der Universität Bern. www.uniaktuell.unibe.ch/2016/affen_in_der_literatur_halten_unserer_gesellschaft_den_spiegel_vor/index_ger.html. Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 6. Dezember 2021 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.unibe.ch
  8. NDR Hörspiel, NDR Podcast, archive.org.
  9. naxos Klassiker der Literatur
  10. Produktion: interface studios, Köln