Der Blaue Vogel

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Plakat von Iwan Bilibin von 1926

Der Blaue Vogel (russisch Синяя птица) war ein bekanntes russisches Kleinkunsttheater in Berlin und Prag von 1921 bis 1938.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gründung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Valentina Arenzvari und D. Libidius in Amsterdam (1929?)

1921 gründeten russische Exilkünstler das Theater Der blaue Vogel. Es wurde wahrscheinlich nach dem gleichnamigen Märchenstück von Maurice Maeterlinck benannt, das 1908 in Moskau uraufgeführt worden war. Leiter wurde Jakov Jushny. Spielstätte wurde ein ehemaliges Kino in Berlin-Schöneberg in der Goltzstraße 9 mit 200 Parkettplätzen und zwei Rängen.

Programme[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Es wurden Unterhaltungsprogramme gespielt. Diese bestanden aus Parodien zum westlichen Alltagsleben und vor allem Szenen und Liedern aus dem alten Russland. Die meisten Texte waren in russischer Sprache, mit einigen Erläuterungen in gebrochenem Deutsch, besonders durch den Conferencier Jakov Jushny, der humorvoll durch den Abend führte.

Besonders eindrucksvoll waren die aufwändig gestalteten Dekorationen und Kostüme, meist in bunten Farben, die jede Vorstellung zu einem optischen Erlebnis machten. Die meisten Zuschauer waren in Deutschland lebende Russen, dazu kamen einige deutsche Besucher.

Weitere Entwicklung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Theater spielte regelmäßig in Berlin und war häufig zu Gastauftritten in vielen europäischen Ländern und den USA unterwegs. Ab etwa 1924 ließ die besondere Intensität der russischen Szenen nach. 1928 waren etwa 80 Programme in über 2400 Vorstellungen weltweit gespielt worden.

Um 1930 verließ das Ensemble seine Spielstätte in der Goltzstraße.[1] Es spielte danach in Berlin in einem anderen Theater am Kurfürstendamm, wahrscheinlich als Gäste.[2]

Später zog es nach Prag um, wo es bis 1938 bestand.

Auftrittsorte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Ensemble Der Blaue Vogel spielte regelmäßig in Berlin. Es gab dazu zahlreiche Gastspiele in vielen deutschen Städten, sowie in Österreich (jedes Jahr bis 1930), in der Schweiz (über 200 Vorstellungen), in den Niederlanden (über 200 Vorstellungen), in Großbritannien (über 70 Vorstellungen), in Polen, Schweden, Spanien, Litauen, Jugoslawien, in den USA (über 100 Vorstellungen), in Afrika in weiteren Ländern, und zuletzt in Prag.[3]

  • London, 4. Oktober–24. November 1923, Scala, 60 Vorstellungen (The King Called For His Drummer)[4]
  • Warschau, 16.–17. Juni 1924, Teatr Rococo, Ptak niebieski, erste Vorstellungen in Polen[5]
  • Düsseldorf, 11.–12. Dezember 1924, Schauspielhaus, 2 Vorstellungen[6]
  • New York, 29. Dezember 1924–7. März 1925, Frolic Theatre, 80 Vorstellungen (Seeniaya ptitza), erstes Gastspiel in den USA[7]
  • Niederlande, Herbst 1929[8]
  • Wien, 1930
  • New York, 21. April–8. Mai 1932, Cort Theatre, 20 Vorstellungen (The Blue Bird. A Russian Revue)[9]
  • Zürich, 24. August 1933[10]
  • London, 7.–17. Februar 1934, Duke of York, 13 Vorstellungen (L'oiseau bleu)[11]
  • Wien-Schönbrunn, 1936

Resonanz[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Allgemeines[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Auftritte von Der Blaue Vogel hinterließen bei vielen Besuchern sehr positive Eindrücke. Schriftsteller und Publizisten wie Robert Musil, Alfred Polgar, Else Lasker-Schüler, Kurt Tucholsky, Stefan Großmann waren begeistert, auch Bertolt Brecht besuchte öfter Vorstellungen.[12]

Else Lasker-Schüler[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die bekannte Schriftstellerin Else Lasker-Schüler schwärmte

„Der Blaue Vogel ist das Herrlichste, was man hier auf der Welt sehen kann!“

Kurt Tucholsky[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Kritiker Kurt Tucholsky gab zu

„Ich muss Ohren und Nase aufsperren vor dem, was sie da alles machen (...) Nein, das können wir nicht. Da packe ich neidlos ein.[13]

Stefan Großmann[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der österreichische Schriftsteller und Volksbühnenleiter Stefan Großmann schrieb 1924

„Berlin, Hauptversammlung aller grauen Vögel, versucht seit der Bejubelung des „Blauen Vogels“ auf wilden Bühnen und auf dem Wege des Größenwahns farbenfroh und romantisch zu werden. Aber es ist ein Unterschied zwischen einem von Natur aus leuchtenden Vogel und einem Spatzen, der einmal in einen grellen Farbtopf geworfen wurde.“

Ferdinand Hager[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Publizist Ferdinand Hager (der ansonsten nicht bekannt ist, möglicherweise ein Pseudonym), schrieb 1924 einen längeren Artikel über den Flug des Blauen Vogels

„Sie opfern für eine Miniature nicht weniger Zeit, Arbeit und Geist als für ein ganzes Schauspiel nötig wäre, – alles nur, um einige Minuten lang durch Licht, Gestus, Farbe, Bewegung, Ton die Sinne, die Seele zu fesseln. (...) Es ist kein Zufall, daß wir heute gerade die russische Kunst schätzen. Sie ist der Ausdruck einer tiefen Sehnsucht, für die wir in der westeuropäischen Kunst keinen Widerhall mehr finden. Sie spielen einen ganzen Abend mit fast keinem Wort in der Sprache des Landes, wo sie sich befinden und man versteht sie doch, von Grund auf, wie man selten glaubt, verstanden zu haben. (...) Was ist aber dieses Merkwürdige, daß dieses kalte, verwöhnte Publikum der europäischen Zentralen seine innere Reserve aufgibt um hier mitzufühlen...?“[14]

Neugründungsversuch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1947 gab es den Versuch einer Neugründung mit einigen der bisherigen Programmnummern, mit anderen russischen Künstlern, in der Schaubude in München, allerdings ohne besonderen Erfolg.[15]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Der Blaue Vogel – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Goltzstraße 9. In: Berliner Adreßbuch, 1929, III, S. 361. „Blaue Vogel, Der“., letzter Eintrag im Berliner Adressbuch, 1930 war J. Elbling-Jushny noch Eigentümer des Hauses, seit 1931 wurde er dort nicht mehr erwähnt
  2. Jushny en zijn menschen [Jushny und seine Leute], in Het weekblad cinema & theater, Nr. 299, 1929, s. 11 Text (kann oben geschoben gelesen werden), über Auftritte in den Niederlanden, schrieb auch, dass es eine neue Spielstätte am Kurfürstendamm gebe, im Berliner Adressbuch von 1930 und später sind aber keine Einträge dazu feststellbar
  3. Die Programmbezeichnungen und der Theatername variierten dabei öfter (The Blue Bird, Seenyaya ptitza, L'oiseau bleu), möglicherweise bewusst
  4. D. J. Wearing, The London Stage 1920–1929, 2014, p. 250–251, mit detaillierten Angaben
  5. Niebieski ptak w Warszawie E teatr (polnisch), auch Kurjer Polski, Nr. 188, 1924, und Nr. 211, 1924 (sierpień), Teatr Jużnego
  6. Der blaue Vogel Programmheft
  7. Seeniaya ptitza IBDB
  8. Jushny en zijn menschen [Jushny und seine Leute], in Het weekblad cinema & theater, Nr. 299, 1929, s. 11 Text (auch originale Einsicht), mit Vorbericht (niederländisch)
  9. Dan Dietz: The Complete Book of 1930's Broadway Musicals, 2018, p. 198–199, mit ausführlichen Angaben
  10. Fachinformationsdiens Darstellende Kunst
  11. D. J. Wearing, The London Stage 1930–1939, 2014, p. 339 (online), mit detaillierten Angaben
  12. Jan Knopf: Schluckspecht Bert Brecht, in Der Freitag, 06/2020 Text, mit ausführlicher Darstellung, einige Textpassagen übernommen aus Eurasisches Magazin, 01/2006 (!)
  13. Der blaue Vogel Der blaue Vogel Filmproduktionsfirma Berlin, mit diesen vier Zitaten (unten), ohne Herkunftsangaben, lies auch: Peter Panther [d. i. Kurt Tucholsky]: Der blaue Vogel, in Die Weltbühne, Nr. 12, vom 23. März 1922, S. 305 (Text)
  14. Anton Kaes, und andere (ed.): The Weimar Republic Sourcebook, University of California Press, Berkeley/Los Angeles/London, 1994, p. 557f., mit englischer Übersetzung und Angabe des Originaltextes
  15. Blauer Vogel Nr. 2, in Der Spiegel, 32, vom 8. August 1947 Text, mit einigen Angaben (dem Auflösungsjahr 1938), von den ehemaligen Beteiligten waren nur noch der Direktor Mansfeld und der Bühnenmeister Adamovsky (Adamowski) anwesend