Dimercaprol

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Strukturformel
Strukturformel von (RS)-Dimercaprol
1:1-Gemisch aus (R)-Form (links) und (S)-Form (rechts)
Allgemeines
Freiname Dimercaprol
Andere Namen
  • (RS)-2,3-Dimercapto-1-propanol
  • (RS)-2,3-Dimercaptopropan-1-ol
  • (RS)-Dithioglycerin
  • British Anti-Lewisite
  • BAL
Summenformel C3H8OS2
Kurzbeschreibung

gelbe Flüssigkeit mit charakteristischem Geruch[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 59-52-9 (Racemat)
EG-Nummer 200-433-7
ECHA-InfoCard 100.000.394
PubChem 3080
ChemSpider 2971
DrugBank DB06782
Wikidata Q413968
Arzneistoffangaben
ATC-Code

V03AB09

Eigenschaften
Molare Masse 124,22 g·mol−1
Aggregatzustand

flüssig[1]

Dichte

1,25 g·cm−3 [1]

Siedepunkt

140 °C (bei 54 hPa)[1]

Dampfdruck

7,4 hPa (100 °C)[1]

Löslichkeit

mäßig in Wasser (87 g·l−1 bei 20 °C)[1]

Brechungsindex

1,5749 (20 °C)[2]

Sicherheitshinweise
Bitte die Befreiung von der Kennzeichnungspflicht für Arzneimittel, Medizinprodukte, Kosmetika, Lebensmittel und Futtermittel beachten
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[1]

Gefahr

H- und P-Sätze H: 301​‐​315​‐​319​‐​335
P: 301+310+330​‐​302+352​‐​305+351+338[1]
Toxikologische Daten

217 mg·kg−1 (LD50Mausoral)[3]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen. Brechungsindex: Na-D-Linie, 20 °C

Dimercaprol oder Dimercaptopropanol ist ein vom Glycerin abgeleiteter Stoff, der sowohl zu den Alkoholen als auch zu deren Schwefelanaloga, den Thiolen zählt. Es dient als Antidot bei Vergiftungen mit verschiedenen Schwermetallen.

Geschichte und Verwendung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Dimercaprol wurde im Zweiten Weltkrieg von britischen Biochemikern der Universität Oxford als Gegengift zum Kampfstoff Lewisit entwickelt. Dies führte zu der Bezeichnung British Anti-Lewisite (kurz BAL). In Deutschland war BAL als Sulfactin[4] im Handel.

Dimercaprol war als Arzneistoff bei Vergiftungen mit Arsen-, Quecksilber-, Blei- und Goldsalzen angezeigt, ist jedoch durch DMPS ersetzt worden, welches bei gleicher Effektivität besser verträglich ist. Über die Behandlung von Vergiftungen mit Antimon, Bismut, Chrom, Kupfer und Nickel liegen nur wenige Erfahrungen vor; nicht geeignet ist die Substanz zur Behandlung von Vergiftungen mit Cadmium-, Eisen- und Selensalzen, da die entstehenden Komplexverbindungen noch giftiger sind als die Metallionen selbst.[5] Die Behandlung des Morbus Wilson mit Dimercaprol ist obsolet.[6]

Dimercaprol wird als ölige Lösung auf Basis von Erdnussöl alle 4–6 Stunden intramuskulär injiziert. Daher ist es bei Erdnussallergie kontraindiziert.

Unerwünschte Wirkungen treten ab 4 mg/kg Körpergewicht bei 14 % der Patienten auf, ab 5 mg/kg Körpergewicht bei 65 %. Neben Schmerzen an der Injektionsstelle können dort eitrige Abszesse auftreten. Hohes Fieber bis 40 °C kann besonders bei Kindern entstehen. Etwa 10 – 30 Minuten nach einer Injektion kann es zum Gefühl einer Brustenge ohne kardiologische Symptome kommen, verbunden mit Angstzuständen, Bluthochdruck und Herzrasen, das binnen einer Stunde abklingt.[7]

Moderne Dimercaptogruppen-basierte Komplexbildner der zweiten Generation sind Dimercaptopropansulfonsäure (DMPS) und Dimercaptobernsteinsäure (DMSA).

Herstellung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Addition von Brom an die Kohlenstoff-Kohlenstoff-Doppelbindung von Allylalkohol liefert racemisches 2,3-Dibrom-1-propanol. Bei dessen Umsetzung mit Natriumhydrogensulfid werden die beiden Bromatome durch Mercapto-Reste substituiert und es entsteht Dimercaprol.[8]

Eigenschaften und Wirkung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Dimercaprol ist eine gelbliche Flüssigkeit mit charakteristischem Geruch nach Mercaptan. Sie löst sich mäßig gut in Wasser und ist brennbar, wegen ihres hohen Flammpunkts von 112 °C jedoch schwer entzündbar.[1] Die Antidotwirkung von Dimercaprol beruht auf der Reaktivierung von durch Schwermetalle blockierten Thiolgruppen in Proteinen (v. a. Enzymen) durch Chelatbildung mit den Metallionen über die Thiol-Gruppen des Dimercaprols.

Isomerie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Dimercaprol besitzt ein Stereozentrum, ist also chiral. Es existiert ein (R)-Isomer und ein (S)-Isomer. Dimercaprol wird als Racemat [1:1-Gemisch des (R)-Isomers und des (S)-Isomers] eingesetzt.[9] Die Chiralität ist für die Verwendung als Schwermetallantidot unbedeutend.[5]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c d e f g h i Eintrag zu Dimercaprol in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 3. Januar 2023. (JavaScript erforderlich)
  2. David R. Lide (Hrsg.): CRC Handbook of Chemistry and Physics. 90. Auflage. (Internet-Version: 2010), CRC Press / Taylor and Francis, Boca Raton FL, Physical Constants of Organic Compounds, S. 3-186.
  3. Quarterly Journal of Pharmacy & Pharmacology. 21(364), 1948.
  4. Helmut Schubothe: Arsenvergiftung. In: Ludwig Heilmeyer (Hrsg.): Lehrbuch der Inneren Medizin. Springer-Verlag, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1955; 2. Auflage ebenda 1961, S. 1203–1205, insbesondere S. 1204 f.
  5. a b K. Hardtke et al. (Hrsg.): Kommentar zum Europäischen Arzneibuch Ph. Eur. 4.0, Dimercaprol. Loseblattsammlung, 19. Lieferung 2005, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart.
  6. Deutsche Gesellschaft für Neurologie: Leitlinie Morbus Wilson (Memento des Originals vom 18. Juni 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.dgn.org.
  7. Wendy Macías Konstantopoulos, Michele Burns Ewald, Daniel S. Pratt: Case 22-2012: A 34-Year-Old Man with Intractable Vomiting after Ingestion of an Unknown Substance. In: New England Journal of Medicine 2012; 367: 259–268.
  8. Axel Kleemann, Jürgen Engel, Bernd Kutscher und Dieter Reichert: Pharmaceutical Substances, 4. Auflage (2000), 2 Bände erschienen im Thieme-Verlag Stuttgart, S. 662–663, ISBN 978-1-58890-031-9; seit 2003 online mit halbjährlichen Ergänzungen und Aktualisierungen.
  9. Europäisches Arzneibuch, Deutscher Apotheker Verlag Stuttgart, 6. Ausgabe, 2008, S. 2339–2340, ISBN 978-3-7692-3962-1.