Diskussion:Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Letzter Kommentar: vor 1 Jahr von Hfst in Abschnitt Wirkung?
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Wirkung?[Quelltext bearbeiten]

Was noch fehlt, wäre eine Anmerkung darüber, ob irgendein Effekt von dieser Erklärung ausgegangen ist. --Drahreg01 02:25, 23. Sep 2005 (CEST)

In InterAction Council heißt es dazu
Sie fand jedoch keine breite Unterstützung. Insbesondere die westlichen Staaten lehnten diese teils kategorisch ab.
Ich habe von den Menschenpflichten noch nie gehört und würde sagen die wurden nicht zur Kenntnis genommen.—Hfst (Diskussion) 08:27, 2. Sep. 2022 (CEST)Beantworten

Kritik[Quelltext bearbeiten]

Hallo,

gibt es irgendeine Kritik der Allgemeinen Erklärung der Menschenpflichten? Oder wird das alles so unreflektiert hingenommen?

Eine „Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten“ kann man ganz schnell ins Gegenteil verkehren, nämlich für totalitäre Zwecke missbrauchen.

Dazu ein Zitat:

„Vom Staatsbürger im allgemeinen verlangt der freiheitliche Verfassungsstaat gerade kein Treuebekenntnis, keinen Bürgereid auf die Verfassung, keine Identifikation mit ihren vermeintlichen oder tatsächlichen Werten. Dieser Verzicht hat gute, ja zwingende Gründe. Denn es zeichnet diesen Staat gerade aus, dass er die Vielfalt der Meinungen, ethischen Überzeugungen, divergenten Weltanschauungen und Lebensvollzüge in umfassender Weise schützt. Er würde sich im Grunde zu sich selbst in Widerspruch setzen, wenn er diese Freiheit inhaltlich von vornherein so modellieren wollte, dass sie passgenau den Verfassungsgehalten des Grundgesetzes entspräche.“

Zitat aus: „Der freiheitliche Verfassungsstaat als riskante Ordnung“, Horst Dreier; nachzulesen unter: http://www.jura.uni-wuerzburg.de/fileadmin/02160100/Elektronische_Texte/Dreier_Internet.pdf

Hierzu ein paar Beispiele:

1. „... hat die Pflicht, alle Menschen menschlich zu behandeln.“ - Wer bestimmt im Einzelnen, im speziellen Fall, wann jemand seinen Mitmenschen „menschlich behandelt“?

2. „sie alle unterstehen moralischen Maßstäben.“ - Und wer legt diese moralischen Maßstäbe fest? Eine internationale Ethik-Kommission?

3. „Jeder Mensch hat die Pflicht, unter allen Umständen Gutes zu fördern und Böses zu meiden.“ - Wiederum: Wer legt fest, was in jedem Einzelfall das zu fördernde Gute und das zu meidende Böse ist? Die Meinungen darüber gehen nämlich sehr weit auseinander; ein Taliban oder ein Anhänger des Islamischen Staates wird im Brustton der Überzeugung vertreten, das er für das Gute kämpft und einsteht!

4. „Jede Person hat die Pflicht, Leben zu achten.“ - Welches Leben? Nur menschliches? Oder wird aufgrund dieser Erklärung Fleischessen verboten, weil Massentierhaltung den Tieren Leiden zufügt? Geht die Achtung des Lebens so weit, dass man die Schnecken nicht töten darf, die im Garten die Blumen anfressen?

5. „Niemand hat das Recht, eine andere menschliche Person zu verletzen, zu foltern oder zu töten.“ - Wo fängt das Verletzen einer anderen Person an - ist eine Ohrfeige, die ein Elternteil dem Kind gibt, schon eine Verletzung? Und wer legt das fest? Wenn ein Polizist einem flüchtigen Straftäter Handschellen anlegt - kann sich der Straftäter dann auf das Folterverbot berufen, das in dieser Erklärung festgelegt ist?

6. „Schutz verlangen auch die Tiere und die natürliche Umwelt.“ - Was ist damit im Einzelnen gemeint? Wird es eine Folge-Erklärung geben, die verbietet, beim Waldspaziergang auf Käfer zu treten, oder die Fliegenklatschen verbietet, weil sie der Stubenfliege wehtut?

7. „Alle Menschen haben die Pflicht, Luft, Wasser und Boden um der gegenwärtigen Bewohner und der zukünftigen Generationen willen zu schützen.“ - Sehr schöne Worte! Aber leider auch sehr schwammig. Was ist mit der „Pflicht, Luft, Wasser und Boden ... zu schützen“, im Einzelnen gemeint?

8. „Jede Person hat die Pflicht, sich integer, ehrlich und fair zu verhalten.“ - Wiederum: Wer legt das fest? Wer maßt sich an, für alle Menschen, in allen Ländern, in allen Kulturen vorzuschreiben, was im Einzelfall integer, ehrlich und fair ist?

9. Einige der Grundsätze widersprechen sich: Wenn ich zum Beispiel zu meiner Tante sage, dass mir das Geschenk nicht gefällt, bin ich ehrlich, wozu mich die Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten verpflichtet. In diesem Fall verstoße ich aber gegen den Grundsatz: „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu.“, weil ich unhöflich bin.

10. „Alle Menschen haben die Pflicht, ihre Fähigkeiten durch Fleiß und Anstrengung zu entwickeln; ...“ - Das ist eine direkte, ich möchte fast sagen: totalitäre, Vorschrift. Jeder hat die Pflicht, seine Fähigkeiten weiter zu entwickeln, auch wenn er beispielsweise subjektiv unter Antriebsschwäche leidet oder einfach keine Lust dazu hat. Auch pubertierende Jugendliche haben die Pflicht zu Fleiß und Anstrengung, auch wenn sie die letzte Mathearbeit versaut haben. Darauf läuft es doch hinaus, oder?

11. „Alles Eigentum und aller Reichtum müssen in Übereinstimmung mit der Gerechtigkeit und zum Fortschritt der Menschheit verantwortungsvoll verwendet werden.“ - Wer bestimmt denn im Einzelfall (und schreibt es dem Nachbarn Müller oder Piefke auch vor!), wann er seinen Besitz in Übereinstimmung mit der Gerechtigkeit verwendet? Was ist, wenn sich Hans-Müller von drei Häuserblöcke weiter ein schickes rotes Auto kauft, dass sich sein Nachbar nicht leisten kann - verstößt das gegen die Gerechtigkeit? Und was ist bitte der „Fortschritt der Menschheit“? Wer legt das fest? Eine internationale Ethik-Kommission? Aber die müsste dann auch die Einzelheiten festlegen, nämlich dass Hans-Müllers Nachbar auch mal eine Spritztour mit dem Auto machen darf?

12. „Wirtschaftliche und politische Macht darf nicht als Mittel zur Herrschaft eingesetzt werden“ - ... wird sie aber pausenlos. Unsere mittelbar vom Volk gewählten Politiker besitzen politische Macht; die Regierenden üben Herrschaft aus, auch, wenn sie vom Volk gewählt worden sind.

13. „Jeder Mensch hat die Pflicht, wahrhaftig zu reden und zu handeln. Niemand, wie hoch oder mächtig auch immer, darf lügen.“ - Wenn ich meinem Geburtstagsgast sage, dass ich das Geschenk nicht möchte, weil es mir nicht gefällt, so handle ich wahrhaftig. Ich sage ihm/ihr die Meinung. Wenn zum Beispiel in ein paar Monaten eine Studie zum Thema „Jugendkriminalität“ veröffentlicht wird, so besteht zwar die Möglichkeit, dass der Inhalt dieser Studie zutrifft, dies aber könnte politisch nicht opportun sein.

Und so weiter und so fort.

14. „Keine Bestimmung dieser Erklärung darf so ausgelegt werden, daß sich daraus für den Staat, eine Gruppe oder eine Person irgendein Recht ergibt, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung vorzunehmen, welche auf die Vernichtung der in dieser Erklärung und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 angeführten Pflichten, Rechte und Freiheiten abzielen.“ - Das ist ein schöner Schlusssatz, er kann aber nicht verhindern, dass die „Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten“ genau das tut: nämlich dem Individuum, dem einzelnen Menschen, der mit Geist, Verstand, und einer eigenen Meinung ausgestattet ist, vorzuschreiben, wie er/sie zu leben hat, und zwar bis ins kleinste Detail. Dieser letzte Schlussartikel sagt überhaupt nichts aus, er ist bloß rhetorisch.

Oder in einem Satz kurz zusammengefasst: Man kann die „Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten“ dazu benutzen, Hans Müller-Meier zu verbieten, sich einen Mercedes zu kaufen und eine Weltreise zu machen, weil sich Tante Frieda drei Häuserblöcke weiter so etwas nicht erlauben kann. Dann haben wir nämlich Diktatur.

Merken Sie's? Eine Erklärung, die dafür ausgelegt werden kann, jedem Menschen vorzuschreiben, wie er/sie zu leben hat.

Und Menschen, die solche Erklärungen missbrauchen, um sich Macht über andere Menschen zu verschaffen, gibt es genügend.

Könnte bitte jemand so freundlich sein, einen Abschnitt „Kritik“ in den Artikel einzufügen und diesen von mir erwähnten Aspekt einzufügen?

Vielen Dank im Voraus!

Mit freundlichen Grüßen

--79.226.23.159 03:01, 8. Jun. 2015 (CEST)Beantworten

Bei Wikipedia kann grundsätzlich jeder Nutzer selbst Hand an einen Artikel legen, wenn er meint, der Artikel sei inhaltlich unausgewogen. Allerdings ist er verpflichtet, die Richtigkeit seiner Ergänzungen und Änderungen zu belegen. Die eigene persönliche Meinung ersetzt keinen Beleg.
Unabhängig davon glaube ich, dass Helmut Schmidt schlecht beraten war, als er den Titel Universal Declaration of Human Responsibilities mit Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten übersetzte. Inhaltlich treffender wäre wohl Allgemeine Erklärung der Verantwortung der Menschen. Es geht nämlich um Verantwortung in einem eher humanistischen Sinne, nicht um juristisch einklagbare Pflichten. --Forevermore (Diskussion) 08:23, 31. Jul. 2016 (CEST)Beantworten



Hallo,
in einem Artikel über die „Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten“ heißt es:


:::„Wer Bürgertugenden erzwingen will, riskiert die Freiheit.

:::Wer wollte bestreiten, daß jeder Mensch die Pflicht hat, sich "integer, ehrlich und fair" zu verhalten, "unter allen Umständen Gutes zu fördern und Böses zu meiden", daß er die Pflicht hat, "Leben zu achten" und "alle Menschen menschlich zu behandeln"? Die Kernaussagen einer "Allgemeinen Erklärung der Menschenpflichten", veröffentlicht in der ZEIT vom 3. Oktober (Nr. 41/97), kommen so unschuldig, so selbstverständlich daher, daß man kaum wagt, an diesem Dokument des guten Willens herumzumäkeln.

:::Doch gut gemeint ist manchmal das Gegenteil von gut. Auch lautere Absichten können schlimme Folgen zeitigen - wie ebenjene Pflichtenerklärung, die eine Gruppe ehemaliger Staatenlenker, darunter der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt, der Welt zur Diskussion vorgelegt hat. Die Kritik bezieht sich nicht auf die Werte, die diesem Pflichtenkanon zugrunde liegen. Das Dokument fordert dennoch zu drei grundsätzlichen Einwänden heraus:

:::- Es beruht auf einer alarmistischen Gesellschaftsanalyse.

:::- Es will Einwänden aus Asien Rechnung tragen, wonach der Westen die Menschenrechte einseitig betone - und geht damit in die kulturrelativistische Falle.

:::- Es will ein rein ethisches Postulat zur weltweiten Pflichtennorm erheben und begibt sich damit auf den gefährlichen Pfad des politischen Paternalismus.

:::Einer verbreiteten Diagnose zufolge zerfällt, was westliche Gesellschaften zusammenhält. Alles mögliche leidet an Auszehrung und löst sich schrittweise auf - das Klassenmilieu, die Dorfgemeinschaft, das Vereinsleben, das Ehrenamt, der Generationenvertrag, das Arbeitsleben; die Arbeitgeberverbände verlieren Mitglieder, genauso die Gewerkschaften, die Parteien, die Kirchen.

:::Nach den Ergebnissen der Forschung wollen sich die Menschen nicht mehr als Soldaten irgendwelchen Gemeinwohlarmeen unterordnen, nicht dem Roten Kreuz und nicht der SPD. Sie wollen Subjekt ihres Handelns bleiben. Ihr karitatives und politisches Engagement soll spontan sein dürfen, frei von Hierarchien und Formalismen.

:::Nichts deutet darauf hin, daß Tugenden wie Hilfsbereitschaft und Solidarität verlorengegangen wären. Als jüngst die Oder über die Ufer trat, spendeten die Deutschen mehr, als die brandenburgischen Flutopfer brauchten. Als Prinzessin Diana starb, fuhr die Belegschaft einer Hamburger Fabrik freiwillig Wochenendschichten, um Elton Johns Gedenk-CD schnell zu pressen - die Einnahmen sollten karitativen Organisationen zugute kommen. Gewiß - dies sind Strohfeuer des Engagements, angefacht von einer riesigen Medienindustrie. Aber was ist daran schlimm? Statt über Werteverfall zu klagen, sollte man darüber nachdenken, wie neue Ausdrucksformen von Gemeinwohlorientierung für die Gesellschaft fruchtbar zu machen sind. Statt Individualismus zu verteufeln, wäre es an der Zeit, ihn als wünschenswertes Ergebnis der demokratischen Entwicklung in Deutschland anzuerkennen.

:::Der neue Individualismus schafft sich seine Gemeinschaftswerte sogar selber. Wenn auch die einzelnen Menschen in unterschiedliche Richtungen streben, sind sie sich doch meist einig darüber, was sie nicht wollen. "Negativkatalog gemeinsamer Werte" nennt das der Soziologe Karl Otto Hondrich. So fügten sich am Ende "individuelle Selbstgefühle zu Wir-Gefühlen zusammen, die weit über die einzelnen Wohnzimmer" hinausreichten. "Den Auflösungsprozessen stehen man möchte sagen: ungeahnte - Stabilisierungsprozesse gegenüber."

:::Die Theorie vom Werteverfall ist ein Wiedergänger. Sie taucht immer dann auf, wenn Gesellschaften sich im Sauseschritt modernisieren. Das England der Industrialisierung kennt die Klage über den Verlust der Normen ebenso wie das wilhelminische Deutschland. Im Zeitalter der Globalisierung legen nun ehemalige Staatsmänner aus Angst vor den Nachgeborenen ein Pflichtenheft vor. Sie ziehen die Notbremse, wo keine Not ist: Alarmismus.

:::Helmut Schmidt glaubt, "ein Minimum weltweit gemeinsam anerkannter ethischer Standards" werde für das "interkontinentale Zusammenleben" zur Notwendigkeit. Gerade in Asien gebe es den "ernstzunehmenden, ernsthaft begründeten Vorwurf", das Grundrechtskonzept "vernachlässige oder verkenne" die Verantwortlichkeiten des einzelnen. Dieser Kritik will das Pflichtenheft Rechnung tragen, um einen "Kampf der Kulturen" zu vermeiden.

:::Doch welchem Asien will Schmidt eigentlich entgegenkommen? Gewiß plädiert er als Kritiker "permissiver Erziehung" nicht für sexuelle Freizügigkeit, wie sie in manchen asiatischen Ländern verbreitet ist. Sicher will er als Kritiker des Mordens auf Fernsehschirmen nicht asiatische Gewaltfilme fördern. Ohne Zweifel will er als Kritiker eines "spekulativen Raubtierkapitalismus" nicht jenen Familienclans aus den Tigerstaaten huldigen, die Profit zu ihrer Ersatzreligion gemacht haben.

:::Kulturen sind komplex. Jeder findet in ihnen, was er sucht. Max Weber glaubte, Werte könnten ökonomische Entwicklung behindern oder beschleunigen. Der Konfuzianismus sei deshalb für die Stagnation in Asien mitverantwortlich. Heute gilt kurioserweise das Gegenteil. Die Gemeinschaftswerte des Konfuzianismus werden als Treibstoff des Erfolges betrachtet. Dabei gibt es in Asien nicht nur eine kulturelle Tradition, sondern viele, und nicht alle Boom-Staaten haben konfuzianische Wurzeln. Einige sind darunter, die sich auf individualistische (christliche oder buddhistische) Traditionen berufen. Nicht einmal der Konfuzianismus ist so gemeinschaftsorientiert, wie vielfach behauptet. Er verfügt ebenso über die Idee der Würde des einzelnen. Und er steht - wie der Sinologe Heiner Roetz schreibt - den Menschenrechten näher als Regimen, die Freiheitsrechte unter Berufung auf den Konfuzianismus ständig mißachten.

:::So erweist sich das Argument von den "asiatischen Werten" als interessengeleitete Konstruktion. Die Theoretiker der Asian Values versuchen, die kulturellen Unterschiede des Kontinents argumentativ einzuschmelzen. Das gelingt ihnen nur, solange sie das Interpretationsmonopol über die Tradition mit Hilfe der Polizei besitzen. Denn darum geht es letztlich: um die Legitimation autoritärer Herrschaft. Besonders wirkungsvoll hat Singapurs Herrscher Lee Kuan Yew die "Kultur" als Waffe zur Abwehr von Demokratie und Individualismus eingesetzt. Er berief sich mit seinem Rohrstock-Liberalismus jahrelang auf eine übergreifende Kulturtradition. Dabei stand er einer multikulturellen Gesellschaft vor. Nun zählt Lee Kuan Yew zu den Unterzeichnern der Pflichtentafel.

:::Hinter den "Asiatischen Werten" lauert in Wahrheit die "autoritäre Versuchung" (Ralf Dahrendorf). Deshalb führt der Weg, einen "Kampf der Kulturen" durch Relativismus vermeiden zu wollen, in die Irre. Der beste Garant für ein friedliches Zusammenleben der Völker bleibt die Achtung der universellen Menschenrechte.

:::Auch wenn Weltuntergangsszenarien keine schlüssige Begründung liefern, ließe sich gleichwohl argumentieren, daß ein Pflichtenheft dem Westen guttue prinzipiell. Schließlich sind Demokratien auf das Engagement und das Verantwortungsbewußtsein ihrer Bürger angewiesen. Deshalb muß der Staat, müssen Demokraten um Bürgersinn werben - in der Schule, in der politischen Arena, in der Publizistik. Helmut Schmidt, durch sein Lebenswerk legitimiert, ist ein glaubwürdiger Mentor dieser Idee.

:::Aber die Autoren der Pflichtenerklärung wollen es bei einem ethischen Appell nicht belassen. Das Pflichtenheft ist in rechtsförmige Paragraphen gebunden. Ausdrücklich erhofft Helmut Schmidt sich eine normative Verfestigung, wie sie aus der Menschenrechtserklärung von 1948 erwuchs. Den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sieht er als Vorbild für "spätere rechtliche und politische Auswirkungen der Verantwortlichkeitserklärung". Käme es dazu, würde Bürgertugend also erzwingbar, wäre dem Mißbrauch - wenn auch unfreiwillig - die Tür weit geöffnet.

:::Der englische Ideenhistoriker Isaiah Berlin hat in einem berühmten Essay den Konflikt zweier Freiheitsbegriffe beschrieben. Nach der "negativen Theorie" ist Freiheit nur die Abwesenheit von Zwang. Die "positive Theorie" will die Freiheit an eine gemeinschaftsdienliche Ausübung binden. Die Lehren von Rousseau und Marx fallen in diese Kategorie. Neuerdings vertritt der kanadische Kommunitarier Charles Taylor die "positive Lehre". Er versteht Freiheit als einen "Verwirklichungsbegriff". Als Anhänger dieser Schule weisen sich nun auch die Autoren der Pflichtenerklärung mit ihrer Idee normierter Verantwortlichkeiten aus.

:::Isaiah Berlin hat gezeigt, daß die Freiheit nichts anderes ist als die Freiheit selbst. Sie hat immer das "negative" Ziel, Einmischung abzuwehren; sie ist immer Freiheit von etwas - und deshalb ein Schutzwall gegen Unterdrücker. "Die Freiheit, von der ich spreche", sagt Berlin, "ist die Chance zum Handeln, nicht Handeln selbst." Sie schließt die Freiheit zur Dummheit ein, zur Irrationalität, zum Irrtum, sogar zum Desinteresse an den gemeinschaftlichen Werten. Wird die Freiheit dagegen an ihren gemeinnützigen Gebrauch gebunden, läßt sie sich leicht in Knechtschaft verkehren "und zehrt doch immer noch von den vorteilhaften Assoziationen, die sich mit ihren unschuldigen Ursprüngen verbinden" (Berlin). Genau so ist es im Frankreich der revolutionären Schreckensherrschaft und im Ostblock geschehen. Sogar wenn der demokratische Staat (statt der Gesellschaft) das Sittliche direkt verwirklichen will, ist das - darauf verweist der Essayist Richard Herzinger - "eine paternalistische Anmaßung".

:::Ohne Pflichtenheft treibt der Staatsbürger keineswegs verantwortungslos in einem Wertevakuum umher. Es binden ihn die Menschenrechte. Wie die vorgeschlagene Pflichtentafel fußen sie auf der "Goldenen Regel": "Was du nicht willst, daß man dir tu' ..." Weil die Freiheit des Wolfes der Tod der Lämmer ist, müssen Recht und Gesetz Interessenkollisionen verhindern. Die Freiheit des einzelnen wird deshalb durch die Rechte aller anderen beschränkt. Aus den Rechten ergeben sich so die Pflichten: Aus der Meinungsfreiheit leitet sich die Verpflichtung ab, andere nicht zu beleidigen; mit dem Elternrecht korrespondiert die Erziehungspflicht; die Handlungsfreiheit findet ihre Grenze in der sozialen Pflicht, anderen im Notfall zu helfen.

:::Diesem "negativen Prinzip" fühlt sich das Grundgesetz verpflichtet. Der Gesetzesgehorsam ist die Grundpflicht. Er ist aber Voraussetzung, nicht Thema der Gesetze. Ganz bewußt haben die Verfassungseltern jenen "positiven" Grundpflichtenkatalog der Weimarer Verfassung weggelassen, den Helmut Schmidt nun idealisiert. Aus der Erfahrung des Mißbrauchs nimmt das Grundgesetz die Gefahr eines partiellen Gemeinwohldefizits um der Freiheit willen in Kauf.

:::Daß es keine Symmetrie zwischen Rechten und Pflichten gibt, ist die konstitutive Unvorsichtigkeit des freiheitlichen Staates. Richard Herzinger hat recht, wenn er schreibt: "Wer die Freiheit gegen Risiken immunisieren will, indem er sie unter Kuratel stellt, schlägt nichts anderes vor als Selbstmord aus Angst vor dem Tode." Den Autoren des Pflichtenheftes scheint diese Gefahr bewußt zu sein. Deshalb schreiben sie im Artikel 19, ihre Erklärung dürfe nicht so ausgelegt werden, daß sie auf die "Vernichtung" von Freiheitsrechten abziele. Aber durch eine salvatorische Klausel läßt sich ein Grundsatzkonflikt nicht aus der Welt schaffen. Konsequenter wäre es gewesen, die Autoren hätten auf ihr Unternehmen verzichtet.

:::Thomas Kleine-Brockhoff

:::Helmut Schmidt über einen minimalen ethischen Kodex des Zusammenlebens

:::Die Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten des InterAction Council

:::Die Mitglieder des InterAction Council

:::Eine Replik von Constanze Stelzenmüller auf das Plädoyer von Helmut Schmidt für eine Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten.“


Zitat aus: Thomas Kleine-Brockhoff zur ZEIT-Debatte über die "Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten" - Wer Bürgertugenden erzwingen will, riskiert die Freiheit - Von Thomas Kleine-Brockhoff - ZEIT ONLINE; nachzulesen hier: [1]
Könnte bitte jemand einen Abschnitt „Kritik“ einfügen?
Vielen Dank im Voraus.
Mit freundlichen Grüßen
--2003:F1:13C0:2593:48E8:C040:5DEA:A161 02:54, 12. Okt. 2017 (CEST)Beantworten

Erklärung der Menschenpflichten und -verantwortlichkeiten[Quelltext bearbeiten]

Fast zeitgleich zum IAC hat auch die Fundación Valencia Tercer Milenio, eine spanische Stiftung, eine Erklärung der Menschenpflichten und -verantwortlichkeiten (Declaration of Responsibilities and Human Duties) vorgelegt. In der englisch- und der spanischsprachigen Wikipedia existieren Artikel zu dieser Erklärung, die irrtümlicherweise per Wikidata mit dem deutschen Artikel Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten verknüpft waren. Diese Verknüpfung habe ich gekappt. --Forevermore (Diskussion) 08:46, 31. Jul. 2016 (CEST)Beantworten

Abschnitt Rezeption[Quelltext bearbeiten]

Rezeption meint ja wohl Aufnahme, hier also Aufnahme der Allg. Erklärung der Menschenpflichten.

Der Abschnitt nennt hierzu drei Beispiele, nämlich:

  • Die Afrikanische Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker von 1981.
  • Die Amerikanische Menschenrechtserklärung (Artikel 29-37) (gemeint ist wohl en:American Declaration of the Rights and Duties of Man vom April 1948 in Bogota).
  • Die Amerikanische Menschenrechtskonvention von 1969.

Wie lassen sich diese Erklärungen, die ausnahmslos lange vor der Allgemeinen Erklärung der Menschenpflichten erfolgt sind, als Rezeption der letzteren deuten? --Boobarkee (Diskussion) 19:02, 12. Nov. 2017 (CET)Beantworten