Diskussion:Caroline Heigelin

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Letzter Kommentar: vor 9 Jahren von Breymayer
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Die sog. Flugblatt-These zur Entstehung des Käthchen ist keine neuzeitliche These, sie stammt auch nicht von Helmut Sembdner (1914-1996), sondern von Böttiger, 1819. Das ist so unwichtig nicht. Diese Irrtum zu korrigieren, halte ich nach allen Versuchen, Halbwahrheiten richtig zu stellen, hingegen für sinnlos. Zu allem Überfluß hat auch noch jemand den Link auf den Brief Kleists entfernt, in dem Kleist klar sagt, daß sein Stück eine Erfindung ist. Es scheint so, daß man meint, daß man nicht nur Böttiger, sondern auch Kleist nicht glauben könnte. Lieber Benutzer dieses Nachschlagewerks, sollte Dir solcher Dilettantismus nicht zu denken geben??-- 217.7.218.161 12:44, 13. Feb. 2012 (CET)Beantworten

Fortführung der Diskussion[Quelltext bearbeiten]

Vorbemerkung Dem obigen Diskussionsbeitrag gilt insofern durchaus Beachtung, als "Erfindung" tatsächlich "Fiktion", "leere Täuschung" bedeuten kann - aber nicht muss! Wegen der Bedeutungsvielfalt des Wortes "Erfindung" ist Kleists Aussage also nicht von vorherein "klar", sondern bedarf der linguistisch, besonders auch sprachgeschichtlich, fundierten und hinsichtlich der rhetorischen Terminologie versierten, offenen Diskussion.

1) Kleists Äußerung über sein Ritterschauspiel Das Käthchen von Heilbronn lautet im Original: „ [...] es war von Anfang herein eine ganz treffliche Erfindung.“

Daß der altsprachlich gebildete Dichter hier "Erfindung" im Sinne der rhetorischen Termini "Heúresis" oder "inventio" versteht, liegt für klassisch-philologisch gebildete Experten nahe, die etwa an Ciceros Abhandlung De inventione erinnern. Dennoch wurde erst am 2. August 2013 in der Diskussion zum Wikipedia-Artikel "Das Käthchen von Heilbronn" darauf hingewiesen, und zwar in gründlicher wissenschaftlicher Weise durch einen klassisch-philologisch gebildeten Rhetorikexperten (Schüler von Walter Jens).

2) Außerdem kann Kleists Bezug zu Heilbronn aufgezeigt werden

a) durch den Hinweis auf eine vordem nicht beachtete familiäre Beziehung von Kleists Freund Ferdinand Hartmann zu Heilbronn durch seine Heilbronner Schwester Henriette Mayer, geb. Hartmann, die Ehefrau des ritterschaftlichen Juristen Friedrich Christoph Mayer und nachmalige Schwiegermutter des Heilbronner Stadtoberhaupts Johann Clemens Bruckmann. Kleists Malerfreund Ferdinand Hartmann hat sich wohl auch deswegen für Heilbronn interessiert, weil dort ein Sohn seiner Schwester, Ludwig ("Louis") Hartmann Mayer (1791 – 1843), als dichtender und philosophischer Maler, der sich durch reizvolle Landschaftsgemälde auszeichnete, mit seinem im Dresdner Umkreis Kleists weilenden Onkel Ferdinand Hartmann malerisches Talent gemeinsam hatte.

b) durch den Hinweis auf die Bedeutung der mit der Heilbronner Familie Zobel verschwägerten Familien Oetinger, Dertinger und Reuß für die heilmagnetische Behandlung der Charlotte Elisabethe Zobel, für ihren Arzt, Eberhard Gmelin (als Schüler Ferdinand Christoph Oetingers, eines Bruders des pietistischen Prälaten und Theosophen Friedrich Christoph Oetinger), für den Schelling-Schüler, Friedrich-Christoph-Oetinger- und Eberhard-Gmelin-Kenner im Dresdner Umkreis Kleists Gotthilf Heinrich Schubert, auf dessen Dresdner Vorlesung Kleists Freund Ferdinand Hartmann den Dramatiker aufmerksma gemacht hat. Caroline Heigelin war zwar gebürtige Stuttgarterin, aber durch ihren Onkel Marcell Friedrich (Fritz") Heigelin (1735 - 1796), einem Herzoglich Württembergischen Hofrat, der seinen Wohnsitz in Heilbronn hatte, und durch ihren Arzt Eberhard Gmelin mit Heilbronn verbunden. Die Gestalt der Caroline Heigelin könnte daher für Kleist indirekt durchaus eine von zahlreichen möglichen Anregungen für die Dramenfigur des "Kätchens von Heilbronn" gegeben haben, wenn auch die Annahme einer einzigen historischen Person als "des" "Urkäthchens" zu sehr der im 19. Jahrhundert anwachsenden Hochschätzung solcher Forschungsgebiete wie "Urgeschichte" oder gar Paläontologie verpflichtet ist.

Es spricht nichts dagegen, daß die grundlegenden Hinweise früherer Kleist-Forscher auf die heilmagnetischen Behandlungen des Heilbronner Arztes Eberhard Gmelin durch weitere sprachhistorische, personengeschichtliche, insbesonders sozialgenealogische, und landeskundliche Ergebnisse ergänzt werden. Diese neuen Ergebnisse sollten aber der Forschung weiterhin zur Verfügung stehen und nicht einfach gelöscht werden.

Ausführliche Erläuterung zum rhetorischen Terminus "Erfindung"[Quelltext bearbeiten]

"Treffliche Erfindung" – der rhetorische Terminus "inventio" als mögliche Entsprechung für Kleists Begriff "Erfindung"

Kleist selbst schrieb im Sommer 1811 in einem Brief an Marie von Kleist über sein Käthchen-Drama: "Es war von Anfang herein eine ganz treffliche Erfindung."

Angenommen, der Begriff "Erfindung" sei im heute üblichen Sinn als "Fiktion" zu verstehen, ist dazu zu sagen: Auch die Erfindung einer literarischen Figur kann nicht aus dem Nichts hervorgehen, und die Frage, welche Anregungen und Einflüsse Kleist erfahren hat, als er das Drama konzipierte, ist legitim. Andererseits ist zu berücksichtigen, daß "Erfindung" als Entsprechung für den lateinischen Begriff "inventio" auftreten kann, der in der Theorie der Rhetorik eine wichtige Rolle spielt, vor allem bei der Findung des Stoffes und der Argumentation:

Kleist war, besonders durch den Prediger, Katecheten und Gräzisten Samuel Heinrich Catel (1758–1838) rhetorisch geschult und befasste sich selbst mit der Theorie der Rede. Dass er von "Erfindung" spricht, schließt also nicht zwingend Anknüpfung an historische Realität aus. Dies scheint in der Forschungsdiskussion bisher zu wenig beachtet worden zu sein.

Die ausführlichen Erläuterungen zur rhetorischen Terminologie und zur Personengeschichte/Sozialgenealogie in dieser Fassung stammen von Reinhard Breymayer, einem Schüler von Walter Jens.

Speziell auf den Bezug von Kleists Formulierung "treffliche Erfindung" zum rhetorischen Begriff "inventio" hat erst im Kleistjahr 2013 der Rhetorikexperte Reinhard Breymayer innerhalb der Diskussion zum Wikipedia-Artikel Das Käthchen von Heilbronn hingewiesen.

Speziell zu Kleists Abhandlung "Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden" vgl. Joachim Knape: Kreativität der spontanen Findung. Inventivik im rhetorischen Stegreif heute, bei Alkidamas und Heinrich von Kleist. In: Joachim Knape, Achim Litschko (Hrsg.): Kreativität. Kommunikation – Wissenschaft – Künste, Weidler Buchverlag, Berlin 2013 (neue rhetorik. Hrsg. von Joachim Knape, 6), S. 183 – 220.

Allgemein zum Begriff "Erfindung" in der Rhetorik vgl. Tobias Schmohl: Kreativität im Fokus der Rhetorik, ebd., S. 83 – 106, hier S. 90: "Obwohl in der Tradition immer wieder die Bedeutung der Phantasie, des Vorstellungsvermögens oder des kreativen ingenium des Orators während dieses Arbeitsschrittes betont wurde, geht es strukturell doch eher um ein 'Auffinden' als um einen kreativen Akt des Neuerfindens. Der griechische Begriff heúresis ist hier noch präziser als seine lateinische Übersetzung mit dem Konzept der inventio, das lexikalisch ambig ist, insofern es wowohl die Auf- als auch die Erfindung gedanklicher Inhaltskomponenten bezeichnen kann."

Ergänzend wäre auf den Artikel "Erfindung" in wortgeschichtlichen Nachschlagewerken hinzuweisen, aus denen hervorgeht, dass die Bedeutung "Fiktion" für das Wort "Erfindung" nur eine von mehreren Bedeutungsvarianten ist. – Kleist hätte seinerzeit im Aufblick zu einer über ihm schwebenden Montgolfière sagen können: "Das ist eine treffliche Erfindung" – damit hätte er doch ein reales, trefflich konstruiertes, kein fiktives, Luftfahrzeug bezeichnet.

Vgl. die einschlägigen Artikel von E(lke) U(mbach) in: Goethe Wörterbuch. Hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, der Akademie der Wissenschaften in Göttingen und der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Bd. 3, Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart, Berlin, Köln 1998, besonders Sp. 279: "Erfindung": [...] 2 im ästhet[ischen]. Bereich, häufig als term[inus] tech[nicus] a m[it] Bez[ug] auf literarische, meist poet[ische]. Texte; überwiegend als nomen acti für die Idee eines Werks od[er] inhaltl[icher] Details, für das Handlungsgerüst, für die Konzeption einer neuen Gattungsform od[er] eines neuen Darstellungselements; als nomen actionis für die schöpferische Leistung der Einbildungskraft, vereinzelt iron[isch] als ein jugendl[ich] phantast[isches] um die Realisierbarkeit unbekümmertes Tun; seit den 90er Jahren öfter i[m] S[inne] der traditionellen rhetor[ischen]. Kategorie der 'inventio', meist i[m] U[nterschied] z[ur] Ausführung".

Vgl. zu Goethes entsprechendem Sprachgebrauch ebd., Sp. 280, über die Gattung des Briefromans: "der Roman in Briefen war eine glückliche E[rfindung]." 29.231.9 DuW [Dichtung und Wahrheit]; einmal in der ästhet[ischer] Beurteilung einer relig[iösen] Figur Was die Mutter Gottes für eine schöne E[rfindung] ist, fühlt man nicht eher als mitten im Catholicismus..Es ist ein Gegenstand," [...] "der eine gewisse innerliche Grazie der Dichtung hat. T1.282.18. [Tagebuch der Italienischen Reise, Eintrag] v.8.10.[17]86".

Der Literaturkritiker Alfred Polgar, der durch seine zusammen mit Egon Friedell verfaßte Parodie Goethe. Eine Szene (1908) (apäter auch Goethe im Examen genannt) bekannt geworden ist und Kleists Frauenfigur Penthesilea geschätzt hat, knüpft in einem Brief an Maria Magdalene Sieber, geb. Dietrich (Marlene Dietrich), möglicherweise bewußt an solchen Sprachgebrauch Goethes an. Polgar schmeichelt 1936 der Filmschauspielerin, die als real existierende Darstellerin der fiktiven „Femme fatale“ Lola Lola im Spielfilm Der Blaue Engel weltberühmt geworden ist: „Traurig, daß Sie fort sind! Es war gut, sie alle Tage leibhaftig zu sehen und feststellen zu können, was für ein ebenso feiner wie glänzend-aparter Einfall der Schöpfung es war, Sie zu erfinden.“ Zitiert nach dem Faksimile des Briefes von Alfred Polgar an „M. D.“, aus dem „Haus D[r. iur. Siegfried] Gmelin Aigen b[ei]. Salzb[ur]g 19.8.36“ bei Ulrich Weinzierl: Aber verliebt in sie war ich schon … Alfred Polgar und Marlene Dietrich. In: Alfred Polgar: Marlene. Bild einer berühmten Zeitgenossin. Hrsg. und mit einem Nachwort von Ulrich Weinzierl, Paul Zsolnay Verlag, (Wien 2015). – ISBN 978-3-552-05721-0, S. 75–119, hier S. 92. Polgar, der „die Gunst mehrfacher Realpräsenz“ (Weinzierl, ebd., S. 90) der Schauspielerin erfahren hat, hat meisterhaft das Wechselspiel zwischen realer, leibhaftiger Frau und deren Rolle als erfundener Verkörperung (persona/phersu im archaischen Wortsinn) einer fiktiven Frauengestalt erfasst.

Auch bei Goethe ist der Begriff "Erfindung" mehrdeutig; vgl. E(lke) U(mbach) in: Goethe Wörterbuch, Bd. 3 (1998), Sp. 280: "3 lügenhafte Täuschung, leere Einbildung, Fiktion". Wichtig ist es eben, bei der Diskussion mögliche Bedeutungen nicht von vornherein auszublenden.--Breymayer (Diskussion) 14:36, 8. Mär. 2015 (CET)Beantworten