Diskussion:Emilio de’ Cavalieri

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Forsetung der Übersetzung aus dem engl. Artikel wünschenswert. --Howie78A 12:55, 8. Jul 2006 (CEST)

Rappresentatione: Bedeutung des Werks / Einordnung rein als Oratorium ist unzureichend[Quelltext bearbeiten]

A) Bedeutung des Werkes[Quelltext bearbeiten]

Im Artikel sollte meines Erachtens der Grund, warum Cavalieri zu seinen neuen Dienstherren nach Rom wechselte (der Streit mit den Medici wegen deren (zumindest von Cavalieri so wahrgenommener) Bevorzugung anderer Kollegen, die in deren Diensten standen) betrachtet werden, weil Cavalieri, der seinem Ruhm zufolge wohl auch andernorts eine Anstellung gefunden hätte, nicht nur die Kirche als neuen (und von den Medici doch eher nicht so geachteten) Arbeitgeber auswählte, sondern sich darüber hinaus sehr beeilte, damit seine Rappresentatione als erstes Musik-Bühnen-Werk zur Aufführung kam; Cavalieri tat dies auch in der Absicht, seine ehemaligen Arbeitgeber zu brüskieren, da er um deren Bemühen, zur anstehenden Hochzeit insbesondere auch künstlerisch etwas noch nie Dagewesenes vorzuzeigen, bestens Bescheid wusste und so deren Pläne durchkreuzen konnte.

Damit nimmt die Rappresentatione in Cavalieris Schaffen eine sehr wesentliche Rolle ein. Dass sie darüber hinaus eine sehr zentrale Rolle in der Musikgeschichte einnimmt: siehe nächster Absatz.


B) Einordnung rein als Oratorium ist unzureichend[Quelltext bearbeiten]

Zwar wurde die Rappresentatione im "Oratorium" der Kirche "Santa Maria della Vallicella" uraufgeführt und hat damit der gleichnamigen musikalischen Gattung, die nota bene erst in ihrem Fahrwasser entstehen sollte, den Namen verliehen. Sie selbst stellt aber kein Oratorium dar, sondern steht strukturell der Gattung der Oper weitaus näher.

Die Unterschiede zu einem Oratorium sind sowohl im Libretto als auch in der Partitur klar ersichtlich:

  • Ein Oratorium ist (meistens) in zwei oder drei große Abschnitte untergliedert; innerhalb dieser finden sich nur noch die Abfolgenummern der einzelnen musikalischen Stücke (Rezitativ --> Arie --> Rezitativ --> Chor ...). Im Unterschied hierzu sind Opern in Akte und innerhalb dieser in Szenen unterteilt. Innerhalb einer Szene zusammengefasst sind i. d. R. Musikstücke, bei denen eine Gruppe von Personen miteinander in einem direkt abfolgenden Dialog steht; mit dem Abtreten einer oder dem Auftreten einer anderen Person ist normalerweise ein Szenenwechsel verbunden. Cavalieris Rappresentatione ist klar in "Atto" (3 Akte) und "Scena" (5, 9 und 9 Szenen) unterteilt, während die musikalischen Abfolgenummern der rund 90 Musikstücke nur in der Partitur erscheinen, aber eben nicht als inhaltliche, sondern rein als ordnungsgebende Unterteilung zu erkennen sind.
  • In der Überschrift zu jeder Szene ist aufgelistet, welche Personen irgendwann in dieser Szene singen (und ggf. hierzu auftreten; meistens sind die Personen einer Szene aber während deren gesamter Dauer auf der Bühne). Im Oratorium steht zu Beginn einer jeden musikalischen Nummer zwar meistens (nicht immer!) die Angabe, welche Stimmlage in dieser einen Nummer betroffen ist, ab und an auch der Name der Figur. Welche Stimme / Figur aber z. B. in der "Antwort", die beispielsweise auf ein Rezitativ folgt, betroffen ist – häufig ist dies ein Turbae-Chor oder eine Solo-Stimme in einer Arie –, ist erst bei dieser nächsten Nummer ersichtlich.
  • Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass zumindest in vielen Oratorien ein (meist als Tenor besetzter) Recitativ-Sänger jeweils ankündigt, wer als nächstes singt ("Die Juden aber schrien:"); dergleichen ist in Opern (und auch in Cavalieris Rappresentatione) nicht enthalten, und zwar genau deswegen, weil diese Werke für die Bühne konzipiert sind:
    • Wenn man sowieso sieht, wer auftritt oder wer nach vorn kommt und singt, und wenn diese Personen klar anhand ihrer Kostüme unterscheidbar sind, dann ist es nicht nötig, anzukündigen, wer nun singt.
    • Im Oratorium hingegen sieht das Publikum einen Chor und oft weitaus weniger Solisten, als singende Einzelfiguren existieren; da die Singenden zum einen nicht kostümiert sind und zum anderen auch oft mehrere Figuren einnehmen, ist nicht sofort ersichtlich, wer in welcher Funktion singt; daher ist es notwendig, dies durch den Erzähler anzukündigen.
    • Gerade der Chor hat oft gänzlich verschiedene Funktion, wenn er beispielsweise zuerst in der Rolle "Volk" Teil der Handlung ist ("Kreuzige ihn!") und im direkt nachfolgenden Choral das Geschehen von außen und nun bemittleidend kommentiert. Der Einsatz mehrerer Chöre ist im Oratorium aber nicht vorgesehen und hätte damals wie heute auch besetzungstechnische wie räumliche Probleme zur Folge.
    • Analog tritt auch der rezitierende Erzähler bisweilen aus seiner sowieso schon nur pseudo-realen Rolle heraus und in eine andere, emotionale Position hinein, in der er in Form einer Arie das Geschehen kommentiert; heute wird zwar in diesen Fällen häufig eine Doppelbesetzung vorgenommen, historisch belegt oder gar dem Noten- oder Textmaterial zu entnehmen ist diese jedoch nicht.
  • Das stärkste Argument für die Kennzeichnung der Rappresentatione als Oper sind klare Regie- bzw. Bühnenanweisungen wie "Erlöste Seelen aus dem Himmel, welcher sich öffnet, während der Höllenschlund sich schließt"; dergleichen gibt es nicht in Bachs Passionen oder in Händels "Esther", obwohl diese Werke, genügend Mitwirkende vorausgesetzt, durchaus szenisch aufführbar wären und das Oratorium "Esther" nicht in der Art und Häufung durch Choräle, wie sie in den anderen Oratorien häufig vorzufinden sind, in einer Weise unterbrochen wird, die eine Bühnendarstellung als nicht glaubwürdig erscheinen lassen würde.

Würde man die Nähe der Rappresentatione zu den geistlichen Texten und der intendierten seelischen Erbauung der meisten Oratorien den oben genannten strukturellen, handlungstechnischen, textlich-musikalischen und Regie-Gründen vorziehen, müsste man konsequenterweise auch Wagners Ring-Zyklus als "Szenisches Oratorium" bezeichnen; auch wenn die germanischen Götter nicht dem christlichen Glauben entliehen sind, so sind die Texte dieser Opern doch überwiegend quasi-religiös-geistlicher Natur, und die "Handlung" der Protagonisten ist, wenn sie mit der Musik synchronisiert wird, derartig unglaubwürdig verlangsamt (Sterbearien von 30 Minuten Dauer ...), dass der Wahrhaftigkeitsaspekt der Oper zumindest massiv gestresst, wenn nicht verunmöglicht wird.

Auch das bisweilen gelesene "Argument", die Rappresentatione sei ein Oratorium, weil – im Unterschied zu "richtigen" Opern – keine echte Handlung vorkomme, kann in beiden Richtungen widerlegt werden:

  • Der Grund für die verwirrende, faktisch gegebene Handlungslosigkeit der Figuren bei Cavalieris Oper liegt nicht darin, dass er keine opernhafte Handlung hätte vertonen wollen oder können, sondern gerade darin, dass er (bzw. der Librettist) dem Ideal der antiken Oper, oder genauer, dem, was bereits in den 1570-er-Jahren als "Antwort" auf die Bedeutungslosigkeit und Beliebigkeit der frühen Hirtensingspiele und Intermezzi und unter Bezug auf die (vermeintliche) antike Oper und ihre angeblichen fast magischen Fähigkeiten u. a. von Doni in seiner Schrift über die "wahre Oper", als notwendige, ja geradezu zwingende Vorgabe aufgebracht worden war, gleich auf mehreren Ebenen folgte:
    • Figuren und ihre Handlungen auf der Bühne hatten "möglich" und "glaubwürdig" zu sein (weswegen singende und zugleich einander mit Schwertern bekämpfende Fürsten halt aus "Arkadien" stammen mussten, jenem Fantasie-Reich, in welchem auch alle Hirten jung und hochmusikalisch und alle Nymphen noch jünger und gleichermaßen lasziv wie kindhaft-unschuldig sein konnten). Cavalieris Figuren werden zu Beginn des Werkes "aus den Gräbern" gerufen, sind also in der realen Welt gestorben und somit, dieser Opern-Vorgabe getreu, nicht mehr zu Handlungen in dieser Welt oder zur Veränderung ihres Charakters fähig. Streng genommen sind es allesamt nur Allegorien des menschlichen Daseins, visuell auf die Bühne gespiegelte Charakterzüge, die im Prinzip alle in ein und demselben Menschen vorkommen können und nur innerhalb dieses Menschen zu Dialog und zu Entscheidung führen, autonom aber nicht handlungsfähig sind. Selbst die einzige wirklich im Libretto beschriebene "Handlung" irgendwelcher Protagonisten, die Entkleidung der Figuren Mondo und Vita mondana, kann problemlos auch rein im übertragenden Sinne wahrgenommen – und realisiert! – werden: Anima und Corpo erkennen in dieser Szene schlicht die wahre Natur der beiden verführerischen Gestalten; von ihnen fällt die (schöne) Kleidung ab, sie selbst handeln aber nicht, sondern an ihnen wird gehandelt! Ansonsten bleibt Cavalieris Librettist der Vorgabe der Wahrhaftigkeit streng treu: "Handlung" in diesem Werk vollzieht sich nur in Gestalt der verbal dokumentierten Entscheidungen von Seele und Körper, während alle andere Figuren eher wie Schattenbilder vorbeiziehen, aber weder sich selbst entwickeln noch etwas entscheiden oder handelnd in das Geschehen eingreifen können; allein dass Seele und Körper deren Worte hören, hat Einfluss auf ihre Entscheidungen (sich dem Guten zuzuwenden).
    • Zweck und Nutzen der (vermeintlichen) antiken Oper war, wie Donis und seiner Mitstreiter Quellenforschung zu belegen versuchte, nicht im Mindesten die Unterhaltung der Menschen; sie hatte vielmehr der moralischen Erbauung, der Stärkung des guten Charakters, ja der Heilung von Krankheiten bis hin zur Auferstehung von Toten zu dienen, und eben jene Wundertätigkeit der antiken Oper aus Sicher der 1570-er-Jahre war auch Vorbild für das Libretto der Rappresentatione; der Autor, selbst Priester, hatte also mit diesem Opern-Ideal auch ein ideales Werkzeug für seinen geistlichen Auftrag der moralisch-geistlichen Erbauung der Menschen.
  • Hingegen kommt selbst in Händels "Messiah" mehr Handlung vor als in der Rappresentatione, vielmehr noch in den Bachischen Erzählungen des Weihnachts- oder gar der Passionsgeschehens; diese umfassen mehr Handlung als manche Oper! Und auch der Wahrhaftigkeitsvorgabe der Oper widersprechen die Figuren im Oratorium: Obwohl alle dort beschriebenen Personen als reale, in der wirklichen Welt geschichtlich existiert habende Personen angesehen werden, also längst gestorben (bzw. auferstanden) sind, treten sie im Oratorium auf und handeln!

Überdies ist zu bedenken, dass die heute wahrgenommene Schein-Einteilung "Oratorium = geistlich; Oper = weltlich" damals in keiner Weise bestanden hat; beide Gattungen mussten sich erst herauskristallisieren aus dem Konvolut, welches sich zu bilden begann aus den szenischen, aber keiner klaren Handlungsfolge (dramma per musica) gehorchenden Bühnenhirtenspielen, dem Drang nach der Findung der antiken, wahrhaftigen und ebenso wundertätigen wie erbaulichen Oper und dem Wunsch der (katholischen) Geistlichkeit, der aufkommenden weltlichen und für das Volk sehr attraktiven, aus Sicht der Geistlichkeit aber verführerischen Form der Bühnenunterhaltung ein geistliches Pendent, quasi eine christliche Form der antiken Oper mit all deren Vorteilen, gegenüberzustellen.


Als Beleg sei hier ein Auszug einer Werkeinführung wiedergegeben, die die Musikwissenschaflerin PD Dr. phil. Ann-Katrin Zimmermann, Musikwissenschaft Tübingen; derzeit lehrend u. a. an der Universität München und der Staatlichen Hochschule für Musik Trossingen, für eine Aufführung im November 2012 in Reutlingen (Süddeutschland) verfasst hat:

„Der Komponist Emilio de Cavalieri (1550 - 1602), Sohn eines römischen Adeligen und Günstling der Medici, zeichnet im dritten Akt ein musikalisches Himmel- und Höllen-Szenario, das der berühmten Darstellung des Jüngsten Gerichts des mit seinem Vater befreundeten Michelangelo in Drastik, Farben- und Formenreichtum in nichts nachsteht.

Üppige Bühnenpracht und aufsehenerregende Theatereffekte scheinen im Widerspruch zur weltentsagenden Frömmigkeit des Textes zu stehen – dies umso mehr, wenn ein sakraler Raum selbst zur Bühne wird, wie dies im Februar des Jubeljahrs 1600 in Rom im Oratorium der Kirche Santa Maria della Vallicella geschah, als das Werk uraufgeführt wurde. Vom damaligen Aufführungsort sollte eine ganze musikalische Gattung ihren Namen erhalten.

Noch im gleichen Jahr 1600 erschien dieses Werk im Druck, das antikes Theater wiederbeleben wollte und dabei – fast möchte man sagen: versehentlich – zum Initialwerk für eine ganz neue Art von Musiktheater geriet, das bis heute der Welt den Spiegel vorhält und mit weltlicher Voluptas und himmlischer Harmonia gleichermaßen die Sinne zu betören weiß, bis eine Unterscheidung kaum mehr möglich ist. Irdischer Genuss oder himmlische Freude? Beides, bitteschön! Und zwar für alle.“

--Wahlschweizer2 (Diskussion) 00:07, 5. Feb. 2013 (CET)Beantworten