Diskussion:Kongregationalismus

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Bessere Umschreibung von "Presbyterianismus"?[Quelltext bearbeiten]

Ist es sinnvol, Presbyterianismus in diesem Kontext als von Ältesten geführt zu erläutern? Das gilt ja auch für viele kongregationalistischen Gemeinden. Ich würde Presbyterianismus eher umschreiben als von Synoden geführt, mit einem Link zur Seite Synode.

--HHahn (Diskussion) 00:02, 28. Jul. 2009 (CEST)[Beantworten]

Ich würde den ganzen Satz streichen, da die Aussage in einigen Teilen durch die jüngeren Entwicklungen im Kongregationalismus (Unionen mit presbyterianischen und methodistischen Kirchen; synodale Zusammenschlüsse zb in Wales und in den USA, etc) überholt ist. Grüße, Gregor Helms 08:27, 28. Jul. 2009 (CEST)[Beantworten]
Ich glaube nicht, dass dieser Satz gestrichen werden soll. Ich kam auf diese Seite durch einen Link von der Seite Pfingstbewegung, unter "Praxis", wo im letzten Absatz ("Politisches Engagement") richtigerweise betont wird, dass es viele örtliche Unterschiede gibt, da diese Gemeinden meistens nicht Teil einer "einheitlichen" nationalen oder internationalen Organisation sind. Hier in NL (und ich nehme an, in DE genau so) weiss kaum einer, was eine "kongregationalistische Kirchenstruktur" ist. Trotzdem ist das wichtig, weil Meinungen und Vorurteite nur zu oft auf Erfahrungen (oder gar Gerüchte) bezüglig vereinzelter Gemeinde beruhen und deswegen nicht "generell" relevant sind. Für ein gutes Verständnis der Situation ist diese Organisationsstruktur also wichtig. Es geht hier nicht om etwaige Zusammenarbeit zwischen Presbyterianismus und Kongregationalismus, sondern um die organisatorischen Unterschiede. Wenn dies im Rahmen dieses Artikels Kongregationalismus nicht als relevant gesehen wird, soll eine deratige Erläuterung eben in den Artikel Pfingstbewegung aufgenommen werden (was nicht logisch ist und demzufolge zu vielen Hin-und-her-Bearbeiten füheren wird).
--HHahn (Diskussion) 11:31, 28. Jul. 2009 (CEST)[Beantworten]
ME reicht in der Einleitung die Aussage: Kongregationlismus = Betonung der autonomen Ortsgemeinde. Im weiteren Verlauf des Artikels sollte dann auf Entwicklungen, Wandel, Zusammenschlüsse, Einflüse auf neuere kirchliche Bewegungen etc eingegangen werden. Hier wäre sicherlich auch Platz für eine genauere Darstellung der Unterschiede zwischen K. und Presbyterianismus einerseits und K. und Episkopalismus andererseits. mfg,Gregor Helms 13:58, 28. Jul. 2009 (CEST)[Beantworten]
Wie wäre es mit folgender Änderung (Vorschlag):
Kongregationalistische Gemeindeverfassungen müssen vom Presbyterianismus, in dem die Gemeinde von Ältesten unter der Aufsicht einer meist nationalen Vorstandsversammlung (Synode) geführt wird, und vom Episkopalismus unterschieden werden, wo dies durch ein hierarchisches Bischofssystem geschieht.
(Unterstreichung vorübergehend). Wenn Du einverstanden bist, könnte ich ich es s ändern? --HHahn (Diskussion) 21:51, 28. Jul. 2009 (CEST)[Beantworten]

Hallo, Muck und gardenfriend, ich biete Wikipedia die unten stehende Textspende an. Sie beginnt mit dem dritten Absatz des vorliegenden Abschnitts "Geschichte", der, an einer Stelle leicht verändert, in die Textspende eingearbeitet wurde. Die geschichtlichen und religionssoziologischen Aspekte des Kongregationalismus sind sehr viel umfangreicher, als sie im bisherigen Artikel dargestellt werden. Die Nutzer von Wikipedia haben ein Recht darauf, sie zu erfahren. Die wesentlichen Fakten sind bereits größtenteils in anderen deutschen und/oder englischsprachigen Wikipedia-Artikeln enthalten (z.B W. Penn, R. Williams, Pilgerväter, Mayflower-Vertrag). Diese müssen mit dem zentralen Artikel über den Kongregationalismus verlinkt werden können. Deshalb müssen die entsprechenden Stichwörter dort auftauchen. - Die Zitate in den Einzelnachweisen 7 und 9 sind bewusst sehr ausführlich gehalten, da sich in der deutschen Öffentlichkeit weithin hartnäckig die irrige Vorstellung hält, die neuzeitliche Demokratie und insbesonders die Menschenrechte seien von der Aufklärung geschaffen worden, und zwar gegen den erbitterten Widerstand "der" Kirchen. Dem war aber nicht so, vor allem nicht in dem vom Calvinismus geprägten angloamerikanischen Raum. Und Luther hatte diese Entwicklung angestoßen. Die Zitate stammen von ausgewiesenen Experten. Sie zeigen, dass die entscheidenden Weichenstellungen in Richtung Demokratie und Menschenrechte im 16. und 17. Jahrhundert vorgenommen wurden, und zwar von den Reformatoren und Teilen des frühen Protestantismus. Bei der knappen Darstellung der frühen Geschichte der amerikanischen Kolonien muss sowohl auf die Kongregationalisten als auch auf die anderen reformatorischen Gruppierungen (Baptisten, Quäker) eingegangen werden, da sie gemeinsam den Grundstein für die Entwicklung der USA legten. Gruß Martin Wolfangel


Separatistische und gemäßigte Kongregationalisten sahen sich der ärgsten Verfolgung ausgesetzt, da sie mit ihrer Forderung nach Gemeindeautonomie zur Bedrohung für die Staatskirche und somit mittelbar auch für den Herrschaftsanspruch des englischen Königs wurden. Viele von ihnen gingen ins niederländische Exil oder wanderten nach Nordamerika aus. Die Gruppen, die in Großbritannien blieben, waren die treibende Kraft im Kampf gegen die absolutistischen Machtansprüche von Karl II. und Jakob II. und deren Bestrebungen, das Land gegen den Willen der großen Mehrheit des Volkes zu rekatholisieren (Große Revolution 1638-42; Cromwell). Nach der Wiederaufrichtung der Monarchie und der Kirche von England (1660) zwangen diese durch die Testakte Kongregationalisten, Presbyterianer, Baptisten und Quäker in den Status der Nonkonformisten (Dissenters; heutige Bezeichnung: Free Churches). Im Gefolge der Glorious Revolution (1688) wurde den Nonkonformisten durch die Toleranzakte 1689 zwar das Recht auf öffentliche Gottesdienste zugestanden, aber sie waren bis 1828 von allen staatlichen Ämtern und der Mitgliedschaft im Parlament ausgeschlossen. Das Ziel der Testakte, die Nonkonformisten zum Wiedereintritt in die anglikanische Staatskirche zu zwingen, wurde weitgehend verfehlt. Trotz dieser Diskriminierung entwickelten die Nonkonformisten einen bedeutenden Einfluss auf das kulturelle und wirtschaftliche Leben des Landes (z.B. John Milton, John Bunyan) (1). Das Werk "Pilgrim's Progress" von John Bunyan wurde in 70 Sprachen übersetzt und gilt als eines der bekanntesten Bücher weltweit (2). Da den Dissidenten der Zugang zu staatlichen Ämtern verwehrt war, engagierten sich viele viele von ihnen in der Wirtschaft und technischem Gebiet. "Im 18. Jahrhundert war beinahe die Hälfte der englischen Erfinder, Kaufleute und Unternehmer Calvinisten, obwohl diese in der britischen Gesamtbevölkerung eine Minderheit darstellten (3).

Nach etwa 1740 verloren die kongregationalistischen Gemeinden einen Teil ihrer Mitglieder an den neu entstandenen Methodismus, eine Freikirche, die rasch sehr stark wuchs. Im 18. und 19. Jahrhundert beteiligten sich beide Kirchen sowie die Baptisten mit großem Engagement an der Mission und an den sozialen Reformbewegungen, z.B. Abschaffung der Sklaverei ("Slavery is sin"), Gründung von Genossenschaften, Gewerkschaften und der Labour Party (4).

Die in die nordamerikanischen Kolonien ausgewanderten Kongregationalisten schufen mit ihrer kommunalen Selbstverwaltung die Anfänge der neuzeitlichen Demokratie und legten zusammen mit Baptisten, Quäkern und Presbyterianern den Grundstein zur Entstehung der Menschenrechte.

Eine kongregationalistische Kirchengemeinde ist nach ihrem Verständnis nicht identisch mit der bürgerlichen Gemeinde. Sie besteht nur aus "wahrhaft Gläubigen" und ist völlig unabhängig von staatlichen Obrigkeiten. Geistliche und Laien sind einander gleichgestellt (Luthers "allgemeines Priestertum aller Gläubigen"). In den Gemeindeversammlungen dürfen alle, denen es der Heilige Geist eingibt, das Wort ergreifen (5). Diese demokratische Ordnung drängte danach, sämtliche Lebensbezüge der Gläubigen, nicht nur die religiös-kirchlichen, ihren Glaubensüberzeugungen entsprechend zu gestalten.

Der Ursprung der „Pilgerväter“ (Pilgrim Fathers) lag in dem Wunsch der Kongregationalisten, dem Glauben an Jesus Christus als dem unmittelbaren Herrn der Gemeinden eine feste institutionelle Form zu geben. Dies führte zur Theokratie, in der sich der alttestamentliche Bundesgedanke (covenant) zur politischen Gestalt der Demokratie entwickelte. Diese war in England wegen des Widerstands der Könige nicht zu verwirklichen, wohl aber in den nordamerikanischen Kolonien. Eine Gruppe von „Separatisten“ wanderte 1598 zunächst in das niederländische Leiden aus, verließ Europa später aber und landete 1620 mit ihrem Schiff „Mayflower“ in Massachusetts (Siedlungen in Boston und Plymouth). Vor der Landung schlossen die Pilgerväter den „Mayflower Compact“, einen Vertrag, in dem sie schriftlich festlegten, dass sie in Zukunft alle Regelungen, die in ihren neuen Siedlungen notwendig werden sollten, gemeinsam und selbständig treffen werden. Diese Gesetze solten gerecht sein und für alle in gleicher Weise gelten. Die Unterzeichner des Vertrags verpflichteten sich zur Einhaltung dieser selbstgeschaffenen Ordnungen. Ihre geschichtliche Bedeutung besteht darin, dass sie ihre christliche Überzeugung von der Demokratie als der von Gott gewollten Staatsform im amerikanischen Bewusstsein unauslöschlich verankerten (6). Die Amerikaner feiern alljährlich am Thanksgiving Day die Vorgänge um die Landung der Pilgerväter und die beginnende, zunächst außerordentlich entbehrungsreiche Kolonisierung ihres heutigen Staatsgebiets.

Nur wenige Jahre später wurden die Kolonien Rhode Island (1536) durch den Baptisten Roger Williams und Pennsylvania (1682) durch den Quäker William Penn gegründet. Beide gewährten den Anhängern aller christlichen Kirchen, einschließlich der Katholiken, das zentrale Menschenrecht, Glaubens- und Gewissensfreiheit (7). In Pennsylvania genossen auch Juden Religionsfreiheit (8).

Beide Traditionsstränge - Demokratie und Religionsfreiheit - waren schon bei Penn miteinander verflochten. (Er setzte sich zudem für die Sklavenbefreiung ein.) Diese Verbindung verschaffte sich zunehmend auch in den anderen Kolonien Geltung und führte 1776 zur Unabhängigkeitserklärung mit ihrer Proklamation von "unveräußerlichen" Rechten, die allen Menschen von ihrem "Schöpfer" verliehen wurden, darunter "Leben, Freiheit und das Streben nach Glück". Die amerikanische Verfassung folgte 1787 und wurde vier Jahre später durch die zehn ersten Verfassungszusätze (Amendments) ergänzt (9). Diese (amerikanische) Bill of Rights enthält fundamentale Menschen- und Bürgerrechte, zum Beispiel Schutz von Leben, Bewegungsfreiheit und Eigentum, eine den Gesetzen entsprechende Rechtsprechung ("due process of law"), Trennung von Kirche und Staat, Rede,-Versammlungs-, Koalitions- und Pressefreiheit. Diese erste schriftlich fixierte Verfassung der Welt, die ohne Unterbrechungen durch Revolutionen oder dergleichen bis zur Gegenwart Gültigkeit hat, wurde später Vorbild für nahezu alle europäischen und viele außereuropäischen Staaten (10). Auch die deutsche Verfassungsgebende Versammlung (Frankfurter Parlament) von 1848/49 sowie die Autoren der Weimarer Reichsverfassung und des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland orientierten sich stark an der amerikanischen Verfassung (11).

Die Kongregationalisten leisteten einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung der Wissenschaften in Nordamerika. Luther, Melanchthon, Calvin und die anderen Reformatoren legten großen Wert darauf, dass alle Gemeindeglieder die Bibel selbst lesen konnten. Deshalb förderten sie das Bildungswesen auf allen Stufen, von der Volksschule über die Lateinschule bis zur Universität. So gründeten die Pilgerväter bereits 1636 Harvard College. Im 18. Jahrhundert folgten weitere Colleges wie etwa Yale (1701). (Harvard, Yale und andere dieser Gründungen sind heute unabhängige Institutionen.) Die Kongregationalisten "haben, teilweise zusammen mit den Presbyterianern, mit denen sie von 1801-52 in einem Unionsvertrag standen, eine großartige Aktivität entfaltet, theologisch seit dem Aufklärungszeitalter sich freieren Anschauungen, auch unitarischen Einflüssen geöffnet (...). In vieler Hinsicht dürften sie als die bedeutendste Erscheinung der nordamerikanischen Kirchengeschichte gelten" (Karl Heussi (12)).

Der Begriff Puritaner taucht zum ersten Mal nachweisbar 1562 bei dem französischen Dichter P. Ronsard auf (13). Er wurde in England als Spottname von Gegnern der Kongregationalisten und Presbyterianern, vor allem Anglikanern, auf diese angewendet, da sie die Kirche von allen katholischen Strukturelementen, vor allem dem Bischofsamt, "reinigen" (to purify) wollten. Das Wort Puritaner ist keine Selbstbezeichnung (14). Den Begriff Sekte auf Kongregationalisten und Presbyterianer ("puritanische Sekten") anzuwenden ist unangemessen. Denn es handelt sich um Kirchen, die bis heute Bestand haben. Vor allem aber legten sie von Anfang an keinerlei sektiererisches Verhalten an den Tag. Sie beschränkten sich nicht auf ihre Frömmigkeit. Vielmehr gestalteten sie auch sämtliche weltlichen Lebensbezüge höchst aktiv entsprechend ihren christlichen Überzeugungen. Selbst als sie in England von 1689 bis 1828 von allen staatlichen Ämtern und dem Unterhaus ausgeschlossen waren, zogen sie sich nicht in ein stilles Konventikeldasein zurück, sondern trugen in nicht unwesentlicher Weise zum wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung des Landes bei. Hoch einzuschätzen ist auch die zivilisatorische Leistung der amerikanischen Puritaner. Demokratie und Menschenrechte blieben keine inneramerikanische Angelegenheit. Sie haben laut der Charta und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen univeralen Charakter. Sie bilden die Grundlage der westlichen Welt und in unterschiedlicher Art und Weise auch vieler weiterer Staaten in anderen Regionen der Erde.

Die theologischeen Positionen der kongregationalistischen Gemeinden sind weit gespannt. Sie reicht von sehr konservativen Einstellungen bis zu ausgesprochen liberalen. Wie in der großen Mehrzahl der reformatorischen Kirchen werden in den meisten kongregationalistischen Gemeinden und Kirchenzusammenschlüssen seit längerem Frauen zum geistlichen Amt zugelassen, auch in führende Positionen. Amerikanische Kongregationalisten, andere Reformierte und Lutheraner gründeten 1957 die United Church of Christ. Ihr gehörten die international renomierten Theologen Reinhold und Richard Niebuhr sowie der aus Deutschland emigrierte Paul Tillich an (15). Reinhold Niebuhr betonte die Wichtigkeit einer biblischen Theologie und die Rechtfertigung allein aus Glauben (16). Die theologischen Einflüsse dieser Theologen reichte weit in kongregationalistische Gemeinden hinein. Dasselbe gilt für die reformierten Schweizer Theologen Karl Barth, Emil Brunner und Eduard Thurneysen.

In der Gegenwart engagieren sich viele kongregationalistischen Gemeinden und Kirchenbünde in der oekumenischen Bewegung.


Einzelnachweise

1 Heussi, S. 378 ff. - Schmidt: Kongregationalismus, Sp. 1769 ff. - Scott, Sp. 209 2 Jeremias, Sp. 1526 3 Wikipedia: Calvinismus 4 Schmidt: Kongregationalismus, Sp. 1770 5 Heussi, S. 380 6 Heussi, S. 387. - Schmidt: Pilgerväter, Sp. 384. - Wikipedia: Pilgerväter; Mayflower-Vertrag. - Der französische Gelehrte Alexis de Tocqueville schrieb 1835 nach einer neunmonatigen Studienreise durch die Vereinigten Staaten ber die Amerikaner: "Ihre Gesellschaftsordnung ist zutiefst demokratisch. Sie ist demokratisch seit der Gründung der Kolonien bis auf unsere Tage" (S. 31 f). 7 König Karl II. belehnte William Penn 1681 "mit einem großen Kolonialgebiet, auf dem Penn das 'heilige Experiment' der Gründung eines Staatswesens unternahm, das auf rein demokratischer Verfassung und dem Grundsatz völliger Toleranz beruhte" (Karl Heussi, S. 387). - Luther vertrat in der Schrift "An den christlichen Adel deutscher Nation" (1520) den Grundsatz: "Man sollte die Ketzer mit Schriften, nicht mit Feuer überwinden."(...) "Damit löste Luther sich von der für das mittelalterliche Ketzerstrafrecht grundlegenden Auffassung der Häresie als Mord an den Seelen. Er konnte anerkennen, daß auch die anderen aus ihrem Gewissen handelten; man müsse sie deshalb dabei lassen (...) Die unerzwingbare Freiheit des Glaubens, die Natur des Gotteswortes und die Trennung des Geistlichen vom Weltlichen (Zwei-Reiche-Lehre) machen bei ihm dem kirchlichen Inquisitionsverfahren und der staatlichen Verfolgung ketzerischer Lehre ein Ende. An dieser Anschaung hat er zeitlebens festgehalten. (...) Mit der Duldung anderer Lehre und der Freigabe des Gewissens überwand er das Mittelalter; in der politischen Sorge vor öffentlicher Toleranz blieb er mittelalterlich. Mit den prinzipiellen Ansätzen zur Glaubensfreiheit verbindet sich die historische Tatsache, daß Luther eine Bewegung ins Leben rief, die wie das frühe Christentum die Kraft besaß, sich gegen eine intolerante, sakrale Staatsidee zu behaupten. Erst das unaufhebbare, den bisherigen Zustand von Grund auf verändernde Nebeneinander von Kirchen schuf die Möglichkeit für eine künftige Entfaltung der Toleranz" (Heinrich Bornkamm, Sp. 937 f). Wie Luther war Roger Williams der Auffassung, dass weltliche Obrigkeiten keine Macht in Glaubensfragen haben. Luther sah aber in der Weigerung der Täufer, Eide zu leisten und Kriegsdienst zu übernehmen, eine Gefahr für das Gemeinwesen ("politische Sorge vor öffentlicher Toleranz"). Tatsächlich waren etwa die Täufer, die das "Reich Christi" in Münster (1533-35) errichteten, außerordentlich militant (Heussi, S. 335). Diese Sorge hatte Williams nicht, zumal er selbst aus der täuferischen Tradition herkam. Deshalb war seine Toleranz in Glaubensfragen weiter gespannt als die Luthers. (Schmidt. Williams, Sp. 1725). 8 Wikipedia (English): William Penn 9 "Menschenrechte kommen als politische Kampf- und rechtliche Sicherungsmittel des einzelnen gegen den Träger der Staatsgewalt erst im 16. Jahrhundert auf. Ihre Entwicklung ist nicht abgeschlossen. Mannigfache Anlässe führen zur verfassungsrechtlichen Ausprägung einzelner Menschenrechte. Den Anstoß gibt das Christentum mit seinen Lehren von menschlicher Größe, Sünde und Erlösung, schlechthin von der Verantwortung jedes Menschen vor Gott. (...) Nach dem Eindringen reformatorischen Glaubensgutes tritt die Religionsfreiheit in den Vordergrund; aber auch die Gleichheit aller Menschen wird als Folge demokratischer Tendenzen bereits kraftvoll im Agreement of the People (1647), dem Verfassungsentwurf der Independenten (Cromwell), betont. Nachdem vorübergehend der König als Schützer der bürgerlichen Freiheit aufgetreten ist (Habeas-Corpus-Akte, 1679), legt das Parlament seine und einige Rechte der Untertanenen in der Bill of Rights (1689) fest. Die weitere Entwicklung verlagert sich nach Nordamerika. Hier waren ihres Glaubens wegen verfolgte Puritaner, die auf der Überfahrt (Mayflower) den Pakt der Pilgerväter geschlossen hatten (1620), seßhaft geworden. Ihre Nachfahren verfassen 1776 die Virginische Erklärung der Rechte, die allen Bügern 'as the basis and foundation of government' zustehen sollen, weil 'all men are by nature equally free and independent, and have certain inherent rights...'. Dieselbe Überzeugung kommt in der von Th. Jefferson verfaßten Unabhängigkeitserklärung vom 4.7.1776 zum Ausdruck. Jefferson hält es für eine Wahrheit, die keines Beweises bedarf, daß alle Menschen vor ihrem Schöpfer gleich sind und daß er ihnen gewisse unveräußerliche Rechte verliehen hat" (Wertenbruch, Sp. 869 f). 10 Bromhead, p. 52 ff 11 "Trotz aller Stürme hat das Frankfurter Parlament seine eigentliche Aufgabe, das Verfassungswerk, zum Abschluß gebracht (28.3.1849). Wesentlicher Berstandteil waren die Grundrechte (...), die als selbständiges Gesetz schon am 12.7.1848 verkündigt wurden, sich an das nordamerikanische und französische Vorbild von 1776 und 1789 anlehnten." (...) Der politische Aufbau des Reiches war "nach nordamerikanischem Muster als Bundesstaat (aber mit monarchischen Führungen in den Ländern wie an der Spitze) gedacht (...)" (Kupisch, Sp. 1026 f). 12 Heussi, S. 505 13 Weerda, Sp. 885 14 Heussi, S. 349 f 15 Wikipedia: United Church of Christ 16 H.-H. Schrey, Sp. 1458 f


Literatur

  • Heinrich Bornkamm: Toleranz. In der Geschichte des Christentums. In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG), 3. Aufl., Bd. VI (1962), Sp. 933-946
  • Peter Bromhead: Life in Modern America. 5. Aufl. (1981)
  • Karl Heussi: Kompendium der Kirchengeschichte, 11. Auflage (1957)
  • Isolde Jeremias: Bunyan, John. - In: RGG, 3. Aufl., Bd. I (1957), Sp. 1526
  • K. Kupisch: Frankfurter Parlament. In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart , 3. Aufl., Bd. II (1958), Sp. 1024-1028
  • M. Schmidt: Kongregationalismus. In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Bd. III (1959), Sp. 1768-1771
  • M. Schmidt: Penn, William. In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart,
	3. Aufl., Bd. V (1961), Sp. 208 f
  • M. Schmidt: Pilgerväter. In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Bd. V, Sp. 304
  • M. Schmidt: Williams, Roger. In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart,
 	 3. Aufl., Bd. VI (1962), Sp. 1725   
  • H.-H. Schrey: Niebuhr, Reinhold; Niebuhr, Richard. In: RGG, 3. Aufl., Bd. IV (1960), Sp. 1458 f
  • P. Scott: Dissenters. In: RGG, 3. Aufl., Bd. II (1958), Sp. 209
  • Alexis de Tocqueville, Alexis: De la Démocratie en Amérique (1835). Deutsch: Über die Demokratie in Amerika. Fischer-Bücherei 138 (1956)
  • Jan Weerda: Reformierte Kirche. In: RGG, 3. Aufl., Bd. V (1961), S. 885-890
  • W. Wertenbruch: Menschenrechte. Geschichtlich. - In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Bd. IV, Sp. 869-870 (nicht signierter Beitrag von Martin Wolfangel (Diskussion | Beiträge) 16:59, 5. Mai 2010 (CEST)) [Beantworten]


Hallo, Muck und gardenfriend, ich habe die Textspende vom 5.5.2010 an einigen Stellen überarbeitet und biete sie jetzt in dieser Form an. Teilt mir bitte mit, ob und gegebenenfalls welche Änderungsvorschläge ihr habt. Die Version vom 5. Mai kann gelöscht werden. Gruß Martin Wolfangel

Separatistische und gemäßigte Kongregationalisten (oder Independenten, wie sie sich auch nannten) sahen sich der ärgsten Verfolgung ausgesetzt, da sie mit ihrer Forderung nach Gemeindeautonomie zur Bedrohung für die Staatskirche und somit mittelbar auch für den Herrschaftsanspruch des englischen Königs wurden. Viele von ihnen gingen ins niederländische Exil oder wanderten nach Nordamerika, das "klassische Land des Kongregationalismus" (M. Schmidt (1)), aus. Die Gruppen, die in Großbritannien blieben, waren unter ihrem Anführer Oliver Cromwell die treibende Kraft im Kampf gegen die absolutistischen Machtansprüche Karls II. und seine Bestrebungen, das Land gegen den Willen der großen Mehrheit des Volkes zu rekatholisieren (Große Revolution (1642)). Nach der Wiederaufrichtung der Monarchie und der Kirche von England (1660) zwangen diese durch die Testakte Kongregationalisten, Presbyterianer, Baptisten und Quäker in den Status der Nonkonformisten (Dissenters; heutige Bezeichnung: Free Churches). Im Gefolge der Glorious Revolution (1688) wurde den Nonkonformisten durch die Toleranzakte 1689 zwar das Recht auf öffentliche Gottesdienste zugestanden, aber sie waren bis 1828 von allen staatlichen Ämtern und der Mitgliedschaft im Parlament ausgeschlossen. Das Ziel der Testakte, die Nonkonformisten zum Wiedereintritt in die anglikanische Staatskirche zu zwingen, wurde weitgehend verfehlt. Trotz ihrer Diskriminierung entwickelten die Nonkonformisten einen bedeutenden Einfluss auf das kulturelle und wirtschaftliche Leben Großbritanniens (z.B. John Milton, John Bunyan) (2). Das Werk "Pilgrim's Progress" von John Bunyan wurde in 70 Sprachen übersetzt und gilt als eines der bekanntesten Bücher weltweit (3). Da den Dissidenten der Zugang zu staatlichen Ämtern verwehrt war, engagierten sich viele viele von ihnen in der Wirtschaft und auf technischem Gebiet. "Im 18. Jahrhundert war beinahe die Hälfte der englischen Erfinder, Kaufleute und Unternehmer Calvinisten, obwohl diese in der britischen Gesamtbevölkerung eine Minderheit darstellten" (4).

Nach etwa 1740 verloren die kongregationalistischen Gemeinden einen Teil ihrer Mitglieder an den neu entstandenen Methodismus, eine Freikirche, die rasch sehr stark wuchs. Im 18. und 19. Jahrhundert beteiligten sich beide Kirchen sowie die Baptisten mit großem Engagement an der Mission und an den sozialen Reformbewegungen, z.B. Abschaffung der Sklaverei ("Slavery is sin"), Gründung von Genossenschaften, Gewerkschaften und der Labour Party (1).

Obwohl die in die nordamerikanischen Kolonien ausgewanderten Kongregationalisten in England sehr unter der Intoleranz der Anglikaner gelitten hatten, verhielten sie sich in ihrer neuen Heimat anfangs ebenfalls unduldsam gegenüber Angehörigen anderer Denominationen. Von einer kongregationalistischen Gruppe, die später Pilgerväter genannt wurde, stammt der Mayflower-Vertrag, der als "das früheste Dokument amerikanischer Selbstverwaltung und des Willens, ihr Gemeinwesen mit selbstgegebenen, gerechten und gleichen Gesetzen zu ordnen, in die amerikanische Geschichte eingegangen ist" (Horst Dippel (5)). Zwei weitere wichtige Strukturelemente der amerikanischen politischen Kultur, die Glaubens- und Gewissensfreiheit - das zentrale Menschenrecht - sowie die strikte Trennung von Staat und Kirche, steuerten Baptisten und Quäker bei. Die wichtigsten Details:

Eine kongregationalistische Kirchengemeinde ist nach ihrem Verständnis nicht identisch mit der bürgerlichen Gemeinde. Sie besteht nur aus "wahrhaft Gläubigen" und ist völlig unabhängig von staatlichen Obrigkeiten. Geistliche und Laien sind einander gleichgestellt (Luthers "allgemeines Priestertum aller Gläubigen"). In den Gemeindeversammlungen dürfen alle, denen es der Heilige Geist eingibt, das Wort ergreifen (5). Diese demokratische Ordnung drängte danach, sämtliche Lebensbezüge der Gläubigen, nicht nur die religiös-kirchlichen, ihren Glaubensüberzeugungen entsprechend zu gestalten.

Der Ursprung der „Pilgerväter“ (Pilgrim Fathers) lag in dem Wunsch der Kongregationalisten, dem Glauben an Jesus Christus als dem unmittelbaren Herrn der Gemeinden eine feste institutionelle Form zu geben. Dies führte zur Theokratie, in der sich der alttestamentliche Bundesgedanke (covenant) zur politischen Gestalt der Demokratie entwickelte. Diese war in England wegen des Widerstands der Könige nicht zu verwirklichen, wohl aber in den nordamerikanischen Kolonien. Eine Gruppe von „Separatisten“ wanderte 1598 zunächst in das niederländische Leiden aus, verließ Europa später aber und landete 1620 mit ihrem Schiff „Mayflower“ bei Cape Cod und gründeten Plymouth Colony. Vor der Landung schlossen die "Pilgerväter" den „Mayflower Compact“, einen Vertrag, in dem sie schriftlich festlegten, dass sie in Zukunft alle Regelungen, die in ihren neuen Siedlungen notwendig werden sollten, gemeinsam und selbständig treffen werden. Diese Gesetze sollten gerecht sein und für alle in gleicher Weise gelten. Die Unterzeichner des Vertrags verpflichteten sich zur Einhaltung dieser selbstgeschaffenen Ordnungen. Ihre geschichtliche Bedeutung besteht darin, dass sie ihre christliche Überzeugung von der Demokratie als der von Gott gewollten Staatsform im amerikanischen Bewusstsein unauslöschlich verankerten (7). Die Amerikaner feiern alljährlich am Thanksgiving Day die Vorgänge um die Landung der Pilgerväter und die beginnende, zunächst außerordentlich entbehrungsreiche Kolonisierung ihres heutigen Staatsgebiets.

Nur wenige Jahre später wurden die Kolonien Rhode Island (1536) durch den Baptisten Roger Williams und Pennsylvania (1682) durch den Quäker William Penn gegründet. Beide gewährten den Anhängern aller christlichen Kirchen, einschließlich der Katholiken, und Juden das zentrale Menschenrecht, Glaubens- und Gewissensfreiheit (8).

Beide Traditionsstränge - Demokratie und Religionsfreiheit - waren bei Penn miteinander verflochten. (Penn und Williams unterhielten zudem ein friedliches, partnerschaftliches Verhältnis zur indianischen Urbevölkerung, und sie setzten sich für die Sklavenbefreiung ein. Rhode Island verbot 1652 als erste Kolonie in Nordamerika die Sklaverei (9).) Diese Verbindung verschaffte sich zunehmend in den anderen Kolonien ebenfalls Geltung und führte, verstärkt durch Einflüsse der Aufklärung, 1776 zur Unabhängigkeitserklärung mit ihrer Proklamation von "unveräußerlichen" Rechten, die allen Menschen von ihrem "Schöpfer" verliehen wurden, darunter "Leben, Freiheit und das Streben nach Glück". Die amerikanische Verfassung folgte 1787 und wurde vier Jahre später durch die zehn ersten Verfassungszusätze (Amendments) ergänzt (10). Diese (amerikanische) Bill of Rights enthält fundamentale Menschen- und Bürgerrechte, zum Beispiel den Schutz von Leben, Bewegungsfreiheit und Eigentum, eine den Gesetzen entsprechende Rechtsprechung ("due process of law"), Trennung von Kirche und Staat, Rede,-Versammlungs-, Koalitions- und Pressefreiheit. Diese erste schriftlich fixierte Verfassung der Welt, die ohne Unterbrechungen durch Revolutionen oder dergleichen bis zur Gegenwart Gültigkeit hat, wurde später Vorbild für nahezu alle europäischen und viele außereuropäischen Staaten (11). Auch die deutsche Verfassungsgebende Versammlung (Frankfurter Parlament) von 1848/49 sowie die Autoren der Weimarer Reichsverfassung und des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland orientierten sich stark an der amerikanischen Verfassung (12).

Die Kongregationalisten leisteten einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung der Wissenschaften in Nordamerika. Luther, Melanchthon, Calvin und die anderen Reformatoren legten großen Wert darauf, dass alle Gemeindeglieder die Bibel selbst lesen konnten. Deshalb förderten sie das Bildungswesen auf allen Stufen, von der Volksschule über die Lateinschule bis zur Universität. Kongregationalistische Eltern waren verpflichtet, ihre Kinder Lesen, Schreiben und Rechnen zu lehren. Mitglieder dieser Kirche gründeten bereits 1636 Harvard College. Es folgten weitere Hochschulen wie etwa Yale (1701). (Harvard, Yale und andere dieser Gründungen sind heute unabhängige Institutionen.) Die Kongregationalisten "haben, teilweise zusammen mit den Presbyterianern, mit denen sie von 1801-52 in einem Unionsvertrag standen, eine großartige Aktivität entfaltet, theologisch seit dem Aufklärungszeitalter sich freieren Anschauungen, auch unitarischen Einflüssen geöffnet (...). In vieler Hinsicht dürften sie als die bedeutendste Erscheinung der nordamerikanischen Kirchengeschichte gelten" (Karl Heussi (12)). Wie die anderen reformatorischen Kirchen waren die Kongregationalisten der protestantischen Arbeitsethik ("Protestant work ethic") verpflichtet. Dies führte zu einem Aufblühen der Wirtschaft. Sie ging eine enge Verbindung mit den Naturwissenschaften und der Technik einerseits und den offenen, freiheitlichen und rechtsstaatlichen Strukturen andererseits ein (13). Diese Faktoren bedingten und verstärkten sich gegenseitig. Somit hatten die Kongregationalisten einen beträchtlichen Anteil am Aufstieg der Vereinigten Staaten zur Weltmacht ab dem späten 19. Jahrhundert.

Der Begriff Puritaner taucht zum ersten Mal nachweisbar 1562 bei dem französischen Dichter P. Ronsard auf (14). Er wurde in England als Spottname von Anglikanern und anderen Gegnern der Kongregationalisten und Presbyterianern auf diese angewendet, da sie die Kirche von allen katholischen Strukturelementen, vor allem dem Bischofsamt, "reinigen" (to purify) wollten. Das Wort Puritaner ist keine Selbstbezeichnung (15). Den Begriff Sekte auf Kongregationalisten und Presbyterianer ("puritanische Sekten") anzuwenden ist unangemessen. Denn es handelt sich um Kirchen, die bis heute Bestand haben. Vor allem aber legten sie von Anfang an keinerlei sektiererisches Verhalten an den Tag. Sie beschränkten sich nicht auf ein weltflüchtiges, frommes Leben. Vielmehr gestalteten sie sämtliche weltlichen Lebensbezüge höchst aktiv entsprechend ihren christlichen Überzeugungen. Selbst als sie in England fast 140 Jahre lang (1689 bis 1828) von allen staatlichen Ämtern und dem Unterhaus ausgeschlossen waren, zogen sie sich nicht in ein stilles Konventikeldasein zurück, sondern trugen in nicht unwesentlicher Weise zum wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung des Landes bei. Hoch einzuschätzen ist die zivilisatorische Leistung der amerikanischen Kongregationalisten und der anderen Protestanten. Denn Demokratie und Menschenrechte blieben keine inneramerikanische Angelegenheit. Sie haben laut der Charta und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen univerale Gültigkeit. Sie bilden die Grundlage der westlichen Welt und in unterschiedlicher Art und Weise auch vieler weiterer Staaten in anderen Regionen der Erde.

Die heutigen theologischen Positionen der kongregationalistischen Gemeinden sind weit gespannt. Sie reichen von sehr konservativen Einstellungen bis zu ausgesprochen liberalen. Wie in der großen Mehrzahl der reformatorischen Kirchen werden in den meisten kongregationalistischen Gemeinden und Kirchenzusammenschlüssen seit längerem Frauen zum geistlichen Amt zugelassen, auch in führende Positionen. Amerikanische Kongregationalisten, andere Reformierte und Lutheraner schlossen sich 1957 zur United Church of Christ, einer unierten Kirche, zusammen. Ihr gehörten die international renomierten Theologen Reinhold und Richard Niebuhr sowie der aus Deutschland emigrierte Paul Tillich an (16). Reinhold Niebuhr betonte die Wichtigkeit einer biblischen Theologie und die Rechtfertigung allein aus Glauben (17). Die Einflüsse dieser Theologen reichen weit in kongregationalistische Gemeinden hinein. Dasselbe gilt für die reformierten Schweizer Theologen Karl Barth, Emil Brunner und Eduard Thurneysen.

In der Gegenwart engagieren sich viele kongregationalistischen Gemeinden und Kirchenbünde in der ökumenischen Bewegung.


Einzelnachweise

1 Schmidt: Kongregationalismus, Sp. 1770 2 Heussi, S. 378 ff. - Schmidt: Kongregationalismus, Sp. 1769 ff. - Scott, Sp. 209 3 Jeremias, Sp. 1526 4 Wikipedia: Calvinismus 5 Horst Dippel: Geschichte der USA. Zitiert in: Wikipedia: Mayflower-Vertrag 6 Heussi, S. 380 7 Heussi, S. 387. - Schmidt: Pilgerväter, Sp. 384. - Wikipedia: Pilgerväter; Mayflower-Vertrag. - Der französische Gelehrte Alexis de Tocqueville schrieb 1835 nach einer neunmonatigen Studienreise durch die Vereinigten Staaten über die Amerikaner: "Ihre Gesellschaftsordnung ist zutiefst demokratisch. Sie ist demokratisch seit der Gründung der Kolonien bis auf unsere Tage" (S. 31 f).

8 Wikipedia (English): Plymouth Colony. - König Karl II. belehnte William Penn 1681 "mit einem großen Kolonialgebiet, auf dem Penn das 'heilige Experiment' der Gründung eines Staatswesens unternahm, das auf rein demokratischer Verfassung und dem Grundsatz völliger Toleranz beruhte" (Karl Heussi, S. 387). - Roger Williams und William Penn folgten damit Anstößen, die Luther gegeben hatte. Er vertrat in der Schrift "An den christlichen Adel deutscher Nation" (1520) die Auffassung: "Man sollte die Ketzer mit Schriften, nicht mit Feuer überwinden."(...) "Damit löste Luther sich von der für das mittelalterliche Ketzerstrafrecht grundlegenden Auffassung der Häresie als Mord an den Seelen. Er konnte anerkennen, daß auch die anderen aus ihrem Gewissen handelten; man müsse sie deshalb dabei lassen. (...) Die unerzwingbare Freiheit des Glaubens, die Natur des Gotteswortes und die Trennung des Geistlichen vom Weltlichen (Zwei-Reiche-Lehre) machen bei ihm dem kirchlichen Inquisitionsverfahren und der staatlichen Verfolgung ketzerischer Lehre ein Ende. An dieser Anschaung hat er zeitlebens festgehalten. Spätere Vorkämpfer der Toleranz wie Sebastian Franck und Sebastian Castellio haben sich darin mit Recht auf ihn berufen. Damit war ein wesentlicher Schritt zur Toleranz getan. Dagegen blieb Luther der Auffassung von der politischen Gefährlichkeit der Ketzerei verhaftet; freilich nicht im Sinne eines Sakrilegs gegen den christlichen Charakter des Staates, den er ablehnte, sondern der empirisch begründeten Sorge vor der Zerstörung der staatlichen Ordnung durch Zwiespalt in Lehre und Gottesdienst. Er war daher ebenso bereit, der reformatorischen Predigt in katholischen Territorien Beschränkung aufzuerlegen (1530, WA 31/I, 209 ff), wie er Verzicht auf öffentliche Verkündigung anderen Glaubens in evangelischen forderte. (...) Die politische Gefahr der Täufer erhellt für ihn aus der Ablehnung der obrigkeitlichen Ämter, des Eides, des Kriegsdienstes, zum Teil des Eigentums, aber auch des geordneten Predigtamtes, in dem er eine Hilfe für den inneren Frieden sah. (...) Mit der Duldung anderer Lehre und der Freigabe des Gewissens überwand er das Mittelalter; in der politischen Sorge vor öffentlicher Toleranz blieb er mittelalterlich. Mit den prinzipiellen Ansätzen zur Glaubensfreiheit verbindet sich die historische Tatsache, daß Luther eine Bewegung ins Leben rief, die wie das frühe Christentum die Kraft besaß, sich gegen eine intolerante, sakrale Staatsidee zu behaupten. Erst das unaufhebbare, den bisherigen Zustand von Grund auf verändernde Nebeneinander von Kirchen schuf die Möglichkeit für eine künftige Entfaltung der Toleranz" (Heinrich Bornkamm, Sp. 937 f). Wie Luther war Roger Williams der Auffassung, dass weltliche Obrigkeiten keine Macht in Glaubensfragen haben. Luther sah aber in der Weigerung der Täufer, Eide zu leisten und Kriegsdienst zu übernehmen, eine Gefahr für das Gemeinwesen ("politische Sorge vor öffentlicher Toleranz"). (Tatsächlich waren etwa die Täufer, die das "Reich Christi" in Münster (1533-35) errichteten, außerordentlich militant (Heussi, S. 335)). Diese Befürchtungen hatte Williams nicht, zumal er selbst aus der täuferischen Tradition herkam (Schmidt: Williams, Sp. 1725). Deshalb war seine Toleranz in Glaubensfragen weiter gespannt als die Luthers. Dass sich die weltliche Obrigkeit nicht in religiöse Belange einmischen darf, folgte für Williams aus Calvins Auffassung von der Allmacht Gottes. Diese allein hat ausschließlich Macht über das Gewissen der Glaubenden. Daraus ergab sich unabweisbar die völlige Trennung von Staat und Kirche (Wikipedia (English): Roger Williams (theologian)). 9 Wikipedia (English): William Penn; Roger Williams (theologian) 10 "Menschenrechte kommen als politische Kampf- und rechtliche Sicherungsmittel des einzelnen gegen den Träger der Staatsgewalt erst im 16. Jahrhundert auf. Ihre Entwicklung ist nicht abgeschlossen. Mannigfache Anlässe führen zur verfassungsrechtlichen Ausprägung einzelner Menschenrechte. Den Anstoß gibt das Christentum mit seinen Lehren von menschlicher Größe, Sünde und Erlösung, schlechthin von der Verantwortung jedes Menschen vor Gott. (...) Nach dem Eindringen reformatorischen Glaubensgutes tritt die Religionsfreiheit in den Vordergrund; aber auch die Gleichheit aller Menschen wird als Folge demokratischer Tendenzen bereits kraftvoll im Agreement of the People (1647), dem Verfassungsentwurf der Independenten (Cromwell), betont. Nachdem vorübergehend der König als Schützer der bürgerlichen Freiheit aufgetreten ist (Habeas-Corpus-Akte, 1679), legt das Parlament seine und einige Rechte der Untertanenen in der Bill of Rights (1689) fest. Die weitere Entwicklung verlagert sich nach Nordamerika. Hier waren ihres Glaubens wegen verfolgte Puritaner, die auf der Überfahrt (Mayflower) den Pakt der Pilgerväter geschlossen hatten (1620), seßhaft geworden. Ihre Nachfahren verfassen 1776 die Virginische Erklärung der Rechte, die allen Bügern 'as the basis and foundation of government' zustehen sollen, weil 'all men are by nature equally free and independent, and have certain inherent rights...'. Dieselbe Überzeugung kommt in der von Th. Jefferson verfaßten Unabhängigkeitserklärung vom 4.7.1776 zum Ausdruck. Jefferson hält es für eine Wahrheit, die keines Beweises bedarf, daß alle Menschen vor ihrem Schöpfer gleich sind und daß er ihnen gewisse unveräußerliche Rechte verliehen hat" (Wertenbruch, Sp. 869 f). 11 Bromhead, p. 52 ff 12 "Trotz aller Stürme hat das Frankfurter Parlament seine eigentliche Aufgabe, das Verfassungswerk, zum Abschluß gebracht (28.3.1849). Wesentlicher Bestandteil waren die Grundrechte (...), die als selbständiges Gesetz schon am 12.7.1848 verkündigt wurden, sich an das nordamerikanische und französische Vorbild von 1776 und 1789 anlehnten." (...) Der politische Aufbau des Reiches war "nach nordamerikanischem Muster als Bundesstaat (aber mit monarchischen Führungen in den Ländern wie an der Spitze) gedacht (...)" (Kupisch, Sp. 1026 f). 13 Heussi, S. 505 14 Max Weber wies auf die enge Verflechtung von protestantischer Ethik, Wirtschaftsleben ("Kapitalismus") und der hohen Wertschätzung von Naturwissenschaften und Technik hin ("die kapitalistische Verwertbarkeit der Technik") (Wikipedia: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus). 15 Weerda, Sp. 885 16 Heussi, S. 349 f 17 Wikipedia: United Church of Christ 18 H.-H. Schrey, Sp. 1458 f


Literatur

  • Heinrich Bornkamm: Toleranz. In der Geschichte des Christentums. In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG), 3. Aufl., Bd. VI (1962), Sp. 933-946
  • Peter Bromhead: Life in Modern America. 5. Aufl. (1981). ISBN 3-526-50451-2
  • Karl Heussi: Kompendium der Kirchengeschichte, 11. Auflage (1957)
  • Isolde Jeremias: Bunyan, John. - In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Bd. I (1957), Sp. 1526
  • K. Kupisch: Frankfurter Parlament. In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart , 3. Aufl., Bd. II (1958), Sp. 1024-1028
  • M. Schmidt: Kongregationalismus. In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Bd. III (1959), Sp. 1768-1771
  • M. Schmidt: Penn, William. In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart,
	3. Aufl., Bd. V (1961), Sp. 208 f
  • M. Schmidt: Pilgerväter. In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Bd. V (1961), Sp. 304
  • M. Schmidt: Williams, Roger. In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart,
 	 3. Aufl., Bd. VI (1962), Sp. 1725   
  • H.-H. Schrey: Niebuhr, Reinhold; Niebuhr, Richard. In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Bd. IV (1960), Sp. 1458 f
  • P. Scott: Dissenters. In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Bd. II (1958), Sp. 209
  • Alexis de Tocqueville: De la Démocratie en Amérique (1835). Deutsch: Über die Demokratie in Amerika. Fischer-Bücherei 138 (1956)
  • Jan Weerda: Reformierte Kirche. In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Bd. V (1961), S. 885-890
  • W. Wertenbruch: Menschenrechte. Geschichtlich. - In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Bd. IV (1960), Sp. 869-870 (nicht signierter Beitrag von Martin Wolfangel (Diskussion | Beiträge) 15:30, 26. Mai 2010 (CEST)) [Beantworten]
Hallo, das Zurückführen der amerikanischen Demokratie auf den Mayflower Compact ist zwar beliebt, aber mindestestens viel zu kurz gegriffen, wenn nicht sogar schlichtweg falsch (Perry Millers Errand into the the Wilderness) ist da recht aufschlussreich. Das mag alles für Kirchenverfassung gelten, und die hatte sicherlich gerade in den späteren USA auch einigen Einfluss darauf, wie mansich das politische Staatswesen so vorstellte, aber da gabe es noch eine ganze Menge anderer Faktoren, die Philosophie der Aufklärung sollte man etwa nicht vergessen...im übrigens vermengst du beständig die „Pilgerväter“ mit den K. in der Massachusetts Bay, die möge man pfleglichst auseinanderhalten...--Janneman 23:09, 27. Mai 2010 (CEST)[Beantworten]


Hallo, Janneman, wenn ich mich nicht irre, hast du mir vor etlicher Zeit in einem anderen Zusammenhang empfohlen, meine Textspende mit Einzelnachweisen zu belegen. Diesem Rat bin ich gern gefolgt. Nun aber bist du es, der seine Thesen nicht belegt. Denn dein Hinweis auf Perry Miller, Errand into the Wilderness, ein Buch, das ich nicht kenne, sind nur vage. Was behauptet er wirklich und welche Beweise führt er an? Ich habe den Eindruck, dass er ein Außenseiter ist, wie es sie unter Historikern immer wieder einmal gibt. Ich berufe mich dagegen auf eine ganze Reihe von Fachleuten, die unabhängig voneinander einhellig die Anfänge der amerikanischen Demokratie in der Besiedlung von Massachusetts, Rhode Island und Pennsylvania sehen (A. de Tocqueville, M. Schmidt, K. Heussi, P. Bromhead, W. Wertenbruch und H. Dippel). Im 17. Jahrhundert herrschte überall in Europa (abgesehen von der Schweiz) und Lateinamerika ein feudalistisches System, d.h., die Könige - bzw. in Deutschland die Landesherren - erließen Gesetze und Verordnungen, und die Untertanen hatten den Mund zu halten und zu gehorchen. Im Unterschied dazu bringt der Mayflower Compact absolut eindeutig zum Ausdruck, dass die Unterzeichner trotz einer Anerkennung des englischen Königs als Oberherrn die rechtliche und verwaltungstechnische Ausgestaltung ihrer neu zu gründenden Gemeinwesen selbst in die Hand zu nehmen gewillt waren. Und eben das ist das Prinzip der Demokratie. Heute nennen wir das kommunale Selbstverwaltung. Natürlich ist der Mayflower Compact nicht identisch mit der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und Verfassung von 1787. Aber die 1620 formulierten Grundsätze waren dieselben. Die Aufklärung kommt insbesondere an zwei Stellen mit ins Spiel. Zum einen im deistischen Gottesbegriff der Unabhängigkeitserklärung, zum anderen in der Gewaltenteilung der Verfassung als Schutz der Freiheit. Diese wurde aber von Locke und Montesquieu nicht am Schreibtisch aus irgendwelchen theoretischen Prämissen entwickelt. Vielmehr leiteten sie dieses Prinzip aus einer Analyse der nicht schriftlich fixierten englischen Staatsverfassung ihrer Tage ab (Locke 1690 in seinem zweiten "Treatise on Government" und Montesquieu in "De L'Esprit des Lois" (1748)). Diese war aber unter anderem sehr stark geprägt vom demokratischen Geist des Verfassungsentwurfs der Independenten (Kongregationalisten) unter Cromwell (Agreement of the People, 1647) einerseits und der (englischen) Bill of Rights von 1689 andererseits (vgl. Einzelbeleg Nr. 9). Th. Jefferson, von dem der Text der Unabhängigkeitserklärung im Wesentlichen stammt, und die Autoren der Verfassung waren von Locke beeinflusst. Aber sie waren darauf angewiesen, dass die große Mehrheit ihrer Landsleute beide Dokumente akzeptierten. Das geschah, und zwar weil die demokratischen Strukturen in den Kolonien bis ins frühe 17. Jahrhundert zurückreichten und die Kolonisten deren Vorteile kennen und schätzen gelernt hatten. Die Pilgerväter "setzten jenen 'Mayflower Vertrag' vom 11. November 1620 auf, der als frühestes Dokument amerikanischer Selbstverwaltung und des Willens, ihr Gemeinwesen mit selbstgegebenen, gerechten und gleichen Gesetzen zu ordnen, in die amerikanische Geschichte eingegegangen ist" (Horst Dippel. In: Wikipedia: Mayflower-Vertrag). Und noch ein Zitat: "Der Ursprung der Pilgerväter liegt in dem Bestreben des Kongregationalismus, dem Gehorsam gegen Jesus Christus als dem unmittelbaren Herrn seiner Gemeinde institutionellen Ausdruck zu geben. Dies führt zur Theokratie, in der sich die religiösen Motive (alttestamentlicher Bundesgedanke) zur politischen Form der Demokratie verdichten. Während diese in England nicht zu verwirklichen war, bot Nordamerika den so eingestellten Gemeinden (seit 1590 in Gaisborough, Scrooby, Austerfield) trotz der Abhängigkeit von der britischen Krone eine Möglichkeit dazu. Die Pilgerväter verließen seit etwa 1598 England, wandten sich zunächst nach Leiden, 1620 in dem Schiff 'Mayflower' nach Massachusetts (Boston und Plymouth) in Nordamerika, nachdem sie am 19.6.1619 durch die London Virginia Company die Niederlassungserlaubnis vom König erhalten hatten. Ihre geschichtliche Bedeutung beruht darin, daß sie das christliche Verständnis der Demokratie als der gottgemäßen Staatsform für das nordamerikanische Bewußtsein gültig und bleibend ausgesprochen haben" (M. Schmidt. In: RGG, 3. Aufl. (1961), Bd.V, Sp. 384). Wenn dich diese Zitate nicht überzeugen, bin ich gern bereit die betreffende Stelle in meiner Textspende so zu formulieren, dass diese Position als die von der Mehrheit der Historiker vertretene dargestellt wird, während die Position von Perry Miller als Minderheitsvotum hinzugefügt wird. Dazu müsstest du aber darlegen, wie diese aussieht und welche Gründe er vorbringt. Gruß Martin Wolfangel


Hallo, Muck und gardenfriend, ich habe vor fast einem Monat Wikipedia eine Textspende zum Artikel Kongregationalismus angeboten, die ich in der Zwischenzeit an einigen Stellen leicht abgeändert habe. Beide Male bat ich euch, mir Änderungsvorschläge zu nennen. Da dies nicht geschehen ist, muss ich davon ausgehen, dass ihr mit meiner Textspende einverstanden seid. Ich bin deshalb der Aufforderung von Wikipedia an die Nutzer, die Texte zu "bearbeiten", nachgekommen. Gruß Martin Wolfangel (15:29, 2. Jun. 2010 (CEST), Datum/Uhrzeit nachträglich eingefügt, siehe Hilfe:Signatur)

du bist schlicht zu monokausal in deiner, erm, „Beweisführung.“ Natürlich hatte das kongregationalistische Gemeindewesen einen sagenwirmal mentalitätsgeschichtlichen Einfluss auch auf die politische Entwicklung, aber deine Darstellung ist eine arg ungebührliche Verkürzung, die andere, gewichtigere Faktoren in der Entwicklung der Revolution schlicht unter den Tisch fallsen lässt. Und das ist keine „Minderheitenmeinung“ von mir oder Perry Miller (der im übrigen der bis heute wohl prägende Übervater auf dem Feld der Puritanismusforschung ist und nicht irgendwer), sondern Konsens:

„Im Mayflowervertrag wurde der herkömmliche church covenant auf bürgerliche Verhältnisse übertragen. Weniger vorsichtige Interpreten meinten sogar, mit diesem Dokument sei eine Art Gesellschaftvertrag in die neue Welt gesetzt worden oder gar die Idee der Demokratie“

Gert Raeithel: Geschichte der Nordamerikanischen Kultur. Frankfurt am Main 2001, Band 1, S. 15.
Dein Text ist sehr lang, ich mag deswegen nicht auf alles eingehen, aber einiges ist schlicht und ergreifend Dumpfsinn: „Die in die nordamerikanischen Kolonien ausgewanderten Kongregationalisten schufen mit ihrer kommunalen Selbstverwaltung die Anfänge der neuzeitlichen Demokratie und legten zusammen mit Baptisten, Quäkern und Presbyterianern den Grundstein zur Entstehung der Menschenrechte.“ Die Vorstellung des Menschenrechts wäre ihnen im Gegenteil vollkommen fremd gewesen, ist sogar ein ganz klassischer Punkt, an dem Theologie und Naturrecht sich in die Quere kommen. Und dir ist beispielsweise bekannt, dass nur Kirchenmitglieder wählen durften, Kongregationalisten auch schon gerne mal Quäker gehängt haben (allein 1660 bsp. gleich vier auf einmal), und so fort? Wenn du wissen willst, wie die Bill of Rights zustande kam, musst du Madison lesen, nicht Winthrop. Der Mythos, den du hier verbreitets, ist in der Geschichtswissenschaft ziemlich oft und ziemlich gründlich auseinandergenommen worden. Nun sitze ich gerade nicht in der Bibliothek, aber ergötzliches zu dem Thema gibts u.a. bei Sacvan Bercovitch (The American Jeremiad) sowie Michael Kammen (Mystic Chords of Memory: The Transformation of Tradition in American Culture). Bei beiden lässt sich nachlesen, wie die Puritaner, lange nachdem sie tot waren und sich nicht mehr wehren konnten, zur Konstruktion einer historischen Kontinuität eingespannt wurden, die es so nicht gibt. --Janneman 01:01, 3. Jun. 2010 (CEST) P.S. und nochmals, du solltest Plymouth und Massachusetts pfleglich auseinanderhalten, die Pilgerväter haben mitnichten Harvard gegründet...[Beantworten]


Hallo, Janneman, danke für deine Antwort. Ich habe einige deiner Kritikpunkte in dem Textspendenangebot berücksichtigt. Mit anderen inhaltlichen Punkten und deinem bissigen Ton ("Dumpfsinn", "Mythos") bin ich nicht einverstanden. Man wird doch in anständigem Ton miteinander reden können. Mein Ziel bei der Abfassung der Textspende war, den recht mageren Artikel über den Kongregationalismus um wichtige historische und religionssoziologische Aspekte anzureichern. Seit Tocqueville und vor allem seit Max Weber kommt man darum nicht mehr herum. Bei einem Lexikoneintrag muss man sich andererseits in knapper Form auf die wesentlichsten Punkte, Verbindungs- und Entwicklungslinien beschränken. Besonders mein Abschnitt 3 hat deinen Zorn erregt. Ich habe bewusst sehr vorsichtig formuliert: "Anfänge der neuzeitlichen Demokratie" und "Grundstein zur Entstehung der Menschenrechte". "Anfänge" und "Grundstein" lassen Raum für viele andere Einflüsse, die ich zugegebenermaßen nicht genannt habe. Der Vorwurf, ich denke zu monokausal, ist deshalb nur bedingt berechtigt. Ich habe diesen Abschnitt umformuliert und auch erwähnt, dass es Einflüsse der Aufklärung gegeben habe. Abschnitt 3 ist gedacht als vorangestellte Zusammenfassung für Abschnitte 5 einerseits, wo es nur um Demokratie geht (die Kongregationalisten waren in der Tat sehr intolerant), und 6 und 7 andererseits, wo Demokratie in Verbindung mit Glaubens-und Gewissensfreiheit sowie Trennung von Staat und Kirche behandelt werden. - Die Auseinandersetzung mit dir ist fast unmöglich, weil du zwar sagst, was ich angeblich falsch darstelle, aber nicht sagst, was deiner Ansicht nach richtig ist. Ich bin weithin auf Vermutungen angewiesen. Ich vermute also, dass die von dir genannten Historiker nicht in Abrede stellen, dass der Mayflower-Vertrag echt ist und dass die Siedler der Plymouth Colony ihn tatsächlich umsetzten, also eigene Gesetze schufen und sich selbst verwalteten. Du gibst auch zu, dass gewählt wurde. Eine Wahl ist eine Mehrheitsentscheidung. Der Kandidat mit den meisten Stimmen ist gewählt und bekommt die Funktionsstelle. Nach allem, was ich bisher über Demokratie gelesen und gehört habe, ist das der Kerngedanke der Demokratie, zumal die Siedler einfache Untertanen von Jakob I. waren. Sie waren keine Adlige oder andere Großkopfete. Einer deiner Gewährsleute sagt, hier sei der herkömmliche church covenant in die weltliche Sphäre übertragen worden. In der Tat. In meinen Augen war das ein unglaublicher Vorgang. Das ist das Gegenteil von einem Mythos. Das gab es nach meiner Kenntnis nur einmal in der Weltgeschichte, nämlich hier. Du bemängelst, dass bei den Kongregationalisten nur Gemeindeglieder wählen durften. Das war aus heutiger Sicht zweifellos politisch nicht korrekt. Das ist einer der Gründe, weshalb ich nur von "Anfängen der neuzeitlichen Demokratie" spreche. Die amerikanische Verfassung und die Bill of Rights sind auch alles andere als vollkommen. Sie haben mindestens zwei große Mängel: Sie schafften die Sklaverei nicht ab und sie verwehrten Frauen das aktive und passive Wahlrecht. Die Mehrheit der Bevölkerung war dadurch von der politischen Willensbildung ausgeschlossen, die Frauen bis ins frühe 20. Jahrhundert. Dennoch waren die beiden Dokumente ein gewaltiger Fortschritt in der Geschichte der Menschheit, von dem wir alle heute profitieren. - Ich mache weiter in meinen Vermutungen. Deine Gewährsleute leugnen nicht, dass Roger Williams und William Penn tatsächlich Glaubens- und Gewissensfreiheit gewährten, nicht nur als theoretische Forderung, sondern alsl gelebte Wirklichkeit. Wenn die englischsprachigen Wikipedia-Artikel über die beiden Männer an diesem wichtigen Punkt nichts Falsches sagen, wovon ich ausgehe, schloss Williams 1636 mit zwölf Gesinnungsgenossen, die wie er Massachusetts verlassen hatten, einen Vertrag. "Williams' settlement was based on a principle of equality. It was provided that 'such others as the major part of us shall admit into the same fellowship of vote with us' from time to time should become members of their commonwealth. Obedience to the majority was promised by all, but 'only in civil things'. In 1640, another agreement was signed by thirty-nine freemen, expressing their determination 'still to hold forth liberty of conscience.' Thus a government unique in its day was created - a government expressly providing for religious liberty and a separation between civil and ecclesiastical authority (church and state)." Mehrheitsentscheidungen in strittigen Fragen auf der Basis von "one man, one vote", das ist Demokratie. - Du deutest an, dass es in Hinblick auf die Menschenrechte einen Konflikt zwischen Theologie und Naturrecht gebe. Das musst du schon ausführlicher erklären. Es ist nicht fair, wenn du von oben herab mich belehren willst und meine Kompetenz anzweifelst, dann aber nicht Ross und Reiter nennst. Ein so komplexes Thema kann man nicht aus dem Handgelenk heraus in ein paar Zeilen abtun. Offenbar bist du der Ansicht, dass Menschenrechte und Theologie - reformatorische Theologie - nichts miteinander zu tun haben, möglicherweise sich sogar gegenseitig ausschließen. Das wäre ein Irrtum. Williams begründete die Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie die Trennung von Kirche und Staat nicht naturrechtlich-philosophisch-aufklärerisch, sondern theologisch, nämlich mit Calvins Auffassung von der Allmacht Gottes. Das Problem der Glaubensfreiheit beschäftigte die Christenheit seit ihren Anfängen (Christenverfolgungen im römischen Reich, Abspaltungen im Mittelalter usw.), und erst recht in der Reformation und danach. Ich verweise auf meine Einzelbelege. Insbesondere die Täufer, die eine verfolgte Minderheit darstellten, pochten auf dieses Recht. Die Baptisten, die die täuferische Tradition fortsetzten, behielten auch diesen Glaubenssatz bei. Die Menschenrechte sind keine Erfindung der Aufklärung, auch wenn das noch so oft behauptet wird, vermutlich auch von den Historikern, auf die du dich berufst. Du deutest an, dass es zwischen den demokratischen Strukturen der Plymouth Colony, Williams und Penn einerseits und der "Revolution" und ihren Bannerträgern (Madison und Co.) keine geschichtliche Kontinuität gegeben habe. Diesen Mysthos habe die Geschichtswissenschaft zerstört. Wie soll man sich das vorstellen? Sollen die Kongregationalisten, Quäker, Baptisten, aber auch Presbyterianer im Laufe des späten 17. Jahrhundert wieder aufgegeben haben, was sie an Demokratie und Religionsfreiheit mühsam geschaffen hatten und von dessen hohem Wert sie überzeugt waren? War nicht Amerika auch in dieser Zeit für Tausende von Einwanderern das "Land der Freiheit"? Und dann sollen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts Jefferson, Madison und Kollegen gekommen sein und Demokratie und Menschenrechte aus dem Nichts heraus völlig neu geschaffen haben, weil sie es bei Locke und Montesquieu so gelesen hatten? Das ist absurd. Die allermeisten Amerikaner waren im 18. Jahrhundert nach wie vor Mitglieder von Kirchengemeinden, und diese waren mehrheitlich konservativ oder sehr konservativ. Das heißt, was diese Christen einmal an geistlichen Erfahrungen gemacht hatten, und dazu gehörten auch Demokratie und Glaubensfreiheit, gaben sie nicht wieder auf. Außerdem erzwang das Nebeneinander von Angehörigen verschiedener Denominationen in ein und derselben bürgerlichen Gemeinde, Region und Kolonie Toleranz, auch wenn es dabei Zähneknirschen gab, wie das im Deutschen Reich auch der Fall war (Westfälischer Frieden). Die Autoren der Verfassung und der Bill of Rights brauchten für deren Annahme auf mehreren Ebenen große Mehrheiten, die in beiden Dokumenten vorgesehen waren. Und diese Mehrheiten waren nicht das Werk von Aufklärungsphilosphen. Diese verstärkten das bereits Vorhandene, gewiss, aber sie schufen nichts Neues, nicht an dieser Stelle. Gruß Martin Wolfangel

deine Texte sind wirklich sehr lang, ich möchte mich kürzer fassen; deine These, die Menschenrechte seien eine puritanische Erfindung, deucht mir so absurd, dass es schwerfällt, sie zu widerlegen - aber du hast dafür ja auch keinen Beleg, wo man mal nachschlegen könnte, wer das warum behauptet. Oder liegt es vielleicht daran, dass du unter „Menschenrechten“ etwas vollkommen anderes verstehst? Die herkömmliche naturrechtliche Definition dieser Rechte verträgt sich zumindest ziemlich schlecht mit der innate depravity des puritanischen Menschenbildes (oder mit der eines unbedingt allmächtigen Gottes, dem ein Puritaner solche Rechte kaum abverlangt hätte...)
Wenn du glaubst, ausgerechnet die Kongregationalisten hätten die Glaubensfreiheit hoch geschätzt, dann liegst du schlicht falsch (auch hierzu wieder Perry Miller zu empfehlen: Orthodoxy in Massachusetts); warum glaubst du ist denn, dass Thomas Hooker oder Roger Williams Massachusetts den Rücken gekehrt haben? Den Baptisten, zumindest denen in Rhode Island, kann man dies schon eher anrechnen, aber den Kongregationalisten? Ausgerechnet? Anne Hutchinson wird sich im Grabe umdrehen.
Zum „Mythos“: ja, was du hier vorträgst, angefangen bei den Pilgervätern, ist das Fortschreiben eines nationalen Mythos, der jünger ist als die amerikanische Revolution. Vielleicht ist dir Deutschland näher als die USA, Burckhardt hat z.B. 1871 mal den schönen Ausspruch getätigt, nun würde wohl die geasmte Geschichte „siegesdeutsch angestrichen.“ Ähnliches ist in den USA nach der Revolution geschehen, man suchte in der Vergangeheit nach einer usable past. Erst im 19. Jahrhundert wurden die Pilgrims rückwirkend zu heroischen Demokraten verklärt. Diesen Mythos (und das ist kein Schmipfwort, sonderne eine analytische Katgorie) des 19. Jahrhunderts hat die historische Forschung des 20. Jahrhunderts zunehmend kritisch durchleuchtet und ist zu anderen, auf jeden Fall differenzierteren Schlüssen gekommen. Deine Argumentation ist, pardon und mit Verlaub, etwa auf dem Stand von 1900.
Die Frage, wie die amerikanische Revolution zustande gekommen ist, sollte man wohl besser an anderer Stelle klären als hier. Falls dir daran gelegen ist, solltest du anfangen bei Bernard Bailyns The Ideological Origins of the American Revolution, das ist das Standardwerk zur Ideengeschichte der Revolution. Und wie ich bereits weiter oben schrieb, leugne ich gar nicht, dass die puritanisch-kongregationalistische Gemeindeverfassung oder die zugrundeliegende Bundestheologie einen gewissen Einfluss gehabt hat - Bailyn selbst spricht das auch selbst kurz an (S. 32-33). Er war gleichwohl sehr begrenzt gegenüber anderen Einflüssen - der Philosophie der Aufklärung, der Common-Law-Tradition, und der Country-Ideologen (lange Geschichte). All dies lässt du unter den Tisch fallen und setzt Prioritäten, die in der Geschichtsschreibung so niemand setzt. Und deswegen halte ich deine Textspende für irreführend und ungeeignet. --Janneman 23:52, 10. Jun. 2010 (CEST)[Beantworten]
Nachtrag spätnachts, weil ichs greade zum Einschlafen gelesen habe:

„The political ideas in 1760 did not take their origins from congregational democracy or from revivalistic religion.“

Robert Middlekauff: The Glorious Cause: The American Revolution 1763-1789 Oxford University Press, New York 2005. S. 51.
In diesem Sinne, Gutnacht, --Janneman 03:09, 11. Jun. 2010 (CEST)[Beantworten]


Janneman, es freut mich, dass du deinen Ton ein wenig geändert hast. Ärgerlich ist aber, dass du mich an einigen Stellen absichtlich missverstehen willst. Vieles andere ignorierst du, z.B. meine Einzelbelege und die Zitate in meinen bisherigen Diskussionsbeiträgen. Das ist unwissenschaftlich. Dadurch zwingst du mich, einerseits immer weiter auszugreifen und andererseits mich zu wiederholen.

Deine Behauptung, meine Darstellung gebe den Forschungsstand von etwa 1900 wieder, ist unrichtig. Ich berufe mich auf Veröffentlichungen aus etwa dem Jahr 1960 (Karl Heussi: Kompendium der Kirchengeschichte, 11. Aufl. (1957); Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl.) und auf die einschlägigen deutsch- und englischsprachigen Artikel von Wikipedia. Der offensichtlich sehr gewissenhaft recherierte englischsprachige Artikel über die Plymouth Colony (ca. 30 S.) gibt in den References und den Notes Literatur an, die größtenteils etwa zwischen 1997 und 2006 veröffentlich wurde. Dasselbe gilt für den Artikel über Roger Williams. Auch bei den anderen von mir benutzten Wikipedia-Artikeln muss man davon ausgehen, dass sie auf dem neuesten Forschungsstand sind. Wenn man die in diesen Veröffentlichungen erwähnten Fakten mit denen vergleicht, die um 1960 bekannt waren, stellt man fest, dass in keiner wesentlichen Frage eine Neubewertung vorgenommen wurde. Die nationalen amerikanischen und deutschen Mythen waren schon vor 50 Jahren bekannt, entzaubert und auf die verifizierbaren historischen Fakten reduziert worden. Was seither durch die Forschung hinzugekommen ist, ist eine Fülle von weiteren historischen Details, aber am Gesamtbild hat sich nichts Gravierendes geändert.
Es ist falsch, aus der komplexen reformatorischen Anthropologie den einen oder anderen Lehrsatz herauszupicken (innate depravity, Gottes Allmacht). Und es ist erst recht falsch, wenn davon angebliche, weitreichende Konsequenzen für das Leben der Christen ("Puritaner") abgeleitet werden. Nach Luther ist der Christenmensch simul iustus et peccator. Im Blick auf Christus, seinen Erlöser, ist er "gerecht"; er ist, wie Gott ihn haben will. Zugleich ist er im Blick auf sich selbst "Sünder". Dies meint zunächst nicht unethisches Handeln, sondern fehlendes Vertrauen zu Gott. Erst daraus folgen dann die moralischen Verfehlungen. In dieser dialektischen Spannung steht der Christ zeitlebens und ist auf die eschatologische Vollendung durch Gott angewiesen. Die beiden Pole - iustus und peccator - sind nicht gleichwertig. Der Christ darf und soll von sich weg und auf Christus sehen. Daraus gewinnt er Mut und Kraft, im Alltag seine Pflichten zu erfüllen, aus Dankbarkeit gegenüber seinem Erlöser und als Dienst an seinem Nächsten. Bei Calvin tritt die Frage von Erwählung und möglicher Verwerfung stärker in den Vordergrund als bei Luther. Aber auch für Calvin ist es absolut klar, dass der Christ zuerst und zuletzt auf Jesus Christus, den Erwählten Gottes, sieht und darauf vertraut, dass er "in Christus" ebenfalls erwählt ist. In diesen Zusammenhang gehört das von dir benutzte Schlagwort innate depravity. Es lässt sich durchaus mit den Menschenrechten vereinbaren. Und Gottes Allmacht ohnehin. Roger Williams begründete die Glaubens- und Gewissensfreiheit mit Calvins Vorstellung von Gottes Allmacht. Weil diese im Glauben erfahren wird, haben weltliche Obrigkeiten kein Recht, sich zwischen den Glaubenden und Gott zu stellen. Das habe ich schon einmal geschrieben, aber davon nimmst du keine Notiz.
Ich habe nie behauptet, die Menschenrechte seien eine Erfindung der "Puritaner". Da ich wusste, dass die Saints der Plymouth Colony und andere amerikanische Kongregationalisten intolerant waren, ordnete ich der Plymouth Colony lediglich die Anfänge (!) einer demokratischen kommunalen Selbstverwaltung zu. Der englischsprachige Wikipedia-Artikel enthält eine Fülle von Hinweisen, dass dies richtig ist. Einige Beispiele: Da die Colony von 1620 bis 1691 keine königliche Charter hatte (land patent), musste sie sich ihre "Verfassung" oder ihr "Grundgesetz", den Mayflower Compact, selbst geben. "The Plymouth Colony (...) was governed independently from the Council (scil. the Plymouth Council for New England) under the Mayflower compact" (p.4); "The Plymouth Colony (...) had existesd without a formal charter since its founding" (p. 12); The Plymouth Colony did not have a royal charter authorizing it to form a government. (...) The Mayflower Compact (...) was the colony's first governing document. Formal laws were not codified until 1636. The colony's laws were based on a hybrid of English common law and religious law as laid out in the Bible. The colony offered nearly all adult males potential citizenship in the colony. Full citizens, or 'freemen', were accorded full rights and privileges in areas such as voting and holding office. To be considered a freeman, adult males had to be sponsored by an existing freeman and accepted by the General Court. Later restrictions established a one-year waiting period between nominating and granting of freeman status and also placed religious restrictions on the colony's citizens, specifically preventing Quakers from becoming freemen. (...) The colony's most powerful executive was its Governor, who was originally eleceted by the freemen, but was later appointed by the General Court in an annual election. (...) The General Court was both the chief legislative and judicial body of the colony. It was elected by the freemen from among their own numbers and met regularly in Plymouth, the capital town of the colony. (p. 15 f). Zweifellos wurde im General Court über die anstehenden Sachfragen diskutiert und nach dem Mehrheitsprinzip abgestimmt. Wenn das keine Demokratie sein soll, dann sag mir bitte, was du unter diesem Begriff verstehst. Der Wikipedia-Artikel über die Massachusetts Bay Colony bezeichnet die dortige Regierungsform expressis verbis als "representative democracy" (p. 4). Dieser Begriff passt auch für die Plymouth Colony, da die freemen den General Court wählten, der seinerseits den Gouverneur und andere Beamte wählte (Assistants, Constables und Messengers) und die Funktion eines Parlaments und Gerichtshofs ausübte. In beiden Kolonien gab es also bereits eine Gewaltenteilung.
Das common law spielte in der Tat eine Rolle, zweifellos in allen Kolonien. Ich hätte keinerlei Probleme, dies in der Textspende zu erwähnen. Das common law ist aber wegen seines schwierigen Systems der writs, die den Verlauf und den Ausgang eines Prozesses präjudizieren, nur von einem Juristen zu bewältigen. Ich weiß nicht, ob es in der Kolonie so viel juristischen Sachverstand gab. Wahrscheinlich wurde eine Reihe von Gerichtsurteilen (case law), die in England nach dem common law ergangen und die den Siedlern bekannt waren, übernommen. Die Sache wurde noch dadurch komplizierter, dass die Bibel als zweite Rechtsquelle herangezogen wurde. Der General Court musste also entscheiden, ob er in einem konkreten Rechtsfall dem common law oder der Bibel folgen sollte. Das common law und vermutlich auch das andere Phänomen, das du erwähnst, hatten Einfluss auf das Entstehen der demokratischen Strukturen in Neuengland, aber sie waren nicht ausschlaggebend. Denn diese Errungenschaften war allen Engländern bekannt, auch Anglikanern und Katholiken. Trotzdem waren nicht sie es, sondern die "Puritaner", die die kommunale Selbstverwaltung in die Praxis umsetzten, wobei gegen Ende des 17. Jahrhunderts schon größere Verwaltungseinheiten bestanden, vermutlich schon "counties" genannt. Plymouth Colony hatte 1691 etwa 7000 Einwohner. Es ging demnach bereits um die Verwaltung einer ganzen Region.
So viel zur Plymouth Colony. Noch einmal: Ihr habe ich die Anfänge der demokratischen Regierungsstrukturen in der Textspende zugeordnet. Bei Roger Williams und William Penn kommt die Glaubens- und Religionsfreiheit, das zentrale Menschenrecht nach dem Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit und (Bewegungs-)Freiheit, hinzu. Dazu habe ich schon mehrere Zitate beigebracht, und zwar nicht aus Publikationen von 1900.
Du kommst immer wieder auf "die Aufklärung" oder "Philosophen der Aufklärung" zurück, die deiner Ansicht nach für das Entstehen von Demokratie und Menschenrechten ausschlaggebend waren. Warum nennst du nicht endlich die Namen der Philosophen, an die du denkst? Streng genommen gab es "die" Aufklärung gar nicht. Das ist ein abstrahierender Sammelbegriff, der sich zwar nicht vermeiden lässt und der auch eine gewisse Berechtigung hat, weil alle diese Philosophen beispielsweise Verstand und Vernunft in den Mittelpunkt ihren Denkens stellten. Aber bei den uns beschäftigenden Fragen muss man differenzieren. John Locke war nicht Diderot, d'Alembert, de Lamettrie, Dietrich von Holbach oder Voltaire. Er war, soweit es seine Beurteilung von Christentum und Religion angeht, sehr stark der christlichen Theologie verbunden. Beispielsweise begründete er die Menschenrechte nicht philosophisch-naturrechtlich, sondern theologisch. Und sein Eintreten für Toleranz war vom englischen Täufertum beeinflusst. Seine Gedanken zur Demokratie saugte er sich ebenfalls nicht aus der Schreibfeder (s.u.). Es geht mir um die geistesgeschichtlichen Wurzeln der neuzeitlichen Demokratie und der Menschenrechte. Ich habe dazu schon eine ganze Reihe von Zitaten und anderen Belegen angeführt. Warum ignorierst du sie?
Ich rede keineswegs von anderen Menschenrechten als von denen, die in der Unabhängigkeitserklärung und der amerikanischen Bill of Rights stehen. "The political ideas in 1760 did not take their origins from congregational democracy or from revivalistic religion." Sicher nicht. Aber die "kirchengemeindliche Demokratie" (es gab sie also doch!), die revivalistic religion und die politischen Ideen von 1760 gehen auf dieselben Ursprünge zurück. Die Founding Fathers standen dem Deismus nahe, waren Deisten, Unitarier oder Agnostiker. (Im 18. Jahrhundert gab es in den Kolonien kongregationalistische Kirchengemeinden mit deistischer oder unitarischer Ausrichtung. Schon die Theologie von Cotton Mather (1663-1728) war eine Überleitung zum Deismus gewesen.) Für sie waren die "Puritaner" und die wiedergeborenen Amerikaner, die aus den Revivals hervorgingen, ein ebenso großes Gräuel wie für die meisten heutigen Intellektuellen innerhalb und außerhalb der USA. Deshalb beriefen sie sich auf Locke und Montesquieu. In deren Schriften lasen sie, verpackt in philosophische Sprache und auf einem hohen Abstraktionsniveau, was das Wesen der Demokratie ausmacht, nämlich die uneingeschränkte Volkssouveränität. Diese war jedoch schon in der Plymouth Colony praktiziert worden. (Darüber dass sowohl in der Plymouth Colony als auch in den neugegründeten Vereinigten Staaten nicht alle Personen aktives und passives Wahlrecht hatten, haben wir schon gesprochen.) Die Aufklärungsphilosophen entwickelten ihre Gedanken zu Demokratie und Menschenrechten nicht aus dem Nichts. Sie waren abhängig von den anthropologischen Weichenstellungen, die die Reformatoren und Teile des frühen Protestantismus, vor allem "Puritaner", Baptisten und Quäker, vorgenommen hatten.
Die katholische Kirche ist streng hierarchisch strukturiert. Die Päpste setzen Bischöfe und Erzbischöfe ein, von denen sie eine kleine Zahl zu Kardinälen ernennen, die nach dem Tod des jeweiligen Papstes aus ihrer Mitte einen neuen Pontifex wählen. Die Bischöfe weihen Priester. Alle Laien, auch die mächtigsten und reichsten, Fürsten, Könige und Kaiser, sind von den das Heil vermittelnden Priestern abhängig. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit wurde diese Kluft zwischen Geistlichen und Laien als weitaus stärker empfunden, als dies die meisten Katholiken heute tun. Es war eine geistliche und kulturelle Revolution sondergleichen mit weitreichenden Konsequenzen, als Luther diese Kluft beseitigte und stattdessen vom "allgemeinen Priestertum aller Gläubigen" sprach ("Denn weil wir alle gleich Priester sind ..." - In: An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung; 1520). Dies bedeutete für die Laien und die von ihnen geleistete weltliche Arbeit eine ungeheure Aufwertung. Die Kongregationalisten haben das allgemeine Priestertum aller Gläubigen konsequent umgesetzt. Geistliche und Laien sind einander gleichgestellt. Jeder darf in den Gemeindeversammlungen das Wort ergreifen. In Neuengland, wo es keinen Landadel und keinen Hochadel gab und der König de facto keine Macht ausübte, konnten die Kongregationalisten diese Gleichheit auch in allen weltlichen Bezügen verwirklichen. Selbst ihre "Außenpolitik", d.h. ihr Verhältnis zu den Ureinwohnern und zu anderen englischen Kolonien, und ihre "Sicherheitspolitik" bestimmten und organisierten sie auf eigene Faust. In England gab es zwar ein House of Commons, aber es konnte die Politik nicht allein bestimmen; es musste die Macht mit einem absolutistischen König und dem nicht gewählten Oberhaus teilen. Deshalb war die Volkssouveränität sehr eingeschränkt. Diese Tatsache war auch für die Founding Fathers ein außerordentliches Ärgernis und einer der wichtigsten Gründe für die Erklärung der Unabhängigkeit.
Luther schrieb 1523, die christlichen Gemeinden hätten das Recht, ihre Pfarrer und andere Lehrer selbst zu wählen (!) und gegebenenfalls wieder abzusetzen ("Denn das kann Niemand leugnen, daß ein jeglicher Christ Gottes Wort hat und von Gott gelehrt und gesalbet ist zum Priester. (...) Die Gemeine, die das Evangelion hat, möge und solle unter sich selbst erwählen und berufen, der an ihrer Statt das Wort lehre." In: "Daß eine christliche Versammlung oder Gemeine Recht und Macht habe, alle Lehre zu beurteilen und Lehrer zu berufen, ein- und abzusetzen: Grund und Ursach aus der Schrift.") Das ist die Grundlage für eine demokratische Struktur der Kirchengemeinden. (Zwei Jahre später griffen die "Zwölf Artikel" süddeutscher Bauern diese Forderung auf. Ihr Flugblatt gilt unter Historikern als die erste Dokumentation von Menschenrechten; siehe die englisch- und deutschsprachigen Wikipedia-Artikel.) Unter anderem wegen der gefährlichen politischen Lage - Bedrohung der Evangelischen durch die katholischen Mächte unter Führung Kaiser Karls V. - konnte dieser Gedanke aber nicht umgesetzt werden. (Die ersten dieser Angriffe erfolgten noch zu Luthers Lebzeiten im Klevischen Krieg (1543) und im Schmalkaldischen Krieg (1546/47).) Luther musste deshalb als provisorische Notmaßnahme, wie er dachte, die evangelischen Landesherren bitten, alle organisatorischen Fragen, die die evangelischen Gemeinden betrafen ("Visitation", Ausbildung der Pfarrer, Vereinheitlichung der Lehre usw.), zu übernehmen. Die Landesherren wollten auf diesen Machtzuwachs später jedoch nicht mehr verzichten. Deshalb endete das "landesherrliche Kirchenregiment" erst 1918. In Skandinavien bildeten sich im 16. Jahrhundert lutherische Staatskirchen (K. Heussi, a.a.O., S. 315 f). Aus diesen Gründen konnte sich im europäischen Luthertum die demokratische Struktur der Kirche erst ab dem späten 19. Jahrhundert allmählich durchsetzen. In Deutschland wurden zunächst von den Gemeindegliedern gewählte Kirchengemeinderäte geschaffen, nach 1918 auch Synoden als Führungsgremien. In den nordamerikanischen Kolonien organisierten sich die Lutheraner sehr bald nach dem Presbyterial- und Synodalmodell der calvinistisch geprägten Kirchen.
Calvin führte in seiner Kirchenordnung (1541) nach neutestamentlichem Vorbild das Amt des Ältesten ein. Die Kirchenältesten (Presbyter) werden von den Gemeindegliedern gewählt. Die Hugenotten, eine verfolgte Minderheitskirche, fügten dem Presbyterial- das Synodalsystem hinzu, sowohl auf regionaler und als auch auf nationaler Ebene. Die Synodalen wurden von den Gemeindegliedern, die sie vertraten, gewählt. Somit hatte die Kirche ihre eigenen, demokratisch gewählten Leitungsgremien und war vom Staat völlig unabhängig. Die Trennung von Kirche und Staat wurde bei ihnen schon im 16. Jahrhundert vollzogen. Dieses Prinzip war demnach keine Erfindung der Aufklärungsphilosophen. Die Reformierten am Niederrhein, in den Niederlanden und in Osteuropa sowie die Presbyterianer in Schottland, England und Amerika übernahmen diese Kirchenverfassung. Bei Letzteren spielen die Presbyter eine zentrale Rolle (K. Heussi, a.a.O., S.325). Auch die Kongregationalisten haben dieses Amt. Einer der Führer der Pilgerväter war "church elder William Brewster" (Wikipedia English: Plymouth Colony, p. 3).
Das ist der geistesgeschichtliche Hindergrund für das Entstehen der neuzeitlichen Demokratie und der Menschenrechte. Über Luthers Einstellung zur Religionsfreiheit habe ich ein längeres Zitat des renommierten Kirchenhistorikers Heinrich Bornkamm den Einzelbelegen hinzugefügt. Warum nimmst du es nicht zur Kenntnis?
"Die Reformation hat auf nahe Sicht die Intoleranz, auf weite Sicht die Toleranz gefördert. (...) Aus der Pflicht der Obrigkeit, Zwietracht und Aufruhr zu verhindern, folgt, daß sie in ihrem Territorium nur eine Art Gottesdienst und das Hervortreten nur einer religiösen Überzeugung gestatten kann. Aus der Verantwortung der Obrigkeit für das Seelenheil ihrer Untertanen ergibt sich, daß sie sie zum sonntäglichen Gottesdienst nötigt. Andersgläubige durften auswandern (kurfürstliche Instruktion zur Visitation von 1527). Doch ließen es die Lutheraner geschehen, daß Katholiken (die von ihnen niemals für Häretriker gehalten und nirgends hingerichtet worden sind), sofern sie sich still verhielten, in ihrem Territorium blieben. Das privilegium emigrandi war ein damals als Wohltat empfundener Fortschritt; hier liegt eine der Wurzeln der neueren Religionsfreiheit" (K. Heussi, a.a.O., S. 316). (In Frankreich war den Hugenotten das Auswandern unter Androhung der Galeeren- oder Todesstrafe verboten.) Auch die Täufer pochten auf die Anerkennung der Glaubens- und Gewissensfreiheit durch Lutheraner, Calvinisten und Katholiken. Trotz bitterer Verfolgung hielten sie an dieser Forderung fest. Die Baptisten traten auch in dieser Hinsicht Anfang des 17. Jahrhunderts das Erbe der Täufer an. "John Smyth, Thomas Helwys, and John Murton were co-founders of the Baptist faith in Britain, and produced a rich literature in advocacy of liberty of conscience" (Wikipedia English: Roger Williams, p. 4). Zudem waren Roger Williams und William Penn insofern ihrer Zeit weit voraus, als sie ein Ende der Sklaverei, ein weiteres elementares Menschenrecht, forderten. In Rhode Island wurde die Sklaverei Mitte der fünfziger Jahre des 17. Jahrhunderts verboten.
Demokratie und Menschenrechte wurzeln im reformatorischen Menschenbild, nicht im Naturrecht, zumal dieses eine höchst problematische Angelegenheit ist. Denn die Natur des Menschen ist alles andere als eindeutig. Deshalb lässt sich aus der "Natur" als Naturrecht nur das herauslesen, was man zuvor als angeblich natürliche Seinsordnung oder angeblichen Ur- oder Idealzustand in sie hineingetragen hat. Im 18. Jahrhundert (Aufklärung!) erschien fast jedes Jahr ein neues Buch, in dem der Autor seine eigene Version des Naturrechts darlegte. " 'Im Laufe der neueren Zeit hat man den fürstlichen Absolutismus so gut wie die unmittelbare Demokratie, das jus majestatis so gut wie das jus revolutionis, das Recht auf Arbeit wie das Recht auf Zinsgenuß, den Individualismus wie den Kollektivismus, den Krieg wie den Frieden auf einen den Naturgesetzen entsprechenden Ur- oder auch Idealzustand begründet. So birgt die Naturrechtslehre in sich unvereinbare Widersprüche. Sie kann im guten Sinne gebraucht wie im bösen mißbraucht werden, je nachdem es der zugrunde gelegte, schillernde Begriff der "Natur" erlaubt.' ERIK WOLF macht mit Recht darauf aufmerksam, daß ein auf die Vernunft sich stützendes Naturrecht nicht in der Lage sei, Einheitlichkeit zu begründen und eine sichere Grundlage für das Recht zu bieten" (Helmut Thielicke, Theologische Ethik, Band I, 2. Aufl. (1958), S. 657)). Beispielsweise kommt ein Marxist ("Diktatur des Proletariats") zu einem völlig anderen Naturrecht als der Sozialdarwinist ("Recht des Stärkeren"). Es ist bezeichnend, dass die "Erklärung der Rechte von Virginia" und die Unabhängigkeitserklärung, an deren Ausarbeitung Jefferson beide Male maßgeblich beteiligt war, zu denselben Menschenrechten gelangen, obwohl das eine Dokument sie naturrechtlich-aufklärerisch-philosophisch herleitet und das andere theologisch. Das in der "Erklärung der Rechte von Virginia" vorausgesetzte Naturrecht kommt jedoch nur deshalb zu denselben Ergebnissen wie das biblisch fundierte, weil sich der dort verwendete Naturbegriff unter der Hand an dem biblischen Gottes- und Menschenbild orientiert. Die Menschenrechte stammen aus dem biblischen Denken. Gemäß der Unabhängigkeitserklärung verleiht "der Schöpfer" diese unveräußerlichen Rechte, zu denen "Leben, Freiheit und das Streben nach Glück" gehören, seinem Geschöpf, dem Menschen, und zwar jedem Einzelnen. Auch das Recht, sich vom englischen König, der sich als von "Gottes Gnaden" in sein Amt eingesetzt verstand, zu trennen und in Zukunft das politische Leben in einer demokratischen Republik selbst zu bestimmen, empfangen die Menschen, so die Erklärung, aus der Hand ihres Schöpfers. Diese Position konnten 1776 die Mitglieder aller reformatorischen Denominationen in Neuengland, Katholiken, sofern sie die Religionsfreiheit akzeptierten, Orthodoxe und Juden akzeptieren. Auch Jefferson und die anderen Revolutionäre konnten diesen Formulierungen zustimmen. Die überwältigende Mehrheit der amerikanischen Bürger gehörte 1776 einer protestantischen Kirche an, und die meisten waren sehr konservativ ("revivalist religion"). Die Founding Fathers brauchten jedoch die Zustimmung dieser Menschen, auch wenn sie deren Religion für hinterwäldlerisch hielten. Ein paar Dutzend Menschen können, auch wenn sie noch so gescheit und aufgeklärt sind, keine Revolution dieses Ausmaßes erfolgreich zu Ende führen. Die wiedergeborenen Christen waren mit der Unabhängigkeitserklärung, der Verfassung und der Bill of Rights deshalb einverstanden, weil es in den Kolonien seit dem frühen 17. Jahrhundert die Tradition der "congregational democracy" und der Trennung von Kirche und Staat gab, wenn auch teilweise mit einigem Auf und Ab. Die Väter der amerikanischen Revolution brauchten ihre Landsleute noch aus einem anderen Grund oder, genauer, zu einem anderen Zweck, als Soldaten in den Schlachten, die nach der Loslösung von England gegen die englischen Heere geschlagen werden mussten. Hätten die Engländer gesiegt und wären Jefferson, Madison, Washington und die anderen Revolutionsführer in Gefangenschaft geraten, wären sie wegen Hochverrats hingerichtet worden.
Noch einige Sätze zu den Entwicklungen in der Zeit zwischen 1620 und 1776. Auf die religiöse Begeisterung der Zeit nach 1620 folgte in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts weithin in den Kolonien Neuenglands ein religiöser Niedergang. Es gab viel zu wenige Geistliche, und die meisten von denen, die ihren Dienst versahen, waren schlecht ausgebildet. Eine starke Wiederbelebung ("Revivals") des religiösen Leben in allen reformatorischen Denominationen erfolgte ab etwa 1734 durch die unermüdliche Predigttätigkeit von Jonathan Edwards (1703-58) und vor allem durch die Erweckungspredigten des Mitbegründers der Methodistenkirche George Whitefield (1714-70). Die Gemeinden wuchsen rasch, besonders bei den Baptisten. In dieser geistlich außerordentlich regen Zeit ereignete sich die amerikanische Revolution.
"Vor 1776 gewährte von den nordamerikanischen Kolonien eine einzige, Pennsylvania, allen christlichen Bekenntnissen, auch dem Katholizismus, volle Religionsfreiheit. In Maryland und Rhode Island war dem Katholizismus die Religionsfreiheit wieder entzogen worden; nicht einmal die protestantischen Denominationen genossen in allen Kolonien die gleiche Freiheit. So haben zwar die independistisch-baptistischen Parteien des 17. Jahrhunderts zuerst die Forderung der Religionsfreiheit erhoben, aber erst das Eindringen der Aufklärungsideen und die Begeisterung des Unabhängigkeitskampfes, der protestantische und katholische Bürger zu einem Gesamtstaat zusammnenschmolz, haben die Forderungen verwirklicht. 1776 erließen die meisten nordamerikanischen Einzelstaaten die Erklärung der Rechte (bill of rights), worin die Religionsfreiheit als eines der angeborenen, unveräußerlichen Rechte jedes Menschen bezeichnet war. Die erste dieser Erklärungen ging von Virginia aus, wo vornehmlich Thomas Jefferson, ein entschiedener Anhänger der Aufklärung, die Religionsfreiheit durchsetzte. 1791 wurde die Religionsfreiheit in die Verfassung der Union aufgenommen; auch an dieser Maßregel hatte Jefferson Anteil" (K. Heussi, a.a.O., S. 425 f).
Die Aufklärung spielte also durchaus eine Rolle im komplizierten und langwierigen Entstehungsprozess von Demokratie und Menschenrechten. Das habe ich nie geleugnet. Entgegen der landläufigen Meinung war die Aufklärung jedoch alles andere als eine einheitlich atheistische, kirchen- und religionsfeindliche Bewegung. Diese extreme Form nahm sie nur in Frankreich an. Einer der Hauptgründe für diese Radikalisierung war, dass in Frankreich die katholische Kirche und das Ancien Régime jahrhundertelang außerordentlich eng miteinander verwoben gewesen waren. Insbesondere Voltaire geißelte Klerikalismus und Intoleranz. In England, wo die Aufklärung zuerst einsetzte, und in Deutschland war die Einstellung der Aufklärungsphilosophen zu Christentum und Religion weitaus gemäßigter (Karl Heussi, a.a.O., S. 396 ff). Das gilt auch und gerade für John Locke (1632-1704).
Beide Eltern Lockes waren Puritaner (Wikipedia (English): John Locke). Von klein auf war er deshalb aufs beste mit reformatorischer Frömmigfkeit, Lebensführung und Theologie vertraut. Er kannte die demokratischen Strukturen in den Kirchengemeinden der Kongregationalisten, Baptisten, Presbyterianer und Quäker. Er kannte den Mayflower Compact und die Schriften, die prominente Kolonisten der Plymouth Colony, der Massachusetts Bay Colony und von Rhode Island, veröffentlicht hatten, z.B. Roger Williams: The Bloody Tenent of Persecution for Cause of Conscience (1644), ein leidenschaftliches Plädoyer für Glaubens- und Gewissensfreiheit (Wikipedia English: Roger Williams). Locke kannte den Verfassungsentwurf der von Oliver Cromwell angeführten Independenten (Kongregationalisten) von 1647, der machtvoll die Freiheitsrechte des Einzelnen betont. Diese Kenntnisse und Einflüsse verarbeitete Locke in seinem Denken. Sein "(zweiter) 'Treatise on Government' (1690) ist zur Grundlage der parlamentarischen Demokratie und vieler Ideen der französischen Revolution geworden" (D. Henrich: Locke, John. In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Band IV (1960), Sp. 426). Auch die Führer der amerikanischen Revolution profitierten von diesen Gedanken. Die nordamerikanischen Kolonien hatten seit dem frühen 17. Jahrhundert den Beweis erbracht, dass ein auf umfassender Volkssouveränität beruhendes Gemeinwesen stabil, lebens- und entwicklungsfähig ist. Mit scharfem Intellekt erkannte Locke, dass die Demokratie die Staatsform der Zukunft sein wird.
Als wie neu und fremdartig die republikanische Demokratie der Vereinigten Staaten noch 1835 auf europäische Gelehrte wirkte, lässt Alexis de Tocquevilles Buch "De la démocratie en Amérique" erkennen. Die Tatsache, dass für die Amerikaner die Demokratie "eine Sache des Herzens" war und sämfliche Bereiche des Lebens regierte - Kirchen und Staat, die Bildungseinrichtungen, das Verhältnis der Geschlechter, die Arbeitswelt usw. - brachte Tocqueville zum Staunen. Die damals trotz Aufklärung und Französischer Revolution in Europa wie eh und je bestehende Staatsform der Monarchie war, das spürte er, hoffnungslos rückständig und obsolet. Auf Tocqueville habe ich bereits früher hingewiesen. Aber auch das beliebst du zu ignorieren.
In seinen theologischen Schriften vereint Locke "mit einer entschieden rationalistischen, den Deismus anbahnenden Betrachtungsweise einen maßvollen, am Dogma, an den Wundern und an der (Verbal-)Inspiration festhaltenden Supranaturalismus. Zugleich war Locke einer der einflußreichsten literarischen Vorkämpfer der Toleranz; die katholische Kirche und den Atheismus nimmt Locke von der Duldung aus. Entsprechend der positiv-gläubigen Stellung Lockes zur Religion ist seine Forderung der Toleranz durchaus religiös begründet; sie steht unter der Einwirkung des englischen Täufertums. ("Letters on toleration", 1689-92; The reasonableness of Christianity", 1695, u.a)" (Karl Heussi, a.a.O., S. 398; so auch D. Henrich, a.a.O., Sp. 425 f).
Locke nimmt den Atheismus von der Duldung durch den Staat aus. Damit lehnt er auch alle atheistischen Formen der Aufklärung ab. Dass er auch den Katholizismus nicht toleriert sehen möchte, ist dem Verhalten der katholischen Kirche in den harten konfessionellen Auseinandersetzungen im 16. und 17. Jahrhundert geschuldet. Im Deutschen Reich tobte der Dreißigjährige Krieg. Zu Lockes Lebzeiten war es nicht sicher, ob der Westfälische Friede halten würde, da die katholische Kirche ihn ablehnte. Die Kurie wollte, dass der Krieg so lange weitergehen sollte, bis die Evangelischen militärisch besiegt waren, um eine umfassende Rekatholisierung einleiten zu können. In Frankreich wurden die Hugenotten erbarmungslos verfolgt. In Spanien, wo die Inquisition Teil des Staatsapparats war, und Portugal sowie ihren Kolonien brannten die Autodafés zu Tausenden. Opfer waren Juden, Muslime, "Lutheranos", Indios und indische Christen (port. Kolonie Goa) (Wikipedia: Inquisition). (Was wäre Anne Hutchinson wohl in einer spanischen Kolonie passiert?) Locke war Zeuge der Anstrengungen von Karl I., Karl II. und Jakob II., in England und Schottland gegen den Willen der großen Mehrheit des Volkes den Katholizismus wieder als Staatsreligion einzuführen. Damit wäre auch die Inquisition zurückgekehrt. Giordano Bruno war 1600 verbrannt und Galilei 1633 zum Widerruf gezwungen worden. Lockes philosophisches und theologisches Denken war so weit vom katholischen Standpunkt entfernt, dass ihm ebenfalls Widerruf oder Schlimmeres gedroht hätte. Locke war der Auffasssung, dass die katholische Kirche sein zentrales Anliegen, die Freiheit des Einzelnen, verhindert. Deshalb keine Toleranz gegenüber der Intoleranz. Im protestantischen, relativ freiheitlichen England mussten Locke und Seinesgleichen keine Folter und Hinrichtung fürchten. Deshalb begrüßte er die Glorious Revolution und die Parlamentsentscheidung, dass alle zukünftigen britischen Monarchen Mitglieder der anglikanischen Kirche zu sein hatten. Eine weitere Errungenschaft dieser Revolution war die 1694 eingeführte Pressefreiheit, ohne die ein freiheitlicher Rechtsstaat nicht entstehen und erhalten werden kann.
An Locke, aber etwa auch an Kant zeigt sich, wie sehr die Aufklärungsphilosophen Kinder ihrer Zeit waren. Sie griffen geistige und politische Tendenzen, die durch die Reformation und Teile des frühen Protestantismus geschaffen worden waren, auf, teils ihnen widersprechend, teils sie bejahend und verstärkend. Auch die Gewaltenteilung hatten die Plymouth Colony und die Massachusetts Colony vorweggenommen, wie oben dargelegt wurde. Locke war durch eine Untersuchung des Zusammenwirkens der englischen Regierungsorgane auf die Trennung von Legislative und Exekutive gekommen. Montesquieu fügte als drittes Verfassungsorgan die Judikative hinzu, die er bei seinen Aufenthalten in England ebenfalls aus einer Analyse der dortigen politischen Struktur ableitete.
Es war dieser John Locke, dessen Denken auf Thomas Jefferson und die anderen Führer der amerikanischen Revolution starken Einfluss gewann. Sie konnten ihre Landsleute für ihre Ideen von Demokratie und Menschenrechten vor allem deshalb gewinnen, weil beides schon seit Anfang des 17. Jahrhunderts das Leben in den Kolonien mehr oder weniger stark geprägt hatte, am eindeutigsten in dem flächenmäßig großen Pennsylvania . Es war nichts Neuartiges oder Fremdes, zu dem Jefferson und Co. sie hätten überreden müssen.
Ein weiteres Indiz dafür, dass die Aufklärung nicht die eigentliche Geburtsstunde von Demokratie und Menschenrechten war, ist die Tatsache, dass beide zuerst in Amerika verwirklicht wurden. Im 17. und 18. Jahrhundert hatte Amerika keine eigenständigen philosophischen Denker von Rang. Man übernahm die Ideen, die in Europa entstanden waren. Alle Aufklärungsphilosophen waren Europäer. Deshalb hätten dort Demokratie und Menschenrechte zuerst praktiziert werden müssen. Der alte Kontinent tat sich jedoch mit beiden außerordentlich schwer. Spanien und Portugal übernahmen sie erst in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Es ist ein himmelweiter Unterschied, ob man etwas Wichtiges nur als theoretische Forderung denkt oder ob man sie tatsächlich im konkreten Leben gegen starke Widerstände durch- und umsetzt.
"Der egalitäre Universalismus, aus dem die Ideen von Freiheit und solidarischem Zusammenleben, von autonomer Lebensführung und Emanzipation, von individueller Gewissensmoral, Menschenrechten und Demokratie entsprungen sind, ist unmittelbar ein Erbe der jüdischen Grechtigkeits- und der christlichen Liebesethik" (Wikipedia: Jürgen Habermas). Jürgen Habermas, der sich selbst als religiös völlig unbegabt bezeichnet, hat keinen Grund, die biblische Tradition für etwas zu loben, was ihr nicht zusteht. Aber es ist für ihn eine Sache der intellektuellen Redlichkeit, geschichtliche Tatsachen anzuerkennen und sie nicht aus ideolgischen Gründen zu verschweigen oder als Bagatelle abzutun. - Gruß M. W. (nicht signierter Beitrag von Martin Wolfangel (Diskussion | Beiträge) 16:30, 25. Aug. 2010 (CEST)) [Beantworten]

Deine Beiträge werden ja nicht gerade kürzer, im Gegenteil - das kann man beim besten Willen nicht alles beantworten. Zumal vieles davon auch gar nicht einschlägig zum hiesigen Thema und Lemma ist, sondern ein doch recht wildes wie weitschweifiges Sammelsurium von Faktoiden von Ronsard bis Habermas, die diese deine dir unbenommene Weltsicht stützen; und so einiges andere ignorieren. Also, nochmal ganz von vorne: die Kernaussage deines Textes hast du immerhin mal in einen Satz packen könne, nämlich:

„Die in die nordamerikanischen Kolonien ausgewanderten Kongregationalisten schufen mit ihrer kommunalen Selbstverwaltung die Anfänge der neuzeitlichen Demokratie und legten zusammen mit Baptisten, Quäkern und Presbyterianern den Grundstein zur Entstehung der Menschenrechte.“

Das ist, pardon, immer noch vollkommen abwegig und wird so auch von keinem Historiker, Ideengeschichtler oder gar Theologen vertreten. Wie ich bereits mehrfach schrieb, hat die Reformation, besonders auch die englische, natürlich und selbstverständlich _Anteil_ an diesen Entwicklungen, oft übrigens wider ihre eigentliche Intention, aber weder ausschließlichen noch dominierenden. Versuch doch mal bitte, deine Thesen in etwas weniger randständigen Lemmata als diesem unterzubringen, etwa in Demokratie, Menschenrechte oder auch Aufklärung, dann werden dir sicherlich noch andere Benutzer darlegen, dass das nicht haltbar ist. --Janneman 23:13, 25. Aug. 2010 (CEST)[Beantworten]


Janneman, du fällst in deinen alten arroganten Ton zurück. Weil du keine Argumente beibringen kannst, wirst du beleidigend. Du überfliegst meine Diskussionsbeiträge und haust dann aus dem Handgelenk einige Sätze ins Internet. Du machst dir nicht einmal die Mühe, wenigstens deine dicksten Rechtschreib- und Zeichenfehler auszumerzen. Du gehst auf keines meiner Argumente, Zitate oder keinen meiner anderen Einzelbelege ein. Du hast deine vorgefasste Meinung, und dabei bleibst du. Das ist deine Vorstellung von Wissenschaftlichkeit. Du machst es dir sehr, sehr einfach. Du deutest nicht einmal ansatzweise an, wie deiner Ansicht nach die amerikanische Demokratie entstanden ist und welche Wurzeln die Menschenrechte in der Neuzeit haben. Nur Behauptungen und Diffamierungen, kein Beleg, nichts. ich habe dich mehrfach aufgefordert, deine Ansicht von der Entstehung der neuzeitlichen Demokratie und der Menschenrechte darzulegen. Du weigerst dich, das zu tun. Das lässt nur den Schluss zu, dass es diese Position, die von der von mir vertretenen angeblich grundlegend verschieden ist, entweder nicht gibt, oder sie steht auf so wackeligen Beinen, das man sie ohne große Mühe umstoßen kann. Es ist sinnlos, mit dir diskutieren zu wollen.
Eines lasse ich aber nicht unwidersprochen: deine haltlose Behauptung, kein Theologe vertrete meine "vollkommen abwegige" "Weltsicht". Offenkundig sind Theologie und Kirchengeschichte nicht deine starken Seiten. Hier noch einmal einige Zitate. "Der Ursprung der Pilgerväter liegt in dem Bestreben des Kongregationalismus, dem Gehorsam gegen Jesus Christus als dem unmittelbaren Herrn seiner Gemeinde institutionellen Ausdruck zu geben. Dies führt zur Theokratie, in der sich die religiösen Motive (alttestamentlicher Bundesgedanke) zur politischen Form der Demokratie verdichten. Während dies in England nicht zu verwirklichen war, bot Nordamerika den so eingestellten Gemeinden (seit 1590 in Gainsborough, Scrooby, Austerfield) trotz der Abhängigkeit von der britischen Krone eine Möglichkeit dazu. Die Pilgerväter verließen seit etwa 1598 England, wandten sich zunächst nach Leiden, 1620 in dem Schiff "Mayflower" nach Massachusetts (Boston und Plymouth) in Nordamerika, nachdem sie am 19.6.1619 durch die London Virginia Company die Niederlassungserlaubnis vom König erhalten hatten. Ihre geschichtliche Bedeutung beruht darin, daß sie das christliche Verständnis der Demokratie als der gottgemäßen Staatsform für das nordamerikanische Bewußtsein gültig und bleibend ausgesprochen haben." Das schrieb M. Schmidt, Ordinarius für Kirchengeschichte an der U. Mainz, zum Stichwort Pilgerväter im 5. Band von Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl. (1961), Sp. 384. Ich halte fest: Der Theologe M. Schmidt redet im Zusammenhang mit den ersten amerikanischen Kongregationalisten vom "christlichen Verständnis der Demokratie als der gottgemäßen Staatsform". - Zum Thema Menschenrechte. "(...) Den Anstoß gibt das Christentum mit seinen Lehren von menschlicher Größe, Sünde und Erlösung, schlechthin von der Verantwortung jedes Menschen vor Gott. (... Boethius ...Mittelalterliche Denker ...Thomas von Aquin ... Nominalismus ...). Zunächst sind es nur die Stände, welche sich durch Vertrag mit dem Monarchen eine Freiheitssphäre verbürgen lassen. Ein solcher Vertrag ist zB die Magna Charta Libertatum (1215), in der die englischen Barone dem König Johann ohne Land gewisse Freiheiten abtrotzen (zB Schutz gegen willkürliche Inhaftierung). Es handelt sich noch nicht um Rechte aller Menschen, sondern um vertraglich eingeräumte Standesprivilegien. Diese Vorgänge bestärken aber die bereits wirksame rationalistische These vom Staats- und Unterwerfungsvertrag, unter dem alle Menschen zum Landesherrn stehen sollen. Wo bereits ein Parlament dem Monarchen entgegentritt, drängt die politische Entwicklung zur verfassungsrechtlichen Regelung einzelner Grundfreiheiten aller Bürger. Im Jahr 1628 nötigt das englische Parlament König Karl I. zur Bewilligung der Petition of Rights, die sich vornehmlich gegen Verhaftungen von Personen wendet, welche sich den königlichen Zwangsanleihen widersetzt haben. Nach dem Eindringen reformatorischen Glaubensgutes tritt die Religionsfreiheit in den Vordergrund; aber auch die Gleichheit aller Menschen wird als Folge demokratischer Tendenzen bereits kraftvoll im Agreement of the People (1647), dem Verfassungsentwurf der Independenten (Cromwell) betont. Nachdem vorübergehend der König als Schützer der bürgerlichen Freiheit aufgetreten ist (Habeas-Corpus-Akte, 1679), legt das Parlament seine und einige Rechte der Untertanen in der Bill of Rights (1689) fest. Die weitere Entwicklung verlagert sich nach Nordamerika. Hier waren ihres Glaubens wegen verfolgte Puritaner, die auf der Überfahrt (Mayflower) den Pakt der Pilgerväter geschlossen hatten (1620), seßhaft geworden. Ihre Nachfahren verfassen 1776 die Virginische Erklärung der Rechte, die allen Bürgern 'as the basis and foundation of government' zustehen sollen, weil 'all men are by nature equally free and independent, and have certain inherent rights...' Dieselbe Überzeugung kommt in der von Th. Jefferson verfaßten Unabhängigkeitserklärung vom 4.7.1776 zum Ausdruck. Jefferson hält es für eine Wahrheit, die keines Beweises bedarf, daß alle Menschen vor ihrem Schöpfer gleich sind und daß er ihnen gewisse unveräußerliche Rechte verliehen hat. Gegenüber der altväterlichen Sprache der amerikanischen Verfassungen, denen noch theonomes Ideengut zugrunde liegt, strahlt die Déclaration des droits de l'homme et du citoyen vom 26.8.1789 den Geist der Aufklärung in Inhalt und Sprache aus.(...)" Dies stammt von dem Juristen W. Wertenbruch, der 1960 Privatdozent an der U. Köln war (Artikel Menschenrechte. In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Band IV, 3. Aufl., Sp. 869 f). - "In dem kleinen Gemeinwesen Rhode Island (1636), der Schöpfung des edlen Separatisten Roger Williams," entstand "die erste von Protestanten begründete Kolonie, die ihren Bewohnern Religionsfreiheit gewährleistete." William Penn unternahm 1682 das " 'heilige Experiment' der Gründung eines Staatswesens, (...), das auf rein demokratischer Verfassung und dem Grundsatz völliger Toleranz beruhte." So Karl Heussi, Ordinarius für Kirchengeschichte an der U. Jena (Kompendium der Kirchengeschichte, 11., verbesserte Auflage (1956), S. 387). - Das längere Zitat über Luthers Einstellung zur Toleranz von Heinrich Bornkamm ist eine der Belegstellen in meiner Textspende. Ich brauche sie hier nicht zu wiederholen. Heinrich Bornkamm, Bruder des Neutestamentlers Günther Bornkamm, war Ordinarius für Kirchengeschichte an der U. Heidelberg. - "Die wichtigste Bewegung während der Kolonialzeit in Amerika war die Große Erweckung (Great Awakening). Sie war Teil des religiösen Aufbruchs, der sich als Reaktion gegen den Rationalismus und Institutionalismus weithin in Europa bemerkbar machte. Als solche war sie nicht an die Grenze einer Kolonie oder Denomination gebunden. Sie begann unter dem holländisch-reformierten Einwanderer Th. J. Frelinghuysen um 1720 in New Jersey und verbreitete sich zunächst unter den Presbyterianern (...) und Kongregationalisten (besonders J. Edwards). Der Anglikaner Whitefield einigte die Bewegung durch seine Predigtreisen in den Kolonien. Die Bewegung rief neue Bekehrungen hervor, besonders unter den Dissenters, milderte den Einfluß der Aufklärung und führte zur Gründung von Schulen, zB des College von New Jersey und Dartmouth College. (...) In einigen Gebieten starb die Erweckungsbewegung bald wieder ab, doch hielt sich der Erweckungseifer ("revivalism") besonders unter den Baptisten und Methodisten im 19. Jahrhundert. Die Kolonisten waren bald ganz mit den Problemen, die zum Revolutionskrieg (1776-83) führten, in Anspruch genommen. Die nicht zur Staatskirche gehörenden Christen waren nicht nur unzufrieden mit den Steuergesetzen, sondern auch erregt wegen der Ernennung eines anglikanischen Bischofs, der politische und kirchliche Macht in sich vereinigte, und wegen der Quebec Akte (1774), die den Katholiken in dem weiten Gebiet nach Norden hin Sonderrechte einräumte.(...) Unter den Helden des Befreiungskampfes waren anglikanische Gemeindeglieder wie George Washington und angesehene Deisten wie Benjamin Franklin und Thomas Jefferson. Trotz heftigen Widerstandes (Samuel Seabury, 1783 anglikanischer Bischof in Connecticut) unterstützten die meisten Kolonisten das Anliegen der Revolution. (...) Durch die Verfassung von 1787 war die Nachfrage nach der Religionszugehörigkeit als Voraussetzung zur Übernahme politischer Ämter verboten. Die 1. Ergänzung zur Verfassung (1791) beruhte auf rationalistischen und evangelischen Voraussetzungen und verband die Glaubensfreiheit mit den Bürgerrechten." Diese Darstellung stammt von J.H. Smylie, Professor in Richmond (USA) (Vereinigte Staaten. Kirchengeschichte. - In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl. (1962), Band VI, Sp. 1279 f). Interessant ist unter anderem, dass die Führer der amerikanischen Revolution keineswegs ein und dieselbe weltanschaulich-religiöse Überzeugung hatten. Trotzdem zogen sie alle an einem Strang, soweit es sich um die Unabhängigkeitserklärung, die Verfassung und die Bill of Rights handelte.
Das also ist die "vollkommen abwegige" Weltsicht einiger Theologieprofessoren und eines Jura-Dozenten.
Die Formulierung, dass alle Menschen gleich seien und dass und alle das unveräußerliche Recht auf Freiheit hätten, stammt von Thomas Jefferson. Das hinderte ihn aber nicht daran, Sklavenhalter zu sein. Seine Sklaven bauten nach seinen Plänen das schlossähnliche Landgut Montecello und bewirtschafteten seine ausgedehnten Ländereien. Die Sklavenarbeit ermöglichte Jefferson das angenehme Leben eines Großgrundbesitzers, der sich seinen wissenschaftlichen Studien widmen konnte und mit Gleichgesinnten geistvolle Gespräche führte. Der mehr als hundert Jahre früher lebende fromme Baptist Roger Williams und der nicht minder fromme Quäker William Penn, die beide nicht nur Religionsfreiheit in ihren Kolonien gewährten, sondern aufgrund ihrer christlichen Überzeugung auch die Sklaverei vehement ablehnten, waren nicht nur glaubwürdiger, sondern auch moderner als der gefeierte Staatsmann Thomas Jefferson, ein dezidierter Anhänger der Aufklärung. Auch im 19. Jahrhundert waren es in erster Linie sowohl in England als auch in den USA engagierte Mitglieder reformatorischer Kirchen, die die Abschaffung der Sklaverei gegen erbitterten Widerstand durchsetzten. Die Details reiche ich gerne nach, falls sie dich interessieren.
Und noch ein Letztes. Ich kann die Weitschweifigkeit nicht lassen. Aber du zwingst mich dazu. Alexis de Tocqueville, den Politologen und Soziologen als einen der Großen in ihrem Fach schätzen, machte 1834 eine neunmonatige Studienreise durch die USA. Anschließend schrieb er sein zweibändiges Werk "De la démocratie en Amérique". Er war überzeugter Katholik. Warum bereiste er nicht die katholisch geprägten Länder Italien, Spanien, Brasilien, Argentinien oder Mexiko? Warum nicht Großbritannien, Deutschland oder Russland? Warum nicht China, Japan oder Indien mit ihrer jeweiligen jahrtausende alten Kultur? Warum analysierte er nicht das politische System Frankreichs? Die Antwort ist immer dieselbe. In diesen Ländern gab es 1834/35 trotz der Aufklärung entweder überhaupt keine Demokratie oder allenfalls schwache Ansätze dazu, am ausgeprägtesten noch in Großbritannien. Tocqueville wusste, dass die meisten amerikanischen Kolonien von Anfang an demokratisch verwaltet worden waren und dass es die Puritaner gewesen waren, die diese Strukturen geschaffen hatten.
Von einem Historiker oder Ideengeschichtler, der sich zu den Themen Entstehung der neuzeitlichen Demokratie und der Menschenrechte äußert und die Reformatoren und den Protestantismus allenfalls am Rande abhandelt, ist nicht viel zu halten. Er verkennt unter anderem, dass die Reformation der große Einschnitt in der Geschichte des Abendlands und der Menschheit war. Sie brach das Deutungsmonopol der gesamten Wirklichkeit, einschließlich von Gott und Mensch, das die katholische Kirche mehr als tausend Jahre lang im westlichen Teil des Abendlands gehabt und mit allen Mitteln verteidigt hatte. Das Entstehen evangelischer und anglikanischer Territorien und Staaten machte zudem dem katholischen Machtmonopol ein Ende und ermöglichte dadurch erst das Entstehen freiheitlicher Epochen wie etwa der Aufklärung.
Zurück zu dem jetzt vorliegenden deutschsprachigen Artikel zum Kongregationalismus. Er ist im Grund eine Unverschämtheit dem Benutzer gegenüber. Denn dieser hat das Recht, alle zu diesem Thema gehörenden wichtigen Fakten zu erfahren. Davon ist aber der besagte Artikel meilenweit entfernt. Der englischsprachige Wikipedia-Artikel (Congregational church) ist sehr viel ausführlicher. Ich zähle nur einige Passagen auf, die zu diesem Lemma unbedingt in ein anspruchsvolles Nachschlagewerk gehören, was Wikipedia ja sein will. "With their insistence on the independence of local bodies, they (scil. American Congregationalists) became important in many reform movements, including those for abolition of slavery, and women's suffrage" (p. 1). "The underground churches in England and exiles from Holland provided about 35 out of the 102 passengers on the Mayflower, which sailed from London in July 1620" (p. 2). "The Pilgrims sought to establish at Plymouth Colony a Christian fellowship like that which gathered around Jesus himself. Congregationalists include the Pilgrims of Plymouth, and the Puritans of Massachusetts Bay Colony, which were organized in union by the Cambridge Platform in 1648. These settlers had John Cotton as their most influential leader, beginning in 1633. Cotton's writings persuaded the Calvinist theologian John Owen to separate from the Presbyterian Chrurch. He became very influential in the development of Congregational theology and ideas of church government. Jonathan Edwards, considered by some to be the most important theologian produced in the United States, was also a Congregationalist. The history of Congregational churches in the United States is closely intertwined with that of American Presbyterianism. (...) Some of the first colleges and universities in America, including Harvard, Yale, Dartmouth, Williams, Bowdoin, Middlebury, and Amherst, all were founded by the Congregationalists, as were later Carleton, Grinnell, Oberlin and Pomona. (...) Some Congregational churches, especially in the older settlements of New England, gradually developed leanings toward Arminianism, Unitarianism, Deism, and transcendentalism " (p. 3). Das ist alles sehr wichtiges Material, das meiste davon ist auch in meiner Textspende enthalten. Den Hinweis auf das Engagement der Kongregationalisten in "vielen Reformbewegungen, einschließlich der zur Abschaffung der Sklaverei und für das Frauenwahlrecht" nehme ich mit Handkuss in meine Textspende auf. Dies zeigt, dass die Kongregationalisten sich nicht in ein frommes Schneckenhaus zurückzogen, sondern sich für Menschen- und Bürgerrechte einsetzten. Zudem fallen in dem Artikel wesentliche Stichwörter wie Pilgrim Fathers, Mayflower, Plymouth Colony, Massachusetts Bay Colony ("a representative democracy"), Jonathan Edwards, First Great Awakening, Arminianism, Deism, Unitarianism etc. Der Hinweis auf die Gründung von 11 Colleges oder Universitäten, darunter weltbekannte wie Harvard und Yale, macht deutlich, dass die amerikanischen Kongregationalisten größten Wert auf Bildung und Wissenschaft legten und schon allein in dieser Hinsicht einen ganz wesentlichen Beitzrag zum Aufstieg der Vereinigten Staaten zur Weltmacht leisteten. Der Benutzer von Wikipedia (English) kann alle diese Artikel anklicken und dort noch mehr Informationen einholen. Ich kann mit dem besten Willen nicht erkennen, weshalb die genannten Fakten zwar im englischsprachigen Wikipedia-Artiklel stehen dürfen, im deutschsprachigen aber verboten sein sollen.
Damit bin ich bei einem Punkt, der mich schon die ganze Zeit beschäftigt. Wer bist du eigentlich? Ich verstehe, dass du dein Pseudonym nicht lüften willst. Aber du solltest wenigstens zu erkennen geben, ob du ein Benutzer oder ein Mitarbeiter von Wikipedia bist, etwa der, der darüber entscheidet, ob meine Textspende akzepiert wird oder nicht. Ist Letzteres der Fall, appelliere ich an dich, diese Angelegenheit an gardenfriend oder einen anderen unvoreingenommenen Mitarbeiter von Wikipedia mit guten theologie- und kirchengeschichtlichen Kenntnissen abzugeben. Mit gardenfried habe ich bei einer anderen Textspende schon einmal sehr konstruktiv zusammengearbeitet. Zugleich appelliere ich an gardenfriend, diese Angelegenheit in die Hände zu nehmen. Der jetzige deutschsprachige Artikel über den Kongregationalismus ist erbärmlich und eine Schande für Wikipedia. - M.W. (nicht signierter Beitrag von Martin Wolfangel (Diskussion | Beiträge) 16:44, 15. Sep. 2010 (CEST)) [Beantworten]
du verfällst wieder in das Muster, selektiv Faktoide auszuwählen, die deine persönliche Geschichtsinterpretation stützen. Gut, das kann ich auch: „die Kongregationalisten“ haben sich gegen die Sklaverei gewandt? Genaugenommen war der Sklavenhandel eine der bedeutenderen Erwerbsquellen der Massachusetts Bay Colony, frag mal John Saffin. Und „die Kongregationalisten“ haben die Religionsfreiheit befördert? Wie verträgt sich das mit dem Umstand, dass die Kongregationalisten Connecticuts 1743 den Toleration Act und damit die Religionsfreiheit widerriefen, als das Great Awakening ihre Machtstellung bedrohte? Und die Frage Warum bereiste er nicht die katholisch geprägten Länder Italien, Spanien, Brasilien, Argentinien oder Mexiko? lässt sich ganz einfach beantworten: Tocqueville war nicht aus freien Stücken dorthin gekommen, sondern im Regierungsauftrag in den USA unterwegs, um das dortige Strafvollzugswesen zu begutachten. In Mexiko gab es „1834/35 trotz der Aufklärung entweder überhaupt keine Demokratie oder allenfalls schwache Ansätze dazu“? Nu, immerhin hatten die bösen katholischen Mexikaner damals schon die Sklaverei abgeschafft, im Gegensatz zu den durch und durch protestantischen Texanern, die darob gar einen Krieg begannen: Remember the Alamo. Dass Tocqueville den Puritanern eine große Rolle bei der Ausbildung der amnerikanischen Demokratie zumaß, ist richtig, aber diese Ansicht ist eben nur eine, und zwar keine, die heutzutage sonderlich schlagkräftig wäre: Tocqueville's emphasis on the Puritans as founders also challenges the dominant scholarly view on a more fundamental point. Most students of the American regime trace its origins to a philosophical rather than to a religious tradition. So stehts geschrieben in: Sanford Kessler: Tocqueville's Puritans: Christianity and the American Founding. In: The Journal of Politics (Cambridge University Press) 54:3, 1992. S. 778. Ganz besonders möchte ich dein Augenmerk auf die Worte dominant scholarly view lenken. Will sagen, und das schreibe ich nicht zum ersten Mal: es gibt neben deiner Version der Entstehung der amerikanischen Demokratie (oder des Fortschritts der Menschheitsgeschichte, was du da betreibst, fällt übrigens im weitesten Sinne unter das, was als Whig interpretation of history bezeichnet wird) noch andere, und die werden nunmal in den maßgeblichen Werken der Politologie und Geschichtsschreibung eher dominant gesetzt als das, was sich deine Ordinarii für Kirchengeschichte zusammenreimen. Du hingegen lässt all diese Facetten vollkommen unter den Tisch fallen (einen besonderen Animus scheinst ja gegen die Aufklärung zu hegen) und behauptest axiomatisch, „die Kongregationalisten“ und sonst niemand und auch ohne Abstriche hätten Demokratie und Menschenrechte erfunden. Deine Textspende krankt in anderen Worten an einer ungebührlichen Schwerpunktsetzung, die der des heutigen akademischen Diskurses vollkommen zuwiderläuft und wäre in dieser Form ein grober Verstoß gegen den WP:NPOV. --Janneman 14:08, 21. Sep. 2010 (CEST)[Beantworten]


Ich hab's mir denken können. Du erklärst einfach pauschal alles, was die von mir zitierten Kirchengeschichtler und ein Jurist geschrieben haben, zu "Faktoiden". Ohne jede Begründung. Das ist ebenso arrogant wie unsachgemäß, da unwissenschaftlich. Dass die von mir angeführten deutsch- und englischsprachigen Wikipedia-Artikel die Position der Kirchenhistoriker stützen, interessiert dich ebenfalls nicht. Und Tocqueville hat sich auch geirrt. Natürlich. Es zählt nur, was "philosophisch" ist. Das magere Zitat, das du anführst, ist wenigstens etwas vorsichtiger als das Zitat von neulich. Die Formulierung "rather than" deutet einen graduellen, keinen kategorialen Unterschied zwischen "religious" und "philosophical" an. Auch zu diesem Zitat gilt das, was ich schon zum anderen geschrieben habe.
Ich stelle fest: Du hast wieder nicht dargestellt, wie deiner Meinung nach die Entwicklung der politischen Institutionen in Neuengland zwischen 1620 und 1776 verlaufen sein soll. Du sagst auch nicht, was "philosophical" in diesem Zusammenhang bedeutet. Du weigerst dich erneut, die Aufklärungsphilosophen, die du im Auge hast, namentlich zu nennen.
Ich habe mindesterns schon viermal geschrieben, dass "die" Aufklärung selbstverständlich beim Entstehen des politischen Systems der USA eine wichtige Rolle spielte, aber eben nicht sie allein, wie du behauptest. Evangelische Theologie und Aufklärungsphilosophie sind ohnehin keine scharfen Gegensätze, jedenfalls soweit sie etwa Locke und die Deisten betraf. Nicht wenige Theologen waren einerseits sehr fromm, und andererseits vertraten sie energisch aufgeklärte Standpunkte. Zwei Beispiele sind Cotton Mather und ausgerechnet der Erweckungsprediger Jonathan Edwards. Das war zwischen Theologie und Philosophie ein Geben und Nehmen. Denn die Fragen, wie Verstand und Vernunft auf der einen Seite und Glauben auf der anderen verschieden sind und doch zusammenhängen, wurde längst vor der Aufklärung heftig diskutiert, auch und gerade in der Reformation. Auch in England, Schottland, den Niederlanden und Deutschland gab es diese "Übergänge" zwischen überkommener Glaubenslehre und Aufklärungsphilosophie. Alle Spielarten liberaler Theologie in den protestantischen Kirchen gehen auf die Auseinandersetzung zwischen reformatorischer Tradition und Aufklärungsphilosophie zurück.
Zur Rolle und Bedeutung der Kirchengeschichtsschreibung. Sie ist alles andere als das "Zusammenreimen von Faktoiden". Im 16. und 17. Jahrhundert - und in abnehmendem Maße auch in den folgenden 200 Jahren - bestimmten die zum Teil dramatischen und kriegerischen Auseinandersetzungen um religiöse Standpunkte nicht nur die Kirchengeschichte, sondern auch die Profangeschichte. Kirchengeschichtler haben das große Plus, dass sie sich selbst in den feinsten Verästelungen der Theologie auskennen, während nicht wenige Profanhistoriker religiöse Phänomene oft oberflächlich und klischeehaft darstellen, zumal dann, wenn sie selbst eine areligiöse oder antireligiöse Haltung einnehmen. Oder sie erklären religiöse Überzeugungen für weitgehend oder vollkommen irrelevant, wenn es sich um so "weltliche" Dinge handelt wie Staatsform, Menschenrechte, Wirtschaft, Wissenschaft und dergleichen. Das ist offenbbar auch deine Position. Dann aber kann es die Religionssoziologie gar nicht geben. Oder aber sie ist das Zusammenreimen von Faktoiden.

Wie stark der biblische Glaube die Menschen des 16. bis 18. Jahrhunderts prägte, wird zudem daran deutlich, dass viele der führenden Naturwissenschaftler dieser Zeit sich intensiv mit theologischen Fragen auseinandersetzten. Kopernikus und Gassendi waren rechtgläubige katholische Theologen. Galilei verstand sich als treuen Sohn seiner Kirche. Kepler war überzeugter evangelischer Christ, der seines Glaubens wegen Graz verlassen musste. Boyle, der Begründer der neuzeitlichen Chemie, verteidigte literarisch das Christentum gegen seine rationalistischen Kritiker. Newton verwandte zeitlebens mehr Zeit auf theologische als auf naturwissenschaftliche Studien. Um 1700 war die Ansicht weit verbreitet, die Naturwissenschaft sei eine besondere Art des Gottesdienstes: Die Naturforscher denken Gottes Schöpfungsgedanken nach. Und das sei nicht nur legitim, sondern entspreche Gottes Willen. Aber wie ich dich kenne, sind auch das ebenfalls bloße "Faktoide". - M.W. (nicht signierter Beitrag von Martin Wolfangel (Diskussion | Beiträge) 16:32, 6. Okt. 2010 (CEST)) [Beantworten]

Die Fortsetzung meiner Kontroverse mit Janneman findet sich auf der Diskussionsseite zum Artikel Demokratie. -- Martin Wolfangel (Diskussion) 14:49, 7. Mär. 2012 (CET)[Beantworten]