Diskussion:Sigurd Janssen

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Ansprache des Rektors Sigurd Janssen bei der Wiedereröffnung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg am 17. September 1945[Quelltext bearbeiten]

Exzellenz, verehrte Gäste, Kollegen, Kommilitonen!

Heute wird die Theologische Fakultät wieder eröffnet und damit die Universität. – Eine Tat des Friedens!

Mit uns vereinigen sich zahlreiche Gäste und Freunde der Universität, um dieses Ereignis zu würdigen. Ich habe die Ehre zu begrüßen: Sr. Exzellenz, Herrn General Schwartz, Chef des Gouvernements de Bade. Wir danken Sr. Exzellenz für die Ehre seines Besuches und für das Interesse, das er der Universität erweist. Wir danken ihm und der Militärregierung frür den Entschluß zur Wiedereröffnung der Universität. Frankreich und Deutschland und besonders das Land Baden sind Nachbarn, und gute Nachbarn sollen sich im Unglück helfen. Unter dem Kriegssturm, der über Europa hinbrauste, haben alle Völker gelitten. Wir haben volles Verständnis für die Leiden Frankreichs. Jetzt gilt es, dort wie hier, die Schäden zu heilen und den Geist der Völker zum Frieden zurückzuführen.

Die Kräfte, die die Universität mobilisieren kann, sind geistige. Wir bitten Sie, Exzellenz, und Ihre Mitarbeiter uns Vertrauen zu schenken. Die Universität ist gewillt mitzuarbeiten an einer Verständigung der Völker untereinander für eine neue europäische Gemeinschaft.

Wir begrüßen ferner Sr. Exzellenz den Hochwürdigsten Herrn Erzbischof Dr. Gröber in unserem Kreis und freuen uns, ihn nach so vielen Jahren wieder in unserer Mitte zu sehen als treuen Freund und Berater der Universität und als den Mann, auf den die ganze Bevölkerung von Stadt und Land in schweren Stunden vertrauensvoll hinblickt. – ...

Die Universität eröffnet diesmal ihre Pforten in ernster Stunde. Die letzten Jahrzehnte haben unsere Hochschule schwer mitgenommen. Aus der Verwirrtheit der Geister und aus den Trümmern der Gebäude blicken wir Menschen auf und kommen erst allmählich zur Besinnung über die Geschehnisse. – Heute wollen wir nicht klagen oder anklagen, sondern vorwärts schauen und für die Zukunft planen. Dabei müssen wir uns besinnen auf unsere alten und neuen Pflichten, die uns die Universität auferlegt:

Wir haben die Pflicht zur Wahrheit!

Bis vor kurzem waren unsere Sinne vernebelt durch Zensur und Propaganda. Offen wagten wenige mehr ihre Meinung zu sagen, und diejenigen, die es taten, wurden verfolgt. Der auf uns lastende Druck zerstörte jedes Gespräch und jede geistige Gemeinschaft. Jetzt sehnen wir uns heraus in eine reinere Atmosphäre, in der das freie Wort gilt und die Darlegung der Gründe, die den anderen überzeugen. Nur in einer solchen Atmosphäre der Wahrheit und Freiheit kann die Wissenschaft gedeihen und ihre Probleme lösen. Nur durch volle Wahrheit können wir Staat und Volk als Ärzte, Richter, Geistliche, Lehrer und Wissenschaftler aufrichtig beraten, ihnen dienen, und sie vor Irrtümern schützen.

Wir haben die Pflicht zum offenen Bekenntnis von Recht und Unrecht!

Wir sehnen uns heraus aus dem dumpfen Nebel der Verdächtigungen, Denunziationen und Erpressungen in die reine Luft des Rechtes mit einer wahren Klärung der Lage und dem Recht der Verteidigung. Wir setzen uns ein für die Freiheit der Persönlichkeit, der Religion und der Wissenschaft gegen die Übergriffe der Staatsgewalt und die Ansprüche politischer Parteien. Wir bekennen uns zu dem Recht, das im Laufe der Jahrtausende die Menschheit allmählich zur höheren Kultur und Gesittung erzogen hat.

Wir haben die Pflicht zur Gemeinschaft! ...

Wir haben die Pflicht, die Freiheit der Wissenschaft zu schützen! ...

Wir haben aber auch die Pflicht, die Freiheit unserer Arbeitsstätte, der Universität, zu schützen.

Seit der Gründung im Jahre 1460 verwaltet sich die Universität selbst. Durch das Vorschlagsrecht bei der Regierung wählte sie sich die sachlich geeigneten Gelehrten hinzu. Sowohl der Staat wie die Parteien oder andere, z.B. starke wirtschaftliche Interessengruppen haben immer wieder versucht, auf die Besetzung der Lehrstühle Einfluß zu gewinnen. Wir haben hier die Pflicht, die Freiheit der Universität zu verteidigen. Sie kann beraten, aber nicht abhängig werden von den Tagesschwankungen des parteipolitischen oder wirtschaftspolitischen Getriebes. Die Verfassung der deutschen Universitäten mit ihrer Selbständigkeit und Selbstverwaltung ist vom Ausland jeher als die beste Form der Universitätasorganisation anerkannt worden. Wir haben den Wunsch, sie mit allen Mitteln zu erhalten. Diese alte bewährte Verfassung der Universität wurde 1934 durch einen Machtspruch der letzten Regierung in ein autoritäres Regime umgewandelt.

Der Staat hatte damit ein Mittel zu Eingriffen aller Art in die Universität und in die Wissenschaft. Die Universität in Freiburg hat diese Diktatur seit 1934 bekämpft und von sich aus während des Einmarsches der Franzosen gestürzt und vorläufig die alte demokratische Verfassung wieder angenommen bis zur endgültigen Regelung der Frage. Sie hat weiter im Benehmen mit dem Ministerium alle Lehrstühle aus der Hochschule entfernt, die aus politischen oder anderen unwissenschaftlichen Gründen in den letzten Dezennien der Hochschule angegliedert wurden. Auch hier mußte die Freiheit der Wissenschaft wieder hergestellt werden.

Wir kommen zum Schluß. Ich wende mich an Euch, Ihr Kommilitonen:

Die Zeit und die Stunde ist ernst. Ihr beginnt zumeist Euer Studium und müßt Euch erst an die Freiheit der Universität und die Freiheit der Wissenschaft gewöhnen. Als Theologen übernehmt Ihr eine große Verantwortung in Eurer Lebensführung, aber auch als Studenten der Universität. Ihr seid unter vielen Tausenden von jungen Leuten, die gern studieren wollen, aber aus Platzmangel nicht zugelassen werden können, ausgewählt. Denkt täglich daran, daß die Gesichter von Tausenden vergebens durch die Fenster der Universität hereinschauen, hungrig nach geistiger Arbeit. Das Schicksal der Abgewiesenen verpflichtet Euch! Und nun fangt mit Eurem Studium an!

Aus: Max Bruecher: Freiburg im Breisgau 1945. Eine Dokumentation. Freiburg. Rombach Verlag 1980, Seite 148–153. ISBN 3-7930-0259-4

Auch in: J. Vincke: Hochschule und Wiederaufbau. Freiburger Universitätsreden. Neue Folge Heft 1. Freiburg, Alber Verlag 1948. Der Text weicht vom obigen etwas ab; zum Beispiel fehlt die Aussage, die Universität habe die Diktatur seit 1934 bekämpft.

Coranton 17:47, 11. Dez. 2010 (CET)Beantworten