Eisenbahnunfall von Leiferde

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Der Eisenbahnunfall von Leiferde war ein Gefahrgutunfall, bei dem am 17. November 2022 zwei Güterzüge auf der Bahnstrecke Berlin–Lehrte zusammenstießen, was deren mehrwöchige Sperrung zur Folge hatte.

Ausgangslage[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Güterzug DGS 90977 von Köln-Nippes nach Schwedt (Oder) fuhr auf dem Gleis Richtung Berlin. Der Zug bestand aus Schiebewandwagen und fuhr für LOCON Logistik & Consulting. Er kam zwischen der Brücke über die Oker und dem Haltepunkt Leiferde (b Gifhorn) wegen einem Haltbegriff zum Stehen.[1][2][Anm. 1]

Diesem ersten Güterzug folgte ein zweiter, der als DGS 42593 von Antwerpen Nord nach Köthen für Crossrail Benelux unterwegs war. Dessen Lokomotive der Baureihe 186[Anm. 2] war von Alpha Trains angemietet und zog 25 mit Propan beladene Druckgas-Kesselwagen.[2]

Die Strecke ist sowohl mit Punktförmiger Zugbeeinflussung (PZB) als auch mit Linienförmiger Zugbeeinflussung (LZB) ausgerüstet. Beide Züge nutzten zunächst die LZB.[2]

Unfallhergang[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach ersten Ermittlungen war beim DGS 42593 die LZB-Technik ausgefallen. Die Fahrdienstleiterin in der Betriebszentrale Hannover diktierte daraufhin dem Lokomotivführer einen schriftlichen Befehl, mit dem er signalgeführt mit 40 km/h weiterfahren sollte und gab die vor dem Zug liegende Strecke frei.[3][2] Er fuhr so in den noch besetzten Teilblockabschnitt ein[2] und kollidierte gegen 3:26 Uhr mit dem Zugschluss des dort stehenden Güterzugs.[2]

Folgen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Unmittelbare Folgen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Triebfahrzeugführer in der auffahrenden Lokomotive wurde leicht verletzt.[3] Diese und vier der Kesselwagen kippten bei Streckenkilometer 209[4] aus dem Gleis, wobei der zweite und dritte Kesselwagen leck schlugen und etwa 250 kg Propangas pro Stunde entwichen,[1] wodurch Explosionsgefahr bestand. Die vier letzten Wagen des stehenden Zuges entgleisten ebenfalls, einer davon wurde völlig zertrümmert, ein weiterer kippte zur Seite.

Oberbau und Oberleitung wurden auf mehreren hundert Metern schwer beschädigt, ebenso nahmen Leit- und Sicherungstechnik schweren Schaden. Beide Richtungsgleise der Strecke wurden in der Folge zwischen Meinersen und Gifhorn gesperrt.[2] Der Deutschen Bahn entstanden durch den Unfall Kosten von drei Millionen Euro, wobei Arbeitsstunden, Maschineneinsatz und Materialkosten den größten Teil der Schadenssumme ausmachten.[5]

Bergung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Unfallstelle befand sich in einem Waldgebiet und war für Rettungs- und Bergungsfahrzeuge nur schwer über einen aufgeweichten Waldweg erreichbar.[2] Der Waldweg wurde geschottert, um Bergungsfahrzeuge an die Unfallstelle heranfahren zu können, die Oberleitung teilweise abgebaut. Auch konnten sich die Einsatzkräfte der Unfallstelle wegen des austretenden, gesundheitsschädlichen Gases nur mit Atemschutzgerät nähern.[1]

Am 18. November 2022 wurde der noch fahrfähige Teil des DGS 90977 zum Bahnhof Fallersleben gezogen. Gleiches geschah mit den noch fahrfähigen Kesselwagen in die Gegenrichtung zum Bahnhof Dollbergen.

Wegen Windstille zog ausströmendes Gas nicht ab, so dass wegen der Explosionsgefahr die Unfallstelle zeitweise nicht betreten werden durfte. Die Feuerwehr, darunter auch Spezialisten der Werkfeuerwehren CHEMPRK Dormagen, Chemieparks Marl und BASF Ludwigshafen[Anm. 3][6][7] pumpten das Propan aus den verunfallten Kesselwagen schließlich teils ab, teils wurde es kontrolliert abgebrannt. Das Abpumpen erwies sich wegen der niedrigen Temperaturen als schwierig. Die Wagen wurden mit warmem Wasser besprüht, um das Propan schneller in gasförmigen Zustand zu versetzen. Am 19. und 22. November 2022 wurden Kesselwagen an die Unfallstelle gefahren, um das abgepumpte Gas aufzunehmen. Die Arbeiten dauerten bis zum 25. November 2022.

Anschließend wurde von beiden Seiten je ein Schienenkran an die Unfallstelle herangefahren. Die Wagen wurden – soweit noch möglich – wieder aufgegleist. Die Bergung der Lokomotive erwies sich als schwierig. Vor allem wurde dabei festgestellt, dass die Lokomotive große Mengen Öl ins Erdreich verloren hatte. Zwar kam es deshalb zu einem weiteren Einsatz der Feuerwehr, letztendlich musste der Boden vor dem Wiederaufbau der Strecke aber großräumig ausgekoffert werden. Die Lokomotive und die nicht mehr fahrfähigen Wagen wurden auf Flachwagen verladen und abgefahren, weil die Zerlegung vor Ort nicht möglich war.[2]

Auswirkungen auf das Netz[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Es kam zu massiven Einschränkungen des Eisenbahnverkehrs in der Relation Hannover–Berlin. Zum Teil fielen die Züge aus, zum Teil wurden sie weiträumig umgeleitet, weil näher gelegene Ausweichstrecken wegen Bauarbeiten gesperrt waren. Bei den Zügen des Fernverkehrs, die noch fuhren, kam es zu Verspätungen von bis zu zwei Stunden.[2] Es dauerte mehr als drei Wochen, bevor am 9. Dezember 2022 die Strecke – zunächst nur für den Güterverkehr – wieder freigegeben wurde. Zwei Tage später konnte auch der Personenverkehr wieder aufgenommen werden.[8]

Ermittlungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Bundespolizei stellte am Unfalltag Beweismittel an der Unfallstelle und an den für den Bahnbetrieb verantwortliche Stellen sicher. Nach ersten Erkenntnissen nahm sie Ermittlungen gegen die Fahrdienstleiterin wegen gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr und fahrlässiger Körperverletzung auf.[3] Nach weiteren Ermittlungen sah die Staatsanwaltschaft Hildesheim im Herbst 2023 einen Anfangsverdacht auf Gefährdung des Bahnverkehrs gegen die Fahrdienstleiterin.[5]

Die Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung untersucht den Unfall. Im November 2023 wurde ein Zwischenbericht veröffentlicht.[9]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Anmerkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Dieses Foto zeigt den Zugschluss des Kesselwagenzuges wieder aufgegleist bei km 209,0.
  2. UIC-Kennzeichnung 91 88 7 186 226-7 B-ATLU, Modell Bombardier 34453/2008 (schr: Folgenschwere Güterzugkollision, S. 24.).
  3. Siehe auch: TUIS.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c Bahnstrecke Berlin–Hannover mindestens zehn Tage gesperrt. In: Süddeutsche Zeitung vom 18. November 2022; abgerufen am 26. Dezember 2022.
  2. a b c d e f g h i j schr: Folgenschwere Güterzugkollision zwischen Lehrte und Wolfsburg. In: Eisenbahn-Revue International 1/2023, S. 24 f.
  3. a b c Bundespolizeiinspektion Hannover: BPOL-H: Zugunglück bei Leiferde; Ursache durch Bundespolizei ermittelt vom 21. November 2022; abgerufen am 26. Dezember 2022.
  4. vgl. Fotografie in Alexander Panknin: Zugunglück Leiferde: Ein Ende ist in Sicht. regionalheute.de, 23. November 2022, abgerufen am 12. Juni 2023.
  5. a b Güterzug-Unfall kostete die Bahn drei Millionen Euro. In: Zeit Online. 16. November 2023, abgerufen am 16. November 2023.
  6. Feuerwehr informiert 2 – Meinersenapp.de. Abgerufen am 23. März 2024 (deutsch).
  7. Technisch anspruchsvoller Einsatz. Abgerufen am 23. März 2024 (deutsch).
  8. schr: Nachtrag zur Güterzugkollision zwischen Lehrte und Wolfsburg. In: Eisenbahn-Revue International 2/2023, S. 100.
  9. Zwischenbericht. Zugkollision, 17.11.2022, Bf Meinersen – Hp Leiferde (b Gifhorn). Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung, 20. November 2023, abgerufen am 23. November 2023.

Koordinaten: 52° 27′ 23″ N, 10° 23′ 25″ O