Ethnographie des Sprechens

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Die Ethnographie des Sprechens (oder: Ethnographie der Kommunikation) ist eine Methode der Soziolinguistik, Ethnographie, Anthropologie und Soziologie, die versucht, aus dem Sprachgebrauch in einer Gesellschaft die sozialen Organisationsstrukturen und Normen dieser Gesellschaft abzuleiten. Der Forschungsansatz wurde unter anderem von den Sprachwissenschaftlern und Anthropologen John Gumperz und Dell Hymes entwickelt.[1]

Theorie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Ethnographie des Sprechens versteht Sprache als Handeln (vergleiche die Sprechakttheorie und die Konzepte von John Searle und John Austin). Sprachhandeln wird als durch soziale und kulturelle Regeln und Rahmenbedingungen sowie die Einstellungen der Sprecher bedingt gesehen und ist deshalb nur im jeweiligen kulturellen Kontext zu verstehen. Die Ethnographie des Sprechens will diese sozialen und kulturelle Faktoren aus dem Sprachgebrauch ableiten, wobei die Funktion der Sprache im Vordergrund steht (und die Form der Sprache sekundär ist).[2] Als wichtige Organisationseinheiten sieht die Ethnographie des Sprechens:[3]

  • das Sprachereignis („speech event“), das eine einzelne Einheit des Sprachgebrauchs darstellt (z. B. eine Predigt)
  • die Gesprächssituation („speech situation“), die sich aus mehreren Sprachereignissen zusammensetzt (z. B. ein Gottesdienst, der aus den Sprachereignissen Predigt, Lesung etc. besteht)
  • die Sprachgemeinschaft („speech community“)
  • die Rollen der Sprecher in der Gesellschaft und der jeweiligen Situation
  • die sozialen Regeln und Normen der Gesellschaft, die (Sprach-)Verhalten vorhersehbar machen
  • Rituale und Verhaltensroutinen, die am stärksten vorbestimmten und daher am sichersten vorhersehbaren (Sprach-)Verhaltensweisen[4]

Ethnographische Methoden werden mittlerweile auch in der Gesprächsanalyse (als Ethnographische Gesprächsanalyse) angewandt.[5] Bezüge bestehen auch zu:

Methoden[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Ethnographie des Sprechens bedient sich qualitativer ethnographischer Methoden, hauptsächlich teilnehmender Beobachtung und Interviews, die auf Grundlage der Kategorien der jeweilig untersuchten Gruppe interpretiert werden. Gesprächssituationen oder Sprachereignisse werden dann als gültige Kategorien angesehen, wenn auch die Mitglieder der untersuchten Sprachgemeinschaft diese als Kategorien benennen.[6]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hg.), Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit. Band 2: Ethnotheorie und Ethnographie des Sprechens. Rowohlt, Reinbek 1973.
  • Arnulf Deppermann: Ethnographische Gesprächsanalyse: Zum Nutzen einer ethnographischen Erweiterung für die Konversationsanalyse. In: Gesprächsforschung. Online-Zeitschrift zur verbalen Interaktion, Hgg. von Arnulf Deppermann und Martin Hartung, 2000, S. 96–124 (PDF)
  • Werner Enninger und Joachim Raith: An Ethnography-of-Communication Approach to Ceremonial Situations. A Study on Communication in Institutionalized Social Contexts: The Old Order Amish Church Service. In: Zeitschrift für Dialektologie Und Linguistik. Beihefte. N.F.; Heft 42. F. Steiner, Wiesbaden 1982.
  • John Joseph Gumperz und Dell Hymes. Directions in sociolinguistics; the ethnography of communication. Holt, New York 1972.
  • Dell Hymes: The ethnography of speaking. In: Anthropology and human behavior. Hgg. von Thomas Gladwin und William C. Sturtevant. Anthropological Society of Washington D.C., Washington D.C.: 1962, S. 13–53.
  • Muriel Saville-Troike: The ethnography of communication: an introduction. 2nd ed., Blackwell, Oxford/New York, 1989.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. vgl. seinen Artikel The ethnography of speaking. von 1962
  2. Saville-Troike, S. 13; 114–115
  3. Saville-Troike, S. 11
  4. Saville-Troike, S. 41–44
  5. siehe Deppermann 2000
  6. Enninger und Raith 1982