Exilkabarett

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Exilkabarett, Kabarett während des Dritten Reichs im europäischen Ausland, meist gegründet von deutschen Exilanten.

30. Januar 1933: Reichspräsident Hindenburg ernannte Adolf Hitler zum Reichskanzler. Der demokratische Versuch war gescheitert, das Kabarett wurde, wie das übrige öffentliche und kulturelle Leben auch, reglementiert und gleichgeschaltet. Die Emigration erschien vielen als der einzig mögliche Ausweg. Zwölf dunkle Jahre begannen, in denen das Kabarett sich zwischen Anpassung, Widerstand und Totentanz bewegte.

Ab der Machtübernahme der NSDAP wurden diese geistvolle Zeitkritik bekämpft und die Akteure verfolgt, mit schwerwiegenden Folgen für das Kabarett in Deutschland. Der faschistische Staat gewährte den Kabaretts zwei Jahre Schonfrist, ehe er mit dem Verbot von Katakombe, Tingel-Tangel-Theater und den Die Vier Nachrichter 1935 ein deutliches Zeichen setzte. Auch Kritik „zwischen den Zeilen“ war auf der Bühne fortan nicht mehr geduldet. Was den Kabaretts unter der zum Alltag gewordenen Diktatur blieb, war das Ausweichen in das unpolitische Amüsement, meisterhaft vorgeführt im Berliner Kabarett der Komiker (KadeKo) unter Willi Schaeffers, in Fred Endrikats Kölner Die Arche[1] oder auch das von dem Parodisten Werner Kroll. Wer anderes versuchte, erhielt, wie Werner Finck, auf Anordnung des Reichspropagandaministers Berufsverbot, wurde 1935 verhaftet und im KZ Esterwegen interniert.

Viele der deutschsprachigen Kabarettisten begaben sich ins Exil in die Schweiz, nach Frankreich, Skandinavien oder in die USA. Aus Deutschland vertrieben, wurde das Exil zur neuen Heimat des politischen Kabaretts. Das nach Zürich emigrierte Ensemble der Pfeffermühle agierte europaweit gegen die nationalsozialistische Politik und für ein anderes Deutschland, leistete satirische Aufklärung und warnte vor einer Fehleinschätzung des NS-Regimes. In London opponieren nach 1939 Das Laterndl und die Four and Twenty Black Sheep[2] gegen Hitler, während Kurt Egon Wolffs Ping-Pong, Rudolf Nelsons Kabarett La Gaité im Tuschinski-Theater und Willy Rosens Theater der Prominenten in der niederländischen Emigration mit eher unpolitischen Revuen glänzten.

Nach Kriegsbeginn 1939 fand das reichsdeutsche Unterhaltungskabarett seine Fortsetzung in der kabarettistischen Truppenbetreuung und eigens eingerichteten Frontkabaretts mit Namen wie Knobelbecher oder der Platzpatrone. Für die Mehrzahl der Exilkabaretts bedeutete die Besetzung von weiten Teilen Europas durch die Wehrmacht dagegen das Aus. Die Beteiligten wurden, soweit ihnen nicht die Flucht gelang, in Konzentrationslagern inhaftiert. Und dort fand statt, was im Rückblick unvorstellbar erscheint: Kabarett im Angesicht des Todes, zur Ablenkung von den Deportationen und zur Unterhaltung der SS-Wachmannschaften. Zunächst illegal, später auf Anordnung der Lagerleitung veranstaltet, gab es im KZ Theresienstadt Kabarettabende im „Karussell“ mit Kurt Gerron, leitete Max Ehrlich 1943/44 die Lagerbühne im Durchgangslager Westerbork. In diesen und anderen Lagerkabaretts spielten ein letztes Mal die jüdische Kabarettelite der 1920er Jahre, bevor sie in Auschwitz ermordet wurden.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Daniela Chana: Erika Mann und die 'Pfeffermühle'. Dadaismus und die Anfänge des Cabarets in der Schweiz. danzig & unfried, Wien 2015, ISBN 978-3-902752-10-9
  • Christian Jauslin: Die Pfeffermühle, Zürich ZH. In: Andreas Kotte (Hrsg.): Theaterlexikon der Schweiz. Band 2, Chronos, Zürich 2005, ISBN 3-0340-0715-9, S. 1404 f.
  • Helga Keiser-Hayne: Erika Mann und ihr politisches Kabarett „Die Pfeffermühle“ 1933–1937. Texte, Bilder, Hintergründe. Erweiterte Neuausgabe. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 1995, ISBN 3-499-13656-2
  • Christian Klösch, Regina Thumser: From Vienna. Exilkabarett in New York 1938 bis 1950, Picus, 2006, ISBN 3-85452-463-3
  • Lisa Appignanesi: The Cabaret.1975, Yale University Press, 2004 (engl.), ISBN 0-300-10580-0, S. 212 Four and Twenty Black Sheep
  • Karin Ploog: ...Als die Noten laufen lernten...Band 2: Kabarett-Operette-Revue-Film-Exil Unterhaltungsmusik bis 1945, Norderstedt, Books on Demand, 2015, ISBN 978-3-7347-5316-9
  • Katinka Dittrich, Hans Würzner: Die Niederlande und das deutsche Exil 1933-1940, Königstein 1982, ISBN 3-7610-8173-1
CD
  • Anatol Regnier: Warum sind wir so kalt: Die Pfeffermühle: Erika Manns Exilkabarett 1933-1937 Audio-CD mit: Anatol Reginier, Monika Sutil, Rosel Zech und Gert Heidenreich, AirPlay-Entertainment, 2006, ISBN 3-935168-55-1

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Die Arche Politische Revue – Kabarett – Varieté in Köln 1928–1938 (Memento des Originals vom 18. Juli 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.museenkoeln.de, NS-Dokumentationszentrum Köln, abgerufen am 25. Mai 2015
  2. Four and Twenty Black Sheep