Feldartillerie-Material C/73

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Mit dem Begriff Feldartillerie-Material C/73 wurden die nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 neu eingeführten Feldgeschütze bezeichnet. Es handelte sich hierbei um die leichte 8-cm- und die schwere 9-cm-Feldkanone.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Entwicklung des Feldartillerie-Materials C/73 geht auf eine persönliche Initiative von Alfred Krupp zurück. Er hatte bereits frühzeitig erkannt, dass auf Grund der Fortschritte bei den Infanteriewaffen über kurz oder lang die Überlegenheit des preußischen Geschützmaterials C/64 bis C/67 nicht mehr vorhanden war, insbesondere nach Einführung des französischen Chassepotgewehrs mit seiner deutlich gesteigerten Reichweite. Außerdem kam hinzu, dass die im europäischen Umland von Preußen in Entwicklung oder Einführung befindlichen Feldgeschütze deutlich höhere Leistungen erwarten ließen. So hatte der neueste französische 7-kg-Hinterlader, die Canon de 7 modèle 1867, eine Anfangsgeschwindigkeit von 395 m/s, der Schweizer 8,4-cm-Hinterlader eine von 396 m/s, der neueste russische 8,67 cm-Hinterlader eine von 510 m/s und der englische sechzehnpfündige Vorderlader eine von 510 m/s.[1] Die preußischen 8- bzw. 9-cm-Feldkanonen besaßen zu diesem Zeitpunkt eine Anfangsgeschwindigkeit von 341 bzw. 323 m/s.

Preußische Feldkanone C/73

Auf Grund dieser Erkenntnisse stellte sich Krupp um 1865 nun die Aufgabe, ein Feldgeschütz mit einer Anfangsgeschwindigkeit von 1700 Fuß/sek (535 m/s) herzustellen. In dieser Absicht wurde er durch die Erfahrungen, die er zwischenzeitlich bei der Entwicklung der schweren Geschütze gewonnen hatte, bestärkt.[2] Es war ihm allerdings auch bewusst geworden, dass mit einzelnen Korrekturen an den bestehenden Geschützen das Ziel nicht erreicht werden konnte, sondern das bestehende System komplett auf den Prüfstand gestellt werden musste. Hierzu gehörten nach seiner Meinung und Erfahrung Änderungen im Rohraufbau, auf dem Gebiet der Geschosse und der Geschossführung, im Pulver und als Konsequenz hieraus die Konstruktion einer neuen Lafette, da die bisherigen Lafetten aus Holz den neuen Anforderungen nicht mehr gewachsen sein würden.[3]

Mit den Versuchen zur Herstellung einer entsprechenden 8-cm-Kanone wurde 1868 begonnen. Die erste Musterlieferung an die Artillerieprüfungskommission (APK) erfolgte im Mai/Juni 1870. Im Rahmen dieser Musterlieferung stellte Krupp auch die ersten Lafetten aus Stahl vor. Bei dieser Ausführung waren die Lafettenwände noch aus mehreren Stahlprofilen zusammengenietet. Im Juni 1871 erfolgte eine weitere Bemusterung eines geänderten 8-cm-Rohres (genauer 7,87 cm). Dieses Rohr hatte eine veränderte Geschossführung, eine Vermehrung der Züge und eine Erweiterung des Verbrennungsraumes. Bei einem Versuchsschießen am 8. Juli 1871 wurde damit die angestrebte Anfangsgeschwindigkeit von 526 m/s erreicht.[4]

In der Pulverfrage konnte er auf die Erfahrungen, die er bei der Entwicklung der schweren Ringrohrkonstruktionen gewonnen hatte, zurückgreifen. Hierbei hatte er erkannt, dass sich das bisher benutzte feinkörnige Pulver mit seiner hohen Verbrennungsgeschwindigkeit für gezogene Rohre nicht eignete und für diese Rohre ein Pulver mit einer geringeren Verbrennungsgeschwindigkeit erforderlich war. Aus diesen Überlegungen entstand in der Zusammenarbeit mit der Ritterschen Pulverfabrik in Hamm a. d. Sieg um 1868 ein grobkörniges Geschützpulver mit einer Korngröße von 6 bis 10 mm und einer Dichte von 1,65 bis 1,75.[5] Von Preußen wurde dieses Pulver allerdings dann noch einmal modifiziert und als grobkörniges Geschützpulver C/73 mit einer Korngröße von 4 bis 10 mm eingeführt.[6]

In der weiteren Erprobung kam es allerdings noch einmal zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Krupp und der APK. Krupp hatte schon 1869 bei seinen Versuchen festgestellt, dass der zur Geschossführung bisher verwendete Bleimantel oberhalb einer Anfangsgeschwindigkeit von 440 m/s wegen seiner ungenügenden Festigkeit nicht mehr ausreichte, und zur Abhilfe den Granaten eine Kupferdrahtführung gegeben. Gleichzeitig mit dieser Änderung wurde auch die Anzahl der Züge von 12 auf 18 erhöht. Von der APK wurden diese Änderungen allerdings nicht akzeptiert, und so verschoss sie Granaten mit einem Bleimantel aus einem Geschütz, welches Krupp für Granaten mit einer Kupferdrahtführung konstruiert hatte. Als Folge dieser Vorgehensweise konnte die Anfangsgeschwindigkeit von 526 m/s später nicht mehr erreicht werden.[7]

Nach einer Reihe weiterer Änderungen und nachdem zu dem ursprünglichen Versuchsgeschütz mit einem Kaliber von 7,85 cm sich noch ein weiteres Geschütz mit einem Kaliber von 8,8 cm hinzugesellt hatte, erhielten sie beide im Jahr 1873 die Festlegungen, mit denen sie unter der Bezeichnung „Feldartillerie-Material C/73“ zur Einführung gelangten.[8] Im Zeitraum zwischen Oktober 1873 und Januar 1874 erhielt Krupp Bestellungen über etwa 2500 Rohre. Diese waren bis zum 1. Juni 1875 ausgeliefert.[9]

Technik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kruppscher Rundkeil einer C/73[10]
Liderung einer C/73

Bei diesen neuen Geschützen wurden erstmals Mantelrohre verwendet, da Krupp die Feststellung gemacht hatte, dass bei einer höheren Ladung, welche zur Erzielung der gewünschten Anfangsgeschwindigkeit erforderlich war, die Festigkeit der Massivrohre nicht mehr ausreichend war. Der Mantel umschloss etwa 2/3 des Seelenrohres. Das Seelenrohr endete an der Vorderkante des Keilloches. Als Verschluss wurde der sogenannte „einfache Kruppsche Rundkeil“ in der Konstruktion von 1866 verwendet. Das wesentliche Merkmal dieses Verschlusses bestand darin, dass die rückwärtige Fläche des einteiligen Verschlusskeiles halbrundförmig ausgebildet ist und er eine oben liegende Verschlussschraube hatte. Zum Öffnen und Schließen des Verschlusses war im Gegensatz zu früheren Ausführungen nur noch eine halbe Umdrehung des Verschlusses erforderlich, da bei dieser Ausführung die Gewindegänge der Verschlussschraube halbseitig entfernt waren und somit nach einer halben Umdrehung der Keil freiliegend herausgezogen werden konnte. Die Begrenzung dieser Bewegung erfolgte durch eine Grenzschraube, welche in der Bodenfläche des Rohres angebracht war. Zur Liderung wurde der Liderungsring C/73 eingesetzt. Entgegen der ursprünglichen Bemusterung von 1870 wurden die Lafetten jetzt aus gepressten Stahlprofilen gefertigt.

Technische Daten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

schwere 9-cm-Protze 73
Lafette der 9-cm-Kanone C/73
Leichte Feldkanone Schwere Feldkanone
Kaliber (mm) 78,5 88
Rohr Mantelrohr
Rohrmaterial Gussstahl
Verschlusssystem Rundkeil
Rohrgewicht (kg) 390 450
Geschossführung Blei[11]
Granate (Typ) Wandgranate C/73
Ringgranate C/76
Gewicht der Granate (kg) 5,07 7,0
Reichweite Granate (m) 6800 7000
Schrapnell (Typ) Röhrenschrapnell C/73
Gewicht des Schrapnell (kg) 5,439 9,002
Füllkugeln im Schrapnell 175 270
Geschützladung (Typ) grobkörniges Geschützpulver C/73
Geschützladung (kg) 1,25 1,50
Anfangsgeschwindigkeit (m/s) 465 444
Quelle: Meyers Konversationslexikon[12]

Mündungsenergie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die tatsächlich mit der 9-cm-Kanone erzielte Leistungssteigerung lässt sich am besten mit einem Vergleich der Mündungsenergien (die damalige Bezeichnung lautete „lebendige Kraft“) darstellen. Während die 6-Pfünder-Feldkanone C/61 eine Mündungsenergie von ca. 36 mt hatte, betrug diese bei der 9 cm-Feldkanone C/73 bereits ca. 76 mt (Metertonne). Es handelt sich hierbei um eine heute nicht mehr übliche Bezeichnung. Heute wird die Mündungsenergie oder Geschossenergie in Joule angegeben. Die früher übliche Benennung in mkg oder mt wurde nach der Formel E = berechnet, worin M die Geschossmasse, v die Anfangsgeschwindigkeit und g die Erdbeschleunigung (9,81 m/s²) bezeichnet.[13]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Diedrich Baedecker. Alfred Krupp und die Entwicklung der Gussstahlfabrik zu Essen. Verlag G.D.Baedecker, Essen 1889, S. 108.
  2. Wilhelm Berdrow: Alfred Krupp und sein Geschlecht. Verlag Paul Schmidt, Berlin 1937, S. 149.
  3. Krupp 1812–1912, Verlag von Gustav Fischer. Jena 1912. S. 228.
  4. Diedrich Baedecker: Alfred Krupp und die Entwicklung der Gussstahlfabrik zu Essen. Verlag G.D. Baedecker. Essen 1889. S. 108.
  5. Krupp 1812–1912.Verlag von Gustav Fischer. Jena 1912. S. 228.
  6. Georg Ortenburg: Waffe und Waffengebrauch im Zeitalter der Millionenheere: Verlag Bernard & Graefe. Bonn 1992. S. 48.
  7. Krupp 1812–1912, Verlag von Gustav Fischer. Jena 1912, S. 229.
  8. Krupp 1812–1912. Verlag von Gustav Fischer. Jena 1912. S. 227.
  9. Wilhelm Berdrow: Alfred Krupp und sein Geschlecht. Verlag Paul Schmidt, Berlin 1937, S. 162.
  10. Die Vorlage zu diesem Bild stammt aus: Brockhaus' Konversationslexikon, 14. Auflage, 1894 bis 1896, 7. Band, S. 914 – Fig. 24.
  11. Später wurde diese jedoch durch die Kupferdrahtführung ersetzt.
  12. Meyers Konversationslexikon. 4. Auflage, Band 7 von 1885 bis 1892, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien.
  13. Meyers Konversationslexikon. 4. Auflage. Band 10 von 1885 bis 1892. Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien. S. 132, Stichwort: Kraft.