Georg Ludwig Geis

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Georg Ludwig Geis (* vor 1620 in Ortenberg; † vor Mai 1672 in Selters[1] oder Ortenberg[2]) war zunächst Amtmann im Amt Ortenberg, dann Oberschultheiß in der Ganerbschaft Lindheim. Sein Name ist vor allem mit der dortigen Hexenverfolgung verbunden.

Familie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Georg Ludwig Geis war Sohn von Ludwig Geis, Amtmann in Ortenberg. Die Familie war lutherisch. Nach dem Tod des Vaters übernahm Georg Ludwig Geis dessen Amt vor 1646 bis 1662.[3] Spätere Beschwerden über seine Prozessführung stellen fest, dass er Rechtswissenschaft nie studiert habe.[4]

Quellenlage[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Quellenlage zu Georg Ludwig Geis ist in mehrfacher Hinsicht schwierig:

  1. Nahezu alle Quellen zu seiner Person stehen im Zusammenhang mit den Hexenprozessen.
  2. Ein erheblicher Teil der Original-Quellen befand sich im Gemeindearchiv von Lindheim, dessen Bestände im kalten Winter von 1930/31 dazu genutzt wurden, die Schule zu beheizen, und gingen damals verloren.[5]
  3. Ein Teil der Quellen ist nur sekundär aus einer Veröffentlichung von 1818 erhalten[6], die aber nachweislich erhebliche Fehler enthält.[7]
  4. Die Geschehnisse sind von einer Schicht von Traditionen überlagert, in der es auch der Fachliteratur schwerfällt, die Fiktion von der Realität zu unterscheiden.[Anm. 1]

Amtmann in Ortenberg[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Georg Ludwig Geis hatte einige Zeit studiert, dann aber im Militär am Dreißigjährigen Krieg teilgenommen.[8]

Am Ende der Amtszeit von Georg Ludwig Geis in Ortenberg kam es dort 1662 zu einem Hexenprozess. Als Amtmann – und damit auch zuständiger Justizbeamter für den Amtsbezirk – kann er daran nicht unbeteiligt gewesen sein.[9] Details dazu sind aber keine bekannt. Einzige Quelle dazu ist ein entsprechender Vermerk im Kirchenbuch von Selters.[10] Ergebnis war, dass zehn Frauen mit dem Schwert hingerichtet wurden.[11]

Oberschultheiß in Lindheim[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1662 bewarb sich Georg Ludwig Geis bei der Ganerbschaft Lindheim um die dort frei gewordene Stelle des Oberschultheißen. In seiner Bewerbung – ausgestattet mit einer Empfehlung des Regierungspräsidenten (Regierungschef) der Grafschaft Hanau – gab er an, dass er die Stelle in Ortenberg aufgeben müsse, weil er lutherisch sei.[12][Anm. 2] Georg Ludwig Geis erhielt die Stelle.

Lindheim befand sich nach dem Dreißigjährigen Krieg in einem desolaten Zustand, die Bevölkerung war drastisch dezimiert und demoralisiert, die Infrastruktur zerstört, die Anteilseigner der Ganerbschaft[Anm. 3] residierten fernab, verlangten aber hohe Abgaben, und der letzte Amtmann, Augustin Huber, war an dem herrschenden Chaos gescheitert. In dieser Situation trat Georg Ludwig Geis sein neues Amt im Frühjahr 1662 an. Bereits im August 1662 berichtete er an die Ganerbschaft, dass er mit gutem Erfolg gegen sechs Personen einen Hexenprozess eingeleitet habe. Insgesamt sollten es drei Prozesse werden:

  1. 30. April 1663 bis zum 12. Juni 1663: Das Verfahren endete mit dem Tod von sieben Frauen.[13]
  2. 17. Juni 1663 bis zum 25. August 1663: Neun Frauen und Männer wurden hingerichtet.[14]
  3. 27. Dezember 1663 bis zum 1. März 1664: Drei weitere Personen wurden hingerichtet.[15]

Alle Prozesse sicherte Georg Ludwig Geis durch universitäre Rechtsgutachten ab. Die Hinrichtungen führte der Scharfrichter von Ortenberg, Konrad Asmus, aus.[16] Da in den Verfahren auch auf die Vermögen der Betroffenen und deren Familien zugegriffen wurde, bereicherten sich Georg Ludwig Geis, seine Helfer und die Ganerben in diesen Prozessen.[17] 1200 Taler Bargeld wurden den Beschuldigten und ihren Familien abgenommen, darüber hinaus Sachwerte in großem Umfang.[18] Georg Ludwig Geis leitete die Folter der Beschuldigten – zumindest zum Teil – persönlich und ging mit großer Brutalität und Vehemenz vor.[19] Das führte dazu, dass ein Teil der Dorfbevölkerung floh. „Lindheim war wirtschaftlich und moralisch ruiniert“[20], was selbstverständlich den Wert der Ganerbschaft für deren Besitzer auf lange Zeit minderte. Außerdem drohte die Prozesswelle ins benachbarte „Ausland“ überzuschwappen. Letztendlich setzte sich sowohl der von der Ganerbschaft entsandte Vertreter, Georg Moritz von Grünroth, als auch der Burggraf von Friedberg bei der Ganerbschaft dafür ein, Georg Ludwig Geis seines Amtes zu entheben, was auch geschah. Er wohnte in der Folgezeit in Selters, ohne für das, was er in Lindheim angerichtet hatte, zur Verantwortung gezogen zu werden.[21]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Ecke Demandt: Die Hexenprozesse in Lindheim = Schriften der Altenstädter Gesellschaft für Geschichte und Kultur e. V. 6. Altenstädter Gesellschaft für Geschichte und Kultur e. V., Altenstadt 1995. Ohne ISBN.
  • Karl Ernst Demandt: Die Schreckensjahre von Lindheim nach Dokumenten dargestellt. In: Schriften der Altenstädter Gesellschaft für Geschichte und Kultur e. V. 3. Gießen 1981. Ohne ISBN, S. 73–104.
  • Peter Gbiorczyk: Zauberglaube und Hexenprozesse in der Grafschaft Hanau-Münzenberg im 16. und 17. Jahrhundert. Shaker. Düren 2021. ISBN 978-3-8440-7902-9
  • O. Glaubrecht[22] (Pseudonym[23]): Die Schreckensjahre von Lindheim. Ein Beitrag zur Sittengeschichte des siebzehnten Jahrhunderts. Für das Volk erzählt. 2. Auflage, Frankfurt am Main 1846. ND in: Schriften der Altenstädter Gesellschaft für Geschichte und Kultur e. V. 3. Gießen 1981. Ohne ISBN, S. 7–71.

Anmerkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. So führt z. B. Gbiorczyk, S. 286, das „Hausbüchlein“ des zeitgenössischen Lindheimer Pfarrers Konrad Hölker als Quelle an, das Karl Demandt, S. 74, als „literarische Erfindung“ von O. Glaubrecht (siehe: Literatur) einstuft.
  2. Ob das der wahre Grund war, scheint fraglich: Zwar war die Grafschaft Hanau-Münzenberg seit dem Anfang des 17. Jahrhunderts offiziell reformiert, der seit 1642 amtierende Landesherr, Graf Friedrich Casimir aus dem Hause Hanau-Lichtenberg, aber war lutherisch und verfolgte eine Politik, das Luthertum in der Grafschaft zu etablieren.
  3. Die Ganerbschaft bestand zu dieser Zeit aus dem damaligen Domdekan (und späteren Bischof) von Würzburg, Johann Hartmann von Rosenbach, dem braunschweig-lüneburgischen Rat Heinrich Hermann von Oeynhausen und dem Hofmeister des Landgrafen von Hessen-Kassel, von Wallenstein (Karl Demandt, S. 81).

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. So: Karl Demandt, S. 103.
  2. So: Ecke Demandt, S. 28.
  3. Karl Demandt, S. 83.
  4. Ecke Demandt, S. 27.
  5. Karl Demandt, S. 84.
  6. Georg Conrad Horst: Dämonomagie, oder Geschichte des Glaubens an Zauberei und dämonische Wunder mit besonderer Berücksichtigung des Hexenprocesses seit den Zeiten Innocentius des Achten ; nebst einer ausführlichen, nach Inquisitionsacten bearbeiteten Beschreibung des Hexenthurms zu Lindheim in der Wetterau, als eines Beitrags zu den alterthümlichen Denkwürdigkeiten in den Großherzoglich-Hessischen Landen. Wilmans, Frankfurt am Main 1818 (Digitalisat bei Google Books).
  7. Karl Demandt, S. 84 f.
  8. Karl Demandt, S. 83.
  9. Gbiorczyk, S. 296.
  10. Die Passage ist bei Gbiorczyk, S. 285f., wörtlich wiedergegeben.
  11. Gbiorczyk, S. 296. Die Namen der Hingerichteten sind durch den Kirchenbucheintrag überliefert.
  12. Karl Demandt, S. 83.
  13. Ecke Demandt, S. 21f.
  14. Ecke Demandt, S. 23f.
  15. Ecke Demandt, S. 25–27.
  16. Karl Demandt, S. 100.
  17. Ecke Demandt, S. 20.
  18. Karl Demandt, S. 83, 94f, 101.
  19. Karl Demandt, S. 90.
  20. Ecke Demandt, S. 27.
  21. Karl Demandt, S. 100.
  22. Zum Autor: Oeser, Ludwig Rudolf. In: LAGIS. Hessische Biografie; Stand: 15. April 2021.
  23. Rudolf Oeser (1807–1859), Pfarrer von Lindheim 1835–1859.