Gerald Murnane

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Gerald Murnane (* 25. Februar 1939 in Coburg,[1] Stadtbezirk von Melbourne, Victoria) ist ein australischer Schriftsteller.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Murnane wuchs in einer katholischen Familie in der Umgebung Melbournes auf, sein Vater war Gefängniswärter und ein meist verschuldeter Glücksspieler.[2] Nach dem Schulabschluss nahm Murnane sechs Monate an einem katholischen Priesterseminar teil, verlor aber seinen Glauben an eine Religion im traditionellen Sinne.[3][4] Danach war Murnane von 1960 bis 1968 als Grundschullehrer sowie von 1969 bis 1973 als Redakteur im Bildungsministerium des Bundesstaates Victoria tätig. 1969 erwarb er einen Bachelor der Universität Melbourne in Englisch und Arabisch. Ab 1973 betreute er – damals ungewöhnlich – daheim seine Kinder, während seine Frau arbeiten ging, damit er sich verstärkt seinem eigentlichen Interesse, dem Schreiben von fiktionaler Literatur, widmen konnte.[5][6]

In den 1970er-Jahren veröffentlichte Murnane seine ersten größeren Werke, zwei autobiografische Romane: Tamarisk Row und A Lifetime on Clouds. 1982 erlangte er seinen reifen Stil mit The Plains, einem kurzen Roman über einen jungen Filmemacher, der in ein eigentümliches Land weit im Inneren von Australien reist. Der Roman ist eine metaphysische Parabel über Schein und Wirklichkeit sowie über die Bedeutung der Kunst. Weitere Bücher, wie der Roman Inland (1988) und die Sammelbände Landscape With Landscape (1985) und Emerald Blue (1995), setzen ähnliche Themen fort und entfernten sich weiter von einer klassischen Erzählprosa hin zu einem eigenwilligen, abstrakten Stil sowie autofiktionalen Elementen.[5]

Von 1980 bis 1995 unterrichtete er als Dozent für Kreatives Schreiben an mehreren Colleges in Australien[6], hielt sich aber ansonsten bewusst aus dem Literaturbetrieb heraus. So besuchte er nie Schriftstellerkonferenzen und unternahm selten Lesereisen. Er hat nie ein Flugzeug bestiegen und bis auf wenige Ausnahmen seinen Heimatbundesstaat Victoria nicht verlassen.[5]

Aufgrund einer scheinbaren Indifferenz gegenüber seinem Werk hatte sich Murnane in den 1990er-Jahren bereits weitgehend von der Schriftstellerei zurückgezogen.[3] Erst das Interesse des Verlegers Ivor Indyk an weiteren Veröffentlichungen führte dazu, dass Murnane ab 2001 wieder zu schreiben begann.[7] Die Essay-Sammlung Invisible Yet Enduring Lilacs erschien 2005, anschließend entstand ein umfangreiches Spätwerk mit mehreren Romanen wie A History of Books (2012) und der Autobiografie Something for the Pain: A Memoir of the Turf (2015). Im Jahr 2017 veröffentlichte er seinen laut Ankündigung letzten Roman Border Districts, im Jahr 2021 erschien die Essaysammlung Last Letter to a Reader als voraussichtlich finales Werk.[8]

Mit seiner Ehefrau, der Lehrerin Catherine Mary Murnane, war er von 1966 bis zu ihrem Tod 2009 verheiratet. Das Paar hat drei Kinder.[5][9] Nach dem Tod seiner Frau zog er Ende 2009 aus den Vororten Melbournes in den ländlichen 300-Einwohner-Ort Goroke im Westen des Bundesstaates Victoria, wo er in einer Einliegerwohnung bei seinem Sohn lebt. Neben dem Schreiben betätigt er sich mitunter als Barkeeper des örtlichen Golfvereins und arbeitet in der ehrenamtlichen Werkstatt von Goroke mit.[5]

Die Ideen für seine Werke entnimmt Murnane teils einem seit den 1960er-Jahren geführten Privatarchiv, in dem er akribisch Tagebucheinträge, Gedankennotizen und Buchentwürfe sammelt.[8] Mit 56 Jahren brachte er sich selbst die ungarische Sprache bei, für die er eine langjährige Faszination hegt.[10] Murnane ist zudem ein begeisterter Fan von Pferderennen und der Filmemacher Adrian Martin drehte die Dokumentation Words and Silk: The Imaginary and Real Worlds of Gerald Murnane (1989) über sein Interesse an diesem Sport. Seine Freizeit verbringt er auch damit, sich imaginäre Pferderennen innerhalb eines komplexen ausgedachten Ligasystems auszudenken.[8]

Rezeption und Auszeichnungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Murnanes Werk galt lange selbst in seinem Heimatland als wenig beachtet, seit den 2000er-Jahren ist das Interesse an seinem Werk zunächst in Australien, dann auch in anderen Ländern stark angewachsen. An der University of Newcastle in New South Wales wurde 2001 eine erste akademische Konferenz über seine Arbeit veranstaltet,[6] im Dezember 2017 fand in Murnanes Wohnort Goroke eine akademische Konferenz zu seinem Werk statt.[5] Er hat aber auch Anhänger in anderen Ländern, vor allem in Schweden und in den USA, wo The Plains 1985 und 2004 erneut veröffentlicht wurde.

In Deutschland erscheinen seit 2017 mehrere Werke Murnanes bei Suhrkamp. Die deutsche Übersetzung von The Plains, Die Ebenen,[11] erreichte im Juli/August 2017 Platz 1 der SWR-Bestenliste.[12] 2018 erschien sein Buch Border Districts in deutscher Sprache als Grenzbezirke, übersetzt von Rainer G. Schmidt, und 2020 folgte sein Roman Landschaft mit Landschaft, ebenfalls in einer deutschsprachigen Übersetzung von Rainer G. Schmidt. Als bisher letzte deutschsprachige Veröffentlichung Murnanes erschien im Februar 2022 Murnanes Erstlingswerk Inland, wiederum übersetzt von Rainer G. Schmidt.[13] Das 1988 erstveröffentlichte Werk – das keinen gattungsbezeichnenden Untertitel trägt – wird vom Suhrkamp-Verlag, Murnanes deutschem Verlag, als „ein Roman über Sehnsucht und Schuld“ beworben.[14] Auch diese Übersetzung wurde durch Aufnahme in die SWR-Bestenliste gewürdigt.[15]

Ausgezeichnet wurde Murnane unter anderem mit dem Patrick White Award (1999), dem Melbourne Prize for Literature (2009) und dem vom austrialischen Premierminister vergegebenen Prime Minister’s Literary Award (2018).[16] Seit den 2000er-Jahren gilt er als Anwärter auf den Literaturnobelpreis und ist inzwischen viele Male für diesen nominiert worden.[5][17]

Bibliografie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Romane[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • (1974) Tamarisk Row. William Heinemann Australia, Melbourne.
  • (1976) A Lifetime on Clouds. William Heinemann Australia, Melbourne.
  • (1982) The Plains. Norstrilia Press, Melbourne.
    • Die Ebenen. Roman. Mit einem Nachwort von Ben Lerner. Berlin: Suhrkamp, 2017. Bibliothek Suhrkamp, Band 1499. Übersetzt von Rainer G. Schmidt.
  • (1988) Inland. William Heinemann Australia, Melbourne.
    • Inland. Berlin: Suhrkamp, 2022. Bibliothek Suhrkamp, Band 1534. Übersetzt von Rainer G. Schmidt.
  • (1995) Emerald Blue. McPhee Gribble, Melbourne.
  • (2009) Barley Patch. Giramondo Publishing Company, Sydney.
  • (2012) A History of Books. Giramondo Publishing Company, Sydney.
  • (2014) A Million Windows. Giramondo Publishing Company, Sydney.
  • (2017) Border Districts. Giramondo Publishing Company, Sydney.
    • Grenzbezirke. Berlin: Suhrkamp, 2018. Bibliothek Suhrkamp, Band 1507. Übersetzt von Rainer G. Schmidt.
  • (2019) A Season on Earth. Text Publishing, Melbourne. Ungekürzte Version von A Lifetime on Clouds.

Kurzgeschichten-Sammlungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • (1985) Landscape with Landscape. Norstrilia Press, Melbourne.
    • Landschaft mit Landschaft. Berlin: Suhrkamp, 2020. Bibliothek Suhrkamp, Band 1514. Übersetzt von Rainer G. Schmidt.
  • (1990) Velvet Waters. McPhee Gribble, Melbourne.
  • (2018) Collected Short Fiction. Giramondo Publishing Company, Sydney.

Essaysammlungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • (2005) Invisible Yet Enduring Lilacs. Giramondo Publishing Company, Sydney.
  • (2021) Last Letter to a Reader. Giramondo Publishing Company, Sydney.

Gedichtsammlungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • (2019) Green Shadows and Other Poems. Giramondo Publishing Company, Sydney.

Autobiografie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • (2015) Something for the Pain: A Memoir of the Turf. Text Publishing, Melbourne.

Sekundärliteratur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Stinson, Emmett: Murnane. Melbourne University Publishing, Melbourne 2023. ISBN 978-0-522-87946-9.
  • Uhlman, Anthony (Hrsg.): Gerald Murnane Another World in This One. Sydney University Press, Sydney 2020. ISBN 978-1743326404

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. „Die Ebenen“ von Gerald Murnane: Im Innersten der Randbezirke. In: Der Tagesspiegel Online. ISSN 1865-2263 (tagesspiegel.de [abgerufen am 15. September 2023]).
  2. Gerald Murnane | The Modern Novel. Abgerufen am 24. September 2023.
  3. a b Ryu Spaeth: Gerald Murnane’s Endless Island. In: The New Republic. 4. Mai 2018, ISSN 0028-6583 (newrepublic.com [abgerufen am 24. September 2023]).
  4. Gerald Murnane’s Something for the Pain. 5. Juli 2016, abgerufen am 24. September 2023 (amerikanisches Englisch).
  5. a b c d e f g Mark Binelli: Is the Next Nobel Laureate in Literature Tending Bar in a Dusty Australian Town? In: The New York Times. 27. März 2018, ISSN 0362-4331 (nytimes.com [abgerufen am 15. September 2023]).
  6. a b c Gerald Murnane Another World in This One. (PDF) In: Sydney University Press. Anthony Uhlmann, 2020, S. 9–12, abgerufen am 22. April 2024 (englisch).
  7. Gerald Murnane | The Still-Breathing Author. Abgerufen am 24. September 2023 (englisch).
  8. a b c Emmett Stinson: Last Letter to a Reader by Gerald Murnane review – an elegiac but cantankerous swan song. In: The Guardian. 15. November 2021, ISSN 0261-3077 (theguardian.com [abgerufen am 15. September 2023]).
  9. Catherine Mary Murnane, Nachruf
  10. Gerald Murnane: The Angel’s Son: Why I learned Hungarian late in life. In: hungarianreview.com. 6. Juni 2011, abgerufen am 24. September 2023.
  11. Gerald Murnane: Die Ebenen - Roman, suhrkamp.de, abgerufen am 29. Juni 2017
  12. Die SWR-Bestenliste im Juli/August: Gerald Murnane auf Platz eins, buchmarkt.de, abgerufen am 29. Juni 2017
  13. Angela Schader, „Sag Wahrheit ganz, doch sag sie schief“. Perlentaucher vom 2. Februar 2022, abgerufen am 2. Februar 2022
  14. Gerald Murnane: Inland. In: Suhrkamp. Abgerufen am 15. September 2023.
  15. SWR2: Gerald Murnane: Inland. 21. Februar 2022, abgerufen am 15. September 2023.
  16. Steph Harmon: Prime Minister’s Literary awards 2018: Gerald Murnane wins for 'exquisite' novel. In: The Guardian. 5. Dezember 2018, ISSN 0261-3077 (theguardian.com [abgerufen am 17. September 2023]).
  17. Australia's premier candidate for the Nobel Prize for Literature has decided to stop publishing. In: ABC News. 4. April 2019 (net.au [abgerufen am 17. September 2023]).