Großer Bruder (Metapher)

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Die Bezeichnung großer Bruder wird für einen einflussreichen großen beziehungsweise starken Partner als Bezeichnung in Politik und Wirtschaft genutzt. Diese Benennung wird auch auf Protektionismus gegenüber den kleinen Partnern bezogen. Sie bezeichnete insbesondere die Rolle der Vereinigten Staaten von Amerika beziehungsweise der UdSSR gegenüber den von ihnen abhängigen Staaten während der Zeit des kalten Krieges.[1]

Im Sprachgebrauch der DDR und der anderen sozialistischen Staaten war „großer Bruder“ eine Benennung für die Sowjetunion (heute: Russland), die zumeist ironisch verwendet wurde. Verwendet wurde es auch, um die Beziehung von Westdeutschland mit Ostdeutschland während der Wendezeit zu bezeichnen.

Verwendung vor der Wende[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Vor der Wende und friedlichen Revolution in der DDR, die auf dem Gebiet der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone entstanden war und sich mit den westdeutschen Gebieten, also den Besatzungszonen der übrigen alliierten Siegermächte, vereinte, wurde „großer Bruder“ im Sprachgebrauch beider deutschen Teilstaaten verwendet.[1][2]

Verwendung in Westdeutschland[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Für die Verwendung gibt es Belege seit 1958, wie etwa das folgende Beispiel zeigt: „In den Kneipen ist es still, die Mädchen stricken, sie stricken Kinderwäsche oder Pullover, und nur wenn ein Schiff des großen Bruders, des reichen amerikanischen Verbündeten im Hafen ankert, leuchten die bunten Lampen der Musikautomaten auf.“ Ebenso wurde „Großer Bruder“ für die Rolle der USA wie auch der Sowjetunion in Bezug auf deren deutsche Partner benutzt.[1]

Verwendung in Ostdeutschland[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der DDR war „großer Bruder“ eine vom Volk geprägte Bezeichnung für die Sowjetunion.[2] Nach Dieter Herberg war diese nicht Teil des öffentlichen Sprachgebrauchs der DDR und bezeichnete ironisch den übermächtigen politischen Bündnispartner Sowjetunion.[3]

Für Birgit Wolf steht die Bezeichnung dabei im Zusammenhang mit der „Bruder“-Dialektik, diese sei in eigenen Deutung der Verbrüderung synonym verwendete wurden als Umschreibung für friedliche Zusammenarbeit. „Bruder-“ wurde offiziell vor allem in der Propaganda benutzt als Bestimmungswort in der Zusammensetzung mit anderen Wörtern wie: „-land“, „-staat“, „-volk“, „-bund“, „-bündnis“, „-partei“ oder „-armee“. Diese Zusammensetzung mit Substantiven war dem SED-Verständnis nach gebräuchlich im Zusammenhang mit anderen Staaten und Organisationen, wenn diese der gleichen politischen Gesinnung waren oder gleiche politische Klassen-„kampf“-interessen verfolgten.[2]

Im Zusammenhang mit dem Wort Vereinnahmen erscheint die Bundesrepublik als vereinnahmende Seite in der Wendezeit. Diese bzw. deren Vertreter werden ironisch benannt als: „der große Bruder BRD“ oder „der große Westbruder.“ Dies ist eine Anspielung auf die Bezeichnung für die Sowjetunion aus der Vor-Wendezeit.[3]

Verwendung in weiteren Staaten des Warschauer Pakts[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Bezeichnung „großer Bruder“ wurde neben der DDR in anderen Staaten des Warschauer Pakts für die Sowjetunion genutzt. So etwa in Bulgarien, dessen Bevölkerung die Russen als wirkliche Befreier, zur Zeit des Zweiten Weltkriegs und darauf folgend, sahen und ihn daher positiv besetzt meinten.[4] Der Ausdruck „Velký bratr“ hat jedoch in weiten Kreisen der Bevölkerung weiterhin die negative Konnotationen im Sinn von „Großer Bruder UdSSR“ anhaftend, schreibt Silke Gester in der Untersuchung von Anglizismen im Tschechischen und im Deutschen in Bezug auf die Reality-Show „Big Brother“, die auch in Tschechien lief.[5]

Verwendung in Deutschland nach der Wende[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mit der deutschen Vereinigung der Teilstaaten am 3. Oktober 1990 wurde die Bezeichnung weiterhin verwendet, um das Verhältnis der DDR und Sowjetunion zu beschreiben. So schreibt Adolf Laufs bei der Betrachtung der Rechtsentwicklung in Deutschland, dass der „großen Bruder“ Sowjetunion als Besatzungsmacht ihr Muster der DDR als Satellitenstaat aufprägte.[6] Christian Müller verwendet die Bezeichnung „großer Bruder“ als Abschnittsüberschrift: „Besatzungsmacht, großer Bruder und Garant des SED-Regimes.“[7] Jürgen Kocka stellt die Umschreibung großer Bruder und Rivale in einen Kontext zur Betrachtung des Verhältnisses beider deutscher Staaten gleicher Nationalität. Dabei war die Bundesrepublik, welche die DDR nie voll anerkannte, Bezugspunkt zum Vergleich für die Ostdeutschen.[8] Allerdings taucht die Bezeichnung auch in Verbindung mit anderen Staaten auf, so schreibt Julia Bär in Wasserkonflikte in Zentralasien, dass Usbekistans als „großer Bruder Zentralasiens“ bezeichnet wurde.[9] Der große Bruder ist Titel eines Buches über die Zusammenarbeit der Geheimdienste der DDR und UdSSR.

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c Broder Carstensen, Ulrich Busse: Anglizismen Wörterbuch. Der Einfluss des Englischen auf den deutschen Wortschatz nach 1945. 1 A-E. W. de Gruyter, Berlin 2001, ISBN 3-11-017169-4, S. 599 (books.google.de).
  2. a b c Birgit Wolf: Sprache in der DDR. ein Wörterbuch. W. de Gruyter, Berlin / New York 2000, ISBN 3-11-016427-2, S. 88, 34 f. (books.google.de).
  3. a b Dieter Herberg, Doris Steffens, Elke Tellenbach: Schlüsselwörter der Wendezeit (Schriften des Instituts für Deutsche Sprache; Band 6). Wörterbuch zum öffentlichen Sprachgebrauch 1989/90. Böhlau Verlag, Berlin, New York 1997, ISBN 3-11-015398-X, S. 362 (books.google.de).
  4. Claudiu Fischer: Key Account Management und Customer Value im internationalen Umfeld mit Schwerpunkt Osteuropa (Diplomarbeit). Grin, ISBN 978-3-640-13353-6, S. 362 (books.google.de).
  5. Silke Gester: Anglizismen im Tschechischen und im Deutschen. Bestandsaufnahme und empirische Analyse im Jahr 2000. Lang, 2001, ISBN 978-3-631-38504-3, S. 150.
  6. Adolf Laufs: Rechtsentwicklung in Deutschland. W. de Gruyter, Berlin 2006, ISBN 978-3-89949-301-6, S. 34 f. (books.google.de).
  7. Christian Th. Müller: Ankunft – Alltag – Ausreise. Migration und interkulturelle Begegnung in der DDR-Gesellschaft. Hrsg.: Patrice G. Poutrus. Böhlau Verlag, Köln 2005, ISBN 3-412-14605-6, S. 45 ff. (books.google.de).
  8. Jürgen Kocka: Arbeit an der Geschichte. Gesellschaftlicher Wandel im 19. und 20. Jahrhundert. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011, ISBN 978-3-525-37021-6, S. 362 (books.google.de).
  9. Julia Bar: Wasserkonflikte in Zentralasien (= WeltTrend Thesis. Band 5). Universitätsverlag Potsdam, Potsdam 2009, ISBN 978-3-940793-72-0, S. 94.