Igel (Schach)

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Beispiel für eine voll entwickelte schwarze Igelstellung

Als Igel bezeichnet man im Schach einen Stellungstyp, der in erster Linie durch eine bestimmte Bauernstruktur in der Eröffnung und im Mittelspiel charakterisiert ist. Diese Struktur galt bis in die 1960er Jahre als unvorteilhaft. In den 1970er Jahren kam sie aufgrund der Erfolge, die einige junge Großmeister mit ihr erzielten, in Mode. Heute genießt der Igel allgemeine Anerkennung. Die englische Bezeichnung „Hedgehog“, deutsch „Igel“, geht vermutlich auf William Hartston zurück.[1]

Stellungsmerkmale[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Igel verdankt seinen Namen seinem passiven, aber effektiven Bauernwall am Damenflügel. Eine allgemein anerkannte Definition der Igelstellung gibt es bisher noch nicht.[2] Der Igel bezeichnet einen platzsparenden, schwarzen Aufbau. Es lässt sich aber festhalten, dass zumindest folgende Merkmale erfüllt sein müssen, um von einer Igelstellung sprechen zu können:

  • der weiße d-Bauer wird gegen den schwarzen c-Bauern getauscht und zwar derart, dass Weiß anschließend über die halboffene d-Linie, Schwarz hingegen über die halboffene c-Linie verfügt. Üblicherweise findet dieser Tausch auf dem Feld d4 (wenn Schwarz zuerst schlägt) oder c5 (wenn Weiß zuerst schlägt) statt
  • die schwarzen Bauern (ausgenommen den bereits abgetauschten c-Bauern) ziehen zunächst nicht über die sechste Reihe hinaus
  • der schwarze e-Bauer steht auf e6
  • der weiße c-Bauer steht auf c4 (Im offenen Sizilianer nicht unbedingt)
  • der weiße e-Bauer steht auf e4 (Im englischen Igel nicht unbedingt)

Darüber hinaus ist es üblich,

  • dass Schwarz den Damenläufer auf die Diagonale a8–h1 bringt, was gemeinhin mit einem Fianchetto nach b7 geschieht,
  • die Bauern vorerst auf h7 (h6), g7 (g6), f7, d6, b6 und a6 stellt bzw. belässt
  • und den Damenspringer nicht nach c6 zieht (wo er dem Damenläufer im Weg stünde und Gegenspiel auf der c-Linie erschwerte[3]), sondern nach d7[4] sowie den Königsspringer nach f6.

Stellungen, die nur einen Teil der Mindestmerkmale erfüllen (z. B. weißer c-Bauer auf c2 statt c4[5] oder schwarzer Bauer auf e7 statt e6[6]) werden gemeinhin als igelartig bezeichnet.

Der Igel wird vor allem von Schwarz angewendet, es ist aber auch möglich, ihn mit Weiß im Anzug anzustreben (siehe hierzu z. B. die igelartige Partie FischerAndersson, Siegen 1970[7]).

Historische Entwicklung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bis in die 1960er Jahre galt die Igelstellung als nachteilige Struktur. Die allgemeine Meinung war, dass Schwarz eine gedrückte Stellung hat und zu passiver Verteidigung verdammt ist. Starke Spieler vermieden diese Struktur meist. Allerdings hat Fritz Sämisch 1922 in Bad Pistyan gegen Karel Opočenský einen exakten Igel-Aufbau gewählt.[8] Eine Igelstellung stand auch bei einer 1967 in Moskau gespielten Partie der beiden Exweltmeister Michail Botwinnik und Wassili Smyslow auf dem Brett.

Als Pionier des Igelaufbaus gilt der jugoslawische Großmeister Ljubomir Ljubojević. Er führte diese Struktur 1973 als Erwiderung auf die Englische Eröffnung in die Großmeisterpraxis ein und war damit in diesem Jahr gegen Vlastimil Hort, Lew Polugajewski, Wolfgang Uhlmann, Lajos Portisch und Arturo Pomar erfolgreich. Ljubojevics Erfolge überzeugten seinen Freund Ulf Andersson, ebenfalls so zu spielen. 1975 gelang es Andersson, Anatoli Karpow mit dem Igelaufbau dessen erste Niederlage als Weltmeister beizubringen.[9]

Bald nahmen zahlreiche Großmeister den Igel-Aufbau in ihr Repertoire auf, darunter Florin Gheorghiu, Lajos Portisch, Zoltán Ribli, András Adorjan und Lew Polugajewski. Auch Karpow selbst verteidigte sich 1975 und 1977 zweimal mit dem Igel. Anfang der 1980er Jahre folgten die jungen Großmeister Lew Psachis, Ľubomír Ftáčnik und Garri Kasparow diesem Modetrend. Beim Interzonenturnier 1979 in Riga musste Adorjan mit Schwarz gegen Tony Miles unbedingt gewinnen, um sich für die Kandidatenwettkämpfe zu qualifizieren. Er wählte den Igel und gewann eine Glanzpartie. Eine weitere spektakuläre und bekannte Partie gewann Ftacnik bei der Schacholympiade 1982 in Luzern gegen Polugajewski.[10]

Wichtige Beiträge zur Popularisierung des Igels unter deutschen Vereinsspielern leisteten Matthias Wahls, der eine Serie von Zeitschriftenaufsätzen über den Igel geschrieben hat, und Frank Zeller, der die erste ausführliche Monographie zum Thema in deutscher Sprache verfasst hat.

Entstehung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Igelstellungen entstehen nur dann, wenn beide Seiten damit einverstanden sind[11]; so hat Weiß die Möglichkeit, dem Igel auszuweichen, indem er z. B. seinen c-Bauern nicht nach c4 stellt oder indem er frühzeitig d2–d4 spielt und c7–c5 mit d4–d5 beantwortet. Sie können aus verschiedenen Eröffnungen entstehen, wie zum Beispiel aus der Englischen Eröffnung, aus Sizilianisch, aus Nimzoindisch oder aus Damenindisch. Einen eigenen Eröffnungscode (A 30) besitzt lediglich der sogenannte englische Igel.[12]

Klassische Zugfolgen sind

1. c2–c4 c7–c5 2. Sb1–c3 Sg8–f6 3. g2–g3 e7–e6 4. Sg1–f3 b7–b6 5. Lf1–g2 Lc8–b7 6. 0–0 Lf8–e7 7. d2–d4 c5xd4 8. Dd1xd4 d7–d6

und in der Taimanow-Variante

1. e2–e4 c7–c5 2. Sg1–f3 e7–e6 3. d2–d4 c5xd4 4. Sf3xd4 Sb8–c6 5. Sd4–b5 d7–d6 6. c2–c4 Sg8–f6 7. Sb1–c3 a7–a6 8. Sb5–a3 Lf8–e7 9. Lf1–e2 0–0 10. 0–0 b7–b6

Mittlerweile spielt Schwarz den Igel auch in der Paulsen-Variante nach 5. Lf1–d3 Lf8–c5 6. Sd4–b3 Lc5–e7 7. Dd1–g4 g7–g6 8. Dd1–e2 d7–d6 9. c2–c4 Sb8–d7 und 5. c2–c4 Sg8–f6 6. Sb1–c3 Dd8–c7 7. a2–a3 b7–b6

Weiß kann den Igel auf verschiedene Arten bekämpfen: Mit den Läufern auf e2 und e3, mit den Läufern auf g2 und b2, mit den Läufern auf d3 und e3 oder mit den Läufern auf b2 und d3.

Strategische und psychologische Motive[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Igelstellung steht Weiß oft objektiv besser. Um aber die schwarze Verteidigung zu überwinden, muss er taktisch sehr präzise spielen, was viele Weißspieler überfordert. Andererseits ist der Igel für Schwarz leicht zu spielen: Er verteidigt seine Position und wartet ab, bis Weiß aktiv wird oder bis sich eine günstige Gelegenheit für einen Vorstoß im Zentrum ergibt.

Dann müssen sich beide Spieler vom ruhigen positionellen Manövrieren auf eine offene Stellung voller Dynamik, auf ein konkretes Spielen von Zug zu Zug umstellen.

Neben der passiven Verteidigung und dem Warten auf die Vorstöße d6–d5 oder b6–b5 (manchmal auch e6–e5, wenn f2–f4 gespielt wurde) kann Schwarz in manchen Stellungen außerdem eine Expansion am Königsflügel mit Kg8–h8, Tf8–g8, g7–g5, Tg8–g6 und Tc8–g8 anstreben. Oder er nimmt mit Db8 und Lc7 eine Vorbereitung gegen den weißen Bauern h2 ein. Auch der Sturmlauf des schwarzen h-Bauern bis nach h3 zur Auflockerung der weißen Königsstellung wurde schon gesehen.

Mark Dworetzki schrieb in einem seiner Lehrbücher über das typische Problem von Weiß gegen Igelstellungen: "Weiß steht ideal, aber in dem Wort selbst steckt schon sein ganzes Problem, ein Ideal kann nicht mehr verbessert werden."

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Magnus Georg Grabitz: Schach für Igel. Die „Fabel“-hafte Einführung in ein aktuelles Mittelspielsystem. Düsseldorf 1990, ISBN 3-7919-0332-2.
  • Garry Kasparov: 'Hedgehog' System; In: ders.: Garry Kasparov on Modern Chess: Revolution in the 70's. Everyman, London 2007. ISBN 978-1-85744-422-3.
  • Jurgen Kaufeld / Guido Kern: Fighting against the Hedgehog. In: Grandmaster Chess Strategy. What Amateurs Can Learn from Andersson's Positional Masterpieces, New in Chess, Alkmaar 2011. Chapter 8, S. 103–112. ISBN 978-90-5691-346-5.
  • Alexander Khalifman: The Hedgehog & Double Fianchetto Systems. In: ders.: 1. Sf3 – Opening for White according to Kramnik. Chess Stars, Sofia 2001. Bd. 2, Kap. 3, S. 64–119. ISBN 954-8782-18-9.
  • Stefan Löffler/Lubomir Ftacnik: Verschollen im Informator [Lubomir Ftacnik über seine Igel-Partie gegen Polugajewski], Luzern 1982 .[3]. In: Karl. Die kulturelle Schachzeitung, 2, 2001, S. 50–53.
  • Mihai Suba: The Hedgehog. London 2000, ISBN 0-7134-8696-1.
  • Matthias Wahls: Der Igel [Aufsatz-Serie]. In: Schach, 2-11 (2002), 1-4, 6-8, 10-11 (2003), 1, 3, 6-7, 10 (2004), 2, 5, 10, 12 (2005), ISSN 0048-9328.
  • John Watson: Secrets of Modern Chess Strategy. Advances since Nimzowitsch. Gambit, London 2002, S. 125–133, 228–230.
  • Frank Zeller: Sizilianisch im Geiste des Igels. Kania, Schwieberdingen 2000, ISBN 3-931192-15-6.
  • Sergei Shipov: The complete Hedgehoge; Volume 1. Mongoose Press, 2009, ISBN 978-0979-14821-7
  • Sergei Shipov: The complete Hedgehoge; Volume 2. Mongoose Press, 2009, ISBN 978-1936-27722-3

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Dies schreibt zumindest Garry Kasparov (2007). Hartston spielte bereits 1971 gegen Viktor Kortschnoi einen Igel; vgl. chessgames.com
  2. Bei Zeller 2000, S. 8 heißt es bezüglich der Definition der Igelstellung: „... die gestaltet sich nicht einfach, geschweige denn eindeutig“. Dies wird auch an der ‚Definition‘ deutlich, die Suba 2000, S. 43 bietet: „The Hedgehog is a manner of defence and counterattack that, to the classical eye, might appear unorthodox.“
  3. Instruktiv sind hierzu jene Partien, in denen Schwarz seinen zunächst nach c6 gespielten Damenspringer meist über e5 umgruppiert, um eine harmonischere Figurenaufstellung zu erhalten. Dies geschieht häufig in Eröffnungen, in denen der Sc6 zunächst richtig steht, aber sich in dem Moment als störend erweist, in dem sich die Struktur in einen Igel verwandelt. Vgl. hierzu die folgenden mit der Englischen Symmetrievariante eröffneten Partien: [1]
  4. Vgl. hierzu das insbesondere in der Taimanov-Variante der Sizilianischen Verteidigung vorkommende Manöver, den im Igelsinne schlecht stehenden Sc6 über e5 oder b8 nach d7 umzugruppieren; siehe z. B. den schwarzen 11. Zug in Sandipan - Nisipeanu, Pune 2004.
  5. Vgl. zu den damit einhergehenden prinzipiellen Unterschieden insbesondere Zeller 2000, S. 12–13.
  6. Vgl. z. B. hierzu den Partiekommentar von Daniel King zu Krivoshey - Andersson, Bundesliga 2004 (Memento vom 11. Oktober 2007 im Internet Archive).
  7. [2]: Die Position ist kein echter Igel, da der schwarze c-Bauer auf c7 verbleibt.
  8. Karel Opocensky vs Friedrich Saemisch. Chessgames Services LLC, abgerufen am 11. Mai 2019 (englisch).
  9. Karpov - Andersson, Milano 1975
  10. Polugajewski - Ftacnik, Luzern 1982
  11. "The Hedgehog cannot be an independent system because its set-up reqires mutual co-operation", heißt es entsprechend bei Suba 2000, S. 43.
  12. Eine sehr ausführliche Auflistung der Spielanfänge, die zum Igel führen können, findet sich bei Wahls 2002, Heft 10, S. 58–60 und Heft 11, S. 46–48. Wahls betont, dass seine Auflistung, die über 50 verschiedene Zugfolgen angibt, nicht vollständig ist.