Individualpsychologisches Fachspezifikum der Sigmund-Freud-PrivatUniversität Wien

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Das Individualpsychologisches Fachspezifikum der Sigmund Freud PrivatUniversität Wien (SFU-IP) wurde von Bernd Rieken, Dorothea Oberegelsbacher, Brigitte Sindelar und Peter Gasser-Steiner erarbeitet und 2006 als Wahlpflichtfach IP erstmals gelehrt; 2008 als Fachspezifikum IP an der SFU beim zuständigen Ministerium zur Akkreditierung eingereicht, die 2012 erfolgte, und zwar unter der Leitung von Bernd Rieken, Leitung, Dorothea Oberegelsbacher, Leitung, Brigitte Sindelar, Stellvertretung und Thomas Stephenson, Stellvertretung. Es handelt sich um eine gesetzlich anerkannte eigenständige Ausbildungseinheit innerhalb der SFU, in der die Individualpsychologie auf wissenschaftlicher Basis gelehrt, praktiziert und weiterentwickelt wird.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Jahr 2003 trat Alfred Pritz, Rektor der damals in Gründung befindlichen Sigmund Freud Privatuniversität Wien, an den Österreichischen Verein für Individualpsychologie (ÖVIP) heran und bot eine Kooperation im Bereich universitärer Ausbildung an. Die SFU etablierte damals das weltweit erste Vollstudium im Bereich Psychotherapie bzw. Psychotherapiewissenschaft und bot damit zugleich eine nach dem österreichischen Psychotherapiegesetz entsprechende Psychotherapieausbildung an. Neben einigen anderen fachspezifischen Einrichtungen fragte Pritz auch den ÖVIP wegen einer Kooperation mit der SFU, jedoch war die Vereinsleitung von dem Konzept nicht überzeugt; man konnte sich zudem nicht auf alle Ausbildungsinhalte einigen, weshalb der ÖVIP das Kooperationsangebot schließlich ablehnte. Der damalige Generalsekretär, Bernd Rieken, sowie einige weitere Mitglieder wie Dorothea Oberegelsbacher sahen in der Akademisierung der Psychotherapie indes eine Chance, den Weg der Psychotherapie zur Etablierung als eigenständige Wissenschaft maßgeblich fortzusetzen. Sie entwickelten schließlich ein eigenes IP-Curriculum als Grundlage für das Fachspezifikum.[1][2][3]

Das Fachspezifikum etablierte sich rasch als fixe Institution an der SFU. Die Zahl der Teilnehmenden und Lehrenden wuchs, ebenso die Fülle wissenschaftlichen Publikationen.[4]

Wissenschaftliche Grundlagen der Methode[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die SFU IP steht in der individualpsychologischen Tradition Alfred Adlers mit ihren zentralen Konzepten wie dem Minderwertigkeitsgefühl, dem Machtstreben, dem Lebensstil, der Fiktion oder dem Holismus, versteht sich jedoch darüber hinausgehend als Vertreter einer zeitgemäßen individualpsychologischen Theorie und Praxis, die entgegen früheren Abschottungstendenzen gegenüber der Freud’schen Psychoanalyse aktuelle psychoanalytische Theorien in das individualpsychologische Gedankengebäude (re-)integriert. So lehnte Adler beispielsweise in seinen späten Schriften Konzepte der Abwehr, des Widerstandes und der Dichotomie zwischen Bewusstem und Unbewusstem ab. Die Individualpsychologie der SFU, die sich in ihrem Selbstverständnis als psychoanalytische Individualpsychologie bezeichnet, berücksichtigt hingegen auch jene Konzepte und darüber hinaus Theorien weiterer Psychoanalytiker wie Michael Balint, Wilfried Bion, Stavros Mentzos und ferner Säuglings-, Kinder- und Jugendlichen Psychotherapie inklusive Teilleistungsstörungen[5]. Weitere Schwerpunkte bilden die Psychotherapie bei eingeschränktem Verbalisierungsvermögen und Intelligenzminderung[6][7], Körperpsychotherapie[8], Gruppenpsychotherapie[9], Bindungstheorien, Mentalisierungstheorien[10], Säuglingsforschung, Affektregulierungstheorien, Traumaforschung, Neurowissenschaft[11] und Kulturanalyse[12].

Wissenschaftliche Leistungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Jahr 2010 veranstaltete die IP an der SFU die Tagung 99 Jahre Individualpsychologie, auf der Vorträge zu aktuellen individualpsychologischen Themen gehalten wurden. Aus der Tagung entstand schließlich der Sammelband „Alfred Adler heute“, das 2011 im Waxmann Verlag; 2. Aufl. 2021 als erster Band der damals vom Individualpsychologen Bernd Rieken neu gegründeten Buchreihe „Psychotherapiewissenschaft in Forschung, Profession und Kultur“ erschien. Mittlerweile wurden 37 Bände in dieser Reihe publiziert, welche aus Monografien und Sammelbänden besteht, die historische, theoretische, philosophische und empirische Themen behandeln.[13] Neben der Buchreihe wurden einige weitere Monografien und Anthologien in anderen Verlagen veröffentlicht. Darüber hinaus besteht seit 2014 eine eigene peer-reviewte Fachzeitschrift der SFU-IP, nämlich die Zeitschrift für freie psychoanalytische Forschung und Individualpsychologie. Diese erscheint zweimal jährlich und veröffentlicht Beiträge, in denen verschiedene Themen wie Störungsbilder (z. B. Traumatisierungen, Angststörungen, Depressionen), Theorien (z. B. Fiktion, Gemeinschaftsgefühl, Aggressionstrieb) oder Disziplinen (z. B. Religion, Kultur, Pädagogik) individualpsychologisch nach aktuellen wissenschaftlichen Standards aufgearbeitet werden.[14] 2011 erschien, anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Individualpsychologie, auch das aktuelle Lehrbuch Psychoanalytische Individualpsychologie in Theorie und Praxis, in dem aktuelle individualpsychologische Positionen und Zugänge aufgearbeitet und vermittelt werden.[15] Und nicht zuletzt entstanden zwischen 2006 und 2020 nicht weniger als knapp 200 wissenschaftliche Abschlussarbeiten auf Bachelor-, Master- und Doktoratsniveau.[16]

Ausbildung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Ausbildung der IP an der SFU sieht theoretische Lehrveranstaltungen im Ausmaß von insgesamt 495 Lehreinheiten vor, 390 Einheiten Selbsterfahrung (300 Einheiten Einzelselbsterfahrung/Lehranalyse und 90 Einheiten Gruppenselbsterfahrung), 550 Einheiten psychotherapeutisches Praktikum sowie 600 Einheiten psychotherapeutischer Praxis zuzüglich 135 Einheiten Supervision der Praxis.[17]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Wilfred Datler: Ist die Universität der rechte Ort für Psychotherapieausbildung und Psychotherapieforschung? Eine Replik auf Bernd Riekens »Überlegungen zur Akademisierung der Psychotherapie – am Beispiel der Sigmund Freud Privatuniversität Wien« unter Berücksichtigung weiterer einschlägiger Veröffentlichungen In: Zeitschrift für Individualpsychologie 40, 2, S. 166–202, DOI:10.13109/zind.2013.38.3.285.
  • Peter Geißler, Bernd Rieken: Der Körper in der Individualpsychologie. Theorie und Praxis. Gießen: Psychosozial 2017.
  • Dorothea Oberegelsbacher: Wie es wa(h)r. Narrativ zur Geburt einer universitären Psychotherapie-Ausbildung In: Zeitschrift für freie psychoanalytische Forschung und Individualpsychologie 3, 1, S. 77–88, DOI:10.15136/2016.3.1.77-88.
  • Dorothea Oberegelsbacher: Psychotherapie bei Menschen mit besonderen Bedürfnissen. In: Alfred Pritz, Jutta Fiegl, Heinz Laubreuter, Bernd Rieken (Hrsg.): Universitäres Psychotherapiestudium Das Modell der Sigmund Freud PrivatUniversität. Pabst Verlag, Lengerich 2020, ISBN 978-3-95853-620-3, S. 467–478.
  • Dorothea Oberegelsbacher: Überlegungen zur Theorie und Praxis der individualpsychologischen Behindertenpsychotherapie. Bernd Rieken (Hrsg.): Alfred Adler heute. Zur Aktualität der Individualpsychologie. 2. Aufl. Münster, New York: Waxmann 2021, S. 295–312.
  • Gabriela Pap: Das Gemeinschaftsgefühl aus der Sicht der Intersubjektivität. Philosophische, psychoanalytische und entwicklungspsychologische Wurzeln. Wiesbaden: Springer 2017.
  • Paolo Raile: Individualpsychologie. Erfahrungsbericht eines Absolventen der Sigmund Freud PrivatUniversität Wien. In: Alfred Pritz, Jutta Fiegl, Heinz Laubreuter, Bernd Rieken (Hrsg.): Universitäres Psychotherapiestudium Das Modell der Sigmund Freud PrivatUniversität. Pabst Verlag, Lengerich 2020, ISBN 978-3-95853-620-3, S. 533–548.
  • Susanne Rabenstein: Individualpsychologie und Neurowissenschaften. Zur neurobiologischen Fundierung der Theorien Alfred Adlers. Münster, New York: Waxmann 2017.
  • Bernd Rieken: Überlegungen zur Akademisierung der Psychotherapie – am Beispiel der Sigmund-Freud-Privatuniversität Wien In: Zeitschrift für Individualpsychologie 38, 3, S. 285–302, DOI:10.13109/zind.2015.40.2.150.
  • Bernd Rieken: Das Fachspezifikum Individualpsychologie an der Sigmund-Freud-Privatuniversität (SFU) und der Österreichische Verein für Individualpsychologie (ÖVIP). Anmerkungen zu einem Trennungsvorgang In: Zeitschrift für freie psychoanalytische Forschung und Individualpsychologie 3, 1, S. 1–17, DOI:10.15136/2016.3.1.1-17.
  • Bernd Rieken, Brigitte Sindelar, Thomas Stephenson: Psychoanalytische Individualpsychologie in Theorie und Praxis. Psychotherapie, Pädagogik, Gesellschaft. Springer, Wien, New York 2011, ISBN 978-3-7091-0465-1.
  • Bernd Rieken (Hrsg.): Alfred Adler heute. Zur Aktualität der Individualpsychologie. 2. Aufl. Münster, New York: Waxmann 2021.
  • Bernd Rieken (Hrsg.): Erzähltes Minderwertigkeitsgefühl. Individualpsychologie in volkskundlicher Erzählforschung und Literaturwissenschaft. Münster, New York: Waxmann 2022.
  • Sindelar, Brigitte: Von den Teilen zum Ganzen. Theorie und Empirie einer integrativen psychologischen und psychotherapeutischen Entwicklungsforschung. Münster, New York: Waxmann 2014
  • Roland Wölfle: „Wo Ich war, soll Gemeinschaft werden“. Gruppenpsychotherapie und Therapeutische Gemeinschaften in der Individualpsychologie. Münster, New York: Waxmann 2015.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Bernd Rieken: Überlegungen zur Akademisierung der Psychotherapie – am Beispiel der Sigmund Freud PrivatUniversität Wien In: Zeitschrift für Individualpsychologie, 38, 3, S. 285–302, DOI:10.13109/zind.2015.40.2.150.
  2. Wilfred Datler: Ist die Universität der rechte Ort für Psychotherapieausbildung und Psychotherapieforschung? Eine Replik auf Bernd Riekens »Überlegungen zur Akademisierung der Psychotherapie – am Beispiel der Sigmund Freud Privatuniversität Wien« unter Berücksichtigung weiterer einschlägiger Veröffentlichungen In: Zeitschrift für Individualpsychologie, 40, 2, S. 166–202, DOI:10.13109/zind.2013.38.3.285.
  3. Dorothea Oberegelsbacher: Wie es wa(h)r. Narrativ zur Geburt einer universitären Psychotherapie-Ausbildung In: Zeitschrift für freie psychoanalytische Forschung und Individualpsychologie, 3, 1, S. 77–88, DOI:10.15136/2016.3.1.77-88.
  4. Bernd Rieken: Das Fachspezifikum Individualpsychologie an der Sigmund Freud PrivatUniversität (SFU) und der Österreichische Verein für Individualpsychologie (ÖVIP). Anmerkungen zu einem Trennungsvorgang In: Zeitschrift für freie psychoanalytische Forschung und Individualpsychologie, 3, 1, S. 1–17, DOI:10.15136/2016.3.1.1-17.
  5. Sindelar, Brigitte: Von den Teilen zum Ganzen. Theorie und Empirie einer integrativen psychologischen und psychotherapeutischen Entwicklungsforschung. Münster, New York: Waxmann 2014
  6. Dorothea Oberegelsbacher: Psychotherapie bei Menschen mit besonderen Bedürfnissen. In: Alfred Pritz, Jutta Fiegl, Heinz Laubreuter, Bernd Rieken (Hrsg.): Universitäres Psychotherapiestudium Das Modell der Sigmund Freud PrivatUniversität. Pabst Verlag, Lengerich 2020, ISBN 978-3-95853-620-3, S. 467–478
  7. Bernd Rieken (Hrsg.): Alfred Adler heute. Zur Aktualität der Individualpsychologie. 2. Aufl. Münster, New York: Waxmann 2021.
  8. Peter Geißler, Bernd Rieken: Der Körper in der Individualpsychologie. Theorie und Praxis. Gießen: Psychosozial 2017.
  9. Wölfle, Roland: „Wo Ich war, soll Gemeinschaft werden“. Gruppenpsychotherapie und Therapeutische Gemeinschaften in der Individualpsychologie. Münster, New York: Waxmann 2015.
  10. Gabriela Pap: Das Gemeinschaftsgefühl aus der Sicht der Intersubjektivität. Philosophische, psychoanalytische und entwicklungspsychologische Wurzeln. Wiesbaden: Springer 2017.
  11. Susanne Rabenstein: Individualpsychologie und Neurowissenschaften. Zur neurobiologischen Fundierung der Theorien Alfred Adlers. Münster, New York: Waxmann 2017.
  12. Bernd Rieken (Hrsg.): Erzähltes Minderwertigkeitsgefühl. Individualpsychologie in volkskundlicher Erzählforschung und Literaturwissenschaft. Münster, New York: Waxmann 2022.
  13. Waxmann Verlag: Buchreihe Psychotherapiewissenschaft in Forschung, Profession und Kultur Webseite: Buchreihe im Waxmann-Verlag
  14. SFU-IP: Zeitschrift für freie psychoanalytische Forschung und Individualpsychologie Webseite: Link zur Zeitschrift
  15. Bernd Rieken, Brigitte Sindelar, Thomas Stephenson: Psychoanalytische Individualpsychologie in Theorie und Praxis. Psychotherapie, Pädagogik, Gesellschaft. Springer, Wien, New York 2011, ISBN 978-3-7091-0465-1
  16. Paolo Raile: Individualpsychologie. Erfahrungsbericht eines Absolventen der Sigmund Freud PrivatUniversität Wien. In: Alfred Pritz, Jutta Fiegl, Heinz Laubreuter, Bernd Rieken (Hrsg.): Universitäres Psychotherapiestudium Das Modell der Sigmund Freud PrivatUniversität. Pabst Verlag, Lengerich 2020, ISBN 978-3-95853-620-3, S. 533–548.
  17. Curriculum der IP an der SFU. Internet: Curriculum