Investorenarchitektur

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Investorenarchitektur (zuweilen synonym verwendet: Kommerzarchitektur)[1] ist ein im deutschsprachigen Raum geläufiger, aber unscharfer und umstrittener Begriff für das „primär renditeorientierte Bauen“[2] unterschiedlicher Nutzung (Wohn-, Büro-, Gewerbe- oder Geschäftsbauten).

Begriffsdefinition[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

HSBC Tower (London), Foster + Partners
Shoppingcenter „Emporia“ (Malmö), Gert Wingårdh

Der Ursprung des Begriffs ist unklar. Er wird durchweg pejorativ verwendet, von Architekten, Architekturkritikern oder Bürgerinitiativen, um auf negative Auswirkungen des wirklichen oder vermeintlichen Primats der Ökonomie hinzuweisen, dem die zu berücksichtigenden öffentlichen Interessen an jeder Architektur entgegengestellt werden – an Dauerhaftigkeit, an Identität durch Bewahrung gewachsener Milieus, Baustrukturen, Stadträume und Stadtbilder, an bezahlbarem Wohnraum o. ä. In diesem Sinne bezeichnet Investorenarchitektur zum einen Projekte, die in vielfältigen Aspekten von der Typologie über die Bautechnik bis zur Materialwahl eindimensional durch die partikularen ökonomischen Interessen ihres Investors geprägt sind, der keinen persönlichen Bezug zu der Architektur, etwa als Nutzer, aufweist. Zum anderen hat sich „im üblichen Gebrauch“ dieser Begriff speziell „für mächtig dimensionierte und monoton gegliederte Baukörper aus Stahl und Glas – häufig auch mit dünnen vorgehängten Natursteinpartien – etabliert, deren flache Fassaden sich dadurch erklären, dass es im Innern auf die Maximierung renditestarker Nutzfläche ankommt.“[2] Der Begriff leide „an einem sehr austauschbaren Inhalt“, wurde entsprechend diagnostiziert: „Wann immer etwas zu groß, zu monoton, zu protzig oder zu hässlich gerät, kommt der Schmäh-Begriff zur Anwendung.“[3]

Investorenarchitektur versus Architekturikone[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die negative Konnotierung, wiewohl oft noch betont durch die Adjektive „banal“, „anonym“ oder „gesichtslos“, wird dabei bereits durch den Begriff selbst getragen, indem er implizit eine Differenz von Investorenarchitektur und regulärer, legitimer Architektur beinhaltet, eine Trennung in „renditeorientierte ‚Immobilien‘ und anspruchsvolle ‚Architektur‘.“[2] Als Gegenbegriff zu Investorenarchitektur wird entsprechend der der Architekturikone genannt.[4] Diese ästhetisch wertende Aufladung des Begriffs wirft dabei Widersprüche auf, wenn Bauten namhafter Architekten mit architektonischem Anspruch, die als Investorenprojekte realisiert sind, ebenfalls unter Investorenarchitektur subsumiert werden. In diesem Zusammenhang genannte Beispiele sind der HSBC Tower in den Londoner Docklands von Sir Norman Foster oder das Shoppingcenter „Emporia“ des schwedischen Architekten Gert Wingårdh in Malmö.[2] Und für das gesamte Œuvre des niederländischen Architekten Rem Koolhaas, „seines Büros OMA und seiner städtebaulich-soziologisch tätigen Forschungsabteilung AMO,“ hieß es, dass es „zwischen gebauter Kritik und Kommerzarchitektur“ schwanke.[5]

Investorenarchitektur versus diskursive/dialogische Planung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ein weiterer geläufiger Definitionsansatz weist auf die Nähe von „Genieprinzip des Künstlerarchitekten“ und Investoreninteressen hin, die beide hingegen unvereinbar wären „mit einem diskursiven Verständnis von Stadtplanung.“[6] In dieser Kritik vereinen sich so unterschiedliche theoretische Ansätze wie die Position des „Dialogischen Entwerfens“ von Meinhard von Gerkan, die dieser gegenüber den beiden Extremen einer „konformistisch-pragmatischen“ und „monologisch-selbstherrlichen“ Position abgrenzt,[7] oder das Modell der behutsamen Stadterneuerung von Hardt-Waltherr Hämer.

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Werner Sewing: Berlinische Architektur. In: Arch+. Nr. 122, Juni 1994, ISSN 0587-3452, S. 60–69 (archplus.net [abgerufen am 22. Oktober 2017]).
  • Rotraut Weeber, Hennes Weeber, Gert Kähler: Architektur als Investment - Was zählt, wenn Unternehmen bauen. In: Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (Hrsg.): Baukultur!Informationen, Argumente, Konzepte. Zweiter Bericht zur Baukultur in Deutschland. Junius, Hamburg 2005, ISBN 3-88506-557-6, S. 86–93.
  • Empire State of Real Estate: Architektur lukrativer Spekulationen. Themenheft Archithese Nr. 4, 2004, ISBN 978-3-03862-215-4.
  • Ursula Seibold-Bultmann: Noch (k)eine Langeweile? In: Neue Zürcher Zeitung. 3. Oktober 2014 (nzz.ch [abgerufen am 21. Oktober 2017]).
  • Jan Friedrich: Investorenarchitektur, Künstlerarchitektur. In: Bauwelt. Band 108, Nr. 3, 2017, ISSN 0005-6855, S. 2 (bauwelt.de [PDF; 117 kB; abgerufen am 22. Oktober 2017]).

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Der Begriff Kommerzarchitektur wird zuweilen abweichend verwendet für Architektur, die als Nutzung dem Handel dient.Architektur und Kommerz. 27. Juni 2008. Ein Symposium zu Baukultur und Innenstadtentwicklung in Niedersachsen. abgerufen am 22. Oktober 2017 (PDF; 5,9 MB).
  2. a b c d Ursula Seibold-Bultmann: Noch (k)eine Langeweile? In: Neue Zürcher Zeitung, 3. Oktober 2014, abgerufen am 21. Oktober 2017.
  3. Till Briegleb: Sofort wieder abreißen! Folge 24: Investorenarchitektur. (Memento des Originals vom 19. August 2017 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.art-magazin.de Art. Das Kunstmagazin, 6. Januar 2016, abgerufen am 22. Oktober 2017.
  4. Internationales Festival für Filme zur Kunst DOKU.ARTS 2015. bundesstiftung-baukultur.de, abgerufen am 22. Oktober 2017.
  5. Roman Hollenstein: Rem Koolhaas total. Neue Zürcher Zeitung, 15. April 2004, abgerufen am 23. Oktober 2017.
  6. Werner Sewing: Berlinische Architektur. In: Arch+, Nr. 122, Juni 1994, S. 60–69, abgerufen am 22. Oktober 2017.
  7. Meinhard von Gerkan: Dialogisches Entwerfen (1986) In: Architektur im Dialog. Texte zur Architekturpraxis. Ernst & Sohn, Berlin 1995, S. 81–82.