Irren-Offensive

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Die Irren-Offensive wurde 1980 als Initiative ehemaliger psychiatrischer Patienten in West-Berlin gegründet. Die Gruppe vertritt eine antipsychiatrische Position. Die Irren-Offensive ist eine Bewegungsorganisation der Antipsychiatriebewegung, die in den USA durch Organisationen wie das Icarus Project und im Vereinigten Königreich durch The Hearing Voices Network repräsentiert wird.[1] Das „Werner-Fuß-Zentrum“, der Sitz der Irren-Offensive, hat inzwischen nach Jahren in der Scharnweberstraße 29 und im Haus der Demokratie und Menschenrechte seine Räume in der Vorbergstr. 9a, 10823 Berlin.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Irren-Offensive, die sich im Oktober 1982 als Verein eintragen ließ,[2] dient laut Satzung „der Selbsthilfe von derzeitigen oder ehemaligen Psychiatrie-Insassen und -Insassinnen“ und „arbeitet darauf hin, Verständnis für Ver-rücktsein herzustellen und neue Formen des Lebens mit dem Ver-rücktsein zu finden“. Die Einhaltung der Menschenrechte […] zu fördern, betrachtet der Verein als einen Schwerpunkt seiner Arbeit.[3] Die Lehrerin Tina Stöckle publizierte 1983 ein gleichnamiges Buch über die Irren-Offensive. Ihr zu Ehren trägt das Weglaufhaus in Berlin den Beinamen „Villa Stöckle“.

In seiner Geschichte hat der Verein Diskussionen zum Thema Selbstbestimmung von psychiatrischen Patienten in Deutschland angestoßen oder war an diesen beteiligt. Die Irren-Offensive wirkte an der Konzeption des psychiatrischen Testaments bzw. der Vorsorgevollmacht mit; in einer von ihr mitgetragenen Projektgruppe wurde auch die Konzeption des Weglaufhauses entwickelt. Bei der ersten psychiatriepolitischen Tagung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Grünen 1984 in Berlin stellte die Gruppe das Konzept einer reformierten Sozialpsychiatrie, das vor der Tagung von den Grünen vertreten wurde, erfolgreich in Frage.[4]

Der ehemalige Vizerektor der Universität Marburg, Dietmar Kamper, organisierte 1998 in Zusammenarbeit mit Gerburg Treusch-Dieter, Klaus-Jürgen Bruder und Wolf-Dieter Narr, der Irren-Offensive sowie der Berliner Volksbühne das Foucault-Tribunal zur Lage der Psychiatrie.[5] Die Irren-Offensive war in der Folge auch maßgeblich an der Planung und Durchführung eines internationalen „Russell-Tribunals“ im Jahr 2001 in Berlin beteiligt, bei dem die World Psychiatric Association angeklagt wurde. Hierbei trat der Psychiater Thomas Szasz, Gründungsmitglied des Beirats der Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte, einer Unterorganisation Scientologys, als „Chefankläger“ auf.

2002 vergab die Irren-Offensive den 1. Freiheitspreis an Thomas Szasz.[6]

2005 ging der 2. Freiheitspreis an RA Thomas Saschenbrecker.[7]

2010 bekam Wolf-Dieter Narr den 3. Freiheitspreis.[8]

2022 bekamen den 4. Freiheitspreis die Rechtsanwälte Eckart Wähner, Alexander Paetow und David Schneider-Addae-Mensah.[9]

Von der Irren-Offensive als Teil des „Werner-Fuß-Zentrums an der Freien Universität Berlin“ wurde 1999 ein „Lehrstuhl FÜR Wahnsinn“[10] ausgerufen. Das Zentrum ist benannt nach einem ca. 1994 verstorbenen Mitglied und Verkäufer der Zeitung der Irren-Offensive.[11]

2004 wurde unter Beteiligung der Irren-Offensive durch Demonstrationen, Pressearbeit und Gespräche mit Bundestagsmitgliedern eine Änderung des § 1906 in der 1. Lesung des Betreuungsänderungsgesetzes verhindert, wodurch die Möglichkeit der ambulanten Zwangsbehandlung entfiel, die im Gesetzesentwurf unter § 1906a BGB vorgesehen war.[12]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Tina Stöckle: Die Irren-Offensive: Erfahrungen einer Selbsthilfe-Organisation von Psychiatrieüberlebenden. Peter-Lehmann-Antipsychiatrieverlag, Berlin 2005. ISBN 978-3-925931-33-8. (Nachdruck der Original-Ausgabe von 1983 aus dem Extrabuchverlag.)
  • Irren-Offensive e. V. (Hg.): Irren-Offensive – 30 Jahre Kampf für die Unteilbarkeit der Menschenrechte. AG SPAK Bücher, Neu-Ulm 2010. ISBN 978-3-940865-14-4. Autoren: Alice C. Halmi, Wolf-Dieter Narr, Alexander Paetow, Thomas Saschenbrecker, René Talbot, Eckart Wähner.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Philip J. Barker und Poppy Buchanan-Barker: The Tidal Model: A Guide for Mental Health Professionals. Psychology Press, London, England 2005; ISBN 1-58391-801-9, S. 5f.
  2. Ablichtung des Eintrags zur Irren-Offensive im Vereinsregister. In: agpf.de, Aktion für Geistige und Psychische Freiheit Bundesverband Sekten- und Psychomarktberatung e. V., Material von Amtsgericht Charlottenburg. Abgerufen am 18. April 2018.
  3. „Satzung der ‚Irren-Offensive‘“: § 2 Zweck und Aufgaben
  4. Heiner Keupp: Von der „fürsorglichen Belagerung“ zur „eigenen Stimme“ der Betroffenen – Ein Vierteljahrhundert Psychiatriereform, Vorwort (Memento vom 2. Februar 2016 im Internet Archive) (PDF; 57 kB). In: Rosa Geislinger (Herausgeberin): Experten in eigener Sache: Psychiatrie, Selbsthilfe und Modelle der Teilhabe. Zenit-Verlag, München 1998, S. 27–29, ISBN 3-928316-10-9.
  5. Bericht des „Foucault Tribunal zur Lage der Psychiatrie“, abgehalten vom 30. April bis 3. Mai 1998 in der Volksbühne, Berlin. In: Psychiatrische Pflege Heute, Nr. 4/1998, S. 213–216, ISSN 0949-1619. (Abgerufen am 21. Dezember 2008.)
  6. http://www.irrenoffensive.de/szasz/start.htm
  7. https://www.irren-offensive.de/jubi/narr.htm
  8. https://www.irren-offensive.de/jubi/30.htm#narr
  9. https://www.zwangspsychiatrie.de/drei-neue-freiheitspreise-der-irren-offensive/
  10. „Lehrstuhl FÜR Wahnsinn“ im Internet. Herausgeber ist das Werner-Fuß-Zentrum, eine Gesellschaft der Irren-Offensive und des Landesverbandes Psychiatrie-Erfahrener Berlin-Brandenburg. (Abgerufen am 1. November 2011.)
  11. Irren-Offensive e.V. (Herausgeber): Irren-Offensive: 30 Jahre Kampf für die Unteilbarkeit der Menschenrechte, Seiten 18, 20 und 30.
  12. Bombosch, Hansen, Blume: Die Reise zur trialogischen Psychiatrie. In: Jürgen Bombosch (Herausgeber): Trialog praktisch: Psychiatrie-Erfahrene, Angehörige und Professionelle gemeinsam auf dem Weg zur demokratischen Psychiatrie. Paranus-Verlag, Neumünster 2004, S. 11–17, ISBN 3-926200-57-X. Zitiert nach Sabine Mayer: Hoffnung ja, aber nüchtern bleiben. (Memento vom 15. Januar 2014 im Internet Archive) (PDF; 641 kB) 2004, vorgelegt als Diplomarbeit in Sozialpädagogik, Erstprüferin Sabine Allwinn, Professorin für Psychologie an der Evangelischen Fachhochschule Freiburg, S. 49–50.