Jamila Afghani

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Jamila Afghani 2020

Jamila Afghani (* 1976 in Kabul[1][2]) ist eine afghanische Friedensaktivistin und Frauenrechtlerin. Sie ist Gründerin und Vorsitzende der Noor Educational and Capacity Development Organization (NECDO) sowie Vorstandsmitglied des Dachverbandes Afghan Women's Network (AWN). Seit 2019 ist sie Direktorin von Medica Afghanistan, der afghanischen Partnerorganisation von medica mondiale.[3] Darüber hinaus war sie eine der Teilnehmerinnen bei den intra-afghanischen Gesprächen mit den Taliban im Jahr 2019. Im Jahr 2022 wurde Jamila Afghani mit dem Aurora-Preis zur Förderung der Menschlichkeit ausgezeichnet.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Jamila Afghani wurde 1976 als eine von fünf Töchtern und mehreren Brüdern in eine privilegierte Familie aus Ghazni, die in Kabul lebte, geboren. Ihr Vater war im Import-/Export-Geschäft tätig, lebte als konservativer Muslim und verwehrte – trotz der etwas liberaleren Atmosphäre 1970er in Kabul – seinen Töchtern eine Schulbildung. Als Säugling oder Kleinkind erkrankte Jamila an Polio, von der eine Gehbehinderung und eine Skoliose[4] zurückblieb, was sie körperlich und seelisch stark belastete, da sie nicht an den Aktivitäten ihrer Geschwister teilnehmen konnte. Ein Arzt empfahl, sie zur Schule zu schicken, um sie von den Schmerzen abzulenken.[1][5]

Im Jahr 1989 floh die Familie vor den Sowjets nach Pakistan, wobei ihr Onkel an der Grenze erschossen und Jamila selbst mit einem Kopfschuss verletzt wurde, der zu bleibenden Hörschäden führte.[1][6] In Peshawar versuchte der Vater sein Geschäft wiederzubeleben und sie konnte wieder die Schule besuchen, später auch ein Studium aufnehmen – wenn auch gegen den entschiedenen Widerstand innerhalb ihrer Familie. Sie lernte unter anderem Englisch, Urdu und Arabisch[7] und machte 1999 ihren Masterabschluss im Fach Internationale Beziehungen an der Universität Peshawar;[8] einen weiteren Master hat sie in islamischem Recht.[9] Neben ihrem Studium schrieb sie unter Pseudonym Artikel etwa über Frauenrechte oder die Situation der afghanischen Flüchtlinge in Pakistan.[1]

Als sich die Situation in den Flüchtlingslagern Pakistans massiv verschlechterte, begann sie mit Hilfsaktionen in den Camps. Sie gab Alphabetisierungskurse und gründete eine erste Bildungsorganisation, die Noor Educational and Capacity Development Organization (NECDO).

Nach dem Ende des Talibanregimes 2001 in Afghanistan kehrte sie mit der NECDO zurück nach Afghanistan, um mit ihrem Bildungsprogramm größere Empfängergruppen anzusprechen. Im selben Jahr (oder 2002[10]) gründete sie das Noor Educational Centre (NEC), bei dem der Fokus auf Alphabetisierung und auch religiöser Bildung für Frauen und Kinder, aber auch Gebärdensprache, Konfliktlösung, Genderfragen geht.[6][10] Es geht Afghani unter anderem darum, dass Frauen durch eigenes Koranstudium lernen, welche Rechte sie im Islam haben und dass häusliche Gewalt nicht durch Religion legitimiert ist.[1] Nach zehn Jahren wirkte die NGO an vier Standorten in Afghanistan und hatte 47 Angestellte.[1] Von der NECDO eingerichtete Bibliotheken in mehreren Provinzen Afghanistans erreichten eine bis zu 70 % weibliche Mitgliedschaft, indem Jungen mit kleinen Geschenken dafür belohnt wurden, wenn sie Mädchen und Frauen als Büchereimitglieder anwarben.[1]

Ein bekanntes Projekt Jamila Afghanis und ihrer Organisation waren geschlechtersensibles Trainings für afghanische Imame. Gemeinsam wurden Freitagspredigten entwickelt, in denen sich die Prediger für Frauenrechte einsetzen und sich öffentlich und klar gegen häusliche Gewalt, Zwangsverheiratungen, Vergewaltigungen und andere Menschenrechtsverletzungen an Frauen positionieren.[10][5] Das Projekt fand weite Verbreitung und erreichte die Teilnahme von bis zu 6000 Imamen.[7][4]

Jamila Afghani gründete das Karamah Network of Advocacy and Human Rights, in dem 1000 Imame beteiligt waren[6] und ist Vorstandsmitglied des Dachverbandes Afghan Women's Network (AWN).[8]

2019 wurde sie als Direktorin für die afghanische Partnerorganisation von Medica mondiale gewonnen, die psychosoziale und traumasensible Beratung für Frauen mit Gewalterfahrung durchführt.[7][11]

Jamila Afghani war Teilnehmerin der intra-afghanischen Gespräche im Juli 2019 in Doha zwischen Vertretern der afghanischen Gesellschaft und den Taliban.[12][13] Vor der dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sprach sie im Juni 2019 als Vertreterin der Women’s International League for Peace and Freedom-Afghanistan. In Bezug auf die mögliche Aufnahme von Verhandlungen mit den Taliban forderte sie, dass potentielle Friedensverhandlungen nicht auf Kosten der erreichten Frauenrechte gehen dürften:[14]

„The international community must stand with us at this crucial moment and ensure that our rights will not be compromised for a political peace deal or after a settlement is reached“

Auszeichnungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Sally Kitch: Contested terrain: reflections with Afghan women leaders. Urbana, Chicago 2017, ISBN 978-0-252-09664-8.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c d e f g Joyce S. Dubensky: Peacemakers in action : profiles in religious peacebuilding. Hrsg.: Tanenbaum Center for Interreligious Understanding. Volume II. New York 2007, ISBN 978-1-107-15296-0, S. 250–265 (Digitalisat in der Google-Buchsuche).
  2. In vielen Publikationen, die nach 2015 (Erstellung des englischen Wikipedia-Artikels mit Angabe 2014) erschienen sind, wird 1974 als Geburtsdatum angegeben.
  3. Neue Direktorin Medica Afghanistan. In: memo. Neues von Medica mondiale. Hamburg Februar 2019, S. 3 (Online via medicamondiale.org [PDF]).
  4. a b c Wise Stories of Impact: Jamila Afghani. (PDF) In: wisemuslimwomen.org. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 29. Mai 2013; abgerufen am 7. Januar 2020 (englisch).
  5. a b Maija Liuhto: Thanks to this Afghan woman, 6,000 imams have taken gender-sensitivity training. In: Christian Science Monitor. 5. Januar 2017, ISSN 0882-7729 (csmonitor.com [abgerufen am 7. Januar 2020]).
  6. a b c Jamila Afghani. In: n-peace.net. N-Peace network, 2011, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 5. September 2013; abgerufen am 7. Januar 2020 (englisch).
  7. a b c Frankfurt University of Applied Sciences: Vortrag: “Current status of women's rights and peace process in Afghanistan”. Mai 2019, abgerufen am 7. Januar 2020 (englisch).
  8. a b Project for Afghan Women's Leadership: Afghan Women Leaders Speak. (PDF) In: kb.osu.edu. Mershon Center for International Security Studies, The Ohio State University, 19. November 2005, S. 8, abgerufen am 7. Januar 2020 (englisch).
  9. NECDO Founder & Chairperson Jamila Afghani’s Bio in Brief. In: necdo.org.af. Noor Educational and Capacity Development Organization, abgerufen am 14. Januar 2020 (amerikanisches Englisch).
  10. a b c Jamila Afghani, Medica Afghanistan: „Frieden darf nicht mit Frauenrechten erkauft werden“. In: medicamondiale.org. 28. Juni 2019, abgerufen am 7. Januar 2020.
  11. Christine Vallbracht: Jamila Afghani, Medica Afghanistan: „Frieden darf nicht mit Frauenrechten erkauft werden“. 28. Juni 2019, abgerufen am 14. Januar 2020.
  12. Afghanistan Chronology of Events : Security Council Report. Abgerufen am 14. Januar 2020.
  13. Shereena Qazi: The activists leading efforts for women's rights at Afghan talks. In: aljazeera.com. 8. Juli 2019, abgerufen am 14. Januar 2020.
  14. Women’s Rights Must Not Be Sacrificed during Political Deal-Making in Afghanistan, Civil Society Expert Warns Security Council amid Calls to End Bloodshed | Meetings Coverage and Press Releases. In: un.org. Vereinte Nationen, 26. Juli 2019, abgerufen am 8. Januar 2020.
  15. 2017 Aurora Prize Finalists. Abgerufen am 7. Januar 2020 (englisch).
  16. Afghani human rights and women's advocate awarded 2022 Aurora Prize. 19. Oktober 2022, abgerufen am 23. November 2022 (englisch).