Kapitalneutralisierung

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Die Kapitalneutralisierung ist ein durch die Konvergenzdiskussion (Dritter Weg) und die Alternativbewegung gebräuchlich gewordener ökonomisch-rechtlicher Fachbegriff.

Neutralisierung des Kapitals nach Rudolf Steiner[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Als Erster hat Rudolf Steiner, Begründer der Anthroposophie, Überlegungen zur „Neutralisierung des Kapitals“ angestellt.[1] Das durch den Einsatz individueller Fähigkeiten im Laufe der Zeit gebildete Eigentum an Produktionsmitteln, also das Kapital (im rechtlichen Sinne) soll den privaten Genusserwartungen seiner Eigentümer dadurch entzogen werden, indem es nach einer gewissen Zeit der Nutzung durch den Eigentümer, oder einen sonstigen traditionellen dispositiven Faktor, statt vererbt zu werden, in die Verwaltung eines Gliedes des geistigen Organismus[2] übergeht, welches dieses wiederum an einen erneuten „Fähigen“ zum weiteren wirtschaftlichen Gebrauche als Arbeitsleiter [Steiner] überträgt. Auch die Unternehmensleitung durch mehrere solcher „Fähiger“ soll möglich sein. Voraussetzung dazu sei aber ein neues Rechtssubjekt, welches dazu führe, dass das Kapital gewissermaßen „sich selbst gehört“. Dieses neue Rechtssubjekt steht in der Tradition der germanischen Allmende – und im Gegensatz zum Eigentumsbegriff des römischen Rechts. Dieses der rein privaten Verfügungsmacht entzogene Kapital stellt somit ein eigentumsrechtlich „neutralisiertes Kapital“ dar. Daher spricht man hier von „Kapitalneutralisierung“.

Kapitalneutralisierung in der Humanen Wirtschaftsdemokratie Ota Šiks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der tschechische Wirtschaftsreformer in der Regierung Alexander Dubček und Wirtschaftsprofessor Ota Šik entwickelte das Modell der Mitarbeitergesellschaft (MAG) auf der Grundlage seiner Analysen der sozialistischen Planwirtschaft und nach eigenen Betrachtungen der jugoslawischen Arbeiterselbstverwaltung. In der MAG sind die Verfügungsrechte über das Eigentum, wie sie in der Theorie der Verfügungsrechte beschrieben werden, differenziert geregelt.[3]

Kapitalneutralisierung in der heutigen Gesellschaft[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In einem Rechtssystem, das in der Tradition des römischen Eigentumsbegriffes steht, sind die von Rudolf Steiner gewollten Reformen bzw. der Entzug von persönlichem Eigentum nur bedingt möglich, etwa durch die Übertragung des Kapitals an eine gemeinnützige Stiftung, einen eingetragenen Verein, eine GmbH oder an eine Genossenschaft. Die „Neutralisierung des Kapitals“ ist unter heutigen Bedingungen aber prinzipiell möglich.[4]

Modellhaft wurde dies bereits durch die Stiftung Aktion Dritter Weg,[5] den Scott Bader Commonwealth[6] und durch die nicht-gemeinnützige WALA-Stiftung[7] sowie neuerdings auch von Götz W. Werner durch die dm-Stiftung[8] versucht.

Auch die Neuguss GmbH ist als ein kapitalneutralisiertes Unternehmen anzusehen.[9]

Neuerdings wirbt die Stiftung Purpose mit einer Broschüre ("Verantwortungseigentum – Eigentum und Führung im 21. Jahrhundert") für eine neue Variante der Kapitalneutralisierung.[10]

Kapitalneutralisierung nach dem Modell der Anarcho-Syndikalisten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Zusammenschluss alternativer Wohnprojekte Mietshäuser Syndikat, das 1992 gegründet wurde, verfasste das neutrale Kapital seiner Mitglieder als GmbH, die dem Verein der Mieter sowie dem Verbund aller Projekte gemeinschaftlich gehört. Der Verbund sichert, dass das Eigentum nicht wieder privatisiert werden kann, das ius abutendi wird also ausgeschlossen, wenn es nicht rechtlich zwingend ist. Alle übrigen Nutzungsrechte werden der Gemeinschaft der Mieter übertragen. Sie dürfen Gewinne allerdings nur zum Erhalt des Hauses oder für die Investition in neue Wohnprojekte verwenden. Dies ist eine Kapitalneutralisierung nach dem Modell der Anarcho-Syndikalisten.[11]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Rudolf Steiner: Zur Frage des Eigentums, in: Soziale Zukunft, 3. Jg., (1958), Nr. 8 / 9, S. 104–105
  • Hans-Georg Schweppenhäuser: Das Eigentum an den Produktionsmitteln, Berlin 1963
  • Hans-Georg Schweppenhäuser: Macht des Eigentums, Stuttgart 1970
  • Sozialwissenschaftliches Forum, Band 5: Eigentum – Die Frage nach der Sozialbindung des Eigentums an Boden und Unternehmen, Vlg. Freies Geistesleben, Stuttgart 2000
  • Christoph Strawe: Marxismus und Anthroposophie (Habilitation), Klett-Cotta, Stuttgart 1986, S. 225
  • Ramon Brüll: Auf dem Wege zum neutralisierten Kapitaleigentum. In: Zeitschrift INFO3, Nr. 8, 1984, S. 19–21
  • Ramon Brüll: Treuhandwirtschaft und unveräußerliches Kapital – Ein Vorschlag zur Bankenkrise. In: Zeitschrift INFO3, Nr. 11, November 2008, S. 81–86
  • Folkert Wilken: Die Befreiung der Arbeit, Vlg. Die Kommenden, Freiburg i.Br. 1965
  • Benediktus Hardorp: Kapitalverwaltung – eine Aufgabe des Geisteslebens. Zeitbedeutung und Gestaltungsansätze. In: Dietz/Schmidt-Brabant/Biesantz/Kracht/Basfeld/Hardorp/Smit (Hg.): Geisteswissenschaft und Gesellschaftsgestaltung, Vlg. am Goetheanum, Dornach 1987, S. 73–84.
  • Ota Sik: Humane Wirtschaftsdemokratie, Knaus Vlg., Hamburg 1979
  • Ota Sik: Ein Wirtschaftssystem der Zukunft, Springer Vlg., Berlin/Heidelberg/New York/Tokio 1985
  • Kap-Suhn Choi: Das Modell der "Kapitalneutralisierung" (Dissertation), Vlg. Peter Lang, Ffm 1994
  • Matthias Neuling: Auf fremden Pfaden (Dissertation), Stattbuch-Vlg., Berlin 1985

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Rudolf Steiner: Zur Frage des Eigentums, in: Soziale Zukunft, 3. Jg., (1958), Nr. 8 / 9, S. 104–105
  2. Zu verstehen als organisatorischer und ideeller Zusammenschluss der Gebiete: Bildung, Kultur und Wissenschaft.
  3. Ota Šik: Humane Wirtschaftsdemokratie. Ein dritter Weg. Hamburg 1979, Knaus-Verlag.
  4. Vgl. Matthias Neuling: Auf fremden Pfaden, Dissertation, Stattbuch-Vlg. Berlin 1985 und Ramon Brüll: Auf dem Wege zum neutralisierten Kapitaleigentum. In: Zeitschrift INFO3, Nr. 8, 1984, S. 19–21
  5. Aktion Dritter Weg. Ein Modellversuch. Ein Bericht von Rudolf Saacke, in: Max V. Limbacher: Projekt Anthroposophie, Rowohlt Vlg., Reinbek bei Hamburg 1986, S. 97–106
  6. Robert Oakeshott: Inspiration & Reality. The First Fifty Years of the Scott Bader Commonwealth, Michael Russell Publishing Ltd., Norwich 2001
  7. Wala-Stiftung
  8. „Drogeriekönig verschenkt seine Konzernanteile Stiftung“
  9. Vgl. Projekt.Zeitung: 40 Jahre Neuguss - Festschrift und Glückwünsche, Berlin Dezember 2012
  10. Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 14. März 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/purpose.ag
  11. Vgl. Stefan Rost: Das Mietshäuser Syndikat. In: Silke Helfrich/Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.): Commons. Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat, transcript-Vlg., Bielefeld 2014, S. 285–287.

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]