Kulturgeologie

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Kulturgeologie ist ein Begriff für eine Vielzahl an interdisziplinären Aktivitäten, die Geowissenschaften und kulturgeschichtliche Fachgebiete verbinden.

Beispiel für kulturgeologische Aktivität:
Steinbruch Unica in Villmar mit polierter Abbaufront. Der Villmarer Lahnmarmor aus mitteldevonischem Riffkalk wird als Nationaler Geotop geführt.

Begriffsdefinition und Ziele[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach Wolfgang Vetters[1] schafft die Kulturgeologie eine Verbindung zwischen Erdwissenschaften und Kulturgeschichte; durch die Betrachtung aus kulturgeschichtlichem und geologischem Blickwinkel ergibt sich für Vorhandenes ein neues Bild.

Speziell formulierte die österreichische ARGE Kulturgeologie: „Wir verstehen darunter alle Berührungspunkte, die sich aus der – vor allem historischen – Auseinandersetzung des Menschen mit den geogenen Grundlagen ergeben. Es sind dies die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Geologie, Landschaftsform, Landnutzung und deren Einfluss auf die gewachsene Kultur. Ein großer Bereich ist beispielsweise die Verwendung der natürlichen Rohstoffe (Erze, Baumaterialien, Schmuck- und Dekormaterialien, Rohstoffe für Haushalt, Gewerbe und Industrie). Die Kulturgeologie […] fühlt sich schließlich auch dazu verpflichtet, Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit im Rahmen von Schul- und Erwachsenenbildung zu vermitteln – um damit die Bevölkerung mit erdwissenschaftlicher Forschung, sowie ihren Erkenntnissen, vertrauter zu machen.“[2]

Seit über 150 Jahren werden in Publikationen, Vorträgen und Führungen die Wechselbeziehungen beschrieben, die zwischen mineralischen Rohstoffen, ihrem Abbau und Kulturleistungen der Menschen bestehen. Die bisher klassische Form stellt eine Erläuterung von Bau- und Dekorationsgesteinen an herausgehobenen Architekturdenkmälern dar.

Darüber hinaus haben sich weitere Themenfelder entwickelt. Eine verbreitete Aktivität sind zusammenhängende Darstellungen des Erzbergbaus und die Anwendung der von ihm bereitgestellten Rohstoffe, beispielsweise des komplexen Prozesses von der Erzgewinnung zum Metallgegenstand.
Weitere beispielhafte Themenstellungen sind der Abbau von Sandstein und Marmor sowie deren Verwendung als Mühlsteine, Bodenplatten oder Gestein für Grundmauern. Dies verdeutlicht anschaulich den interdisziplinären Ansatz von Kulturgeologie.

Im Zentrum vieler Aktivitäten der Kulturgeologie stehen hauptsächlich folgende Zielsetzungen:

  • Vermittlung von Kenntnissen über geowissenschaftliche Themen
  • Sensibilisierung von Menschen für lokalhistorische Zusammenhänge
  • Gestaltungsfragen mit Bau- und Dekorationsgesteinen oder anderer Rohstoffe und ihrer Herkunft
  • Aufzeigen von geologischen Phänomenen als Grundlage und als limitierender Faktor von kulturgeschichtlichen Entwicklungen.

Der hohe gesellschaftliche Wert von Kulturgeologie liegt dabei in der breiten Teilhabe vieler Menschen an wissenschaftlichen und kulturellen Entwicklung auf mehreren Sektoren. Dadurch können ihnen Zusammenhänge und deren historische Entwicklung deutlich werden.

Der österreichische Geologe Alois Kieslinger verband mit seinen Publikationen über die Bau- und Dekorationsgesteine eine Betrachtung der Steingewinnungsorte und der jeweiligen Bauwerks- und Architekturgeschichte. Das brachte ihm den Ruf als Begründer der Kulturgeologie ein.[3]

Beginn der Aktivitäten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Terminus „Kulturgeologie“ tritt seit 1989[4] im Zusammenhang mit Forschungen über die komplexen Zusammenhänge zwischen Geowissenschaften und Kulturwissenschaften an den Universitäten von Salzburg und Wien zunehmend öffentlich auf. Aktivitäten vergleichbarer Art sind allerdings seit etwa 150 Jahren belegt und haben sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts deutlich verstärkt.

Im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert haben sich die Naturalienkabinette als Sammlungen von Naturobjekten einer großen Aufmerksamkeit erfreut und eine große Sensibilität in Hinsicht auf Naturbeobachtungen unter der Bevölkerung erzeugt. Schließlich führte der Aufbau von zunächst mehrfach privaten Sammlungen auf direktem Wege zur Ausprägung spezieller naturwissenschaftlicher Zweige (z. B. Paläontologie) und initiierte auf diese Weise den Aufbau großer öffentlicher Sammlungen.

Der bisher früheste öffentlich bekannte kulturgeologische Beitrag zu Natursteinen in der Architektur, ihren Abbauorten sowie stratigraphischer Einordnung und fossilen Bestandteilen findet sich in einem Vortrag von Eduard Suess vom 28. April 1862 vor den Mitgliedern des Vereins zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse in Wien. Dabei ging der Vortragende schwerpunktmäßig auf die mineralischen Rohstoffe des Wiener Beckens ein, wie Sand, Kalkstein, Ton und Werksteinbrüche. Die Bemühungen von Eduard Suess sind im Zusammenhang mit seinen Vortragstätigkeiten zu betrachten, die sich seit 1857 mit paläontologischen Themen an eine interessierte Wiener Öffentlichkeit richteten.

Als weiteres frühes Beispiel explizit kulturgeologischer Aktivitäten im modernen Verständnis und geradezu von zentraler Bedeutung für diese Anliegen können die Vorträge von Felix Karrer (1825–1903) und seine ungewöhnlichen Sammlungsaktivitäten in Wien gelten. Er hielt am 24. Januar 1878 im Wissenschaftlichen Club von Wien einen Vortrag über die untergegangene Thierwelt in den Baumaterialien Wiens. Die dadurch erzeugte große Aufmerksamkeit für paläontologische Spuren in Gesteinen führte zu einer Schenkung durch die Bau-Direction der Union-Baugesellschaft von zahlreichen Mustertafeln (12 × 8 × 3 cm) aus Steinbrüchen an das Hof-Mineralien-Cabinet. In der Folge erweiterte man diese Sammlung um alle bisher in Wien und anderen großen Städten der Donaumonarchie zur Anwendung gekommenen Baugesteine auf einen Umfang von etwa 2000 Exemplaren. Eine weitere großzügige Schenkung vom Österreichischen Ingenieur- und Architekten-Verein ergänzte 1883 die Sammlung um weitere 2500 Exemplare. Im Jahr 1886 verfügte diese Sammlung vom k.k. naturhistorischen Hofmuseum (heute Naturhistorisches Museum Wien) über etwa 5000 Muster von Werksteinen der österreichisch-ungarischen Monarchie und zusätzlich eine nicht näher bezifferte Anzahl von Marmoren aus älteren Sammlungsbeständen. Damit war sie in ihrem Umfang zu einer einzigartigen Kollektion angewachsen. Das war wohl auch der Anlass, dass der Kurator dieser ungewöhnlichen Sammlung, Felix Karrer, am 22. Februar 1886 im Wissenschaftlichen Club in Wien einen Vortrag mit dem Titel Die Monumentalbauten in Wien und ihre Baumaterialien hielt. Darin zeigte er nicht nur die große Vielfalt verwendeter Natursteine in der Wiener Architektur und Kunst auf, sondern konnte durch anschauliche Gesteinsvergleiche die stratigraphischen Zusammenhänge über große geographische Distanzen hinweg demonstrieren. Schließlich verwies er auf die Bedeutung der österreichischen Tonlagerstätten für die Ziegelproduktion, der Kalksteinlagerstätten zur Herstellung von Zementen und Baukalken sowie quartäre Sandablagerungen, die den Bau- und Zuschlagstoffen als unentbehrliche Rohstoffquellen dienen.

Diese Entwicklung kann als eine wesentliche historische Voraussetzung betrachtet werden, dass sich in Österreich der Terminus „Kulturgeologie“ aus dem Komplex umfassender moderner Aktivitäten herausgebildet hat. Einen wichtigen Beitrag leistete dazu auch die langjährige Öffentlichkeitsarbeit durch die Geologische Bundesanstalt.

In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass im 1887 herausgegebenen Report on National Museum 1886 von George P. Merrill, dem damaligen Sammlungskurator in der Abteilung Gesteinskunde und Physikalische Geologie, eine umfassende Abhandlung über US-amerikanische Natursteine gegeben wurde. In diesem Werk zählt Merrill in einer Tabelle viele repräsentative Gebäude auf und vermerkt jeweils die wichtigsten Gesteine ihrer Architektur und das Jahr der Errichtung.

Beispiele für Aktivitäten (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Diese Auswahl soll in kurzer Form die zu verzeichnenden Aktivitäten skizzieren und deren internationale Verbreitung aufzeigen.

Deutschland[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In Deutschland werden in einer nunmehr wachsenden Zahl von Städten seit Jahrzehnten gesteinskundliche Führungen veranstaltet und zum Teil in die Lehre von Schulen und Universitäten integriert.

Frankreich[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Frankreich tritt durch exzellente Aktivitäten auf dem Gebiet der Kulturgeologie als Kulturnation hervor. Eine beträchtliche Zahl aufwendiger Publikationen ist hauptsächlich von einem Ansatz breit gefächerter Denkmalpflegegesichtspunkte getragen.

Großbritannien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In Großbritannien existieren besonders zahlreiche Publikationen über die Architektur und die Straßenbeläge in Städten, die sich an interessierte Menschen wenden. Ihre konzeptionelle Gliederung zeichnet sich besonders durch allgemeinverständliche Texte und Illustrationen aus, was auf einen besonderen didaktischen Akzent schließen lässt.

Republik Südafrika[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der südafrikanischen Metropole Kapstadt werden gesteinskundliche Führungen vom Naturhistorischen Club angeboten und ausgewählte Gebäude vorgestellt.

Russland[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In Russland wurde bereits im frühen 20. Jahrhundert durch Geologen des Polytechnischen Institutes in Sankt Petersburg auf die Verwendung unzähliger russischer Natursteine in der Außen- und Innenarchitektur bedeutsamer Bauwerke hingewiesen. Nennenswerte jüngere Aktivitäten sind in Sankt Petersburg vorhanden.

USA[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In den Vereinigten Staaten hat sich unter dem Dach der Geological Society of America durch die Abteilung North-Central während einer Reihe zahlreicher Symposien das Konzept cultural geology entwickelt. Im Zuge dieser Aktivitäten ist seit dem Ende des 20. Jahrhunderts eine größere Anzahl von Publikationen über die Anwendung von Natursteinen in US-amerikanischen Städten entstanden.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Wolfgang Vetters: Die Gewinnung der Obelisken im Alten Ägypten als Beispiel für Gedanken zu einer Kulturgeologie. In: Forum Archaeologiae – Zeitschrift für klassische Archäologie 30 III, 2004 (univie.ac.at, abgerufen am 21. März 2021).
  2. Andreas Thinschmidt, Werner Gesselbauer (Arbeitsgemeinschaft Kulturgeologie): Kulturgeologie. Erdwissenschaften und Kulturlandschaftsforschung. (Memento vom 22. August 2017 im Internet Archive). Abschnitt Was ist Kulturgeologie? Abgerufen am 21. März 2021.
  3. Deutsche Nationalbibliothek, abgerufen am 21. März 2021.
  4. Wolfgang Vetters: Kulturgeologie – Beispiele aus Antike und Neuzeit. Kapitel 8 Postscriptum. In: Mitteilungen der Österreichischen Geologischen Gesellschaft. Band 93, 2000, S. 181–185 (zobodat.at [PDF; 609 kB; abgerufen am 21. März 2021]).

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Douglas I. Cole: The building stones of Cape Town. A geological walking tour (Popular Geoscience Series; Bd. 3). Council for Geoscience, Kapstadt 2002, ISBN 1-919908-19-6.
  • Joseph T. Hannibal, Sabrina F. Thomas, W. Thomas Straw: Building stones and cultural geology of Evansville, Indiana, USA. In: Anton H. Maria, Ronald C. Counts (Hrsg.): From the Cincinnati Arch to the Illinois Basin. Geological Field Excursions along the Ohio River Valley (GSA Field Guide; Bd. 12). GSA, Boulder, Colo. 2008, ISBN 978-0-81370-012-0, S. 81–103.
  • Zdenek Hanzl et al.: Kámen v rukodělné výrobě českého venkova. Nakladatelství Lidové noviny, Prag 2003, ISBN 80-7106-536-6.
  • Pascal Julien (Text), Jean-Claude Lepert (Photographien): Marbres de carrières en palais. Du midi à Versailles; du sang des dieux à la gloire des rois; XVIè–XVIIIè siècle. Le bec en l’air éditions, Manosque 2006, ISBN 978-2-916073-02-6.
  • Alois Kieslinger: Die Steine von St. Stephan. Herold, Wien 1949.
  • Toni P. Labhart: Steinführer Bundeshaus Bern (Schweizerische Kunstführer; Bd. 719). GSK, Bern 2002, ISBN 3-85782-719-X.
  • Toni P. Labhart, Manuel Kehrli: Kamine aus bernischen Marmoren, Schloss Jegenstorf. Stiftung Schloß Jegenstorf, Basel 2003, ISBN 3-9522728-0-9.
  • Graham Lott, Bill Barclay: Geology and building stones in Wales (south). BGS, Nottingham, 2002, ISBN 0-85272-422-5.
  • Wolf Mayer: Images in stone. A guide to the building stones of Parliament House. AGPS, Canberra 1996, ISBN 0-644-35725-8.
  • Ulrich Obojes, Walter Hauser, Peter W. Mirwald: Naturwerkstein und Denkmalpflege in Tirol. Stein als Baustoff, Forschungsobjekt und Kulturgut (Kulturgüter in Tirol; Bd. 7). Tiroler Kunstkataster, Abteilung Kultur im Amt der Tiroler Landesregierung, Innsbruck, 2007, 56 S.
  • Rino Sartori: Pietre e „Marmi“ di Firenze, Notizie storiche, antiche cave, genesi e presenza nei monumenti. Alinea Editrice, Florenz 2002, ISBN 88-8125-642-8.
  • Johannes H. Schroeder (Hrsg.): Naturwerksteine in Architektur und Baugeschichte von Berlin. Gesteinskundlicher Stadtbummel zwischen Alexanderplatz und Großem Stern (Führer zur Geologie von Berlin und Brandenburg; Bd. 6). 2. Aufl. Selbstverlag Geowissenschaftler in Berlin und Brandenburg e.V., Berlin 2006, ISBN 978-3-928651-12-7.
  • Robert Seemann, Herbert Summesberger: Wiener Steinwanderwege. Die Geologie der Großstadt. Verlag Christian Brandstätter, Wien 1998, ISBN 3-85447-787-2.
  • Michel Septfontaine (Text), Stefan Ansermet (Photographien): Belles et utiles pierres de chez nous. Musée cantonal de géologie, Lausanne 1999, ISBN 2-97001-491-2 (Katalog der gleichnamigen Ausstellung MCG, 14. Januar bis 21. März 1999).
  • Wolfgang Vetters: Cultural Geology - A New View of Earth Sciences. In: Proceedings of International Symposium on Earth System Sciences, 8.–10. September 2004. Dedicated to the memory of Prof. Sirrı Erinç. Universität, Istanbul 2004, S. 169–172, ISBN 97-5404-733-2.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]