Liqueszenz

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Liqueszenzen (lateinisch für schmelzen) sind in der Notation des Gregorianischen Chorals spezielle Formen von Neumen, die bei bestimmten Buchstabenfolgen als Aussprachezeichen für den zu singenden Text benutzt werden können.[1]

Eine Liqueszenz hat keinen direkten Einfluss auf die musikalische Interpretation des Gesangs, sondern soll nur auf einige Besonderheiten bei der Aussprache von bestimmten mehrsilbigen Wörtern beziehungsweise Wortfolgen hinweisen. So werden sie beispielsweise bei Diphthongen innerhalb von Wörtern (zum Beispiel bei autem oder eius) oder beim Wechsel von Konsonanten (zum Beispiel bei tollis oder gentes) verwendet, um anzuzeigen, dass die Laute deutlich artikuliert aber nicht getrennt – also gewissermaßen „verschmolzen“ – artikuliert werden sollen.

Im deutschsprachigen Raum sind Liqueszenzen im Allgemeinen nicht sonderlich von Bedeutung, da für die muttersprachlichen Sänger die deutliche Aussprache des Kirchenlateins keine Probleme bereitet. In anderen Sprachregionen wie etwa Beispiel Spanien oder Frankreich sind Liqueszenzen indessen häufiger eine Hilfe für die deutlichere Artikulation der Texte des gregorianischen Repertoires.

Formen von Liqueszenzen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Quadratnotation wird bei den liqueszierenden Neumen der letzte Ton als Stichnote transkribiert. In den neumatischen Handschriften wird die Strichführung am Ende der Neume in der Regel dabei verkürzt und/oder gekrümmt dargestellt.

Bezeichnung Quadratnotation Notation St. Gallen / Einsiedeln
Ancus = liqueszensierter Climacus
Cephalicus = liqueszensierte Clivis
Epiphonus = liqueszensierter Pes

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Heinrich Freistedt: Die liqueszierenden Noten des Gregorianischen Chorals. Ein Beitrag zur Notationskunde (= Veröffentlichungen des Musikwissenschaftlichen Instituts der Universität Freiburg in der Schweiz. Teil 1: Veröffentlichungen der Gregorianischen Akademie zu Freiburg in der Schweiz. 14, ZDB-ID 504100-4). St. Paulusdruck, Freiburg (Schweiz) 1929, (Zugleich: Freiburg (Schweiz), Universität, Dissertation, 1929).
  • Dirk van Betteray: Quomodo cantabimus canticum Domini in terra aliena. Liqueszenzen als Schlüssel zur Textinterpretation, eine semiologische Untersuchung an Sankt Galler Quellen (= Studien und Materialien zur Musikwissenschaft. 45). Olms, Hildesheim u. a. 2007, ISBN 978-3-487-13407-9 (Zugleich: Graz, Kunstuniversität, Dissertation, 2005; Zusammenfassung (Memento vom 3. April 2016 im Internet Archive)).
  • Anton Stingl jun.: Die Konjunktion „et“ als Schlüssel zur Liqueszenz. 1. Auflage. EOS Verlag, Sankt Ottilien 2017, ISBN 978-3-8306-7808-3 (235 S.).

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Clemens M. Kasper, Klaus Schreiner (Hrsg.): Viva vox und ratio scripta. Mündliche und schriftliche Kommunikationsformen im Mönchtum des Mittelalters (= Vita regularis. Bd. 5). Lit, Münster 1997, ISBN 3-8258-2950-2, S. 171 f.