Lohberger Brigade

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Als Lohberger Brigade oder Brigade Lohberg wird eine Gruppe von rund 25 Personen aus der salafistisch-dschihadistischen Szene in Dinslaken-Lohberg bezeichnet. Gegen einen Teil dieses Personenkreises waren bzw. sind staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren anhängig. Mehr als ein Dutzend dieser Personen waren bzw. sind nach Syrien ausgereist. Einige von ihnen sind wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Vor der Gründung der Gruppe hatten sich einige ihrer Mitglieder bei den Grauen Wölfen radikalisiert.[1]

Die Bezeichnung Brigade Lohberg wurde nach Ansicht des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen über Internet-Propaganda bekannt. Darin soll sich mit diesem Begriff eine Gruppe bezeichnet haben, die sich anfangs gemeinsam in Syrien aufgehalten hatte. Der Name suggeriere die Existenz einer zusammenhängenden Gruppe deutschsprachiger Personen. Gleichwohl wurden keine gemeinsamen Gewaltaktionen dieser Gruppe bekannt. Es erschienen jedoch Berichte, dass Mitglieder dieser Gruppe in einem Foltergefängnis der terroristischen Vereinigung Islamischer Staat (IS) gearbeitet hatten[2] und dass einige Personen aus dieser Gruppe unter Umständen verstorben waren, die nahelegen, dass sie sich ebenfalls dem IS angeschlossen hatten.

Ehemaliges Ledigenheim der Werksiedlung Alt-Lohberg, Steigerstraße 13, Sitz des 2011 gegründeten Dinslakener Instituts für Bildung

Zu diesen verstorbenen Personen zählen Hasan D., Marcel L. sowie Mustafa K., über den im Internet ein Bild mit geköpften, mutmaßlich kurdischen Kämpfern in Nord-Syrien kursierte.[3] Über Marcel L. liegen Berichte vor, nach denen er im Dienste des Islamischen Staats an Folterungen von Gefangenen beteiligt war. Hasan D. (alias Abū Ǧaʿfar al Almani) kam nach Angaben von Sicherheitsbehörden im Frühjahr 2015 bei Kämpfen um die nordsyrische Stadt Ain al-Arab (Kobanê) um. Seinen „heldenhaften“ Lebensweg würdigte das IS-Magazin Dabiq 2016 in einer deutschsprachigen Ausgabe.[4] Er war der zweite Vorsitzende eines „Bildungsvereins“ mit dem Namen Dinslakener Institut für Bildung[5][6] gewesen, den die Lohberger Brigade im August 2011 in Dinslaken-Lohberg gegründet hatte[7] und aus dem heraus später zwei Dutzend Extremisten als freiwillige Kämpfer nach Syrien zogen.[8]

Als ein Hauptakteur aus der Lohberger Brigade wird der aus Dinslaken stammende Konvertit Philip B. (alias Abu Usama al-Almani) eingeschätzt. Er reiste als einer der ersten aus Nordrhein-Westfalen aus und bekannte sich zum Islamischen Staat. Dessen selbsternanntem „Kalifen“ gelobte er die Treue[9] und rief seine Glaubensbrüder dazu auf, nach Syrien zu kommen und im Kampf gegen die Ungläubigen „alles für Allah zu geben“.[10] Es bestehen Hinweise, dass sich Philip B. am 5. August 2014 südwestlich der irakischen Stadt Mossul als Selbstmordattentäter mit einem mit Sprengstoff präparierten Lastwagen in die Luft gesprengt und dabei zwanzig Kurden mit in den Tod gerissen hat.

In einem Prozess vor dem Oberlandesgericht Celle machte Nils D. (alias Abu Ibrahim al-Almani), ein Konvertit und Syrien-Heimkehrer der Lohberger Brigade sowie Cousin von Philip B., im November 2015 umfangreiche Zeugenaussagen über sich und andere IS-Kämpfer. Demnach ist er 2013 nach Syrien ausgereist und hatte von April bis November 2014 einer IS-Spezialeinheit angehört, die „Deserteure“ des Islamischen Staats verfolgte, folterte und hinrichtete.[11] Außerdem wirkte er als IS-Gefängniswärter. Seine Aussagen enthielten Berichte über öffentliche Erschießungen, Enthauptungen und eine Kreuzigung.[12] Sie führten auch zu der Erkenntnis, dass sich die Lohberger Brigade mit der Gruppe Millatu Ibrahim aus Solingen in Syrien getroffen und dort teilweise gemeinsam im Bürgerkrieg operiert hatte. Von dem Oberlandesgericht Düsseldorf wurde Nils D. Anfang März 2016 wegen seiner Geständnisse und Aussagen als Kronzeuge zu einer vergleichsweise milden Haftstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt.[13] Nachdem ein syrischer Zeuge den Vorwurf erhoben hatte, Nils D. habe im zweiten Halbjahr 2014 als Mitglied eines „Sturmtrupps“ des IS im Gefängnis der nordsyrischen Stadt Manbidsch zusammen mit anderen Männern drei Gefangene zu Tode gefoltert und danach ihre Leichen in Säcken weggeschafft, begann der Generalbundesanwalt ein neues Ermittlungsverfahren, das 2018 zu einem erneuten Haftbefehl gegen Nils D. führte.[14] Seit dem 4. September 2019 musste sich Nils D. erneut vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf verantworten.[15] Am 26. November 2021 wurde Nils D. unter Anrechnung bereits verbüßter Haftzeit wegen Mordes in Tateinheit mit Kriegsverbrechen gegen Personen und mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu zehn Jahren Haft verurteilt. Seine Mitwirkung an der Folterung und Ermordung eines Gefangenen sah das Oberlandesgericht Düsseldorf als gegeben an.[16]

Im November 2015 berichteten Medien, dass Abdelhamid Abaaoud, der als Planer der Terroranschläge am 13. November 2015 in Paris gilt, im Frühjahr 2014 mit Mitgliedern der Lohberger Brigade in einem Haus im nordsyrischen Aʿzāz gewohnt habe.[17] Im Dezember 2015 wurde berichtet, dass Hüseyin D., Bruder von Hasan D. und ebenfalls ein Mitglied der Lohberger Brigade, im Zusammenhang mit den Pariser Terroranschlägen vom 13. November 2015 von deutschen Behörden zur internationalen Fahndung ausgeschrieben ist. Er soll mit Abaaoud in Syrien in einem Haus zusammengelebt haben und mit ihm eng befreundet gewesen sein.[18] Dies legen Fotos nahe, die bei Nils D. gefunden wurden.[19]

Die liberal-islamisch orientierte Religionspädagogin Lamya Kaddor stellte 2013 mit Enttäuschung fest, dass fünf der Personen, die sich der Lohberger Brigade angeschlossen hatten und nach Syrien gegangen waren, zuvor Schüler ihres Schulversuchs „Islamkunde in deutscher Sprache“ gewesen waren, des Vorgängermodells für den heute regulären Islamunterricht in Nordrhein-Westfalen.[20][21] In Dinslaken sei die Integration „gnadenlos gescheitert“, der Salafismus sei dort zu einer Jugendbewegung geworden.[22] Als eine Ursache für den salafistischen Extremismus in Lohberg und anderen Orten in Deutschland konstatierte Eyüp Yildiz, erster stellvertretender Bürgermeister von Dinslaken (SPD), eine „Blase aus religiöser und sozialer Abschottung“, zu der auch eine Begeisterung für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan gehöre, sowie eine „gescheiterte Integrationspolitik“.[23]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen: Verfassungsschutzbericht für das Land Nordrhein-Westfalen für das Jahr 2014. 2., überarbeitete Auflage, Düsseldorf 2015, S. 146 f. (PDF)

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. ZDF-Magazin „Frontal 21“: Türkische Faschisten in Deutschland / Islamisten der sogenannten Dinslakener Zelle bei Grauen Wölfen radikalisiert. ZDF, 25. Mai 2015, archiviert vom Original am 2. August 2016;.
  2. Martin Gehlen: Doppeloffensive gegen den IS in Syrien. Artikel vom 8. Juni 2016 im Portal stuttgarter-nachrichten.de, abgerufen am 13. Juni 2016.
  3. Klaus Hummel, Michail Logvinov (Hrsg.): Gefährliche Nähe: Salafismus und Dschihadismus in Deutschland. ibidem-Verlag, Stuttgart 2015, ISBN 978-3-8382-6569-8, S. 56.
  4. Ahmet Senyurt: Die Stimme des Terrors auf Deutsch. Artikel vom 29. Februar 2016 im Portal br.de, abgerufen am 13. Juni 2016.
  5. Anna Neifer: Die Geheimpolizei des Islamischen Staats. Artikel vom 27. Januar 2016 im Portal motherboard.vice.com, abgerufen am 14. Juni 2016.
  6. Anne K. Strickstrock: Im Einsatz für den Islamischen Staat: Die Ausreise Jugendlicher und junger Erwachsener aus Deutschland nach Syrien und in den Irak. Artikel vom 11. Dezember 2014 im Portal bpb.de (Bundeszentrale für politische Bildung), abgerufen am 14. Juni 2016.
  7. Christoph Ehrhardt: Drei Dschihadisten aus Dinslaken ums Leben gekommen. Artikel vom 11. Januar 2015 im Portal faz.net, abgerufen am 12. Dezember 2015.
  8. Jörg Diehl, Fidelius Schmid: IS-Kronzeuge Nils D. vor Gericht: Gescheitert, erweckt und abgehauen. Artikel vom 20. Januar 2016 im Portal spiegel.de, abgerufen am 14. Juni 2016.
  9. Another German terrorist joining al Qaeda/FSA groups in syria to fight the infidels and establish an islamic state (caliphate), Webseite mit Video im Portal liveleak.com, abgerufen am 13. Juni 2016.
  10. Christian Weisflog: Von der Gartenstadt zum „Terrornest“. Artikel vom 18. Februar 2016 im Portal nzz.ch, abgerufen am 13. Juni 2016.
  11. Reiner Burger: Die Spur von „Millatu Ibrahim“. Artikel vom 29. November 2015 im Portal faz.net, abgerufen am 12. Dezember 2015.
  12. Deutscher IS-Rückkehrer muss ins Gefängnis. Artikel vom 4. März 2016 im Portal dw.com, abgerufen am 6. März 2016.
  13. Kristian Frigelj: „Das Allerbeste auf der Welt ist der Märtyrertod“. Artikel vom 4. März 2016 im Portal welt.de, abgerufen am 6. März 2016.
  14. Deutscher soll drei IS-Gefangene zu Tode gefoltert haben, Artikel vom 3. März 2018 im Portal spiegel.de, abgerufen am 3. März 2018
  15. Gerhard Piper: Terrorkarriere und Strafverfolgung. Artikel vom 17. September 2019, abgerufen am 3. Oktober 2019
  16. Oberlandesgericht Düsseldorf: Urteil in dem Verfahren gegen Nils D. wegen Mordes und Kriegsverbrechen gegen eine Person als Mitglied des „IS“, Webseite im Portal guetsel.de, abgerufen am 29. November 2021
  17. Jörg Diehl, Fidelius Schmid: „Lohberger Brigade“: Paris-Attentäter hatten enge Kontakte zu deutschen Islamisten. Artikel vom 28. November 2015 im Portal spiegel.de, abgerufen am 12. Dezember 2015.
  18. Terror in Paris: Sicherheitskräfte fahnden nach deutschem Islamisten. Artikel vom 11. Dezember 2015 im Portal spiegel.de, abgerufen am 12. Dezember 2015.
  19. Ahmet Senyurt, Sebastian Kemnitzer: Spuren und Verbindungen nach Deutschland. Artikel vom 2. Dezember 2015 im Portal br.de, abgerufen am 12. Dezember 2015.
  20. Yassin Musharbash: „Nicht einmal die Freundinnen haben etwas geahnt“. Interview mit Lamya Kaddor, aktualisiert am 24. Mai 2013, abgerufen im Portal zeit.de am 12. Dezember 2015.
  21. Lamya Kaddor: Zum Töten bereit: Warum deutsche Jugendliche in den Dschihad ziehen. Piper Verlag, München/Berlin 2015, ISBN 978-3-492-97055-6.
  22. Islam-Lehrerin Lamya Kaddor und die „Lohberger Brigade“. Artikel vom 13. Oktober 2014 im Portal derwesten.de, abgerufen am 12. Dezember 2015.
  23. Eva Berger: Lost in Lohberg. Artikel vom 31. März 2015 im Portal taz.de, abgerufen am 14. Juni 2016.