Mein west-östlicher Divan

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Mein west-östlicher Divan ist ein 2022 in Berlin bei PalmArtPress erschienener Roman[1] des deutsch-marokkanischen Schriftstellers und Philosophen Fawzi Boubia. Zuvor wurde er in Deutschland, Österreich und in der Schweiz unter dem Titel Heidelberg-Marrakesch, einfach vertrieben. Mit dem neuen Titel kündigt sich noch deutlicher das programmatische Bekenntnis des Autors zu Brückenschlägen zwischen abend- und morgenländischer Kultur in der Nachfolge Goethes an. Er ist der erste und bisher einzige Roman, der in Marokko auf Deutsch geschrieben und in Deutschland publiziert wurde.

Handlung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Ich-Erzähler, ein in Heidelberg lebender marokkanischer Wissenschaftler, in der deutschen Gesellschaft sehr gut integriert, von der deutschen Sprache und Kultur hellauf begeistert, stellt bei den deutschen Behörden einen Antrag auf Einbürgerung.

An einem Dienstag, unmittelbar nachdem der Erzähler einige Tage zuvor mit Freunden und Verwandten sowohl das islamische Opferfest als auch Pfingsten, die zusammenfielen, gefeiert hatte, erhält er die Nachricht, dass sein Antrag auf Einbürgerung angenommen wurde. Euphorisch geht er zunächst einmal in ein Café an der Alten Brücke fürstlich frühstücken. Beim Lesen der Tageszeitung erfährt er von einem schrecklichen Brandanschlag gegen Ausländer, dem eine ganze Familie zum Opfer fällt. Er verzichtet unter diesen Umständen auf die Einbürgerung und irrt an diesem verhängnisvollen Dienstag völlig betroffen, entsetzt und verstört in Heidelberg und Umgebung umher und vergegenwärtigt sich dabei seines Werdegangs in Orient und Okzident.

Interessant sind auch die inhaltlichen Bezüge zu Boubias umfangreichem Werk Von Deutschland lernen: Goethe und Hegel. Mit einem Geleitwort von Hans Christoph Buch.[2]

Rezeption[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hans Robert Jauß zufolge ist der Roman „ein seltenes Zeugnis der Begegnung zweier Kulturen“ und der Romanist Arnold Rothe, Spezialist für die Maghreb-Studien an der Universität Heidelberg, fragte sich, ob es sich bei diesem Werk um einen „Abschied von einem Mythos“ handelt, und stellte darüber hinaus fest: „Ein Dokument für die Labilität der Akkulturation eines Intellektuellen hierzulande, für dessen Hypersensibilität bei der Wahrnehmung des gesellschaftlichen Umfelds, für die Neigung, auch noch Entferntes auf sich zu beziehen […] kurz: für die psychologischen Schwierigkeiten, in dem neuen Gemeinwesen als sozusagen ganz normaler Bürger zu empfinden und zu reagieren.“[3]

Der Dichter Johannes Balve wendet sich der Struktur des Romans zu: „Geschickt werden Rückblenden eines idyllischen Deutschlandbildes und romantische Erlebnisse in die Erzählung des durch Heidelberg flanierenden Erzählers eingebaut und mit den ernüchternden Beobachtungen der Gegenwart konfrontiert. Zunehmend verwischen die Grenzen zwischen Imagination und Wirklichkeit, Tagträume mit starken Bildern und einer selbständigen Dynamik ergreifen durch ihre mitreißende Intensität.“[4]

Für den Schriftsteller und Philosophen Reinhard Knodt steht die Problematik von Identität und Alterität im Mittelpunkt des Romans: „Im Augenblick dieses schmerzlich empfundenen Identitätstransfers verwebt sich der Erzähler in ein Netz von Gedanken und Erinnerungen an die verlorene Heimat, an die Studienzeit in Heidelberg und an seinen Werdegang in Deutschland im Schatten von Ausländerfeindlichkeit, Rassismus, Rechtsextremismus und mörderischen Anschlägen, aber auch im Licht der Studentenbewegung, der Willkommenskultur, der Lichterketten und der Solidarität vieler Menschen. Somit entwirft er [der Autor] ein recht persönliches Panorama der Geschichte Deutschlands in der Nacht, das er mit dem Land der Dichter und Denker als auch mit dem Anderen Deutschland konfrontiert.“[5] Und gelangt zu dem Schluss: „von der ersten bis zur letzten Seite faszinierend – eine Meisterleistung der Ironie!“[6]

Der ägyptische Germanist Mustafa Maher hat insbesondere die arabisch-islamischen kulturellen Grundlagen, Hintergründe und Anspielungen des Romans herauskristallisiert und, davon ausgehend, die These vertreten, dass der Autor hier ein anderes, bisher unbekanntes Bild Deutschlands, ein anderes Deutschland eben, präsentiert.[7]

Für den Schriftsteller Habib Mazini ist der Roman, „un vibrant hommage à l’intelligence de tout bord… A lire absolument!“[8] Dem französischen Literaturwissenschaftler Jacques Proust zufolge vermittelt die Odyssee des Ich-Erzählers bei näherer Betrachtung „eine starke spirituelle Erfahrung“.[9] und Uri Avnerys prompte Reaktion auf das Buch war: „Ich finde es herrlich“[10]

Die Neue Zürcher Zeitung feierte das Werk als „ungewöhnlichen Exilroman“[11] und Die Tageszeitung übersteigerte sich zu dem Fazit: „Der unterhaltsame Roman ist seit langem das Beste, was Migrationsliteratur zu diesem Thema hervorgebracht hat.“[12]

Ende Dezember 2022 wurde der Roman im Rahmen der Sendung Büchermarkt vom Deutschlandfunk „Das letzte Wort hat Goethe“ besprochen: „Den Weg von der Koranschule seiner Kindheit zur Leidenschaft für die deutsche Kultur und Sprache (…) erzählt Boubia als historisch-biographische Zeitreise zwischen Orient und Okzident. Postkoloniale Kulturkämpfe in Marokko gehören ebenso zu diesem Panorama wie surreale Tagträume im gegenwärtigen Heidelberg.“[13]

Auch ist dieser Roman auf Arabisch[14] und auf Französisch[15] erschienen, vom Autor selbst in die beiden Sprachen übersetzt.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Salim Jay, Anthologie des écrivains marocains de l'émigration. Casablanca, Editions La Croisée des Chemins, 2010.
  • Les écrivains de la diaspora marocaine, Le Magazine Littéraire du Maroc, Numéro Hors-Série, été 2010.
  • Babel Littéraire, Les auteurs marocains écrivent dans toutes les langues... même en allemand, TEL QUEL, Numéro 22, Avril 2006.
  • Amina Talhimet et Driss Ksikes, Premier itinéraire romanesque de Fawzi Boubia en allemand. Tolérance marocaine à l’épreuve de la xénophobie. In : Libération, 4 juillet 1996.
  • Salwa Idrissi-Moujib, Fawzi Boubia. Heidelberg – Marrakesch, einfach. Mainz : Donata Kinzelbach, 1996.
  • Mustafa Maher, Fawzi Boubias Roman Heidelberg-Marrakesch, einfach oder Das andere Deutschland . In: Ulrich Müller (Hg.), Schnittpunkt der Kulturen, Stuttgart, Akademischer Verlag 1998, p. 397-408.
  • Ulrich Müller, Margarete Springeth, Interkulturelle Konflikte zwischen Islam und Europa: Der Roman Heidelberg-Marrakesch, einfach (1996) von Fawzi Boubia. In: Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften no 5, 5 juillet 1998.
  • Habib Mazini, Hégire en Occident de Fawzi Boubia aux Éditions Marsam: Un vibrant hommage à l’intelligence de tout bord. In : Libération, 13 avril 2012.
  • Zakariae Soltani, Fawzi Boubias Heidelberg-Marrakesch, einfach – Ankunft im Raum kultureller Hybridität. In: Andreas Pott, Khatima Bouras-Ostmann, Rahim Hajji, Soraya Moket (Hrsg.): Jenseits von Rif und Ruhr: 50 Jahre marokkanische Migration nach Deutschland. Springer-Verlag, Wiesbaden 2014, p. 190-198.
  • Michaela Holdenried, Geistergespräche. Fawzi Boubias interkulturelle Selbstbefragung in Heidelberg-Marrakesch, einfach (1996). In: Zeitschrift des Korea Women's Research Institute Sungshin University, 2013, p. 5-22.
  • Mohammed Elbah, Die Rückkehrfrage am Beispiel von Boubias Werk „Heidelberg-Marrakesch, einfach“. In: Elbah, Hasbane, Möller, Moursli, Tahiri, Tazi (Hrsg.), Interkulturalität in Theorie und Praxis, Publications de l’Université Mohammed V, Rabat, 2015, p. 92-100

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Fawzi Boubia, Mein west-östlicher Divan, Roman, PalmArtPress, Berlin, 2022
  2. PalmArtPress, Berlin 2001.
  3. Arnold Rothe, "Abschied von einem Mythos?", Heidelberger Jahrbücher, 1997.
  4. Johannes Balve, Rezension zu Mein west-östlicher Divan bei Amazon.de.
  5. PalmArtPress, Verlagskatalog II, 2022, S. 8.
  6. PalmArtPress, Verlagskatalog II, 2022, S. 8.
  7. Mustafa Maher, Fawzi Boubias Roman Heidelberg-Marrakesch, einfach oder Das andere Deutschland . In: Ulrich Müller (Hg.), Schnittpunkt der Kulturen, Stuttgart, Akademischer Verlag 1998, S. 397–408.
  8. Libération, 13. April 2012.
  9. „Une expérience spirituelle forte“, Brief an Fawzi Boubia, Privatarchiv.
  10. Brief an Fawzi Boubia, Privatarchiv.
  11. 03.03.1997.
  12. Buchtip: Vom Adler verfolgt – taz.de, abgerufen am 20. April 2023
  13. Büchermarkt 30.12.2022: Das letzte Wort hat Goethe: Joachim Seng, Fawzi Boubia | deutschlandfunk.de, abgerufen am 20. April 2023
  14. Al-Kitab al-Gharbi li al-Mu’allif al-Charqui, Roman, Lit-Verlag, Wien, 2004 الكتاب الغربي للمؤلف الشرقي.
  15. Hégire en Occident, Roman, Editions Marsam, Rabat, 2012.