Neustart (Verein)

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Neustart ist ein in Österreich seit 1957 aktiver Verein für Bewährungshilfe, Konfliktregelung und soziale Arbeit.

Verein, Mitarbeiter und Betreuungsbereiche[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Organisation besteht seit ihrer Gründung im Jahr 1957 als Verein. Sie firmierte bis 2001 unter dem Namen „Verein für Bewährungshilfe und Soziale Arbeit“. Im Jahr 2001 wurde der Vereinsname auf „Neustart – Bewährungshilfe, Konfliktregelung, Soziale Arbeit“ geändert.[1] Der Verein Neustart erbringt seine Leistungen im Auftrag des Bundesministeriums für Justiz. Er hat Beratungs- und Betreuungseinrichtungen in allen österreichischen Bundesländern.[2] Die Leistungen des Vereins umfassen Bewährungshilfe im engeren Sinne, aber auch Maßnahmen wie Schulsozialarbeit, elektronisch überwachter Hausarrest, Haftentlassenenhilfe, Tatausgleich und Opferhilfe.[3][4]

711 hauptamtliche Vereinsmitarbeiter sind bei Neustart tätig; 912 Personen arbeiten ehrenamtlich im Bereich Bewährungshilfe (Stand 2022). Mehr als 45.100 Klienten wurden im Jahr 2022 in den Bereichen Bewährungshilfe, Gewaltpräventionsberatung, elektronisch überwachter Hausarrest, gemeinnützige Leistungen, Haftentlassenenhilfe und Tatausgleich betreut. Davon entfielen 15.618 Personen auf den Bereich Bewährungshilfe.[5] Rund ein Drittel der Klienten wird von Ehrenamtlichen betreut (Stand 2020).[4][6] Damit ist Neustart eine der größten Non-Profit-Organisationen der Sozialwirtschaft Österreichs. Der Verein Neustart hat hohe fachliche Standards etabliert, die einheitlich in allen Einrichtungen im gesamten österreichischen Bundesgebiet Anwendung finden.[7][8] Der Verein Neustart wird über das Bundesministerium für Justiz finanziert. Im Jahr 2019 erhielt Neustart 40 Millionen Euro.[9]

Arbeitsweise im Bereich Bewährungshilfe[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In Österreich gibt es keine eigene staatliche Bewährungshilfe. Geregelt ist die Bewährungshilfe in Österreich im Bewährungshilfegesetz (BewHG).[10] Gerichte ordnen Bewährungshilfe an, entweder im Rahmen eines Urteils mit einer bedingt nachgesehenen Strafe oder im Rahmen einer vorzeitigen Haftentlassung. Sie kann auch „vorläufig“ als Ersatz für eine Untersuchungshaft von der Staatsanwaltschaft angeboten werden. Die Justiz informiert den Verein umgehend darüber, und dieser setzt sich dann innerhalb von 3 bis 14 Tagen mit den Betroffenen in Verbindung. Nach einem ausführlichen Erstgespräch mit Datenaufnahme werden ihnen passende Betreuer zugeteilt. Bei Haftentlassungen wird schon vorzeitig Kontakt hergestellt, um das Leben außerhalb des Gefängnisses vorzubereiten.[11] Bei angeordneter Bewährungshilfe meldet der Verein Verstöße gegen die Auflagen dem zuständigen Gericht. Sonst erfolgen Berichte nach sechs Monaten und zum Ende der Betreuung. Über die Inhalte der Gespräche besteht seitens der Betreuer Verschwiegenheitspflicht.[12]

Bewährungshilfe kann anstatt einer Haftstrafe oder bei einer bedingten Entlassung aus einer Haft angeordnet werden.[13] Mitarbeiter von Neustart helfen im Falle von haftentlassenen Delinquenten bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft, zum Beispiel bei der Wohnungs- und Arbeitssuche sowie beim Kontakt mit Behörden.[14] Es ist die Aufgabe der Bewährungshilfe, sich mit Rat und Tat darum zu bemühen, Verurteilten zu einer Lebensführung und Einstellung zu verhelfen, die sie in Zukunft von der Begehung mit Strafe bedrohter Handlungen abhalten können.[15]

Bewährungshilfe wird auch von Ehrenamtlichen durchgeführt. Von jeher ist ehrenamtliche Betreuung in Österreich ein integraler Bestandteil der professionellen Straffälligenhilfe. Ehrenamtliche werden in ihrer Betreuungstätigkeit durch Hauptamtliche angeleitet und unterstützt, wobei monatliche Teambesprechungen eine wesentliche Rolle spielen. Per Gesetz sind die Ehrenamtlichen den Hauptamtlichen in ihren Rechten und Pflichten bei der Durchführung ihrer Tätigkeit gleichgestellt.[16]

Spezifische Bereiche[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Seit 2019 findet das zuvor von Neustart im Modellversuch erprobte Interventionsprogramm „Dialog statt Hass“, das eine Strategie für den Umgang mit Verhetzung im Internet bietet, österreichweit Anwendung. Dabei lernen verurteilte Hass-Poster, wie sie im Internet ihre Meinung äußern können, ohne andere dabei abzuwerten oder sich strafbar zu machen.[17][18] Auch die im September 2021 eingeführte verpflichtende Beratung bei Wegweisungen und Betretungsverboten wird vom Verein durchgeführt.[19][20]

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • 1957: Gründung der Arbeitsgemeinschaft Bewährungshilfe unter Dr. Sepp Schindler.
  • 1961: Aufnahme des Bewährungshelfers ins Jugendgerichtsgesetz.
  • 1964: Durchführung der Bewährungshilfe in ganz Österreich durch den Verein für Bewährungshilfe und Soziale Jugendarbeit (später: Verein für Bewährungshilfe und Soziale Arbeit) und den Verein Rettet das Kind in der Steiermark.
  • 1969: Das Bewährungshilfegesetz tritt in Kraft.
  • 1975: Große österreichische Strafrechtsreform, das Strafgesetzbuch (StGB) 1974 tritt in Kraft. Bewährungshilfe für Erwachsene wird stufenweise bis 1983 ermöglicht.
  • 1980: Novelle des Bewährungshilfegesetzes 1969. Dieses Gesetz schreibt den bis dahin provisorischen Zustand der Übertragung der Bewährungshilfe an private Vereinigungen fest.
  • 1984: Erwin Ringel wird Obmann des Vereins für Bewährungshilfe und Soziale Arbeit.
  • 2000: Diversionsgesetz, Beginn des Prozesses „Organisation Neu“.
  • 1999–2001: Verbrechensopferhilfe „danach“ nimmt ihre Arbeit auf.
  • 2001: Beginn der Online-Beratung via www.neustart.at.
  • 2002: Ab 1. Jänner 2002 Namensänderung des Vereins für Bewährungshilfe und Soziale Arbeit auf Neustart.
  • 2006: Projekt „elektronische Aufsicht“ für bedingt Entlassene.
  • 2010: Ab September Auftrag zur Durchführung des elektronisch überwachten Hausarrests (eüH).
  • 2014: Das Neustart Kuratorium wird gegründet.
  • 2016: Abschluss des Pilotprojekts „Sozialnetzkonferenz im Maßnahmenvollzug“, das von April 2015 bis Juli 2016 im Auftrag des Bundesministeriums für Justiz von Neustart erprobt wurde.

Namensgleiche Vereine[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • In Baden-Württemberg war ein gleichnamiger Verein von 2007 bis 2016 Alleingesellschafter die Neustart gemeinnützige GmbH. Zum 31. Dezember 2016 wurde von der Landesregierung Baden-Württemberg der Vertrag mit Neustart gekündigt und die Bewährungs- und Gerichtshilfe in eine Körperschaft des Öffentlichen Rechts überführt (BGBW).[21]
  • In Basel besteht seit 1975 ein gleichnamiger Verein, der sich für die gesellschaftliche Integration straffälliger Menschen in der Region Basel einsetzt.[22]

Zeitschrift des Vereins[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • 1979–2003: SUB – Sozialarbeit und Bewährungshilfe (vierteljährlich erschienene Zeitschrift des Vereins für Bewährungshilfe und Soziale Arbeit)
  • seit 2001: Report. Neustart – Österreich (jährlich erscheinende Zeitschrift des Vereins Neustart)

Literatur (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Andrea Aichgruber: Instrumente der Personalentwicklung in der ehrenamtlichen Arbeit von Neustart. FH-Studiengang Sozialarbeit, Diplomarbeit, St. Pölten 2006.
  • Valentin Csürös: Soziale Ordnung in insitutionellen Räumen der Straffälligenhilfe. Eine Fallstudie am Beispiel der Organisation „Verein NEUSTART – Niederösterreich und Burgenland“, FH Campus Wien, Masterarbeit, Wien 2021.
  • Tatjana Maria Demšar: Mit dem Kopf und dem Herzen gehört werden. Dolmetschen im Neustart Tatausgleich. Eine empirische Studie zur gegenwärtigen Situation im Handlungsfeld. Universität Graz, Diplomarbeit, Graz 2012.
  • Martina Geringer: Qualitätsmanagement in der Bewährungshilfe. Fachhochschule St. Pölten, Masterarbeit, St. Pölten 2018.
  • Sebastian Hauser: AntiGewaltTraining. Theorien und Modelle zur Erklärung und Bearbeitung von Gewalt am Beispiel des AntiGewaltTrainings bei Neustart. Fachhochschulgänge Oberösterreich, Diplomarbeit, Linz 2014.
  • Tamara Kilic: Wenn Sozialarbeit und Ehrenamt miteinander kooperieren ... Am Beispiel von NEUSTART und VertretungsNetz. FH Campus Wien, Diplomarbeit, Wien 2009.
  • Jonathan Kufner-Eger: Alte Stärken – neue Wege. Zur Organisations- und Methodengeschichte der NEUSTART-Straffälligenhilfe in Österreich. LIT Verlag, Wien 2018 (= Schriften zur Rechts- und Kriminalsoziologie 9), ISBN 978-3-643-50877-5.
  • Jonathan Kufner-Eger: Risikoorientierte Rationalisierung Sozialer Arbeit. Verwerfungen der Berufsidentität in der Bewährungshilfe. Springer Fachmedien Wiesbaden, Wiesbaden 2020, ISBN 978-3-658-28520-3.
  • Gabriele Rossbacher: Beobachtung von Gruppenarbeit mit delinquenten Jugendlichen in der Institution „Neustart“ unter Berücksichtigung des Psychodramas. Universität Klagenfurt, Diplomarbeit, Klagenfurt 2003.
  • Verena Samitz: Bewährungshilfe – und die Rolle des Geschlechts? Universität Klagenfurt, Masterarbeit, Klagenfurt 2018.
  • Nina Santler: Restaurative Maßnahmen in der Bewährungshilfe mit rechtsextremen Jugendlichen. Am Beispiel eines Pilotprojekts von NEUSTART. Universität Klagenfurt, Magisterarbeit, Klagenfurt 2015.
  • Bettina Weidinger: Opferorientierung und wiedergutmachende Gerechtigkeit in der Bewährungshilfe am Beispiel des Vereins NEUSTART. FH Campus Wien, Diplomarbeit, Wien 2010.
  • Birgit Wildhölzl: Bewältigungs- und Verarbeitungsmaßnahmen in belastenden Situationen bei den Mitarbeitern der Bewährungshilfe. Universität Salzburg, Diplomarbeit, Salzburg 2006.
  • Verena Wölfleder: Elektronische Aufsicht in Wien. Das Modellprojekt durchgeführt vom Verein Neustart und der Justizanstalt Simmering. FH Campus Wien, Diplomarbeit, Wien 2009.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Unser Verein auf neustart.at
  2. Bewährungshilfe und Haftentlassenenhilfe auf oesterreich.gv.at
  3. Schulsozialarbeit auf neustart.at
  4. a b Ehrenamt: Freiwillig bei der Justiz APA-Meldung vom 3. Dezember 2021
  5. Report 23. Vereinszeitschrift von Neustart, S. 13. (online)
  6. Neustart report 2021, S. 12.
  7. Unser Verein auf neustart.at
  8. report 2021 auf neustart.at
  9. 3.2 Wirtschaftliche Kennzahlen zum Straf- und Maßnahmenvollzug Strafvollzugsbroschüre 2020
  10. Bewährungshilfegesetz auf jusline.at, abgerufen am 11. Februar 2024.
  11. BEWÄHRUNGSHILFE: Auftraggeber auf neustart.at
  12. 3.2 Wirtschaftliche Kennzahlen zum Straf- und Maßnahmenvollzug Strafvollzugsbroschüre 2020
  13. Tätigkeitsmerkmale auf berufslexikon.at
  14. Bewährungshilfe und Haftentlassenenhilfe auf oesterreich.gv.at
  15. Bewährungshilfe auf help.gv.at
  16. Unsere Ehrenamtliche sind wichtige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf neustart.at
  17. Die Geschichte von Neustart auf neustart.at
  18. Dialog statt Hass auf neustart.at
  19. Gewaltprävention auf neustart.at
  20. Häusliche Gewalt: Bilanz nach drei Monaten Beratung
  21. Informationen des Justizministeriums Baden-Württemberg
  22. Über uns Verein Neustart (Basel) auf neustart.ch